Global egal

Es war der größte Auftrag aller Zeiten für Siemens: Drei riesige Gaskraftwerke und bis zu 600 Windanlagen darf der Technologiekonzern nach Ägypten liefern.

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Acht Milliarden Euro zahlen die Ägypter dafür und ließen sich sogar noch klaglos von deutschen Zeigefinger-Politikern wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen beim Kampf gegen den Islamismus anpampen. Siemens feierte den Erfolg – und kündigte fast zeitgleich an, in eben dem Berliner Gasturbinenwerk, in dem diese Kraftwerke produziert werden, 800 von 3800 Jobs zu streichen. Insgesamt sollen dem radikalen Konzernumbau weltweit 13.100 Arbeitsplätze zum Opfer fallen, darunter 5100 in Deutschland. Doch weder ist das der einzige Einschnitt, der Siemens bevorsteht, noch ist dies der einzige deutsche „Global-Player“, der so verfährt. Die deutsche Wirtschaft und zuallererst der deutsche Werktätige wird unter der Ägide des Postkapitalismus und der Globalisierung in eine existenzerschütternde Krise geführt.

Wie sich die Bilder gleichen: Daimler gab im Frühsommer stolz bekannt, 500 Millionen Euro in sein Berliner Werk zu investieren, aber, die Information wurde vorsorglich gleich mitgeliefert, es entstehen dabei ganze 15 Arbeitsplätze und vier Lehrlingsjobs. Das Geld wird vor allem für neue Maschinen und Anlagen ausgegeben, die mit Sicherheit in naher Zukunft dazu führen werden, dass auch hier zahlreiche Mitarbeiter entlassen oder zumindest Arbeitsplätze entsorgt werden. Auf alle Fälle - die teuren Maschinen müssen ja laufen - wurde vermehrte Wochenendarbeitszeit angekündigt. Das könnte zwar auch von neuen Mitarbeitern erledigt werden, aber Einstellungen liegen nicht im Trend bei den Managern dieses neuen Kapitalismus der verbrannten Erde.

Karstadt, ein weiterer ehemaliger Vorzeigebetrieb eines einst funktionierenden Kapitalismus, verkaufte kürzlich seine „Kronjuwelen“, nämlich seine drei (noch Geld bringenden) Edelhäuser. Im Februar hatte es schon geheißen, dass 3000 Mitarbeiter mit dem Aus rechnen müssten. Das neue Management verkündete im selben Atemzug trotzig, man werde nun die seit 2009 verlorenen sieben Millionen Kunden zurückholen. Will man dafür etwa die katastrophalen weil kundenabschreckenden Sortimentskürzungen rückgängig machen? Sicher nicht – und ebenso sicher ist diese Behauptung ein Spiel auf Zeit, um ein paar Manager länger an den Fleischtöpfen zu halten und das Gemeinwesen länger durch verlorene Subventionen erleichtern zu können.

Volkswagen schließlich investiert auch, und zwar nicht nur in das teure Hobby seiner Funktionäre, mit einem Fußballverein den Bayern Konkurrenz zu machen, sondern weltweit in fünf Jahren 86 Milliarden Euro. Von neuen Arbeitsplätzen ist auch hier trotz dieser immensen Investitionen keine Rede, aber wenigstens wird auch noch nicht von Entlassungen gesprochen. Stutzig macht allerdings, dass gefordert wurde, zehn Milliarden Euro „einzusparen“. Wie man wohl diese „Effizienzmaßnahmen“ am besten hinkriegt?

Die leicht erkennbare Gemeinsamkeit der Beispiele ist, dass der Postkapitalismus gegenüber seinem Vorgänger der marktwirtschaftlichen Prägung das verantwortliche und weiterdenkende Wirtschaften verlernt hat. Qualifizierte Mitarbeiter werden von den Managern des Niedergangs immer weniger als Produktivkraft wahrgenommen und gleichzeitig die Bedürfnisse der Konsumenten ebenso wenig erkannt und respektiert. Das schnelle Geld und virtuelle Erklärungsmechanismen wie auch die Sucht nach persönlichen Vorteilen und Erfolgen führen zu einem destruktiven Wirtschaften der (Un-)Verantwortlichen, das nicht nur Individuen und die Volkswirtschaft ruiniert, sondern am Ende auch deren eigene Existenz.

