FDP und ESM

Was Kurt-Georg Kiesinger und Franz-Josef Strauß 1967 misslang, scheinen Wolfgang Schäuble und Angela Merkel zu schaffen: die Vernichtung der FDP.

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Wir erinnern uns: nachdem die SPD trotz Godesberger Programm und Kanzlerkandidat Willy Brandt 1965 wieder die Mehrheit verfehlt hatte, bot Herbert Wehner der Union 1967 das folgende Tauschgeschäft an: die SPD würde für das Mehrheitswahlrecht stimmen und damit helfen, die FDP zu eliminieren, und die Union würde die SPD als Koalitionspartner akzeptieren, so dass diese ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen könnte. Das war für die Union ein schlechtes Geschäft, denn die SPD erhielt, was sie wollte, sofort, während das Mehrheitswahlrecht später folgen sollte. Die FDP – in Todesnöten – vollzog nun mit dem Freiburger Programm (1968) eine Linkswende und bot sich der SPD für die nächste Legislaturperiode als Koalitionspartner an. Die Union erhielt von der SPD nicht die versprochene Gegenleistung – das Mehrheitswahlrecht. Wehners Trick sicherte der SPD eine dreizehnjährige Regierungszeit.

Diesmal ist der von der SPD gewählte Spaltpilz nicht das Mehrheitswahlrecht, sondern die Bailout-Politik. Der SPD-Vorsitzende Gabriel weiß, dass Schäuble die Staatsschuldenkrise dazu benutzen will, eine zusätzliche permanente europäische Institution – den ESM – zu gründen. (‘‘‘We can only achieve a political union if we have a crisis‘, Mr. Schäuble said’’, New York Times, 18.11.11.) Gabriel weiß auch, dass die ganz überwiegende Mehrheit der bisherigen FDP-Wähler – zwölf der vierzehn Prozent, die 2009 FDP gewählt haben – die Bailout-Politik ablehnen. Sie wollten ein liberales Korrektiv – nicht eine FDP, die sich als Mehrheitsbeschafferin für die schon vor 2009 führungslos nach links driftende CDU versteht. Es hilft der FDP nicht, dass eine Mehrheit der Mitglieder oder der Parteitagsdelegierten für den Bailout-Kurs stimmt. Um zu überleben braucht sie Wähler. Indem die SPD den Schäuble-Kurs unterstützt, bietet sie sich der Union als alternativer Koalitionspartner an und nimmt der FDP den Mut, die Koalitionsfrage zu stellen.

In diese Regie passt, dass Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen die Möglichkeit zu Neuwahlen entschlossen genutzt hat. Auch die CDU-Führung tat nichts, um die Neuwahlen zu verhindern. Der Wahlkampf wird mit den parlamentarischen Beratungen über den ESM zusammenfallen. Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte es für die FDP nicht geben können. Das gleiche gilt für die Landtagswahlen im Saarland, die CDU und SPD vorgezogen haben. Der Geist von 1967 ist wieder da. Aber es ist höchst zweifelhaft, dass eine Mehrheit der Unionsabgeordneten im Bundestag für eine große Koalition stimmen würde, solange die Union auch mit einem kleineren, bürgerlichen Koalitionspartner regieren kann. Schon allein der Verlust an Minister- und Staatssekretärsposten würde in der Fraktion Widerstand wecken.

Die FDP steht vor einem doppelten Dilemma. Zum einen wollen ihre bisherigen Wähler etwas Anderes als ihre bisherigen Geldgeber – die Banken und die von ihnen beeinflussten Unternehmen. Die Banken profitieren von der Bailout-Politik – sie sind deren lautstärkste Befürworter. Ihre Vertreter sitzen in den Aufsichtsräten der Großunternehmen. Kein Unternehmer möchte die Unterstützung seiner Hausbank verlieren, und kaum einer kann es sich leisten, allen Banken zu widersprechen.

Zum anderen spaltet Schäuble die deutschen Liberalen – wie schon Bismarck 1879 – programmatisch an ihrer schwächsten Stelle: bei ihrem unreflektierten Verhältnis zur „politischen Einigung“, d.h., Zentralisierung. Die Nationalliberalen hielten 1879 dem Kanzler der Einheit die Treue und stimmten für die Schutzzölle, die dem Reich mehr Einnahmen und Macht verschaffen sollten. Der Wirtschaftsflügel um Eugen Richter dagegen gründete die liberale Fortschrittspartei und blieb seinem Bekenntnis zur Marktwirtschaft treu. Auch heute sind es vor allem die Nichtökonomen (Juristen) wie Westerwelle, Genscher, Leuthäuser-Schnarrenberger und Niebel, die die politische Zentralisierung – jetzt auf europäischer Ebene – betreiben, obwohl doch jede Zentralisierung der Politik dem Staat mehr Macht über die Bürger verleiht und die Freiheit des Einzelnen untergräbt. Die Gegner des ESM sind dagegen zumeist Ökonomen.
   Wenn die FDP überleben will, muss sie ihr Verhältnis zum ESM überdenken und die Koalitionsfrage stellen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, für ein vorübergehendes Problem wie die Staatsschuldenkrise und die temporäre Schwäche einiger Banken auf Dauer eine so gefährliche Institution wie den ESM zu gründen. Alles spricht dafür, auch den ESM zu befristen.

