Fastenbotschaft: Barmherzigkeit will ich!

In der Fastenbotschaft gibt uns der Papst ein paar Aufgaben mit auf den Weg, und es stellt sich heraus: Barmherzigkeit kann spannend sein!

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Vergebung und Mitleid – das sind die Stichworte, die einem landläufig einfallen, wenn man über Barmherzigkeit spricht; die beiden Worte erscheinen als Synonyme des Begriffs, der aber doch so viel mehr bedeutet. Das ist der Grund, warum Papst Franziskus ein Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat und warum er das Thema Barmherzigkeit gerade für die bald anstehende Fastenzeit besonders empfiehlt. In den Mittwochskatechesen betrachtet der Papst aktuell dieses Thema und auch seine Fastenbotschaft, die am vergangenen Dienstag vorgestellt wurde, geht intensiv auf dieses Thema ein. Darin beschreibt der Papst auch die Bilder, die es zur Barmherzigkeit bereits im alten Testament gibt, im Umgang Gottes mit seinem Volk Israel. Und er macht deutlich, dass diese Barmherzigkeit in Jesus so etwas wie einen Höhepunkt erreicht, wenn man so will die ultimative Barmherzigkeit (Zitate aus der Fastenbotschaft hier wie im folgenden von Zenit):

In ihm gießt Gott seine grenzenlose Barmherzigkeit in solchem Maße aus, dass er ihn zur „inkarnierten Barmherzigkeit“ (vgl. Misericordiae Vultus, 8) macht. Als Mensch ist Jesus von Nazareth gänzlich Sohn Israels, bis hin zur Verkörperung jenes innigen Hörens auf Gott, zu dem alle Juden durch das ‚Schema‘ aufgerufen sind, das auch heute noch das Herz des Bundes zwischen Gott und Israel bildet: „Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6,4-5). Als Sohn Gottes ist er der Bräutigam, der alles unternimmt, um die Liebe seiner Braut zu gewinnen, an die ihn seine bedingungslose Liebe bindet, die dadurch sichtbar wird, dass er sich auf ewig mit ihr vermählt. […]

Im Gekreuzigten geht Gott schließlich so weit, den Sünder in seiner äußersten Entferntheit erreichen zu wollen, genau dort, wo dieser sich verirrt und von ihm abgewandt hat. Und dies tut er in der Hoffnung, dadurch endlich das verhärtete Herz seiner Braut zu rühren.

Wie man erkennen kann, durchzieht die Barmherzigkeit die gesamte Geschichte Gottes mit der Menschheit, und doch sind die Geschichten für uns eher schwer ins heute zu übertragen. Was bedeutet es denn, barmherzig zu sein, wie wird man das, woran erkenne ich, wenn ich unbarmherzig bin. Auf diese Fragen gibt es keine einfachen Antworten, wohl aber Hinweise, die es sich zu betrachten lohnt:

Sie [die Werke der Barmherzigkeit] erinnern uns daran, dass unser Glaube sich in konkreten täglichen Handlungen niederschlägt, deren Ziel es ist, unserem Nächsten an Leib und Geist zu helfen, und nach denen wir einst gerichtet werden: den Nächsten zu speisen, zu besuchen, zu trösten, zu erziehen. Daher war es mein Wunsch, „dass die Christen während des Jubiläums über die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit nachdenken. Das wird eine Form sein, unser Gewissen, das gegenüber dem Drama der Armut oft eingeschlafen ist, wachzurütteln und immer mehr in die Herzmitte des Evangeliums vorzustoßen, in dem die Armen die Bevorzugten der göttlichen Barmherzigkeit sind“.

Neben der Barmherzigkeit kommt hier das zweite große Thema dieses Papstes zum Tragen: Die Armen bzw. der Umgang der Kirche und der Christen mit den Armen. Interessanterweise fällt mir auf, dass diese Fokussierung des Papstes auf die Armut so manchem Gläubigen zu weit geht. Ich kann mich auch nicht davon freisprechen, schmale Augen dabei zu bekommen, vor allem, wenn er die Sorge um die Armen mit wirtschaftspolitischen Hinweisen anreichert, denen ich so nicht folgen kann. Dennoch ist es gut, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und sich als Christ vor Augen zu halten, dass bei aller Freiheit und bei allem Streit um den richtigen Umgang mit Armen und Armut, für einen Christen die Barmherzigkeit mit dem Armen im Zentrum stehen muss. Wer nicht an Christus glaubt, kann sein eigenes Wohl in den Mittelpunkt seines Strebens stellen, als Christen stellen wir Gott und den Nächsten in den Mittelpunkt.

