Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen

Der Titel des Buches von Annerose Matz- Donath „Die Spuren der roten Sphinx“ ist nur verständlich, wenn man weiß, dass in St. Petersburg ein Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft am Ufer der Newa steht. Ein doppelte Sphinx, deren eine Gesichtshälfte die Züge einer schönen jungen Frau trägt, während die andere Hälfte einen Totenschädel mit gebleckten Zähnen zeigt.

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Der Titel des Buches von Annerose Matz- Donath „Die Spuren der roten Sphinx“ ist nur verständlich, wenn man weiß, dass in St. Petersburg ein Denkmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft am Ufer der Newa steht. Ein doppelte Sphinx, deren eine Gesichtshälfte die Züge einer schönen jungen Frau trägt, während die andere Hälfte einen Totenschädel mit gebleckten Zähnen zeigt. Kein Geringerer als der Dichter Alexander Block hat in einem Gedicht Sowjetrussland  als Sphinx bezeichnet. Die schöne Gesichtshälfte war der Welt, besonders dem kommunismusfreundlichen Westen, zugewandt, den Totenschädel bekam die eigene Bevölkerung zu sehen. Aber nicht nur die. Der stalinistische Terror reichte nach dem Zweiten Weltkrieg überallhin, wo die Rote Armee Länder besetzt hatte.

Annerose Matz- Donath hat eine besondere Qualifikation für das von ihr behandelte Thema, Frauen vor sowjetischen Militärtribunalen, aufzuweisen. Sie hat selbst vor einem solchen Tribunal gestanden und saß fast zwölf Jahre in Haft, erst als NKWD- Gefangene, dann als Häftling in der DDR.

Die Autorin hat 130 Haftkameradinnen interviewt , aus ihren Aussagen ein  anschauliches Gemälde gewoben und damit ein immer noch weitgehend unbekanntes Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte aufgeschlagen. Warum ist so wenig von der sowjetischen Terrorjustiz und ihren Kellern, Verhörmethoden und Lagern bekannt?

Während die Lager der ersten deutschen Diktatur unmittelbar nach ihrer Befreiung ihr Grauen in zahllosen eindrucksvollen Bildern der Weltöffentlichkeit offenbarten, gibt es keine Bilder vom NKWD- Terror. Die Lager Sachenhausen, Buchenwald oder Kertschendorf wurden 1950 stillschweigend geschlossen, die Insassen der DDR- Justiz übergeben oder nach Sibirien in den Gulag verbracht. Auf den Massengräbern wurden Wäldchen angepflanzt, kleine Lager ganz eingeebnet und die Keller der Stadtvillen, die vom NKWD als Untersuchungsgefängnisse und Gerichtsorte in Beschlag gelegt wurden, wieder ihrem ursprünglichen Zweck zugeführt und mit Kohlen gefüllt, nachdem die Bretter vor den Kellerfenstern , die den Gefangenen das Tageslicht vorenthielten, entfernt worden waren.

Geblieben sind die wenigen Überlebenden, deren Erzählungen viel größere Aufmerksamkeit verdienten, als ihnen bislang zuteil wird. Matz- Donaths Buch ist ein Zeugnis gegen das Vergessen.

Die Autorin beginnt ihre Erzählung mit der Schilderung des Schicksals verhafteter Mütter und ihrer Kinder. Immer wurden die Frauen unter einem Vorwand abgeholt. Sie sollten nur kurz mal mit zur Kommandantur kommen, ein paar Fragen beantworten, dann könnten sie wieder nach hause gehen. Die Kinder blieben allein in der Wohnung zurück, oder spielten draußen unbesorgt weiter, fanden nach Rückkehr aus der Schule ihre Mutter nicht mehr vor. Als sie ihre Mutter nach vielen Jahren wiedersahen, erkannten sie sie nicht wieder, hatten jede Erinnerung an sie verloren, oder begegneten ihr, der „Verräterin“ sogar mit Feindseligkeit. Wer in den Jahren 1945-1947 verhaftet wurde, der verschwand spurlos. Erst ab 1949 wurde es gestattet, Briefe an die Angehörigen zu schreiben.

Besonders dramatisch ist das Schicksal der Kinder, die in der Haft geboren wurden. In der schlimmsten Hungerzeit 46/47 ist es ein Wunder, dass überhaupt Kinder das Licht der Welt erblickten und überlebten, obwohl die halb verhungerten Mütter selten in der Lage waren, zu stillen und kaum mehr zur Verfügung stand als grobe Haferflocken und Wasser. Alle diese Kinder wurden den Müttern früher oder später weggenommen. Sie landeten in Kinderheimen, selbst wenn es Verwandte gab, die sich der Kinder angenommen hätten.

Als Gefangene des NKWD hatte man nur zur Verfügung, was man am Leibe trug, wenn man verhaftet wurde. Deswegen waren diejenigen besonders schlimm dran, die den Sowjets im Sommer in die Fänge gerieten, denn mit dünnen Sommerkleidern kam man nicht weit. Die Zellen, in denen man die Untersuchungshaft verbringen musste, waren nur sporadisch mit Strohsäcken, Holzpritschen oder gar Betten ausgestattet. Decken gab es kaum, und wenn waren sie dreck- und blutverschmiert. Es gab noch einen Kübel oder eine Kiste für die Notdurft, in einem Fall war es nur eine Blumenvase.