So fahren die Manager im Interesse ihrer eigenen Karriere und bei der Stabilisierung eigener Lebenslügen nicht nur sowieso die Wirtschaft und die Welt an die Wand, sondern gelegentlich auch das eigene Unternehmen. Was für die verantwortlichen Individuen in einer solchen virtuellen Welt auch kein Problem darstellen muss, wie das Beispiel eines Horst Ammann zeigt, der, nachdem er Berlin als Flughafenplaner dem Gespött der Weltöffentlichkeit ausgesetzt hatte, flugs als verantwortlicher Partner in Frankfurt engagiert wurde, um das umstrittene Terminal 3 zu gestalten.

Siemens jedenfalls gestaltet noch weiter in Berlin – mit der Betonung auf „noch“. Bei jährlich mehr als 300 Millionen Euro Investitionssumme erstaunt es wohl nur uns Ewiggestrige, dass dabei immer weiter die Zahl der Arbeitsplätze reduziert wird, auch wenn kürzlich verlautet wurde, der Stellenabbau werde doch nicht so drastisch ausfallen wie erst gemeldet. Dies zu verstehen, bedarf es der Logik des Niedergangs, die uns der zuständige Manager Willi Meixner aber dankenswerterweise ausführlich darlegt: Weil das Ergebnis im zentralen Bereich für Stromgewinnung aus fossilen Brennstoffen um ein Drittel absackte, rutschte die wichtige Rendite des Kerngeschäfts „unter den angepeilten Zielkorridor“. Vom Umsatz blieben „nur noch“ 9% als operativer Gewinn übrig, eigentlich sollten es 11% sein. Nur (!) 9% Rendite und ein auf 3,9 Milliarden Euro verdreifachter Überschuss - kein Wunder, dass man den Gürtel der Mitarbeiter enger schnallen muss. Letztere können ja ihre Überschüsse sowieso derzeit nur noch für 0% Rendite anlegen.

Entweder man investiert in Maschinen, die die menschliche Arbeitskraft zu ersetzen haben, oder man besorgt sich billigere Arbeitskraft. Aber auch der durch Maschinen erzeugte Mehrwert wird nicht wie früher wenigstens teilweise an die Menschen durchgereicht, etwa in Form von Rentensubventionierungen oder der positiven Anpassung von Sozialleistungen. Nein, seit dem Verschwinden des Sozialismus gibt es plötzlich den „demografischen Wandel“, der allen gesellschaftlich produzierten Mehrwert zur angeblichen Verfügungsmasse des Kapitals erklärt.

Die menschliche Arbeitskraft, die hierzulande noch gebraucht wird, kommt aus den Bereichen Verwaltung und „Drecksarbeit“ (inklusive vieler sozialer Berufe). Zumindest Letzteres niedrig bezahlt, schwer zu leisten und nachvollziehbar unbeliebt. Deshalb ist es auch infam, wenn immer von einem Bedarf an Qualifizierten gesprochen wird. Den gibt es zwar auch, aber für immer weniger Menschen.

Wir in Deutschland, also wir als Deutsche und wir als (für die Renteneinzahlungen angeblich dringend benötigte) ausländische Arbeitskräfte, können schließlich froh sein, wenn „unsere“ doch so erfolgreiche Exportindustrie nicht bald auch den letzten Arbeitsplatz wegexportiert hat. Um beim Ägypten-Deal zu bleiben: Siemens garantierte den Ägyptern, am Golf von Suez eine Fabrik für Rotorblätter mit bis zu 1000 Beschäftigten zu errichten. Aber auch der Service, so Meixner, werde sich dahin verschieben, wo die Gasturbinen laufen: in den Mittleren Osten, nach Asien, Afrika und Lateinamerika. „In Saudi-Arabien haben wir vor kurzem das Kraftwerk Qurayyah in Betrieb genommen. Und die zwölf Gasturbinen aus Berlin und Mülheim, die da installiert wurden, konnten wir nur verkaufen, weil wir künftig dort Arbeitsplätze schaffen.“ So sei dort auch eine Endmontage vorgesehen. Der Umbauplan des Unternehmens sehe vor, Jobs dort aufzubauen, wo es Geschäfte geben könnte.