Es ist verständlich, dass sich Schäuble zum Ende seiner politischen Laufbahn ein bleibendes Denkmal setzen will. Es ist auch bekannt, dass Paris spätestens seit den siebziger Jahren – unter Präsident Giscard und Premierminister Barre – einen Europäischen Währungsfonds (ohne Saldenausgleich!) will. So auch Sarkozy: „Sarkozy sagte nach dem Treffen, dies sei der Beginn eines Europäischen Währungsfonds: ‚Von den Beschlüssen vom Mai 2010 zu den heutigen Beschlüssen führt ein gerader Weg‘“ (faz.online, 22.7.11). Auch die EU-Kommission verspricht sich vom ESM einen Machtzuwachs. Aber die Probleme des ESM-Projekts sind – auch für die FDP-Politiker – unübersehbar:

1.    Der ESM wird Fehlverhalten belohnen und damit dauerhaft falsche Anreize setzen.

2.    Mit den irrwitzigen Summen, für die die deutschen Steuerzahler haften sollen, verpfändet Deutschland seine Bonität und seine Zukunft. Die Deutschen werden Wolfgang Schäuble eines Tages verfluchen.

3.    Der ESM widerspricht dem Bailout-Verbot des Art. 125 AEUV.

4.    Eine hinreichende parlamentarische Kontrolle ist nicht vorgesehen.

Wolfgang Schäuble versucht, den Eindruck zu erwecken, dass das Moral-Hazard-Problem durch seinen „Fiskalpakt“ ausgeräumt wird. Denn wenn der Gerichtshof der Europäischen Union auf der Grundlage eines Berichtes der Kommission und auf Antrag eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zu dem Schluss kommt, dass ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nicht nachkommt und nicht die geforderten Maßnahmen ergreift, kann der Gerichtshof – verpflichtet ist er dazu nicht – eine Geldstrafe von bis zu 0,1 Prozent des BIP verhängen (Art. 8 Abs. 2). Es ist jedoch nicht zu erwarten, dass dieser Fall jemals eintreten wird.

Zum einen sind Gerichte wenig geeignet, gegen übermäßige Haushaltsdefizite vorzugehen. 1969 wurde Artikel 115 des Grundgesetzes wie folgt erweitert: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“. Mehrfach ist deswegen beim Bundesverfassungsgericht gegen die Neuverschuldung des Bundes Klage erhoben worden. Jedesmal wurde die Klage abgelehnt, weil sich die Richter nicht berufen fühlten, über Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu urteilen. Die Richter (Juristen) – selbst wenn sie nicht von den Regierungsparteien ernannt worden sind – tun sich schwer, sind vielleicht auch überfordert, wenn es um die Beurteilung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge geht, zumal wenn die Kriterien so schwammig sind.

Der Gerichtshof der Europäischen Union könnte sogar zu dem Ergebnis kommen, dass der Fiskalpakt – ein einfacher völkerrechtlicher Vertrag einer Gruppe von Mitgliedstaaten – mit den europäischen Verträgen unvereinbar ist. Denn da Art. 126 AEUV ein Defizit von bis zu 3 Prozent zulässt, ist schwer zu sehen, wie der Gerichtshof der Europäischen Union einen Mitgliedstaat, dessen Defizit zwischen 0,5 und 3 Prozent liegt, bestrafen könnte. Art. 8 Abs. 3 des Fiskalpakts stellt im übrigen ausdrücklich fest, dass der Gerichtshof lediglich im Rahmen eines Schiedsverfahrens (Art. 273 AEUV) tätig wird.

Zum anderen ist es unwahrscheinlich, dass der Fiskalpakt zu Klagen führen wird. Denn die Kommission soll jede Überschreitung der Defizitgrenze „unter Berücksichtigung der länderspezifischen Risiken“ und „auf der Grundlage einer Gesamtbewertung“ beurteilen (Art. 3 Abs. 1b). „Eine rasche Annäherung“ genügt. Wahrscheinlich wird der Fiskalpakt – genauso wie der Stabilitäts- und Wachstumspakt – weder zu Verurteilungen noch zu Sanktionen führen.

Wolfgang Schäuble weiß das, aber er versucht, den Abgeordneten und den Wählern Sand in die Augen zu streuen. Er war schon immer ein Meister der politischen Irreführung.

1. version des Beitrages erschien zuerst auf wirtschaftlichefreiheit.de

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