Eurozone: Wie soll eine Fiskalunion funktionieren?

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Ohne Staatsinsolvenz bleibt sie ein zahnloser Tiger

In dieser Woche soll die Entscheidung über die sogenannte Fiskalunion fallen. Dies bedeutet, dass durch Änderung der Europäischen Verträge zentrale Auflagen eingeführt werden sollen, um die Verschuldung der Eurostaaten und damit die Beanspruchung der Geberstaaten wie Deutschland zu begrenzen. Dies ist als Gegenleistung dafür gedacht, dass  Deutschland und andere Staaten, etwa die Niederlande und Österreich, Bürgschaften übernehmen. Der Deal sieht so aus: Die Geberstaaten müssen zahlen, dafür müssen die Schuldenstaaten sich einem zentralen Reglement unterwerfen.

 Der Ansatz ist nicht neu, sondern war eigentlich schon in den Verträgen von Maastricht festgeschrieben. Damals hieß der Deal: Deutschland gibt seine stabile nationale Währung und die souveräne Geldpolitik der Bundesbank auf, dafür müssen die anderen die Stabilitätskriterien akzeptieren. Dies hat, wie wir wissen, nicht richtig funktioniert, nun sollen durch die Fiskalunion die Regeln verschärft werden. Die Frage, der wir nachgehen wollen, ist, was dafür spricht, dass es diesmal funktioniert, wie so eine Fiskalunion ausgestaltet sein müsste und welche Probleme dies mit sich bringt.

Das Scheitern des Maastrichter Vertrags

Der Vertrag von Maastricht sah bestimmte Regeln vor, um die Neuverschuldung zu begrenzen. Diese Regeln betrafen zum einen die gesamtstaatliche Verschuldung und zum anderen die Neuverschuldung. Die gesamtstaatliche Verschuldung sollte 60 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung nicht übersteigen, und die Neuverschuldung sollte nicht größer sein als drei Prozent der gesamtwirtschaftlichen Leistung. Außerdem war festgelegt, dass kein Land für ein anderes haften sollte. Das klingt eigentlich plausibel, die Frage ist also, warum die Regeln nicht funktioniert haben. Auffällig ist, dass das Kriterium der gesamtstaatlichen Verschuldung von Anfang an nicht ernstgenommen wurde, sonst hätte Italien bei der Währungsunion nicht dabei sein dürfen. Die öffentliche Debatte konzentrierte sich ganz auf Theo Waigels Aussage: Drei Prozent gleich 3,0 Prozent Neuverschuldung. Kaum war die Hürde genommen, wurde aber auch diese Regel gebrochen. Als letztes musste die No-Bailout-Klausel –  die Bestimmung, dass es keine Transferleistung zwischen verschiedenen Staaten der Eurozone geben soll – dran glauben. Da das Scheitern der Maastricht-Regeln teuer wird, versucht man nun einen zweiten Anlauf. Das Zauberwort lautet: Fiskalunion.

Die zwei Begriffe, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen, sind: automatische Sanktionen und Durchgriffsrechte. Was kann man sich darunter vorstellen?  Unter automatischen Sanktionen kann man sich wohl vorstellen, dass in dem Fall, dass ein Staat eine bestimmte Verschuldungsgrenze überschreitet, eine Strafe fällig wird. Der Natur der Sache entsprechend ist das wohl eine finanzielle Strafe, das heißt der Staat, der die Auflagen nicht erfüllt hat, muss eine Strafzahlung leisten. Hier fängt allerdings das Problem an. Stellen wir uns im realen Leben einen Menschen vor, der hoch verschuldet ist und seine Raten deshalb nicht mehr bezahlen kann. Um ihn dazu zu bringen, seine Raten zu zahlen, wird ihm nun eine Geldstrafe angedroht. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass er die Geldstrafe aufbringen kann, wenn er vorher die Raten schon nicht aufbringen konnte. So ähnlich verhält es sich auch mit überschuldeten Staaten.

