Gutachter als Sprachrohr einer verantwortungslosen Wirtschaftslobby

Der Spiegel vom 4. 2. 2013 beschäftigt sich in einem 8-seitigen Leitartikel („Der 200-Milliarden-Irrtum“) mit „Deutschlands gescheiterter Familienpolitik“. Er bezieht sich auf Aussagen eines internen Zwischenberichts der Prognos-AG, die vom Finanz- und dem Familienministerium mit einer „Gesamtevaluation familien- und ehebezogener Leistungen“ beauftragt wurde. - Die Gutachter versuchen gar nicht, den Ursachen des Versagens nachzuspüren, sondern wollen nur die Wirtschaft vor den Folgen schützen – ein naives Unterfangen.

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Die Prognos-AG ist eine Firma, die vor allem Wirtschaftsunternehmen mit dem Ziel der Profitmaximierung berät. Soweit der Spiegel berichtet, ist zu schließen, dass die AG ihren Auftrag so verstanden hat, dass auch die familienpolitischen staatlichen Leistungen unter dem Gesichtspunkt der Optimierung der Volkswirtschaft zu bewerten seien. Das kam sicher der Wirtschaftslobby entgegen, die diese wirtschaftshörigen Gutachter der Bundesregierung möglicherweise angedient hat.

Die dem Spiegelbericht zu entnehmenden „Ergebnisse“ sehen dann auch danach aus. Sogar das angesichts der Kinderkosten mickrige Kindergeld wird als „wenig effektiv“ bezeichnet, aber nicht weil es mickrig ist, sondern weil es das überhaupt gibt. Den „Forschern“ (so werden die Gutachter im Spiegelbericht tituliert) ist offensichtlich nicht einmal bekannt, dass sich das Kindergeld überwiegend aus der verfassungsrechtlich gebotenen Steuerfreistellung des Existenzminimums der Kinder ergibt. Nach der Logik der Gutachter müssten dann auch die steuerlichen Grundfreibeträge als Leistung des Staates (als „Erwachsenengeld“) in Höhe von mindestens 120 Mrd. € bezeichnet werden.

Als einzige Leistung wird von den Prognos-Leuten der Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung als „effektiv“ bewertet. Kurzum: Alles was den Eltern hilft, ihre Kinder selbst zu erziehen, wird in Frage gestellt und deren Streichung nahegelegt. Ziel ist offensichtlich, möglichst alle Eltern auf den Arbeitsmarkt zu drängen, nach dem Motto: Je mehr Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen, desto niedriger können die Löhne und desto höher die Profite sein. Um diese Entwicklung zu beschleunigen, liegt die ausschließliche „Effizienz“ des Ausbaus von Kinderkrippen auf der Hand.

Der Familienministerin Kristina Schröder ist zugute zu halten, dass sie sich sehr schnell von diesen „Forschungsergebnissen“ distanziert und sie zutreffend als „unseriös“ bezeichnet hat. Völlig unverständlich ist dagegen, dass der Spiegel diese profitgesteuerte Stimmungsmache gegen Eltern nicht durchschaut und sogar noch ins gleiche Horn bläst. Aber für viele andere Presseorgane gilt das auch. Die Gleichschaltung von Presse und Wirtschaftslobby ist offensichtlich schon weit fortgeschritten. Kritischer und investigativer Journalismus ist Mangelware.

200 Mrd. € familienpolitische Leistungen?

Aber was ist mit den 200 Mrd. €, die nach Ansicht der „Gutachter“ und des Spiegel wirkungslos verpulvert werden? Nach Angabe des Spiegel sind das 5% der Wirtschaftsleistung. Wenn das stimmt, wäre es eigentlich nicht viel. Schließlich sind deutsche Bürger heute im Schnitt über etwa 25% ihrer Lebenszeit Kinder und in Ausbildung befindliche Jugendliche. Sie hätten dann auch etwa 25% der Wirtschaftsleistung zu beanspruchen, um gleichberechtigt leben und lernen zu können. Aber schon hier zeigt sich, dass der Löwenanteil der Kinderkosten eben doch von den Eltern getragen wird und nicht vom Staat.

Aber stimmt denn das mit den 200 Milliarden überhaupt? Nach dem im Spiegel abgedruckten Diagramm sind 75 Mrd. € davon „ehebezogen“. Das Geld kommt zwar überwiegend, aber nicht vollständig den Familien zugute, weil es auch viele kinderlose Ehen gibt. Aber selbst durch das als „ziemlich unwirksam“ bezeichnete Ehegattensplitting, das ca 20 Mrd. € ausmacht, dürfte der Staat eher Geld sparen. Schließlich ergibt sich das Splitting, weil die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft gilt. Wäre das anders, ließe sich auch die gegenseitige Unterhaltspflicht in der Ehe nicht rechtfertigen. Vermutlich wäre das für den Staat teurer als das Splitting.

