Frankreich geht in die dritte Runde

Blankoscheck oder lahme Ente? Nach dem Sieg Hollandes hängt alles von den Parlamentswahlen im Juni ab.

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Wahlabende im französischen Fernsehen sind politische Vorstellungen der Sonderklasse. Nicht nur das schlichte Dekor entspricht französischer Denkart – kartesianisch exakt und zielgerichtet - , auch die Zukunft liegt im Blick und natürlich sind die Moderatoren leicht links orientiert, bemühen sich aber um Fairness. So auch am Abend des 6. Mai. Früher lief noch langsam das Konterfei des Siegers am Bildschirm herunter, jetzt rollte ziemlich schnell ein roter Teppich in das Elysee, die Tür öffnete sich und gab den Blick frei auf den Sieger. Francois Hollande hatte seinen knappen Vorsprung aus dem ersten Wahlgang halten können. Sein Bild und das des Elysee wechselten, dazwischen immer wieder im Hintergrundbild Ausschnitte von Szenen in den Städten und Marktplätzen, vom Place de la Bastille – traditionsgemäß der Ort, wo seit der großen Revolution Machtwechsel in Paris gefeiert werden – oder aus den Parteizentralen. Und während im Band am unteren Ende des Bildes Sätze namhafter Persönlichkeiten wiedergegeben wurden, begann ein Menuett der Politiker, die von den Moderatoren kurz interviewt wurden und dann wieder gingen, so daß an einem Abend die politische Klasse gut und zahlreich vertreten war.

 

Kein Politiker der Bürgerlichen, der den neuen Staatschef nicht freundlich und höflich und „in republikanischer Gesinnung“ zu seinem Sieg beglückwünschte. Und gleichzeitig auch den Noch-Präsidenten für seinen Einsatz lobte. Etwas säuerlich kam nur die Vorsitzende des Front National, Marine Le Pen bei ihrer Zuschaltung über. Sie hatte sich wohl erhofft, daß aus der Präsidentenpartei stärker Kritik am Wahlverlierer Sarkozy geäußert und so Risse im bürgerlichen Lager erkennbar würden. Aber die Statements und Reaktionen an diesem Abend machten klar: Der Sieg Hollandes war nur eine Etappe, jetzt geht es in den dritten Wahlgang, die Parlamentswahlen im Juni. Auch die sozialistischen Barone wirkten nicht besonders fröhlich. Sie wissen: Wenn die  Präsidentenpartei geschlossen bleibt, könnte es zu einer Kohabitation, zu einer Machtteilung kommen, wie sie die Fünfte Republik bereits mehrfach erlebt hat und die de facto den Präsidenten lähmt.

 

Sarkozy selbst gab in kurzen Sätzen die Richtung vor. Zwischen emotionalen Liebesbekenntnissen zum Vaterland, Dankesworten zu den Franzosen, Respektsbekundungen zur Republik und mit der Ermahnung an seine Anhänger, jetzt kein schlechtes Beispiel zu geben, sagte er, das Ergebnis sei ehrenhaft, jetzt gelte es, die Parlamentswahlen zu gewinnen. Er selbst werde die Partei aber nicht in den Wahlkampf führen. Und: „Ich bin allein für die Niederlage verantwortlich“. Der frühere Premierminister Raffarin ergänzte den neuen Kampfaufruf ebenso wie Noch-Außenminister Juppe mit dem Hinweis, daß die Republik ein „Gleichgewicht der Mächte“ brauche. Wenn eine Partei sowohl über das Präsidentenamt, als auch über die Mehrheit im Senat, in den Regionen und den Kommunen verfüge, sei das schädlich für die Demokratie. Dann müsse wenigstens in der Nationalversammlung ein Gegengewicht gebildet werden.

 

Dies wird das Hauptargument der Bürgerlichen im schon begonnenen Wahlkampf sein. Befreit von der Last eines ungeliebten Präsidenten, der in der Tat während des Kampfes um das Elysee von seinen Gegnern mit Faschisten, Diktatoren und natürlich mit den Nazis verglichen wurde, werden die Kandidaten jetzt programmatisch auftreten können. Den sozialistischen Politikern war anzusehen, daß es schwer werden und der Sieg in der Schlacht um das Elysee sich als Pyrrhus-Sieg entpuppen könnte. Sowohl der Fraktionschef und als künftiger Premier gehandelte Bürgermeister von Nantes, Jean Marc Ayrault, als auch der frühere Premier Mitterrands, Laurent Fabius, bemühten das Argument, daß ein „Wiederaufbau des Landes“, ein „Politikwechsel“ ohne Mehrheit im Parlament nicht möglich sei. Es sei Tradition, meinte Fabius, daß „der Präsident über eine starke Mehrheit in der Legislative verfügt, sonst ist das Land gelähmt“. Das wird die Argumentationslinie der Sozialisten in den nächsten Wochen sein.