Im Armen nämlich wird das Fleisch Christi neuerlich sichtbar; es wird „erneut sichtbar in jedem gemarterten, verwundeten, gepeitschten, unterernährten, zur Flucht gezwungenen Leib …, damit wir Ihn erkennen, Ihn berühren, Ihm sorgsam beistehen“. Das unglaubliche und unerhörte Geheimnis der Fortdauer des Leidens des unschuldigen Lammes im Laufe der Geschichte: ein brennender Dornbusch bedingungsloser Liebe, vor dem man sich wie Moses nur die Schuhe ausziehen kann (vgl. Ex3,5) – umso mehr, wenn die Armen Brüder oder Schwestern in Christus sind, die wegen ihres Glaubens leiden.

Einen wichtigen Aspekt nimmt der Papst aber auch damit auf, dass er auch auf die vermeintlich „Reichen“ eingeht, die ebenfalls von Gott geliebt werden, aber versucht sind, die Armen zu missachten, sie gar nicht sehen zu wollen. Als solche, und viele von uns sind in der Gefahr, in diese Falle zu tappen, sind sie eigentlich „die Ärmsten unter den Armen“, weil sie ihre Bedürftigkeit gar nicht erkennen. Dazu ein etwas längerer Abschnitt, den es sich zu verinnerlichen lohnt:

Vor dieser Liebe, die stark ist wie der Tod (vgl. Hld 8,6), erweist sich jener als der Ärmste, der nicht bereit ist, seine Armut einzugestehen. Er meint, reich zu sein, ist aber in Wirklichkeit der Ärmste unter den Armen. Denn er ist Sklave der Sünde, die ihn dazu drängt, Reichtum und Macht nicht zum Dienst an Gott und am Nächsten einzusetzen, sondern um in sich das tiefe Wissen zu ersticken, dass auch er nichts als ein armer Bettler ist. Und je größer die Macht und der Reichtum sind, über die er verfügt, desto größer kann diese trügerische Verblendung werden. Das geht so weit, dass er den armen Lazarus, der vor seiner Haustür bettelt (vgl. Lk16,20-21), nicht einmal sehen will – dabei ist Lazarus ein Bild Christi, der in den Armen um unsere Bekehrung bettelt. Lazarus ist die Möglichkeit zur Bekehrung, die Gott uns bietet und die wir vielleicht gar nicht sehen. Mit dieser Verblendung geht ein hochmütiger Allmachtswahn einher, in dem unheilvoll jenes dämonische „Ihr werdet sein wie Gott“ anklingt (vgl.Gen 3,5), das die Wurzel aller Sünde ist. Dieser Wahn kann gesellschaftliche und politische Formen annehmen, wie die totalitären Systeme des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt haben und wie dies heute die Ideologien des vereinheitlichten Denkens und derTechnoscience zeigen, die sich anmaßen, Gott als irrelevant abzutun und den Menschen auf eine zu instrumentalisierende Masse zu reduzieren. Und dieser Wahn kann gegenwärtig auch in den Strukturen der Sünde zum Ausdruck kommen, die mit einem irrigen Entwicklungsmodell in Zusammenhang stehen, das auf der Vergötterung des Geldes beruht. Dies führt zur Gleichgültigkeit der reicheren Menschen und Gesellschaften gegenüber dem Schicksal von Armen, denen sie ihre Türen verschließen und die zu sehen sie sich sogar weigern.

