Getrennte Sphären: Nachtrag zur Sterbehilfe Nr. 11

Ein junger Mann scheibt mir: »woher nehmen die konservativen die ansicht, daß es doch eine art freitod gäbe, der sich moralisch nachvollziehen (teils sogar verherrlichen) läßt, ich sage nur [Yukio] mishima, [Eugen Gottlob] winkler, [Christian] böhm-ermolli. selbst sie schieben eine (für mich wenig nachvollziehbare) passage zu diesem thema in ihren text ein, die schon einen widerspruch zum restlichen essay darstellt.«

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In der Tat. Aber je länger ich über den Selbstmord nachdenke, desto enger werden die Kriterien für seine Zulässigkeit. Insofern geht es mir ähnlich wie Carl Schmitt, der immmer weniger Fälle von Selbstmord gelten ließ, bis nur noch Seneca übrigblieb … Ich bin also gegen Selbstmord, aber was ist diese Aussage wert? Man kann schließlich nicht für Selbstmord sein. Zeigt sich nicht umgekehrt in der verengenden Kriterienbildung noch eine Art Anmaßung? Gegenüber dem Selbstmord komme ich zu keiner restlos klaren Antwort – anders als bei der Sterbehilfe, die meines Erachtens grundsätzlich verboten sein muss. Woran liegt das? Sterbehilfe und Selbstmord scheinen beide in den Bereich Freitod zu gehören (genus proximum). Aber nur der Sterbende »geht«, während der Helfer »bleibt«. Das ist eine differentia specifica, die dem gemeinsamen Oberbegriff die vermeintliche Gemeinsamkeit sofort wieder wegnimmt.

Ob wir wollen oder nicht – jeder hat die Freiheit, sich umzubringen. Aber er bleibt nur solange in seinem Entschluss frei, wie er nicht durch »Hilfe« und ermunterndes Zureden bedrängt wird. Wie kann ich seine Tat nachträglich beurteilen? Was kann oder darf ich über jemanden sagen, der sich durch Freitod sowohl der Folter als auch der Gefahr entzogen haben würde, seine Freunde zu verraten? Robert Spaemann zufolge tritt der Selbstmörder aus der Sphäre des Rechts aus. Tritt er nicht auch auch aus der Sphäre der Moral aus? Dieser Austrittcharakter macht seinen Schritt selbst im Falle noch so schwerwiegender Gründe nicht etwa zu einer vorbildlichen Lösung.

Es ist schwer zu ertragen, dass es etwas geben soll, das sich so hartnäckig unserer Urteilsbildung entzieht. Gerade weil es so schwierig ist, einen geschehenen Selbstmord zu beurteilen, ist ein Gegenhalt nötig, den nur die strikte Ablehnung der Sterbehilfe bieten kann. Je deutlicher die besondere Qualität des Selbstmordes wird, desto zwingender ergibt sich daraus die Ablehnung der Sterbehilfe. Ihre konsequente Ablehnung würde sinnvollerweise nicht aus der Verurteilung des Selbstmordes folgen, sondern aus der Anerkennung der Tatsache, dass es sich bei Sterbehilfe und Selbstmord um getrennte Sphären handelt, die getrennt bleiben müssen, so der Tod nicht allgegenwärtig werden soll. Wird nicht die Einsicht in das Besondere des Selbstmordes auf zwei Wegen verfehlt, nämlich sowohl durch seine Verherrlichung als auch durch seine Verurteilung? Denn beide Fälle setzen voraus, dass die Getrenntheit der Sphären verkannt wird. Wenn aber die Getrenntheit verkannt wird, wird das Solitäre des Selbstmords verkannt und der Übergriff durch die Sterbehilfe. Dann wird die tötende Wirkung der Sterbehilfe verkannt.

Beitrag erschien zuerst auf: die-entdeckung-des-eigenen.de 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Reingefallen

Gibt es eigentlich die Beihilfe zur Selbsttötung?

