Herr Tumas Diary

Wie versucht man witzig zu sein – und wirkt doch irgendwie ganz anders? Das sind die entscheidenden Fragen, die sich der Spiegel-Krisenkolumnist Thomas Tuma heute in seinem geheimen Tagebuch stellt.

 

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Es zeigt: Seriöse Berichterstattung macht einem vom Wahlergebnis frustrierten Journalisten keinen Spaß.

Montag, 28. September: Kaum haben die Liberalen bei der Wahl ordentlich zugelegt, meinen alle, man müsse erst einmal abwarten, was sich Schwarz-gelb da politisch zurechtlegt. Dabei bin ich doch so frustriert, dass ich am Liebsten gleich gegen den politischen Wechsel polemisieren möchte.

Mittags Redaktionssitzung: Der Chefredakteur will wissen, ob über Schwarz-gelb schon vor den Koalitionsgesprächen der Stab gebrochen werden kann. Yes, yes, da war doch diese Geschichte mit dem BBC-Reporter auf der Pressekonferenz. Ein paar gehässige Bemerkungen lassen sich hier schon absondern. Trotzdem: Dauernd muss man über unausgekochte Dinge berichten und so tun als ob man davon etwas verstünde. Macht nichts, Hauptsache man hat einen festen politischen Standpunkt.

Nachmittags Treffen mit Kollegen. Nur wir fünf: ich, ich, zwei Bionaden und mein Frust über das Wahlergebnis. Fühlte mich auf der Seite der Aufrechten, auch wenn es nicht gut aussieht mit der Bilanz der großen Koalition und links-grüne Patentrezepte auch nur auf dem Papier funktionieren. Könnte man eigentlich auch mal abwarten was kommt, müsste sich aber seine Sandburg kaputt machen lassen. Ich duze mich schon lange und klopfe mir gelegentlich auf die Schulter. Manchmal bin ich mir sogar ähnlich: schnell mit der Feder, schnörkellos, mit Gespür für Polemik, geradeaus. Wer bleibt schon gern auf dem Teppich?

Dienstag, 29. September: Boah, sind wir viele in der Redaktion. 200 Journalisten sind da. Aber nur 20 verstehen was ich schreibe. Ich wollte gerade anfangen laut zu werden, als mir auffiel, dass ausgerechnet ich nicht verstehe wovon ich schreibe. Jetzt erkläre ich das natürlich damit, dass andere doof sind. Aber welcher Vollhorst ist denn der Meinung, man müsse im Journalismus immer die Wahrheit sagen. Dann muss ich meine Kolumnen doch dauernd ordentlich recherchieren.

Mittwoch, 30. September: Abends Verleihung des progressiven Medienpreises „Guter Mensch“. Ich bin nicht einmal offiziell eingeladen, gehe aber trotzdem hin. (Ein Kollege fragt, ob es nicht doch besser sei mal etwas Sinnvolles über den Klimawandel zu schreiben). Mein Chefredakteur ist auch da. Muss ich als Krisenkolumnist eigentlich auch etwas von der Krise verstehen? Wieso lacht keiner über meinen Humor? Dabei ist der immer noch besser als meine schlechten Krisenkolumnen.

Donnerstag, 1. Oktober: Wieder Redaktionssitzung. Jeder will über die kommende Bundesregierung schreiben, und wo bleibe ich? Bei ihrem Leisten, sagt der Chefredakteur. Meine Kollegin ist so beleidigt über den Wahlausgang, dass sie sich den Magen an einem Biosalat verdorben hat. Vielleicht kann man ihr ja eine Kundenkarte von ihrem Lieblingsnaturkostladen schenken, damit sie wenigstens im Privatleben über die politische Niederlage der Linken hinwegkommt. Aber was soll ich mit dem Kollegen aus der Wissenschaftsredaktion machen, dem frustrierten Eisbärenretter. Brauche dringend mehr grün-rote Krawatten, aber auffällig.

Freitag, 2. Oktober: Überall heißt es, meine Krisenkolumnen sind nicht witzig. Dabei habe ich doch solange über die ironischen Passagen nachgedacht, haha! Eben, ich habe nämlich auch Humor. Wird oft unterschätzt. Noch einer? Zum Bleistift den: Ein Journalist will Schwarz-gelb verhindern – wird ganz gelb im Gesicht vom vielen schwarzen Humor. Für so was kriegt Harald Schmidt einen Haufen Geld. Aber mir vorwerfen, ich könne nicht verlieren. Klar, und morgens sitze ich am PC und recherchiere ordentlich über einen Artikel zu den Koalitionsgesprächen, soweit kommt’s noch. Ich bin doch Spiegel-Journalist.

Samstag, 3. Oktober: Fast eine Woche nach der Wahl und immer noch keine Lust, etwas Substanzielles zum politischen Wandel zu schreiben. Auch die SZ, die Zeit und andere im Bund der linken Journalisten organisierten Blätter haben es noch nicht geschafft das Wahlergebnis wegzuschreiben. Noch dazu regnet es. Eine Einladung zur Pressekonferenz mit Guido Westerwelle hätte ich gern abgelehnt, aber Guido hat nicht angerufen. Dann zieht’s mir vor der Glotze fast die Stoppersocken aus: Auf der Couch bei Gottschalks "Wetten dass...?" sitzt Guttenberg und hat nicht mal eine Wette mitgebracht. Ich dagegen hätte alle ordentlich recherchierenden Journalisten an meinen beiden Händen abzählen können.

Sonntag, 4. Oktober: Immer noch Regen. Liege lange im Bett und überlege wie ich den Gelben eins auswischen kann. Irgendwie polemisch, aber auch originell. Und witzig.

Montag, 5. Oktober: Die werde ich schön erschrecken bei der morgendlichen Zeitungslektüre. Als erstes lege ich dem Westerwelle ein dröges Tagebuch in den Mund. Dabei sondere ich möglichst alle Plattitüden ab, die Journalisten im Allgemeinen drauf haben und Guido-Hasser im Besonderen. Also so Sachen wie soziale Kälte und Ausbeutung ist liberal und so. Das kommt genauso gut an wie Liberale wollen die Atomkraft, weil es beim Supergau so schöne gelbe Wolken gibt, vor allem da wo umweltbewegte Journalisten begeistert über Anti-AKW-Aktivisten berichten. Und wenn sie das dann lesen, fühlen sich die Leser in ihrer Abneigung gegenüber diesem Westerwelle bestätigt. Oder sie merken, dass ich keinen Humor habe. Hoffentlich nicht.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: jo@chim

Boah ist das gemein! Einfach schneller sein... genau so eine Persiflage hatte ich auch vor...

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