Grenzen in Europa: Sind sie sakrosankt?

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Bei allen Medienberichten zur so genannten Krim- und Ukrainekrise wird der russische Präsident Putin als das personifizierte Böse dargestellt. Das geht, wie in der gestrigen FAZ, soweit, dass er ikonografisch verteufelt und also von höllischem Dunkel umgeben fotografiert wird: Pech für den Fotografen, dass Putin dabei wie Daniel Craig aussieht.

 

Die EU ebenso wie die deutsche Regierung sehen, von Sigmar Gabriel (SPD) im sozialistischen Schulterschluss mit Martin Schulz, dem EU-Parlamentspräsidenten, soeben bekräftigt, einen Rückfall in nationalistische Muster der Politik, vorangetrieben von Putin, der in dieser Vorstellung die Rolle des Kriegshetzers von 1914 übernommen haben soll. Das war aber damals, wenn überhaupt, der greise Kaiser Franz Josef, und das Bild will, wie das Foto, so recht nicht zu Putin passen.

 

Putin wolle wieder Panzer über europäische Grenzen rollen lassen. Diese Grenzen, in diesem Fall die der Ukraine, seien unverletzlich. Das wird wie ein Dogma wiederholt. Dabei hat die EU vor nicht allzu langer Zeit Bomber über europäische Grenzen fliegen lassen und eine europäische Hauptstadt bombardiert. Es waren auch die EU und insbesondere Deutschland, die bei der Zerschlagung eines europäischen Landes und der Neuziehung von Grenzen eine bedeutende Rolle gespielt haben.

 

Wenn man den zeithistorischen Blick nur auf die Bundesrepublik Deutschland fokussiert, dann merkt man, dass die Grenzen speziell dieses Landes 1990 erheblich weiter nach Osten verschoben worden sind. Denn es handelte sich natürlich nicht um eine Wiedervereinigung, sondern um den Anschluss der DDR an die Bundesrepublik und die erste Osterweiterung der NATO. Die offizielle Sprachregelung hat diesen Umstand keusch als Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes bezeichnet.

 

Die Deutschen sollten sich also in der Ukrainekrise zurückhalten, zumal sie einzig dem russischen Teufel ihren nationalistischen Coup zu verdanken haben. Oder ist damals ein mongolischer Staat einverleibt worden? Nein, es handelte sich um Deutsche, also um Angehörige der deutschen Nation. Unverständlich, dass die Deutschen kein Verständnis für die Russen haben sollten, welche die in der Ostukraine lebenden Russen, die seit dem Zerfall der Sowjetunion plötzlich, von einem Tag auf den anderen, in einem fremden Land leben mussten, wieder nach Russland holen wollen. Hört man in Donezk und Charkow nicht den Ruf: Wir sind ein Volk?

 

Das Hauptproblem der Europäer ist genau die Problematik der Grenzen. Sie sind nämlich häufig ungerecht. Das hehre Ideal des US-Präsidenten Wilson ist nie wahr geworden, dass nämlich alle europäischen Nationen in frei gewählten Grenzen leben dürfen sollten. Schon in den Friedensdiktaten von Versailles und den anderen Pariser Vororten wurde dieses Ideal mit Füßen getreten. Die Folgen sind bekannt. Ein gewisser Österreicher hat diese objektive Ungerechtigkeit ebenso monströs wie verbrecherisch ausgenutzt.

 

Leider war auch die nach dem Zweiten (teilweise schon nach dem Ersten) Weltkrieg praktizierte „Lösung“ keine, die besonders intelligent und ruhmreich gewesen wäre: die Vertreibung von ganzen Stämmen und Volksgruppen aus ihren angestammten Wohngebieten, um einige Staaten ethnisch homogen zu machen. In Tschechien mag das funktioniert zu haben, anderswo nicht.

 

Die EU hat nun die Verfolgung eines neuen Ansatzes versprochen. Obwohl die Grenzen vielfach nach nationalen Gesichtspunkten ungerecht sind, will die EU das Problem ökonomisch lösen. Über eine grenzüberschreitende Hebung und Nivellierung des Lebensstandards will sie erreichen, dass es den Leuten egal ist, in welchem Land sie leben. Hauptsache, sie leben in der, so die Propaganda, Freiheit und dem Wohlstand der EU. Die Brüsseler Gängelei sei dabei das kleinere Übel. Im Vergleich zu Krieg ist das natürlich schon richtig.

 

In Wahrheit haben die europäischen Politiker Angst davor, dass das Beispiel der Ukraine ansteckend wirkt. Man denke an Katalonien, an das Baskenland in Spanien und Frankreich, an die Bretagne, an Irland, an Schottland, an Südtirol, an Ungarn, das 1920 besonders ungerechte Grenzen hinnehmen musste, an Italien mit der Liga Nord. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden.