Und wie setzen sich die angeblichen 125 Mrd. € „Familienförderung“ zusammen? Dass die angeführten fast 40 Mrd. € Kindergeld überwiegend Steuer-Rückerstattungen sind, die dem Grundfreibetrag der Erwachsenen entsprechen, wurde bereits erwähnt. Dass Familien einen höheren Anteil ihres Einkommens verbrauchen müssen und deshalb überproportional Verbrauchssteuern (Mehrwertsteuer, Stromsteuer) bezahlen müssen, haben weder die Gutachter noch der Spiegel beachtet. Sie haben eben alle nur aus der Sicht eines Wirtschaftsunternehmens gedacht. Man könnte auf die Idee kommen, dass keine/r der sechs verantwortlichen Journalisten/Journalistin für Kinder Verantwortung trägt.

Ebenso absurd ist es, wenn die „beitragsfreie Mitversicherung“ der Kinder in der Gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung als „Familienleistung“ geführt wird. Sicher tragen die Eltern durch ihre Beiträge „nur“ etwa die Hälfte der Krankheitskosten ihrer Kinder selbst. Aber wenn die Kinder erwachsen sind, müssen sie die etwa fünfmal so hohen Krankheitskosten aller Rentner tragen. Wer keine Kinder hat, kauft sich also sehr „preiswert“ in die Krankenversicherung ein, wenn sie/ er zunächst die Krankheitskosten der Kinder mitträgt.

Aber gehen wir doch einfach mal super großzügig von der Annahme aus, die 200 Mrd. € des Spiegel-Diagramms seien tatsächlich eine Investition des Staates (d. h. der ganzen Gesellschaft) in die Kindergeneration. Was ist dann die „Effizienz“ (das Verhältnis des Nutzens zum Aufwand)?dieser Investition? Der Nutzen sind die Leistungen der erwachsen gewordenen Kinder an die alt gewordene Generation. Dazu gehören die gesetzlichen Renten, die Pensionen, die gesamten Krankheits- und Pflegekosten der Rentner/innen u. a.). Bezogen auf die heutigen Kosten kommen da mindestens 420 Mrd. €/ Jahr zusammen. Für den Staat ist das selbst bei dieser Rechnung immer noch ein Bombengeschäft, auf der anderen Seite aber ein Riesen-Verlustgeschäft für die Familien.

Der Denkfehler der Gutachter

Der „Denkfehler“ (von Oswald v. Nell-Breuning schon 1957 so beschrieben); den die „Forscher“ wie die Spiegelredakteure machen, liegt einfach darin, dass sie die Flüsse vom Staat zu den Kindern auflisten und sogar überzeichnen, aber die viel größeren Rückflüsse einfach ignorieren. Die Gutachter mögen ja volkswirtschaftlich geschult sein. Aber Kinder als Investition zu begreifen, überfordert sie offensichtlich. Sie würden auch nie einem Unternehmer empfehlen, eine teure Maschine zu kaufen, die erst nach 20 bis 30 Jahren zu arbeiten beginnt. Daran orientieren sich nun ihre Empfehlungen an die Politik.

Sicher war es von vornherein ein Fehler, Leute mit einem Gutachten zur Familienpolitik zu beauftragen, die schon von ihrer Ausbildung her auf kurzfristige Profitmaximierung programmiert sind. Das ist ungefähr so, wie wenn ein medizinischer Gutachter einen operativen Eingriff nach dem Gewinn für das Krankenhaus bewertet statt nach dem Nutzen für den Patienten. - Der Familienministerin merkte man förmlich an, wie peinlich es ihr war, sich mit dergleichen „Empfehlungen“ auseinanderzusetzen. Allerdings kann ihr kein Vorwurf gemacht werden, dieses „Gutachten“ in Gang gesetzt zu haben. Das Kuckucksei wurde ihr schon von ihrer Vorgängerin ins Nest gelegt.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es geht hier nicht um Polemik gegen Kinderkrippen. Wenn Eltern eine Krippenbetreuung wünschen, um anderweitig erwerbstätig zu sein und das für richtig halten, steht ihnen das nach unserem Grundgesetz frei. Aber der Staat hat kein Recht, Eltern zu bevormunden, indem er eine gewünschte Betreuungsart einseitig begünstigt, wie er das heute unter dem Druck der Wirtschaftslobby tut. Nur die Eltern haben - abgesehen bei Gefährdung des Kindeswohls - das Recht über die Art der Kindererziehung zu entscheiden. In der Regel wird ihre Entscheidung besser und ihrer individuellen Situation angemessener sein als die einer profitorientierten oder anderweitig ideologisch begründeten staatlichen Vorgabe.

