Halbwesen und Mischwesen: Die faschistoide Zukunft der Reproduktionstechniken

Veröffentlicht:
von

Sibylle Lewitscharoff hat am 2. März im Dresdener Schauspielhaus eine (ziemlich verspätet vielbeachtete) Rede gehalten mit dem Titel: "Von der Machbarkeit. Die wissenschaftliche Bestimmung über Geburt und Tod". Verspätet will heißen, dass die Zuhörer sie wohl ohne Empörung geschluckt haben, und die mediale Aufregung, die folgte, scheint etwas gesucht, als hätte man nochmal genau nachschauen müssen, ob es da wirklich etwas zum Aufregen gibt. Man kann die Rede im Internet nachlesen. Sie äußert drastisch Unbehagen an der Reproduktionspraxis, wie sie sich (nicht nur) in Deutschland seit Jahrzehnten immer stärker durchsetzt.

Es folgte die öffentliche mediale Hinrichtung, u. a.  in der "Süddeutschen" und der "FAZ". Lewitscharoff hat sich erklärt; als das auch nicht genug war, hat sie sich für einige Formulierungen entschuldigt. Dabei muss man nüchtern sagen, dass sie sachlich natürlich recht hat. Sie ist zunächst von ihrer persönlichen Betroffenheit als Tochter eines Gynäkologen und aufgrund ihrer Erfahrung mit dem Feminismus seit den 70er Jahren ausgegangen. Sie hat recht, wenn sie sagt, dass schon der Slogan "Mein Bauch gehört mir" katastrophal war, weil im Bauch einer schwangeren Frau ein anderer Mensch mit eigener Würde und eigenem Recht heranwächst, über den die Frau eben deshalb nicht verfügen kann, wie sie will. Und sie hat recht, dass es nicht in Ordnung ist, wenn der Mann, der an der Zeugung des Kindes beteiligt war, überhaupt nicht gefragt wird. Für diese Problematik hat unsere Gesellschaft offensichtlich kein Gefühl mehr, wie nicht nur die Zahl der Abtreibungen zeigt. Man kann das die Macht des Faktischen nennen.

Sie fährt dann fort, sich über die diversen Arten moderner Reproduktion zu äußern wie künstliche Befruchtung, Leihmutterschaft, homosexuelle Vater- und Mutterschaft. Sie nennt das "medizinische Machinationen" und hat wieder recht. Nun ist jeder Eingriff von Ärzten in die sogenannte Naturgeschichte von Krankheiten und sonstigen körperlichen Abläufen eine "Machination", und wir lehnen das trotzdem nicht ab. Warum empfinden wir die Heilung von einer Krankheit als einen positiven Eingriff in natürliche Abläufe und warum haben wir bei künstlicher Befruchtung möglicherweise das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt? Aber Lewitscharoff hat das nicht in Bezug auf ein Paar aus Mann und Frau gemeint; hier liegt ja mit der Unfruchtbarkeit eines Partners tatsächlich eine "Krankheit" vor, die mit künstlicher Befruchtung geheilt werden soll.

Sie dachte eher an die "Katalogverfahren", mit denen man sich einen passenden Samenspender nach bestimmten Kriterien aussuchen kann. Das ist tatsächlich schon nahe an der Züchtung, wie ich meine.  Sie dachte an die Leihmutterschaft, bei der für das Austragen eines Kindes bezahlt wird, das Kind vorgeburtliche Eindrücke empfängt, die mit den genetischen Eltern nichts zu tun haben und der genetischen Mutter die Erfahrung der Schwangerschaft fehlt. Ich sehe hier, dass es sich um eine Art Experiment am lebenden Objekt handelt. Sie dachte an homosexuelle Elternschaft, bei der Menschen, die das andere Geschlecht sexuell und eine tiefe innere Bindung betreffend ablehnen und darum keine Kinder bekommen können, für eine Schwangerschaft dann doch auf dieses andere ungeliebte Geschlecht zurückgreifen müssen. In der "Süddeutschen" hat die lesbische Schriftstellerin Judith Schalansky erklärt, wie das geht: Sie lebt mit einer Frau zusammen und hat sich von einem schwulen Mann schwängern lassen. Alle drei freuen sich jetzt liebend, wie sie sagt, auf das Kind, dem das einmal erklärt werden muss. Und warum auch nicht? Das Kind wird das verstehen (was soll es auch machen?), und es wird hoffentlich glücklich leben und alt sterben. Anything goes. Zwar hat auch das etwas von Zuchtwahl, aber Schalansky spricht rührend von der "Vielfalt der Schöpfung". In Wahrheit handelt es sich um reine Selbstsucht, Verzicht leisten will heute niemand mehr. Auch in diesen Fällen hat unsere Gesellschaft zu großen Teilen das Problembewusstsein verloren, auch hier wird juristisch immer öfter vom Faktischen ausgegangen und in seinem Sinne entschieden werden.