Viele Selbstmorde (die meisten) werden durch Ignoranz, Arroganz, Überheblichkeit u.v.m. seiner Mitmenschen verübt.

Z.B. Unverstanden sein heißt nicht daß man selber der Doofe/Blöde/Verrückte ist.

Das Miteinander hat in dieser egoistischen Welt nichts mehr verloren.
Wer stört und nutzlos (geworden) ist muß weg, egal wie.

Soziale Entsorgung von Amtswegen ist die neue "Politik".

Ein sehr treffender "Spruch des Tages" heute.

Einsam irgendwo "Verrecken" ist auch so ein Symptom dieser Gesellschaft.
Dann doch lieber der Freitot, oder!?

Gravatar: Anne

Danke Herr Lombard, daß Sie unermüdlich auf die Gefahren der Sterbehilfe hinweisen!
Vielleicht fehlt manch einem die Phantasie (oder der Realitätssinn?) wohin die Sterbehilfe, sollte sie erlaubt werden, führt.

Gravatar: Olaf Sander

Da hat wohl der Platz nicht gereicht. ;o) Hier kommt der Rest meiner Gegenrede.

Es gibt nicht diesen einen "Selbstmord", den Sie beschreiben. Es gibt ungezählt viele. Jede Selbsttötung ist in sich selbst besonders, vor allem für denjenigen der sich das Leben nimmt und für diejenigen, die im dabei als Sterbehelfer assistieren. Oder anders gesagt ist jeder Suizid so persönlich und individuell wie der Mensch, der ihn begeht. Über Ihren Nachsatz, "so der Tod nicht allgegenwärtig werden soll" musste ich schmunzeln, denn der Tod ist allgegenwärtig. Sie wollen ihn nur aus dem Denken, Fühlen und Wissen - aus dem Leben - heraushalten. Vielleicht weil Sie Angst vor dem Tod haben? Keine Angst, das brauchen Sie nicht. Tod sein ist nicht schlimm. Nur vor bestimmten Arten des Sterbens sollten Sie sich fürchten.

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Worte zu Ihrer geradezu steilen These über "die tötende Wirkung der Sterbehilfe" verlieren. Würde die Sterbehilfe eine tötende Wirkung haben, wäre es eine aktive Sterbehilfe. Und die ist bei uns strafbar, was bis zur Verurteilung des Sterbehelfers wegen Mordes führen kann. Die passive Sterbehilfe dagegen ist nicht strafbewehrt - eben weil sie passiv ist. Der Sterbewillige muss das Medikament (im besten Fall hat er ein Medikament!) schon selber nehmen. Deshalb ist klar, dass die Sterbehilfe ist was ihr Name schon sagt; Hilfe beim Sterben. Diese Hilfe kann und darf keine tötende Wirkung haben, sonst wäre sie ja, wir hatten das schon, Mord.

Viel zu klar wird offensichtlich, dass Sie diesen Blogpost vor allem mit Ihrer eigenen - unbenommenen - Meinung gefüllt haben. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Sterben, der Sterbehilfe und dem Tod ist es nicht. Das ist sehr schade, weil die Welt doch schon so voll ist, von Polarisation, Propaganda und den Anmaßungen, anderen Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie zu sterben haben. Deshalb passt Ihre Meinung so gar nicht in eine freie Welt.

Gravatar: Freigeist

Es gibt keinen Selbstmord, es ist eine Selbsttötung.
Sie arbeiten mit Raffinesse mit dem Begriff Selbstmord.
Bin gespannt, welche Schublade Sie nun noch ziehen.

Gravatar: Olaf Sander

Sehr geehrter Herr Lombard,

Sie hätten diesen Text sehr viel kürzer schreiben können. "Ich bin gegen jede Form der Selbsttötung und Sterbehilfe" hätte vollkommen gereicht, um Ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen. Denn Ihre Meinung darüber sei Ihnen unbenommen.

