Gegen die Verwahrlosung im Internet

Seit einigen Monaten schreibe ich montags für Handelsblatt Online diese Kolumne. Auch vorher habe ich mich in Büchern, Kommentaren und Essays zu gesellschafts-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen geäußert.

Veröffentlicht:
von

Natürlich gibt es auch „Online“ viele konstruktive Kommentare zu meinen Thesen und Beobachtungen. Es sind immer wieder welche dabei, die mich auf einen Fehler in meiner Argumentation aufmerksam machen, auf einen neuen Gedanken bringen oder eine falsche Behauptung korrigieren. Trotzdem ist meine Erfahrung mit den Online-Reaktionen auf „Henkel trocken“ im Vergleich zu den Leserbriefen, die ich auf meine gedruckten Veröffentlichungen erhalte, niederschmetternd.

 

Inzwischen hat sich ein wiederkehrendes Muster für die besonders unreflektierten und ärgerlichen Reaktionen ergeben:

Anstatt sich mit den vorgebrachten Argumenten auseinanderzusetzen, wird die vorgebrachte These ohne weitere Begründung in Bausch und Bogen in Abrede gestellt. (Die vergleichsweise harmlose Variante: „So einen Unsinn habe ich schon lange nicht mehr gelesen.“)

Passen die Schlüsse nicht in das Weltbild des Lesers, werde ich beleidigt. (Ein Beispiel erspare ich mir aus naheliegenden Gründen.)

Einige Leser haben ein schier unwiderstehliches Verlangen, mir sachfremde Motive für eine vorgebrachte Meinung zu unterstellen. („Sie sagen das ja nur, weil Sie Mitglied im Aufsichtsrat von „X“ oder im Beirat von „Y“ sind.“)

Manche Einsender verbreiten absurde Verschwörungstheorien. („Neue D-Mark-Banknoten werden schon gedruckt.“)

Regelmäßig arbeiten sich einige an Positionen ab, die ich nie eingenommen habe. (In der Psychologie spricht man von „erwartungsgesteuerter Wahrnehmung“)

Häufig geraten sich die Kommentatoren untereinander in die Haare und beschimpfen sich gegenseitig.

Oft tobt sich die „Diskussion“ über Sachverhalte aus, die mit dem in der Kolumne angesprochenen Thema nichts mehr zu tun haben. (Statt über den Euro wird dann über Günther Grass gestritten.)

Bekam ich als Chef eines großen Unternehmens eine anonyme Beschwerde über einen Mitarbeiter, wanderte diese sogleich in den Papierkorb. Als wir vor fast 30 Jahren das Intranet einführten, hielt ich mich an die „Marine-Regel“: Ärgerte ich mich über den Inhalt der E-Mail eines Mitarbeiters, reagierte ich grundsätzlich erst nach Ablauf von 24 Stunden. Danach war der erste Ärger meist verraucht und ich zu einer faireren Reaktion fähig.

Die in der Kommentarfunktion von Online-Magazinen spontan abgesetzten Beleidigungen erfahren dagegen eine vielfache Verbreitung, was den Eifer dieser aus dem Hinterhalt agierenden Feiglinge sicher noch anstachelt. Mich erinnert das an die Verwahrlosung deutscher Städte durch das Graffitiunwesen. Es ist schon schlimm genug, konstatieren zu müssen, dass sich viele ohne Maske vor dem Gesicht nicht trauen, die Wahrheit zu sagen. Es ist deprimierend zu sehen, wie „mutig“ sie plötzlich werden, wenn sie diese aufsetzen können.

Während in den gedruckten Medien das Studium der Leserbriefe immer wieder einen großen Erkenntnisgewinn bringt, sind die Kommentare zu Veröffentlichungen in Online-Medien nur selten erhellend. Keine Zeitung käme auf die Idee, einen anonymen Leserbrief abzudrucken. Vor allem Online-Magazine mit Qualitätsanspruch sollten nur solche Kommentare abdrucken, zu denen der Einsender oder die Einsenderin mit ihrem oder seinem Namen steht.

Sie würden so die Kommentarfunktion zu einem anspruchsvollen Leserforum aufwerten und ihr ganzes Magazin gleich mit.

 

Beitrag erschien zuerst auf handelsblatt.com

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: dw-seneca

Wozu der Ärger über unqualifizierte Kommentare? Wenn der "anderen Seite" die Sachargumente fehlen, werden sie halt ausfallend. Für jeden halbwegs intelligenten Lesern sprechen solche Kommentare Bände.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang