Freiheit oder Gleichheit?

Betrachtet man Deutschland mit den Augen eines Deutschen, der über die Hälfte seines beruflichen Lebens in allen möglichen Ecken der Welt verbracht hat (New York, Kalkutta, Colombo, Paris usw.); wird man besonders sensibel für die Besonderheiten seines Heimatlandes.

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Mir wird zum Beispiel immer deutlicher, dass es bei uns immer weniger Advokaten für mehr Freiheit gibt, aber eine Armee von beauftragten und selbsternannten Anwälten für mehr Gleichheit. Selbst die „liberale“ FDP hat ihre Grundsätze, die mal hießen: „Selbstverantwortung statt Vergemeinschaftung“, „Subsidiarität statt Zentralismus“ und „Wettbewerb statt Harmonisierung“ in ihrer Europolitik über Bord geworfen. Kein Wunder, dass man mit Fug und Recht von der Sozialdemokratisierung der deutschen Politik sprechen kann.

Erinnern Sie sich noch?  „Mehr Freiheit wagen“ war mal das Leitmotiv Angela Merkels in ihrer ersten Rede als frisch grewählte Bundeskanzlerin im Bundestag. Inzwischen kassierten sowohl Angela Merkel und ihre Sozialpolitiker als auch die Sozialdemokraten alle Versuche in Richtung von mehr Freiheit zugunsten von mehr Gleichheit wieder ein.

Freiheit kommt in Reden deutscher Politiker kaum noch vor. Nun mag man fragen, wieso sich auch der Begriff „Gleichheit“ eher selten in Reden und Aufsätzen unserer politischen Führung findet. Bei uns hat sich dafür ein Begriffspaar durchgesetzt, welches in kaum einer Rede deutscher Politiker fehlt: die „soziale Gerechtigkeit“. Ich muss gestehen, mir ist dieses Begriffspaar zutiefst zuwider.

Die Verknüpfung von „sozial“ mit „Gerechtigkeit“ ist unnötig, „Gerechtigkeit“ würde genügen. Ist nicht Gerechtigkeit von vornherein nur in einem sozialen Kontext möglich? Stellen Sie sich vor, Sie wären allein auf einer Insel. Wonach würden Sie sich sehnen? Vielleicht nach einem Partner oder einer Partnerin, einer eiskalten Coca-Cola, einem Boot oder dass Ihnen eine weitere Kokosnuss von oben in den Schoß fällt. Aber doch nicht nach Gerechtigkeit! Erst in einem sozialen Kontext macht der Wunsch nach Gerechtigkeit überhaupt Sinn. Schon deshalb sollte dieser Begriff ohne weiteres Adjektiv genügen. 

Zu sozial ist unsozial

Trotzdem, mit dem tautologischen Pathos von „sozialer Gerechtigkeit“ bewaffnen sich gerade in Deutschland gern Politiker, um sich zum Anwalt der Gleichheit, ja meist Gleichmacherei, zu machen. Dabei ist Gerechtigkeit sowieso die unabdingbaren Voraussetzung für das Funktionieren einer jeden Gesellschaft. Diejenigen, die trotzdem dauernd das Begriffspaar „soziale Gerechtigkeit“ im Munde führen, verschreiben meist Rezepte, die unsere Freiheit weiter aushöhlen und letzten Endes die Gleichheit mit. Nicht umsonst prägte Ludwig Erhard den Satz „Zu sozial ist unsozial“.

Bei einem Einkommensteuersatz von „null“ Prozent frönt eine Gesellschaft der Freiheit in grotesker Weise zu Lasten der Gleichheit. Ist der Steuersatz „hundert“, sind alle gleich, niemand ist mehr frei. Wenn heute, wie in Deutschland der Fall, zehn Prozent der Einkommstensteuerpflichtigen über 50 Prozent aller Steuern zahlen: Ist das zu gerecht oder noch nicht gerecht genug? Wir müssen wissen, wo wir uns zwischen den oft einander widersprechenden Polen Freiheit und Gleichheit positionieren wollen. Mein Eindruck ist: Von den meisten Demokratien haben wir uns immer mehr in Richtung Gleichheit bewegt, zu Lasten der Freiheit.  

Sollte der geneigte Leser, der ja auch viel in der Welt herumgekommen ist, und sei es nur auf Urlaubsreisen, immer noch meinen, dass wir in Deutschland einen gewaltigen Nachholbedarf an Gleichheit zu Lasten der Freiheit haben, dass wir unter einem zu großen Unterschied zwischen arm und reich leiden, dann beantworte er einmal ganz für sich allein im stillen Kämmerlein diese Frage: „Hand aufs Herz: Wie viele Länder kennt er, in denen der Unterschied zwischen arm und reich geringer ist, als in Deutschland?“

Beitrag erschien zuerst auf handelsblatt.com

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thamiris

Hallo Ihr Lieben,es ist schf6n auf diesem Wege ein klein wenig mit Euch im Libanon zu sein. Die emisten Orte, von denen Ihr berichtet, habe ich ja 2004 und 2009 schon kennen gelernt und so werden mir mit Eurem Reisebericht meine Bilder und Erlebnisse wieder pre4sent. Ich wfcnsche Euch noch viele schf6ne Begegnungen und Erfahrungen und grfcdfe die ganze Gruppe sowie die MitarbeiterInnen von Dar Salam.Ich bin gespannt wie es bei Euch weitergeht. Monika Diel

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