Gelassenheit bei Meister Eckhart

„Meister Eckhart zufolge offenbart sich dem Menschen in der Gelassenheit Gott.“ Dieser Satz aus dem Beitrag „Über die Gelassenheit“ von Dr. Alexander Ulfig bedarf meiner Meinung nach einer Erläuterung. Warum ist es nach Meister Eckhart ausgerechnet die Gelassenheit, die den Menschen zu Gott führt?

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Ziel aller philosophischen oder mystischen Spiritualität ist bei Meister Eckhart die Einheit mit Gott, die unio mystica durch die Geburt Gottes in der Seele. Dass Gott in mir geboren wird, so Eckhart mit Augustinus, daran sei alles gelegen. Als wichtigste Voraussetzung für die Gottesgeburt in der Seele und damit die Einheit mit Gott, also die unio mystica, muss der Mensch gelâzen hân, um schließlich gelâzen zu sîn. Er muss dazu verdinglichte Denk- und Handlungsstrukturen überwindet und alle Weltbindung aufgeben. Er muss sich selbst und die ganze Welt lâzen. Insoweit ist Gelassenheit bei Meister Eckhart als Haltung oder Befindlichkeit das Ergebnis eines bewussten Handlungsvollzugs.

Meister Eckharts Ausgangspunkt ist dabei das neutestamentliche Lassen, das omnia relinquere, von dem im Evangelium bei der Berufung der ersten Jünger die Rede ist (Mt 4, 18-22). Hier zeigt sich deutlich die Breite des Verlassenheitsbegriffs. So erscheint er teils negativ (im Stich lassen); teils positiv besetzt (den Neuanfang wagen); teils materiell (Haus und Hof, Dinge lassen); teils personell (den Vater, die Mutter, die Frau, den Mann lassen) und schließlich – in der Mystik Meister Eckharts – spirituell (sich selbst lassen) – eine Verlassenheit, die in ihrer Radikalität in der Gottverlassenheit Jesu Christi am Kreuz kulminiert: Gott selbst lässt sich selbst (Mt 27, 46); um dem Menschen die letzte Gelassenheit des Heils zu ermöglichen. Doch schon hier und jetzt kann und soll der Mensch über das Lassen und Verlassen zur Gelassenheit gelangen, zur Einheit mit Gott.

Mit seiner Wortschöpfung gelâzenheit stellte Meister Eckhart der deutschen Sprache ein Konzept zur Verfügung, das die Vielschichtigkeit eines Sachverhalts anzeigt, in dem Ruhe, Versenkung, Anbetung, Demut, Hingabe und Weisheit mitschwingen und welcher schließlich in der Erfahrung der Einheit mit Gott kulminiert. Es wird deutlich, dass er mit diesem Begriff den semantischen Wert der lateinischen Ausdrücke resignatio und tranquilitas ebenso sprengt wie den der griechischen Begriffe euthymia und henosis. Diese Begriffe kreisen den viel komplexeren Begriff der Gelassenheit nur ein, ohne seinen Kern zu treffen und ohne seine semantische Dichte und Fülle vollständig zu erschließen. Das gelingt erst mit der eingedeutschten Form der Konzepte, die all diese Nuancen vereint, denn Gelassenheit beinhaltet sowohl das Aufgeben und Loslassen (resignatio); die Ruhe (tranquilitas) als auch ein gutes Gemüt (euthymia) sowie schließlich die Einheit mit Gott (henosis); die Meister Eckhart zur unio mystica weiterdenkt.

Weitere Hinweise enthalten die Artikel „Meister Eckhart“ und „Gelassenheit“ auf Kathpedia.

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Kommentare zum Artikel

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@Menschenskind
Hallo,
die derzeitige deutsche Gesellschaft sowie die Weltgesellschaft ist derart komplex geworden, dass ihre Ratschläge zur Problemlösung nicht geeignet sind.
Grüße
Freigeist

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