Wohlgemerkt: Das geht alles und es wird noch mehr gehen. Denn der Mensch hat noch immer alles durchgeführt, was ihm technisch möglich war. Lewitscharoff hat den Fehler gemacht, davon zu reden, dass ihr Gefühl den Verstand beim Anblick von durch Reproduktionstechniken "entstandenen" Kindern derart überflügele, dass diese ihr als irgendwie nicht echt, als "Halbwesen" vorkommen würden. Das ist schlecht: Man sollte den Verstand nie opfern. (Das verräterische Wort "entstanden" verwenden in diesem Zusammenhang übrigens auch die Verteidiger der Reproduktionsmedizin, die Lewitscharoff jetzt angreifen.) Sie hat dann auch noch andere Begriffe verwendet, die diese Techniken in die Nähe nazistischer Eugenik und Rassenmenschenzüchtung rückt. Das ist es eigentlich, was die mediale Entrüstung hervorgerufen hat. Aber auch hier hat sie recht, und die Entrüstung ist verlogen. Am 10. Februar 2011 habe ich auf dieser Seite anlässlich eines Designerbabys geschrieben, dass die Zukunft "Menschenzüchtung" bringen wird und die "groben makroskopischen" und darum verbrecherischen Experimente der Nazis auf das "mikroskopische" zelluläre und  molekulargenetische Niveau heruntergebrochen werden. Damit werden sie scheinbar human, weil kein als solcher erkennbarer Mensch betroffen ist.

Anstatt jetzt herumzureden, sollte diese Gesellschaft, die es so weit schon hat kommen lassen, wie Lewitscharoff zeigte, sich offensiv dazu bekennen, dass das Züchten von Menschen kommen und erlaubt sein wird. In genau dem Sinne, wie heute schon eine schiefe Nase zu einer medizinisch-psychologisch inakzeptablen und daher behandlungswürdigen "Krankheit" erklärt wird, wird die Optimierung von mangelnder Gesundheit und Intelligenz ohne Zweifel zu einer wünschenswerten Sache erklärt werden. Wenn das nazistisch ist, dann ist der Faschismus eben durch die Hintertür wieder da. Gerade die, die diese Reproduktionstechniken in all ihren Konsequenzen befürworten, sind "biologistisch" und "faschistoid" (Zitat Schalansky), nicht die, die noch ein Menschenbild haben, das diesen "in seiner ganzen Unbehülflichkeit annimmt", wie Lewitscharoff in der "FAZ" sagte. Glauben diejenigen, die jetzt von einer vulgären Debatte reden, wie Jens Bisky in der "Süddeutschen", wirklich, sie könnten die Geister bändigen, die da gerufen wurden? Ich gehe sogar davon aus, dass eine Gesellschaft, die Tiere zunehmend als ethische Subjekte behandelt, auch das Zusammenleben mit Tieren als eine mögliche Form von Ehe anerkennen wird. Die Reproduktionstechnik wird auch die Kreuzung von Mensch und Tier ermöglichen. Die Antike kannte solche Mischwesen schon, Chimären; sie werden Wirklichkeit werden. Auch ihnen wird, wie allen "menschlichen und nicht-menschlichen Tieren", so der Jargon der Tierethiker, die volle Würde nicht abgesprochen werden können. Der Weg in eine fragwürdige Zukunft der menschlichen Reproduktion ist noch lang. Es handelt sich nicht um Schicksal, dieser Weg ist menschengemacht. Ob man dieses Menschenwerk für "abartig" und "widerwärtig" halten muss, sei dahingestellt. Das sind harte Worte, vor allem in Deutschland. Lewitscharoff wollte aufrütteln, indem sie auf den inhärenten Faschismus der Reproduktionsmedizin hinwies. Unsere Gesellschaft muss sich entscheiden, und sie hat sich wahrscheinlich schon entschieden. Dann sollte sie aber auch zu ihrer Entscheidung stehen.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Adorján Kovács