 

Die Menschen wollen nach wie vor eine gewisse sprachliche und kulturelle Geborgenheit. Offenbar genügt auch heute ein rein ökonomischer Ausgleich nicht. Sonst hätte ja das Modell Lafontaines für die DDR vollkommen ausgereicht. Sie hätte als eigener Staat - wie Österreich - kapitalistisch werden und ökonomisch gesunden können. Trotzdem wurde ihre Grenze beseitigt und bundesrepublikanische Panzer rollten über sie hinweg.

 

Der Wiener Kongress von 1815 war ein Musterbeispiel für eine (in den Hauptzügen) geglückte diplomatische Neuordnung Europas. Immerhin hat diese Ordnung wenigstens einigermassen ein Jahrhundert lang gehalten. Offenbar können sich unsere heutigen Politiker und Diplomaten keine ähnliche Anstrengung mehr vorstellen. Dabei wäre es doch denkbar, dass in einem „Europa der Regionen“, wie es so schön heißt, eine Neubewertung dieser Regionen möglich ist, indem am Verhandlungstisch und unter Durchführung und Berücksichtigung von Volksabstimmungen innerhalb einer neu verfassten Europäischen Gemeinschaft die problematischen Grenzen neu gezogen werden.

 

Aber vor dieser Schwierigkeit scheuen die Politiker zurück. Grenzen dürfen aber, wenn sie ungerecht sind, nicht sakrosankt sein! Wenn es den in der Ukraine lebenden Russen (und sei es auch nur subjektiv) schlechter geht als es dies für sie in Russland der Fall wäre, dann muss eine Teilung der Ukraine, deren Grenzen ja Menschenwerk sind, erlaubt sein. Die mantra-hafte Wiederholung der Unverletzlichkeit der Grenzen zeigt, dass Europa nur ökonomisch gedacht wird und nicht menschlich. Dass die EU und Deutschland über diese Probleme mit Putin, den sie stereotyp zum Bösewicht in dieser Sache erklärt haben, offensichtlich nicht reden können, ist mehr als bedauerlich, es ist dumm.

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Florian Hohenwarter

>“Grenzen dürfen aber, wenn sie ungerecht sind, nicht sakrosankt sein!” Und wer bestimmt die Gerechtigkeit ?! Ein Hitler, ein Putin, ein Obama ?! Rechtfertigen völkerrechtliche Verstöße anderweitige ?! Auch die Ostukrainer leiden unter keinerlei Diskriminierung.<
Na ja diese Videos sind nicht der ultimative Beweis, jedoch halte ich Ihre Aussage für ebenso fragwürdig:
http://www.youtube.com/watch?v=q0zEa41Gmak
http://www.youtube.com/watch?v=1C8SZ2kH4Eg
http://www.youtube.com/watch?v=eYksiSIVGKs
http://www.youtube.com/watch?v=fB5beagwcMY
http://www.youtube.com/watch?v=k3kmIYHcdZk
http://www.youtube.com/watch?v=WgFQ9wBdoZQ
http://www.youtube.com/watch?v=GZ8xWyycjIE

Bitte diese Videos kritisch betrachten und nicht als "Die Wahrheit" hinnehmen. Manipulation gibt es auf allen Seiten!!

Gravatar: Crono

@Reinhard E. R. Wilhelm
... Für einen wissenschaftlich arbeitenden Akademiker ist der Artikel ein Armutszeugnis. ...
~~~~~~~~~~+
Niemand hier verlangt von Ihnen, daß Sie, Herr R.E.R. Wilhelm, dem Verstehen der komplizierten Zusammenhänge der historischen und gegenwärtig der politischen Ereignissen der Ukraine intellektuell gewachsen sind; was Ihr Kommentar eindeutig bestätigt.

Gratuliere, Herr Kovács für den glanzvollen Artikel.

Gravatar: Reinhard E. R. Wilhelm

"Grenzen dürfen aber, wenn sie ungerecht sind, nicht sakrosankt sein!" Und wer bestimmt die Gerechtigkeit ?! Ein Hitler, ein Putin, ein Obama ?! Rechtfertigen völkerrechtliche Verstöße anderweitige ?! Aber selbst wenn der Verfasser diese äußerst merkwürdige Auffassung vertreten sollte: Die Situation in dem ehemaligen Yugoslawien war durchaus eine andere als die auf der Krim oder in den Ostgebieten der Ukraine. Serbien hatte seine Minderheiten misshandelt. Die Ukraine hatte in vorbildlicher Weise der Krim umfangreiche Autonomierechte eingeräumt. Auch die Ostukrainer leiden unter keinerlei Diskriminierung. Wenn sich Russland Gebiete der Ukraine einverleiben will, dann muss es sich mit diesem Land, der Ukraine, einigen. Irgendwelche Rechtfertigungsgründe für das Verhalten Russlands, die dieser Verfasser hier zu suggerieren versucht, sind nicht vorhanden. Für einen wissenschaftlich arbeitenden Akademiker ist der Artikel ein Armutszeugnis.

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