Der familienpolitische Sündenfall

Nun wäre es aber zu kurz gedacht, den ganzen berechtigten Unmut über eine tatsächlich verfehlte Familienpolitik auf die Prognos-AG und die Spiegelredakteure abzuladen. Die Ursachen sitzen viel tiefer. Der familienpolitische Sündenfall erfolgte schon mit der Rentenreform 1957 durch Adenauer. Damals wurden die Eltern quasi über Nacht enteignet, indem die Altersversorgung, die über Jahrtausende der Lohn für die Erziehung von Kindern gewesen war, an Erwerbsarbeit gekoppelt wurde. Plötzlich waren die Kinder – über ihre Sozialabgaben – ihren Eltern weniger verpflichtet als den kinderlosen Nachbarn. Kindererziehung wurde mit einem Schlag zu einem in der Regel lebenslangen Verlustgeschäft, was es zuvor niemals gewesen war. Das bedeutete aber nicht nur den Beginn einer fortschreitenden Verarmung der Familien in einer reicher werdenden Gesellschaft. Auch alle Wertvorstellungen, die zuvor mit Familie verbunden waren, verloren schrittweise ihre Grundlage. Kinder, seit Menschengedenken die Basis der eigenen sozialen Sicherheit, waren plötzlich zum größten Armutsrisiko geworden.

Von konservativen Kreisen wird die Schuld für den Verfall der Familie in der Regel auf „linke“ Ideologien“ geschoben, die tatsächlich z. T. die Familie als Lebensform für überholt halten. Dabei wird aber übersehen, dass erst die Sozialgesetzgebung Adenauers das bis dahin vitale „Unternehmen Familie“ unrentabel und damit auch unattraktiv gemacht hat. So wurde den „familienfeindlichen Ideologien“, die es auch schon vorher gab, sozusagen der rote Teppich ausgerollt, auf dem sie nur noch voranzuschreiten brauchten. Die These, die familiäre Lebensform sei überholt, schien dadurch bestätigt zu werden, dass in der Regel Leute ohne Kinder von den Kindern mehr profitierten als die Eltern. - Auch die „Pille“ sollte nicht zum Sündenbock gemacht werden. Sie kann ja nur unerwünschte Kinder verhindern. Für den nachgewiesenen Rückgang des Kinderwunsches kann sie nicht verantwortlich sein.

Die Ergebnisse der „Forscher“ können auch so gedeutet werden, dass sie die heutigen Erfahrungen kinderloser Bürger (geringster Einsatz = höchster Profit) einfach auf die Gesamtgesellschaft übertrugen: weniger Kinderkosten = höchste Wirtschaftsproduktivität. Tatsächlich stimmt das auch, wenn vom Gedankengang eines Investors ausgegangen wird, dessen Einsatz sich in wenigen Jahren lohnen soll. Wenn dann die Wirtschaft wegen des fehlenden Nachwuchses zu schwächeln beginnt, bleibt immer noch Gelegenheit, das Kapital abzuziehen, um es in Ländern anzulegen, die genügend Nachwuchs haben.

Allerdings schwächelt unsere Wirtschaft schon heute. Aber statt sich über die Ursachen Gedanken zu machen, empfehlen die Gutachter, aus den Eltern die letzten Reserven herauszupressen, um ein letztes Strohfeuer zu entfachen. Das mag sogar noch kurzfristig zu Exportüberschüssen und guten Profiten für Aktionäre führen. Der absehbar anschließende Zusammenbruch wird dann den immer wenigeren und immer weniger belastbaren Kindern überlassen. So weit denken weder die „Forscher“ noch die Spiegelredakteure. Es wäre schön, wenn die Familienministerin weiter denkt.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Lupengucker

Gutachter nur als Sprachrohr für die Wirtschaftslobby?
Wurde das Gutachten nicht schon 2009 von der damaligen rot-grünen Regierung in Auftrag gegeben?
Und kennen wir nicht das Phänomen, dass Ergebnisse auffallend häufig den Interessen der Auftraggeber dienen?
Wozu dann überhaupt Untersuchungen, wenn sich jeder die Ergebnisse im Voraus an den fünf Fingern abzählen kann?
Hier werden regelmäßig Forschungsgelder nicht nur zum Fenster rausgeschmissen, sondern zwecks Meinungsmache zum Verdrehen der Tatsachen benutzt.

Gravatar: Samerlinojede

@KLimax: Es mag sein, daß der Spiegel es weniger bewußt mit der Wirtschaftslobby hält als ihr nolens volens in die Hände zu spielen. Die Wirkung ist entscheidend. Übrigens greift der klassische Feminismus eh zu kurz, indem er Frauen nur Männer- aber keine gleichberechtigten Frauenrechte zugesteht. Das ist dann der Fall, wenn zwar für das gleiche Recht, arbeiten zu gehen, gekämpft wird, man dabei jedoch übersieht, daß der Fehler eigentlich ja im Aufkrampfen von Hierarchie zwischen "typisch männlichen" und "typisch weiblichen" Aufgben besteht. Wo Frauen zu No-Names oder gar zum No-go werden, weil sie daheim ihre Kinder selbst erziehen, schaut für mich der Sexismus gleich von zwei Seiten um die Ecke.

Gravatar: Klimax

Daß ausgerechnet der tiefrote Spiegel es mit der "Wirtschaftslobby" hält, ist eine steile Behauptung. Eher ist wohl das Gegenteil der Fall: das "Gutachten" dient der staatlichen Krippenpolitik, also dem Ausbau des Staatssozialismus und der bedienung der feministischen Lobby. Es ist doch kein Zufall, daß ausgerechnet der Krippenquatsch angeblich effektiv sein soll.

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