Dass Sie aber Propaganda machen und Ihre kategorische Verneinung zum Freitod über jeden anderen Menschen stellen, der sich selbst töten will, geht nicht. Denn in diesem Moment maßen Sie sich an andere Menschen und deren Situation zu beurteilen, ohne diese Menschen und deren Situation zu kennen. Vielmehr unterstellen Sie eine bestimmte Vorgehensweise als Usus in allen Fällen von Sterbehilfe, nämlich dass der Sterbehelfer dem Sterbewilligen und Sterbeunwilligen ermunternd zuredet, endlich zu sterben. Sie wissen genauso gut wie vermutlich die meisten Ihrer Leser auch, dass das grober Unsinn und somit lediglich Propaganda für die Sterbehilfegegner ist.

Die Frage, wie man selbst eine solche Tat - ich bevorzuge das Wort Handlung - nachträglich beurteilen kann, ist, was die Sterbehilfe betrifft, leicht zu beantworten: es bedarf einer klaren und unmissverständlichen Äußerung des Sterbewilligen und einer genauen Analyse und Beurteilung der Sterbehelfer über die Situation des Sterbewilligen, die im Idealfall Mediziner sind und deshalb wissen was sie tun. Einer gewerblich organisierten Sterbehilfe stehe ich genauso skeptisch gegenüber wie die meisten Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Die Sterbehilfe durch Freiwillige ist davon aber nicht berührt.

"Was kann oder darf ich über jemanden sagen, der sich durch Freitod sowohl der Folter als auch der Gefahr entzogen haben würde, seine Freunde zu verraten?"

Folter? Gefahr? Verrat? Entschuldigen Sie bitte die polemische Frage, aber was haben Sie denn für Freunde? Freunde, die versuchen würden mich in einen Freitod zu treiben den ich nicht will, wären nicht länger meine Freunde, besser, wären nie meine Freunde gewesen. Und bei Freunden, die meinen Freitod als Verrat auffassten, müsste ich wohl auch noch mal über den Wert dieser Freundschaft und die Empathiefähigkeit meiner Freunde nachdenken. Die Gedankengänge des Philosophen Spaemann kenne ich nicht, aber das Recht verbietet einem Suizidenten nicht sich das Leben zu nehmen. Und selbst wenn, wie wollte das Recht im Falle des Erfolgs Recht sprechen?

Ob ein Suizident aus der Sphäre der Moral austritt ist Ansichtssache. Ihrer Moral nach ist es so. Meiner Moral nach nicht. Am Ende entscheidet nur die Moral des Sterbewilligen, ob er sich das Leben nimmt oder nicht. Es wäre, sowohl auf Ihrer wie auch auf meiner Seite unmoralisch, ja geradezu unlauter, wenn wir unsere Moral auf die Menschen pressen, die sterben oder leben wollen. Ob "die Lösung" des Sterbewilligen vorbildlich ist, kann und muss dem Sterbewilligen egal sein. Es geht um seinen Willen und darum, ob er die Situation in der er lebt aushalten kann oder nicht. Der Wille eines Menschen kann anderen Menschen als Vorbild dienen. Er muss aber nicht. Niemand macht sich selbst zum Vorbild. Zum Vorbild nehmen sich einen immer die Anderen. Und das liegt allein in deren Verantwortung.

Im letzten Absatz bemühen Sie sich "das Besondere" und die "besondere Qualität des Selbstmordes" herauszuarbeiten und unterstellen der Sterbehilfe eine "tötende Wirkung". Es lohnt sich, sich das in Anführungsstrichen Geschriebene genauer zu betrachten, wobei ich das Wort Selbstmord mit Selbsttötung ersetze. Sich selbst zu ermorden ist nämlich nicht nur sprachlich betrachtet in sich selbst unlogisch.

Es gibt nicht diesen einen "Selbstmord", den Sie beschreiben. Es gibt ungezählt viele. Jede Selbsttötung ist in sich selbst besonders, vor allem für denjenigen der sich das Leben nimmt und für diejenige...

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