 

Die Sozialisten fordern, was der Generalsekretär der bürgerlichen UMP, Xavier Bertrand, als „Blankoscheck“ bezeichnete, den man Francois Hollande aber nicht ausstellen wolle. Man werde gerade wegen der Niederlage hochmotiviert in die dritte Runde gehen. Juppé erlaubte sich noch eine kleine Spitze, bevor er das Fernsehstudio verließ. Er habe da in einem Bericht von Platz der Bastille das Wort „unsere Feinde“ gehört, das eine Anhängerin von Hollande gebrauchte. Er betrachte die Wähler Hollandes nicht so und wünsche sich einen fairen Wahlkampf, einen Streit der Argumente ohne Hass und ohne verbale Gewalt. Die Bürgerlichen seien bereit, das Ergebnis zu akzeptieren, denn „das Volk ist der Souverän“. In diesem Sinne werde man auch im Interesse des Landes die Zusammenarbeit anbieten.

 

Diese Zusammenarbeit wird Hollande vielleicht bald brauchen. Seine außenpolitischen Vorstellungen sind nur schwer mit denen der engsten Partner in Übereinstimmung zu bringen. In Berlin stößt er auf eine freundliche Kanzlerin, auf dem Nato-Gipfel in Chicago und dem G8-Gipfel in Camp David wird er ebenfalls auf freundliche Gesichter stoßen, genauso auf den Treffen der Europäischen Union und bei seinen ersten Besuchen im Ausland. Aber alle werden abwarten, wie die Parlamentswahlen verlaufen. Erst Ende Juni wird man wissen, in welche Richtung Frankreich sich wendet. Nicht alle werden seine Einschätzung teilen, wonach dieser 6.Mai „ein Aufatmen bewirkt und die Hoffnung freigesetzt hat, daß die Sparpolitik kein unabwendbares Schicksal sein muss“. Ungeteilte Zustimmung erfährt er damit in Südeuropa. Vor allem Griechenland, Portugal, Spanien und Italien ächzen unter der Austerity-Politik. Sie hoffen auf Geld aus Europa, um Konjunkturprogramme anzukurbeln. Hollandes Vorstellung von einem Wachstumspakt wird aber in Berlin auf wenig Gegenliebe stoßen, auch wenn er nicht nur am Wahlabend beteuerte, daß die deutsch-französische Freundschaft auch unter seiner Präsidentschaft zum Fundament französischer Außenpolitik gehöre. Dieses Kapitel ist noch zu schreiben. Neu zu überdenken in der Außenpolitik ist auch die Türkei-Frage. Hollande und die Sozialisten sind einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU nicht so abgeneigt wie Vorgänger Sarkozy. Die Sozialisten sehen in der islamischen Bevölkerung ein Stimmenpotential für sich und ein offeneres Verhältnis zur Türkei könnte aus diesem Potential schöpfen lassen. Die Islamfrage überhaupt wird in Frankreich noch zu manchen Diskussionen führen. Denn das künftige Schicksal der Sozialisten ist mit dieser Frage verknüpft. Die Mehrheit Hollandes von 1,2 Millionen Stimmen kam aus der Mitte und die steht nicht besonders gut zu der Islamfrage.

 

Bis zu den Wahlen wird Hollande einige seiner zahlreichen Wahlversprechen umsetzen. Zum einen wird er die üblicherweise im September ausgezahlte Schulprämie um 25 Prozent erhöhen. Dabei handelt es sich um einen einmaligen Betrag zwischen 280 und 315 Euro, den Eltern einkommensabhängig bei der Einschulung ihres zweiten Kindes bekommen und der helfen soll, die Kosten für Schulmaterial zu decken. Zum anderen wird er für drei Monate die Benzinpreise einfrieren. Damit kann man Wahlkampf machen. Hollande weiß, daß er ohne Mehrheit im Parlament ein Präsident mit gestutzten Flügeln, um nicht zu sagen eine lahme Ente wäre, noch bevor er überhaupt angefangen hat zu regieren. Erst wenn er die Legislative hinter sich hat, kann er auch im Ausland glaubwürdig sein Programm umsetzen.

 

Das Problem für die Bürgerlichen sind allerdings die Rechtsaußen. Wenn die beiden feindlichen Brüder rechts von der Mitte sich nicht arrangieren, werden die Sozialisten in der Tat als lachende Dritte auch das Parlament erobern. Und dann hätten sie, wovor die Bürgerlichen warnen: Einen Blankoscheck zur Machtausübung. Das aber werden die Franzosen auf Dauer nicht ertragen.

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