Griechenland I

Brief an einen Haushaltspolitiker (3)

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Sehr geehrter Herr Thomae

Informationen, die für sachgerechte Entscheidungen des Parlaments erforderlich sind, bekommt man nicht mit gelegentlichen Urlaubsaufenthalten und schon gar nicht mit Politikerbesuchen. Ob es die Kanzlerin ist, oder der EU-Präsident oder der Präsident des europäischen Parlaments oder einfache Parlamentarier - es läuft immer nach demselben Muster: die Besucher sind nur in den besten Hotels untergebracht und sie sind umzingelt von Ihren Gastgebern, die nur herzeigen, was sie in einem günstigen Licht erscheinen lässt. In Wahrheit hat man sich ausgetauscht, sich in Gesten geübt, ist höflich geblieben und - hat nichts gelernt.

Ich glaube, die Mitglieder der beiden Ausschüsse, denen Sie angehören, haben keine Ahnung davon, was in Griechenland normal ist. Denn wenn Sie solche Informationen hätten, würden Sie anders reden und entscheiden. Sie müssen lernen, wie dieses Land funktioniert. Es funktioniert schon, aber nicht nach unseren Kriterien. Nach unseren Kriterien hat es noch nie und wird es nie funktionieren.

Darf man fragen, warum man im Parlament oder in Ihrem Ausschuss noch nicht auf die Idee gekommen ist, sozusagen von Amts wegen, sich Informationen über die Wirklichkeit in Griechenland zu beschaffen. Wir leisten uns sündteure Nachrichtendienste. Warum hat man nicht längst Personal nach Griechenland beordert, mit dem Auftrag, dort als "normale" EU-Bürger zum Beispiel die Gründung eines kleinen oder mittleren Unternehmens zu betreiben, von den zahllosen Anträgen und Behördengängen, "geschmierten" Bewilligungen bis zum Geschäftsbetrieb, mit dem die Bestechungsgelder durch systematische Steuerhinterziehung wieder wettgemacht werden. Oder man lässt ein Haus bauen, oder beantragt nur einen einfachen Elektro-Anschluss für eine Wohnung oder ein Haus, oder man versucht ein in Deutschland gemeldetes älteres Auto umzumelden. Boden, Topographie und Klima prägen langfristig auch das ökonomische Verhalten der Menschen und - man traut es sich kaum zu sagen - ihre Mentalität. Die FAZ vom 15. Februar 2012 zitiert den französischen Schriftsteller Edmond About. Das Zitat stammt aus dem Jahr 1858: "Die Mittel, die zur Verfügung standen, wurden von der griechischen Regierung ohne irgend einen Nutzen für das Land selbst verprasst". Nichts hat sich daran geändert.

Die Rückkaufaktion von griechischen Staatsanleihen durch den griechischen Staat wurde in den Medien gepriesen. In Wahrheit erkauft sich Griechenland, wieder mit geliehenem Geld, einen gewaltigen Schuldenschnitt. Die Inhaber dieser griechischen Staatsanleihen verlieren bis zu zwei Drittel Ihres Einsatzes. Die Regierung in Griechenland wird wieder alle Verträge unterschreiben, die weitere Hilfsgelder ermöglichen, obwohl man weiß, dass man nichts zurückzahlen kann und auch nichts zurückzahlen will. Man stelle sich vor, Samaras bürgt "persönlich" (Zitat). Der Mann weiß, was er sagen muss - das ist Alles. Nur die griechischen Parteien - außen "Rechts" und außen "Links" - sagen es, dass sie nichts zurückzahlen werden - und das ist Konsens in Griechenland.

Griechen haben eine andere Begrifflichkeit von "Geld leihen", Redlichkeit und Vertragstreue; vor allem, wenn der Deal zwischen Staaten stattfindet. Es müsste Ihnen zu denken geben, dass Deutschland als der größte Geber in Griechenland am meisten beschimpft wird - auch von griechischen Politikern. Wie kommt man dazu, von den stolzen Griechen Gegenleistungen ein zu fordern. Und selbstverständlich tun die griechischen Parlamentarier und die griechische Regierung nichts, um ihren Bürgern die wahren Verhältnisse zu erklären, zum Beispiel woher die meisten Garantien und Gelder kommen. Man will es auch nicht erklären, weil man nicht gefragt werden will, wo das viele Geld geblieben ist.

Lesen Sie nächste Woche den 4. Auszug „Griechenland II“

Prof. Dr. Walter Kühbauch war einer von Hunderten Bürgern, der dem FDP-Haushaltspolitiker Stephan Thomae antworteten, nachdem dieser auf Abgeordneten-Check.de Stellung zum ESM bezogen hatte. FreieWelt.net veröffentlicht das Schreiben mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in acht Auszügen.

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Ich lese manchmal einen Griechenland-Blog. Es ist haarsträubend, was dort zu lesen ist. Wenn nur die Hälfte wahr ist, dann gute Nacht. Nur, jetzt ist Zypern in der Klemme, weil es an Griechenland-Anleihen so viel verloren hat. Der Hauptteil des Geldes, das als Hilfen an Griechenland gegeben wird, geht an den Westen zurück, ansonsten würde die HypoRealEstate noch mehr verlieren. Bittere Wahrheiten.

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