Siemens’ Strategien sind mit Sicherheit kein Einzelfall. Vielleicht ist es aber auch erforderlich, das hier gerne gepflegte Konzern-Bashing etwas kybernetisch zu relativieren. Die Zeiten der Globalisierung zwingen die weltweit operierenden Unternehmen tatsächlich zu einer harten Gangart, will man nicht die Konkurrenzfähigkeit verlieren. In Deutschland ist derzeit nicht viel an produktiver, also mehrwertschaffender Produktion zu verkaufen. Stattdessen werden bekanntlich mehrwertfressende Subventionsindustrien wie die Energiewende hochgezogen. Und sicher könnte man, wenn man wollte, sogar noch schneller und gnadenloser Investitionsmittel und Arbeitsplätze exportieren. Vielleicht müssen also die Global Player wirklich so agieren in einer globalisierten Welt, nur auf den anstehenden Zusammenbruch des Systems hat das keine heilende Wirkung - der kommt dadurch um so zwangsläufiger.

Wird aber unter dem Strich trotz dieser Zwänge nicht auch für die Konzerne mehr Schaden als Nutzen angerichtet, indem die hierzulande bewährte Kompetenz, Zuverlässigkeit, Organisiertheit, Qualität und Intensität aufs Spiel gesetzt wird? Dies ist natürlich nur noch eine rhetorische, längst abschlägig beantwortete Frage, die im Niedergang eben nicht mehr zulässig zu sein scheint. Höchstens noch für Innovation und Steuerung leistet man sich gerne die heimische Filiale, der Rest wird bestenfalls als Altlast mitgeschleift  – und natürlich zum Abgreifen von Transferleistungen.

Stattdessen haben und nutzen die Konzerne inzwischen das Potential, die involvierten Staaten gegeneinander auszuspielen und zu weiteren weitgehenden Zugeständnissen zu zwingen. Auf die Spitze getrieben wird diese Abhängigkeit, wenn sich Siemens schon bei Abschluss der Ägyptenverträge sicher sein konnte, dass die Bundesregierung mit Hermes-Ausfallbürgschaften den gesamten Deal absichern wird. Und was soll das nimmermüde Gerede von nötigen zusätzlichen Arbeitskräften für virtuelle Zukunftsarbeitsplätze, wenn sich schon lange abzeichnet, dass in Deutschland zumindest die Industrieproduktion keine Zukunft haben kann?

Was bleibt uns im Zeichen des Niedergangs anderes übrig, als hilflos und wohl auch vergeblich an die Moral und Vernunft der Mächtigen zu appellieren? Also etwa Siemens zu bitten, angesichts einer neunprozentigen Rendite wenigstens nicht über die schon dort befindliche Dampfturbinenschaufelfertigung hinaus Produktionskapazitäten nach Budapest zu verlagern? Doch Meixner weiß es besser: Da man doch schon da ist, sei es nur sinnvoll, „artverwandte Gasturbinenschaufeln auch dort herzustellen und so ein Kompetenzzentrum zu bilden. Dort sind wir dann wettbewerbsfähig mit der nötigen Effizienz, Qualität und modernen Fertigungsverfahren.“