Die Versuchung des Reichen besteht also besonders darin, zu glauben, selbst Gott zu sein, Gott nicht mehr zu brauchen, und die Armen um sich herum auszublenden, sie nicht mal sehen zu wollen, vielleicht auch, weil der Anblick der Armut bei aller Verhärtung doch das eigene Herz anrühren kann. Und es wird deutlich, wie sehr sich der „Primat Gottes“ vom „Primat des Geldes“ unterscheidet. Ich selbst betrachte mich als Marktwirtschaftler, halte die freie Marktwirtschaft für das einzig weltliche Instrument, die materielle Armut dauerhaft zu überwinden. Ich glaube nicht, dass der Papst diese Einschätzung in dieser Weise teilt, aber einer Meinung sind wir sicher in der Maßgabe, dass es nicht das Geld sein darf, das unser Handeln als Christen bestimmt. In der Gefahr, Gott oder den Nächsten aus den Augen zu verlieren und sich auf sich selbst zu verlassen, auf die eigenen Kompetenzen, das Geld oder die Macht, steht jeder – umso mehr, je mehr weltliche Möglichkeiten uns zur Verfügung stehen, je weniger wir scheinbar auf die Barmherzigkeit Gottes zurückgeworfen sind:

Auf diesem Weg haben auch die „Hochmütigen“, die „Mächtigen“ und die „Reichen“, von denen das Magnificat spricht, die Möglichkeit zu erkennen, dass sie vom Gekreuzigten, der auch für sie gestorben und auferstanden ist, unverdient geliebt werden. Einzig in dieser Liebe liegt die Antwort auf jenes Sehnen nach ewigem Glück und ewiger Liebe, das der Mensch mit Hilfe der Götzen des Wissens, der Macht und des Reichtums meint stillen zu können. Es bleibt jedoch immer die Gefahr bestehen, dass die Hochmütigen, die Reichen und die Mächtigen dadurch, dass sie sich immer hermetischer vor Christus verschließen, der im Armen weiter an die Tür ihres Herzens klopft, am Ende sich selbst dazu verurteilen, in jenem ewigen Abgrund der Einsamkeit zu versinken, den die Hölle darstellt.

Das also wäre ein ziemlich dickes Brett, dass uns der Papst für die Fastenzeit zu bohren aufgegeben hat: Die Barmherzigkeit an sich und die Werke der Barmherzigkeit zu betrachten. Das alles ist von den einfachen Schlagworten Vergebung und Mitleid ziemlich weit entfernt. Beide stellen Komponenten der Barmherzigkeit dar, es ist aber gerade die Fastenzeit der richtige Anlass, tiefer zu blicken, und auch sich selbst in Frage zu stellen. In mir verfestigt sich immer mehr eine Überzeugung zum Jahr der Barmherzigkeit: Das wird – für mich ganz persönlich und vermutlich für viele andere, die sich darauf einlassen – spannend werden!

Beitrag zuerst erschienen auf papsttreuerblog.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Midas