Wasser zum Waschen gab es so gut wie nicht. Der Essnapf musste als Waschschüssel und auch für das Ausspülen der Läppchen dienen, die sich die Gefangenen aus den Kleidern gerissen hatten, um sich nach dem Entleeren zu säubern. Kämme, Seife, Handtücher gab es nicht, natürlich auch keine  Vorlagen für die monatliche Blutung. In den seltenen Fällen, da es Duschen gab, mussten sich die Frauen und Mädchen vor der versammelten Wachmannschaft säubern. Die Untersuchung sämtlicher Körperöffnungen, die immer mal wieder stattfand, wurde selbstverständlich auch von Männern vorgenommen. Vergewaltigungen waren, obwohl später sogar offiziell verboten, auf der Tagesordnung.

Dazu kamen die drangvolle Enge in den Gemeinschaftszellen, die so dicht belegt waren, dass sich beim Schlafen auf dem Fußboden oder der Pritsche alle umdrehen mussten, wenn eine ihre Stellung wechseln wollte.

Geschlagen und gefoltert wurden Frauen seltener. Dafür waren die Schreie der gefolterten Männer Tag und Nacht zu hören. In Hohenschönhausen wurde abends um zehn immer eine Kreissäge angestellt, um das Schreien zu übertönen. Zu hören waren auch die Schüsse aus den Hinrichtungskellern.

Einen großen Teil ihres Buches widmet die Autorin den Jugendlichen, die in die Fänge des NKWD gerieten. Bisher dachte ich, dass man erst mit 14 Jahren in Gefahr geriet, verhaftet zu werden. Aber auch 12- und 13jährige Gefangene wurden gemacht. Klar, nach der stalinschen Verfassung konnten Todesurteile schon an Zwölfjährigen vollstreckt werden.

Erstaunlich ist, wie viele Frauen vom NKWD verhaftet werden konnten, obwohl sie vorher gewarnt wurden. Jede aber dachte, sie hätte nichts getan und brauchte daher nichts zu befürchten. Das sollte sich in allen Fällen als schwerer Irrtum erweisen. Obwohl es erstaunlich ist, wie lange Manche dem Vernehmer  Widerstand leisteten und nicht unterschrieben, am Ende bekam das NKWD immer ein Geständnis, sei es durch Folter, falsche Versprechungen oder gar Scheinhinrichtungen.

Wenn ich die aufgezeichneten 130 Schicksale Revue passieren lasse, so scheint es , dass alle diejenigen größere Überlebenschancen hatten, die sich ab und zu wehrten. Etwa, ein nach ihnen geworfenes Tintenfass auffingen und zurückschleuderten, dem Vernehmer zwischen die Beine traten oder zurückschlugen. Schlechte Karten hatten alle, die weinten und um Gnade baten. Die wurden gnadenlos verhöhnt.

Eine entscheidende Rolle spielten für das NKWD die Spitzel. Die meisten Inhaftierten wurden von Freunden, Nachbarn, Familienmitgliedern oder sogar Provokateuren angezeigt. Auch in den Kellern gab es Spitzel, die versuchten ihre Leidengenossen auszuhorchen und weiterzumelden. Über zusätzliche Verpflegungsrationen ging die Belohnung selten hinaus. „Wir lieben den Verrat, aber nicht den Verräter“, war ein Satz, den fast alle Delinquenten von ihren Vernehmer mehrmals hörten. Am Ende fanden sich Spitzel und Bespitzelte in Sachsenhausen oder in Hoheneck wieder.

Mütterchen Russland ist eine Sphinx. Auch ihre Söhne hatten zwei Gesichter. Unter den Wachmannschaften gab es nicht nur Sadisten. Es gab auch Soldaten, denen ihr Dienst sichtbar unangenehm war und die ihre Gefangenen niemals quälten, die sogar in Tränen ausbrachen, wenn Jugendliche zum Tode verurteilt wurden. Es gab immer mal wieder Wunder, eine zusätzliche Essensration, eine rettende Decke oder einen zusätzlichen Strohsack, einen heimlich zugesteckten Kamm, um das verfilzte Haar glätten zu können, tröstende Worte. Das ist um so höher zu bewerten, als allen mindestens Sibirien drohte, die bei menschlichen  Regungen erwischt wurden. Ein Offizier wurde über zwei Tage zu Tode geprügelt, weil er mit einer Gefangenen fliehen wollte.

Im letzten Kapitel analysiert Matz- Donath eines von den tausenden Unrechtsurteilen, die von der sowjetischen Militäradministration verhängt wurden. Dabei wird klar, dass diese Urteile auf zum Teil abenteuerlichen Konstruktionen beruhten, an die weder  die Vernehmer, noch die Richter, die gleichzeitig die Funktion des Staatsanwalts ausfüllten, geglaubt haben dürften. Alle hatten Quoten zu erfüllen. Der Verhaftungsquote folgten 100% Geständnisse und 100% Verurteilungen. Eine Revision des Urteils war nicht möglich.

Die Überlebenden wurden Anfang der 90er Jahre von der Sowjetunion rehabilitiert. Die Toten auch, aber für die kam die Anerkenntnis ihrer Unschuld Jahrzehnte zu spät.

 

Annerose Matz- Donath: Die Spur der roten Sphinx, 2014

 

 

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