Fazit: Siemens ist global wettbewerbsfähig, Deutschland ist Siemens global egal. Kapitalisten alter Prägung wussten intuitiv, dass sie ohne ihre Basis nicht existenzfähig sind und verhielten sich in den ihnen gegebenen Grenzen entsprechend respektvoll. Postkapitalisten hingegen plündern die Substanz einer Volkswirtschaft, weil nur das ein schon gescheitertes Wirtschaftsmodell noch etwas länger am Leben erhalten kann. Alles, was passiert, geht auf Kosten der arbeitenden Menschen und jener, die arbeiten wollen, aber nicht gelassen werden. Es geht also gegen den heimischen Mittelstand. Es geht schlichtweg gegen die Basis allen inländischen Wirtschaftens. Von alldem profitiert das Niedriglohn-Ausland ebenso wie zumindest pekuniär die Konzerne.

Perverserweise greifen die deutschen Konzerne den deutschen Bürger aber noch von einer anderen Seite an. Zusammen mit dem Export von Kernsubstanz betreibt man den Import von nicht oder kaum qualifizierten Menschen, um die Vorteile der Niedriglohnländer auch zuhause zu installieren: niedrige Lohnkosten und (vom Sozialsystem zur Verfügung gestellte) Kaufkraft. Dass nun die Entwurzelung ganzer Volksgruppen mit willfähriger Unterstützung der Medien als Gipfel der Menschenfreundlichkeit verkauft wird, ist schlichtweg perfide.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Andreas Schneider

Im Grunde richtig, Herr Kustos.

Aber verlassen wir einmal die Konzerne und begeben uns in die Niederungen kleiner Unternehmen. Wie z. B. das Immobilienbüro, das ich mit meiner Lebensgefährtin betreibe.

Wir haben angedacht, eine Bürokraft einzustellen. Für diese Tätigkeit sollen mindestens 2.000 € brutto fließen. Da werden für die neue Kraft netto um 1.350-1.400 € verbleiben. So weit, so schlecht.

Rechnen wir aber weiter, so belastet uns der neue Arbeitsplatz incl. aller Abgaben, Kleinigkeiten wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wie auch bei Urlaub, aufgrund permanenter Änderungen gesetzlicher Rahmenbedingungen unserer Branche etc. mit - grob kalkuliert - 2.600 €/Monat.

Nein, ich spreche mich hier nicht etwa gegen soziale Errungenschaften wie die Lohnfortzahlung aus! Betrachtet man aber die generelle Entwicklung von Steuern und Abgaben in den vergangenen 5 Jahrzehnten, so verzeichnen wir hierzulande eine Verzwanzigfachung in diesem Zeitraum.

Und was wird davon letztlich finanziert, benem Allem, was schon lange Standard war? "Gender"-Lehrstühle, eine ominöse "Energiewende", die "Willkommenskultur" eines Nicht-Einwanderungslandes, "Rettungsaktionen" für ein verkorkstes Währungskonstrukt usw. usw., um nur einige wenige Beispiele genannt zu haben. Ein bunter Blumenstrauß ideologisch geprägter Lächerlichkeiten, Absurditäten und Wolkenkuckucksheime!

Wir haben unser kleines Unternehmen neu positioniert. Eine neue Arbeitskraft wollen wir uns nicht leisten. Denn darüber hinaus sieht sich unser Branche einer - wiederum ideologisch geprägten - Hetzjagd ausgesetzt, die - zuförderst vom Bundesjustizminister betrieben - aus vermeintlicher (vorgeschobener?) Verbraucherfreundlichkeit nicht einmal 3 Jahre alte BGH-Entscheidungen auf den Kopf stellt.

Ja, sehr gern hätten wir nicht nur unsere Leistungsfähigkeit gesteigert, sondern auch einer vin uns so empfundenen gesellschaftlichen Verpflichtung Folge geleistet. Aber um den Preis der eigenen Existenz?

Es ist nicht allein der "Global Player", der wirtschaftlichen Zwängen zu folgen hat. Der als "sozial" gepriesene Kampf gegen die Grundrechenarten spielt obendrein gerade den "Großen" in die Hände, derweil der Mittelstand mehr und mehr abgewürgt wird.

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