@EB
Vielen Dank für den interessanten Einwurf. Ich habe primär an eine unfruchtbare (Ehe-) Frau gedacht, die auf künstliche Weise von ihrem fruchtbaren (Ehe-)mann schwanger wird: Da sind die sozialen und genetischen Eltern identisch. Umgekehrt sieht es natürlich so aus, wie Sie schreiben, da muss ein Samenspender gesucht werden und die geschilderte Problematik greift. Ich darf auf das Buch "Krankheitstheorien" hrsg. von Thomas Schramme hinweisen, wo letztlich auf eine wie auch immer geartete Funktionsstörung verwiesen wird, um von "Krankheit" sprechen zu können. Der Fall der männlichen Unfruchtbarkeit wäre ein solcher Fall einer Funktionsstörung, obwohl das sicher komplizierter ist, da der betreffende Mann potent sein kann und von der "Funktionsstörung" seiner Spermien nichts bemerkt. Er lebt also u. U. persönlich völlig uneingeschränkt, wird vielleicht 100 Jahre alt, kann eben nur keine Kinder bekommen. Hier greift nun mein Hinweis auf die Selbstsucht. Muss wirklich jeder Kinder bekommen? Nun gut, würde ich sagen, wenn es bei der Veranlagung des oder der Betroffenen prinzipiell möglich wäre, warum nicht mit Reproduktionsmethoden helfen? Wer aber aufgrund seiner Veranlagung mit Männern oder Frauen keine tiefere Bindung eingehen kann oder will und darum auch theoretisch Kinderzeugung ausgeschlossen ist, wo ist da auch nur im Entferntesten von "Krankheit" zu reden, bei der geholfen werden muss?? Klar "funktioniert" das auch, wie geschildert, aber da fängt die Bastelei an, und das Wort von der Selbstsucht passt noch mehr, weil jemand, der eigentlich mit dem anderen Geschlecht nichts zu tun haben will, auf "eigene" Kinder doch nicht verzichten mag.
Im übrigen wird Ihnen jeder betroffene Mann bestätigen, dass die von Lewitscharoff geschilderte Prozedur im "Wichsstübchen" einer Reproduktionssklinik als erniedrigend empfunden wird; man kann sagen was man will, es ist eben nicht, wie es sein sollte. Aber das ist ja leider bei vielen Therapien so, auch das mit der fehlenden Würde... Also ich hätte das Argument nicht wie Lewitscharoff gebracht.

Gravatar: Karin Weber

@ aLuckyGay

Nicht alles was technisch möglich ist normal.

Weiterhin finde ich es seltsam, dass Sie als hier agitierender Homolobbyist darüber wie folgt referieren: >>Für Lebewesen ist in der Natur doch eigentlich nur eines wichtig, das Überleben der Art muss gewährleistet sein und zwar nicht nur kurzfristig sondern auf sehr lange Zeit.<<

Sie wissen schon, dass Homosexualität eine Sackgasse ist? Das Problem haben und werden Sie nicht lösen. Mit dem Wissen verstehe ich nicht Ihre Argumentation hinsichtlich der Reproduktion.

Was Frau Lewitscharoff gesagt hat, stimmt doch. Es ist mir unerklärlich, warum die Frau da zurückrudert. Wer weiß, wie man ihr gedroht hat. Letztlich verdient die Reproduktionsindustrie sicher Milliarden damit. Eltern in Not, sollte man aus meiner Sicht helfen. Ethisch ist das vertretbar.

Lesen Sie mal hier: http://www.spenderkinder.de/
Das ist eine Initiative von nunmehr Erwachsenen, die nicht wissen, wie viele Halbgeschwister sie eigentlich haben.