Das ist ein interessantes Thema, denn die Frage nach den Grenzen der Barmherzigkeit im Sinne der eigenen Existenz werden Sie auf diesem Wege nicht beantworten können, Herr Honekamp. Ich bin der Meinung, daß unsere christliche Moral ins Gegenteil verfälscht wurde. Und im Ist-Zustand ist diese Transformation die Hauptursache für den Mitgliederschwund der Kirchen. Die Sozialisten und ihre Sympathisanten haben aus einer Moral für das Leben quasi eine Moral des Todes gemacht, nach der die einzige Voraussetzung für den Anspruch auf Nächstenliebe der Grad der Bedürftigkeit ist und Leistung, Können und Schaffenskraft automatisch Opferbereitschaft, "Barmherzigkeit" und Verpflichtung zum Transfer implizieren. Damit gebietet dieser Moralkodex jedoch einen permanenten Wertetransfer von den Werten des Lebens (Fleiß, Leistung und Schaffenskraft) hin zu Werten des Todes (Faulheit, Parasitentum etc.)
Diese Art von Liebe jedoch kann Gott nicht gemeint haben, denn Liebe bedeutet "Wert"-Schätzung. Also muß sich der Empfangende einer solchen Liebe auch als „wert“ erweisen. Zwar hat Gott jedem Menschen vorbehaltlos seine Liebe vor allem durch das Opfer Jesu "vorgeschossen", dies aber als eine Chance. Ein lebenslanger Transfer hin zu Faulheit und Unfähigkeit kann damit unmöglich gemeint sein. Das versteht zurecht kein Mensch. Klar ist das gefährlich, denn es könnte implizieren, daß es Menschen gäbe, die der Nächstenliebe nicht würdig seien. Und diesen Punkt habe ich auch noch nicht zu Ende durchdacht. Fest steht jedoch, daß Liebe grundsätzlich und in der Regel immer eine Wertschätzung ist und nicht mehr als Hilfe zur Selbsthilfe und nicht "Almosen" sein darf. Und ich sage nicht, daß es wertloses Leben gibt. Wohl aber Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, durch ihr Verhalten die Welt auf den Kopf stellen und darum muß Solidarität immer freiwillig und eigenverantwortlich bleiben. Denn wenn ein Mensch das Recht und die Freiheit hat, nichts aus seinen von Gott gegeben Gaben zu machen und sein Leben zu vergammeln, dann hat auch ein Christ die Freiheit, ihm NICHT zu helfen.
In dieser Hinsicht ist das Buch von Ayn Rand "Der Streik" unglaublich inspirierend, selbst wenn man nicht alles teilt, was sie sagt. Aber es ist unglaublich klug, vor allem die "Abrechnung" am Ende. Und wenn es uns nicht gelingt, das, was sie zurecht anmerkt unter den Hut der christlichen Moralvorstellungen zu bringen, werden wir verlieren. Immerhin hat Gott den Menschen "nach seinem Bilde" erschaffen und diesen Satz sollte man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Gott hat den Menschen als sein Ebenbild erschaffen und ihn deshalb mit Freiheit und "Schaffenskraft" ausgestattet und der Verpflichtung, aus dieser Gabe etwas Sinnvolles zu machen.
Und die Wurzel aller Sünde ist der Hochmut, egal, ob in Reichtum oder in Armut. Der Arme ist Gott dabei nicht näher, nur weil er nichts besitzt! Der Hochmütige, der glaubt, keinen Gott zu brauchen und selbst Gott spielt, entfernt sich in dieser Hinsicht genauso weit von Gott, wie derjenige, der faul und nichtsnutzig in der Ecke hockt, und "den lieben Gott einen guten Mann sein läßt". Das von Gott gegebene menschliche Handeln in immer zweckbestimmt. Der Mensch handelt, um dadurch Stück für Stück etwas glücklicher zu werden. Reichtum und Geld sind deshalb kein "Teufelszeug" und Quell der Sünde, sondern Maß und Lohn für die von Gott gegebene Schaffenskraft. Denn Reichtum und Geld entstehen in freier Marktwirtschaft nicht dadurch, daß anderen etwas weggenommen wird, sondern werden durch Produktion und freien Handel generiert. Und zum freien Handel gibt es nur eine Alternative: den KRIEG.
"Gott ist nicht die Verpflichtung, auf alles zu verzichten, sondern die Gewissheit, dass es uns am Ende an nichts mangeln wird." (Dávila)
Nicht der Reichtum, sondern die Moral der Reichen wird von Christus kritisiert, weil es ihr oft an Demut fehlt, vielleicht, weil, derjenige, der von sich behauptet, alles richtig gemacht zu haben und stets das Richtige zu tun, anfälliger für den Hochmut ist. So wie auch der Intelligente sehr viel mehr Dummheit, als der "geistig Arme" produziert, denn Intelligenz und Klugheit kommen selten gemeinsam und jemand mit wenig Intelligenz kann dabei unerhört klug sein.
In der Bibel geht es aber NICHT um die sozialen Probleme der Armen und
"Weder gründet die Religion in der Notwendigkeit, die Solidarität in der Gesellschaft zu sichern, noch wurden die Kathedralen gebaut, um den Tourismus zu fördern."(Dávila)
Und: “Die geistige Reife beginnt, wenn wir aufhören, uns für die Welt zuständig zu fühlen.“ (Dávila)
In diesem Sinne ist der derzeitige Papst auf dem Holzweg!

Gravatar: Joachim Datko

Vorab: Es gibt keinen Gott, es gibt keine Götter!

Das religiöse Weltbild führt zu skurrilen Vorstellungen:

Zitat: "In ihm gießt Gott seine grenzenlose Barmherzigkeit in solchem Maße aus, dass er ihn zur „inkarnierten Barmherzigkeit“ [...]"

Nur gut, dass wir uns in Europa aus den Fängen des Christentums langsam befreien.

Joachim Datko - Physiker, Philosoph
Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
http://www.monopole.de

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