Finanzielle Sanktionen sind für Staaten mit Zahlungsschwierigkeiten kaum durchzusetzen

Stellen wir uns einmal vor, ein Staat gibt zehn Milliarden Euro mehr aus, als er eigentlich darf. Er war also bis dahin nicht fähig oder willens, seine Einnahmen so weit zu erhöhen oder seine Ausgaben zu senken, um die zehn Milliarden Euro aufzubringen und die Neuverschuldung dem entsprechend zu reduzieren. Jetzt wird eine Strafzahlung von sagen wir einmal zwei Milliarden Euro fällig. Das heißt, der betreffende Staat muss jetzt seine Einnahmen und seine Ausgaben nicht mehr nur um zehn Milliarden Euro aufbessern, sondern um zwölf Milliarden. Er muss also für diese zwei Milliarden entweder zusätzliche Ausgaben senken oder zusätzliche Steuern erheben, obwohl es ihm bislang nicht gelungen ist, eine geringere Summe aufzubringen. Was passiert nun, wenn der betreffende Staat öffentlich erklärt, dass er nicht in der Lage ist, die Strafzahlung zu leisten?  Dann müsste die Strafzahlung gestundet werden, die gestundete Strafzahlung wäre eine zusätzliche Schuldenlast und würde die Kreditwürdigkeit des Staates weiter senken.

Was passiert nun, wenn der betreffende Staat dennoch seine Neuverschuldung nicht reduzieren kann und die gestundete Strafzahlung nicht leistet? Dann könnte eine weitere Strafzahlung fällig werden, die wieder nicht beglichen werden kann, aber sich mit der bereits angesetzten Strafzahlung zu einem noch größeren Betrag summiert. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob dann eigentlich Zinsen fällig werden. Wenn nicht, gibt es eigentlich keine Motivation, die Strafzahlung sofort zu leisten, sondern sie wird auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben. Wenn aber doch, dann kommt die bekannte Spirale aus Zins und Zinseszins in Gang. Die Schuldendynamik nimmt also noch weiter Fahrt auf. Nun kann man natürlich die Regelung schaffen, dass die Strafzahlungen erlassen werden, sobald das Sparziel erreicht wird. Was auf den ersten Blick plausibel scheint, das ist auf den zweiten Blick eine Paradoxie. Wenn der Staat sein Sparziel erreicht und theoretisch die Strafzahlung leisten könnte, dann wird sie ihm erlassen. Wenn er es nicht erreicht und die Strafzahlung nicht leisten kann, dann wird sie fällig.

Da viele Staaten in Europa vor der Pleite stehen und man einem nackten Mann nicht in die Tasche fassen kann, ist an eine sofortige Umsetzung der Fiskalunion und der damit verbundenen Sanktionsautomatik nicht zu denken. Nun könnte man etwa das Modell der deutschen Schuldenbremse auf die anderen Euro-Staaten übertragen. Das heißt, man gibt den hoch verschuldeten Staaten etwa ein Jahrzehnt Zeit, bis sie ihre Haushalte saniert haben. Diese Sanierung ist aber obligatorisch. Die Frage ist nur: was bedeutet „obligatorisch“? In der deutschen Schuldenbremse sind keine Sanktionen vorgesehen, was zur Folge hat, dass es auch in Deutschland Bundesländer gibt, die mit den Vorgaben der Verfassung ziemlich sorglos umgehen, etwa Berlin und Nordrhein-Westfalen. Um das zu verhindern, könnten also auch hier Sanktionen für den Fall angedroht werden, dass die Sparziele nicht eingehalten werden. Aber auch hier ergibt sich dasselbe Problem: Wenn ein Staat seinen Haushalt in der gesetzten Frist nicht sanieren konnte, dann wird die Sanierung in Zukunft nicht dadurch einfacher, dass Strafzahlungen fällig werden. Nun kann man natürlich hoffen, dass die abschreckende Wirkung ausreicht, um zur Haushaltsdisziplin zu motivieren, und die Zahlungen deshalb nicht fällig würden. Das übersieht aber die kurzfristige Logik der Politik. Einem Regierungschef, der heute wegen des Sparkurses in Schwierigkeiten gerät, wird seine Wiederwahl in zwei Jahren mehr Sorgen bereiten, als die Strafzahlungen in fünf oder zehn Jahren.

Durchgriffsrechte der EU würden die parlamentarische Budgethoheit außer Kraft setzen

Strafzahlungen können also wahrscheinlich nur dann durchgesetzt werden, wenn es weitere Sanktionsmöglichkeiten für den Fall gibt, dass eine Regierung die Mittel dafür nicht aufbringen kann oder will. Hier kommt also wohl erst einmal der Weg in Betracht, der in der Debatte mit dem Begriff des Durchgriffsrechts beschrieben wird. Was kann man sich darunter konkret vorstellen? „Durchgriff“ bedeutet wohl, dass die höchste Ebene – also die europäische Ebene – direkt in die Finanzpolitik auf der nationalen Ebene eingreifen kann. Wie wir gesehen haben, sind einfache finanzielle Sanktionen schwer durchsetzbar, solange die Haushaltspolitik auf nationaler Ebene unabhängig ist. Die Einführung von Durchgriffsrechten würde also bedeuten, direkt in die Haushaltssouveränität eines Staates einzugreifen, ihn also anzuweisen, Steuern zu erhöhen, Renten und Sozialleistungen zu kürzen und so weiter. Die Frage ist allerdings, was passiert, wenn diese Anweisungen nicht umgesetzt werden. Auf dem Weg der nationalen Gesetzgebung gibt es sehr viele Möglichkeiten, solche Auflagen zu verschleppen. Streit in der jeweiligen Regierungskoalition, Einspruch der Opposition, Verfassungsgerichtsverfahren, Volksentscheide und schließlich Neuwahlen können die Umsetzung verzögern oder unmöglich machen.

Damit die Fiskalunion kein zahnloser Tiger bleibt, müsste der Sanktionsmechanismus noch tiefer in die Finanzsouveränität der Einzelstaaten eingreifen. Die Durchgriffsrechte müssten direkt auf die Finanzverwaltung des betreffenden Staates ausgedehnt werden. Das heißt, der Finanzminister und das nationale Parlament würden ihre Zuständigkeit für den nationalen Haushalt verlieren und von der europäischen Ebene aus würden die Maßnahmen beschlossen, die notwendig sind, um den Haushalt zu sanieren. Ein solches Vorgehen ist historisch durchaus nicht beispiellos. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm es ein Kommissar des Völkerbundes, den österreichischen Staatshaushalt zu sanieren und 100.000 Staatsbedienstete zu entlassen, nachdem die österreichische Regierung dazu nicht in der Lage gewesen war und den Haushalt für längere Zeit über die Druckerpresse finanziert und damit eine Hyperinflation verursacht hatte. Ein solches „Durchgreifen“ ist heute aber wohl nicht vorstellbar, denn ein direkter Zugriff auf die Finanzadministration eines Staates wäre nicht nur die Aufhebung der nationalen Souveränität auf Zeit, sondern auch des Budgetrechts des nationalen Parlaments. Solche Durchgriffsrechte würden nicht nur eine Änderung der Europäischen Verträge, sondern auch der nationalen Verfassungen erfordern. Solche Durchgriffsrechte in den nationalen Verfassungen zu verankern, würde auf erheblichen Widerstand stoßen und ist deshalb kaum vorstellbar.

Eingriffe in die nationale Haushaltspolitik würden Europa und Deutschland zum Feindbild machen

Was ökonomisch gesehen vielleicht im Einzelfall theoretisch zweckmäßig wäre, wäre politisch gesehen Sprengstoff. Die gemeinsame Währung sollte ja den Zusammenhalt in Europa stärken. Streit ums Geld hat gemeinhin die gegenteilige Wirkung. Am Staatshaushalt hängen Einkommen, Biographien und Interessen. Dass die Haushalte in den letzten Jahrzehnten nicht saniert wurden, geschah schließlich nicht ohne Grund. Wer Sozialausgaben , Altersruhegehälter und Subventionen kürzt, beschwört drastischen Widerstand – Massendemonstrationen, Pressekampagnen, Umfrageabstürze, Protestaktionen, Parteispaltungen und so weiter. Derjenige, der dafür verantwortlich gemacht wird, zieht Wut und Ablehnung auf sich. Dies ist in der Regel die jeweilige nationale Regierung. Dies ist ein wichtiger Grund, warum Regierungen nicht gerne sparen. Wenn die Sparauflagen aber von außen kommen, dann wird die Wut nach draußen gelenkt. In diesem Fall kommt zum Sozialpopulismus noch das nationale Ressentiment hinzu. Nicht umsonst wurde der IWF in vielen Ländern der Welt zum Feindbild, und nicht anders würde das auch mit den zuständigen europäischen Institutionen werden und den Staaten, die die Politik der Fiskalunion stützen und vorantreiben. In Griechenland ist diese Entwicklung bereits zu beobachten.

Da direkte Durchgriffsrechte auf die Staatsfinanzen einzelner Mitgliedsstaaten wahrscheinlich erst gar nicht durchsetzbar sind und wenn sie es wären, mächtige Gegenbewegungen hervorrufen würden, bliebe nur eine wirksame Drohung erhalten, nämlich die Androhung der Aussetzung der Hilfszahlungen. So ähnlich wie im Falle der Griechenlandhilfen. In diesem Fall wurden Zahlungen von konkreten haushaltspolitischen Erfolgen abhängig gemacht. Aber auch hier zeigt sich ein fundamentales Problem. Wenn man die Transferzahlungen an einen Staat aussetzt, der faktisch keine Kredite mehr am privaten Kapitalmarkt erhält, dann ist das gleichbedeutend mit einer Staatsinsolvenz. Nun ist aber die Staatsinsolvenz genau der Fall, den man mit Hilfs- und Transferzahlungen und Bürgschaften verhindern will. Das Paradox besteht hier darin, dass die einzige wirksame Sanktion die Androhung eines Zustands ist, dessen Unannehmbarkeit zur Rechtfertigung eben dieser Maßnahmen herangezogen wird. Eine Drohung, die man nicht wahr machen kann, weil die Folgen für den Drohenden unakzeptabel sind, ist keine Drohung. Das hat sich im Fall von Griechenland auch schon gezeigt. Man drückt beide Augen zu, obwohl die Auflagen nicht erfüllt wurden.

Die Fiskalunion ist ohne die mögliche Hinnahme der Staatsinsolvenz ein zahnloser Tiger

Fassen wir zusammen: Finanzielle Strafzahlungen sind für einen Staat, der politisch schlicht nicht in der Lage ist, seinen Haushalt zu sanieren, keine realistische Drohung, weil dies die finanziellen Schwierigkeiten des betreffenden Staates noch vergrößern würde. Durchgriffsrechte könnten nur dann zum Ergebnis führen, wenn die nationale Souveränität aufgehoben und das Budgetrecht des nationalen Parlaments wenigstens auf Zeit abgeschafft würde. Unabhängig davon, ob man solche Durchgriffsrechte als legitim ansieht, ist ihre Einführung extrem unwahrscheinlich. Dafür müssten nicht nur die europäischen Verträge, sondern auch die nationalen Verfassungen geändert werden. Dies in kurzer Zeit oder überhaupt durchsetzen zu können ist mehr als unwahrscheinlich.

Als Alternative dazu bietet sich die einfache Drohung an, schlicht die Zahlungen einzustellen und die Bürgschaften auszusetzen, wenn bestimmte Auflagen nicht erfüllt werden. Ein solches Aussetzen der Zahlungen und der Entzug der Bürgschaften kann aber die Staatsinsolvenz und möglicherweise auch einen Austritt aus der Eurozone unmittelbar nach sich ziehen und damit genau den Zustand hervorrufen, der durch das ganze Prozedere eigentlich ausgeschlossen werden soll. Dies ist das zentrale Ergebnis dieser Untersuchung: Effektiv kann eine Fiskalunion unter den gegebenen Umständen nur sein, wenn die Möglichkeit der Staatsinsolvenz und der Austritt aus der Eurozone bei Nichteinhaltung der Auflagen als mögliches Ergebnis akzeptiert und nicht tabuisiert werden. Sonst bleibt sie ein zahnloser Tiger.

 

Dieser Beitrag erschien ebenfalls bei "eigentümlich frei"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: qed

Tja, so verblüffend einfach ist das.

Und genau deshalb wird es nicht passieren: der infantile Grundsatz, lieber zusammen zu sterben, als eine brutale, aber rettende Operation vorzunehmen, wird obsiegen.
Die degenerierte Verantwortungslosigkeit der politischen Klasse macht den Suizid aus Angst vor dem Tod allen Ernstes zur Option- schlimmer gehts nimmer.
Geistiges Bettnässertum in Reinkultur.

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