Gravatar: aLuckyGuy

Wie immer wenn es um Themen wie dieses geht, wird die Natur und alles was als natürlich anzusehen ist, völlig verklärt und verfälscht. Für Lebewesen ist in der Natur doch eigentlich nur eines wichtig, das Überleben der Art muss gewährleistet sein und zwar nicht nur kurzfristig sondern auf sehr lange Zeit. Das allein zählt, alles andere ist allenfalls menschgemachte Moraldidiologie. Und für dieses Überleben ist längst nicht nur der reine Fortpflanzungsakt entscheident, sondern viele andere Faktoren. Denn letztlich hat doch erst die Vielschichtigkeit der menschlichen Gesellschaft und damit die Anpassungsfähigkeit den Menschen zu einen der erfolgreichsten Lebewesen auf diesen Planeten gemacht. Merkwürdigerweise wird dieser Aspekt kaum angesprochen. Personen wie Sibylle Lewitscharoff vergiessen zwar Krokodilstränen über künstliche Befruchtung, mit fehlenden Menschenrechten sowie gravierenden sozialen Problemen in vielen Teilen der Erde scheint sie dagegen kein Problem zu haben. So etwas nenne ich unehrlich und dreist.

Gravatar: Freigeist

Deutschland ist zu unbedeutend bezüglich dieses Themas. Wir Deutschen haben keinen Einfluss darauf, was künftig in der Welt passieren wird in Bezug auf Chimären etc..

Gravatar: Frank

Danke für den ersten differenzierten Kommentar, den ich zu diesem Thema lesen durfte. Danke, Herr Prof. Kovács.

Gravatar: EB

Guten Tag, Herr Kovacs,

Sie schreiben, dass Frau Lewitscharow nicht das heterosexuelle Ehepaar gemeint habe, bei dem der Mann steril sei. Dies sei eine Krankheit, die durch künstliche Befruchtung geheilt werde.
Ich denke, dass Frau Lewitscharow jegliche "Kindermachung" gemeint hat, also auch die künstliche Befruchtung bei einem heterosexuellen Ehepaar. Ich zitiere:
"Die Vorstellung, dass ein Mann in eine Kabine geschickt
wird, wo er, je nach Belieben, mit oder ohne Hilfe von pornographischen Abbildungen,
stimuliert wird, seine Spermien medizingerecht abzuliefern, die später in den Körper einer
Frau praktiziert werden, ist mir nicht nur suspekt, ich finde sie absolut widerwärtig."

Weiter schreiben Sie, dass es sich um Selbstsucht handele, wenn niemand mehr Verzicht üben wolle. In diesem Sinne wäre auch dieser Vorgang als selbstsüchtig zu bezeichnen, da das sterile Ehepaar sich nicht mit der Kinderlosigkeit abfinden möchte.
Auch dieses Ehepaar hat seinem Kind später zu erklären, dass der soziale Vater nicht der genetische Vater ist, dass der genetische Vater gar völlig unbekannt ist.

Mit freundlichen Grüßen,
EB

Gravatar: P.Feldmann

Dieser Artikel verdient ebenso wie der Beitrag Lewitscharoffs Aufmerksamkeit.
Ich würde allerdings den inflationären Gebrauch des Faschismus-Topos vermeiden, weil dies inzwischen in Deutschland (und zunehmend weltweit, s. Russland-Ukraine) zu einer propagandistischen Entwertung der Fragestellung führt.
Die eigentliche Fragestellung lautet: Nach der Aufhebung von Metaphysik und Religion folgt die offene Selbstermächtigung von Menschen und Gesellschaft. Hierbei wird offenbar, dass der wirkliche Feind des Menschen nicht irgendeine Religion, irgendein Gott, sondern eben der Mensch selbst ist. Die Machbarkeit ohne transzendentale Rückbindung, die parallel zu setzen ist mit der Finanzwirtschaft des Neoliberalismus (die im eigentlichen eine Ablösung von Verantwortung von Macht bedeutet)- und diese hat gerade ein Zeitalter der Krisen eingeläutet, - Machbarkeit ohne Verantwortung wird im Duktus der Formung des erwünschten Menschen zu einer Form der neuen Sklaverei führen. Und man darf gespannt sein, wann die Opfer aufbegehren.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang