Europawahl: Wen sollen wir wählen?

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Am 25. Mai ist Europawahl und ich stelle mir die Frage: Wen sollen wir wählen? Erstmals in der

Geschichte der Europäischen Union wählen wir nicht nur weitgehend unbekannte Parlamentarier, sondern mittelbar auch den Präsidenten der Kommission. Wir haben die Wahl zwischen Jean-Claude Juncker, dem ehemaligen Ministerpräsident Luxemburgs, und Martin Schulz, amtierender Präsident des Europäischen Parlaments. Einer der beiden wird es wohl werden: Entweder Juncker, der

Christdemokrat der schon im Europa kohlscher Prägung kräftig mitmischte oder Schulz, ein Mann mit sozialdemokratischer Vita durch und durch.

Auf den ersten Blick konnte man also hoffen, dass die Kontrahenten im Wahlkampf Gegensätze offenbaren würden. Doch Fehlanzeige. Juncker und Schulz sind in fast allen wichtigen Fragen Europas einer Meinung. Junckers Angepasstheit an den politischen Gegner geht dabei soweit, dass auch er die Einführung von Eurobonds nicht kategorisch ausschließt. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Eurobonds-Gegnerin Angela Merkel („Keine Eurobonds, solange ich lebe“) Juncker ganz maßgeblich mit auf den Schild des EVP-Spitzenkandidaten gehoben hat.

Der Wahlkampf reduziert sich mithin auf Äußerlichkeiten: Der europäische Staatsmann Juncker

gegen den krawallgeneigten Schulz, der auch nicht davor zurückscheut in der Knesset Klartext zu reden.

Mir ist das zu wenig. Ich liebe Europa. Ein Europa ohne Grenzen. Ein Europa mit einer einheitlichen Währung. Ein Europa als Friedensmacht. Doch genau dieses Europa ist gefährdet:

Die Europäische Union ist als Rechtsgemeinschaft konzipiert. Doch dieses Recht wurde und wird nicht nur missachtet, sondern vorsätzlich gebrochen. Paul Kirchhof stellte einst treffend fest: “Integration heißt Werben für das Recht.“ Von den Spitzenkandidaten habe ich ein solches Werben, wenn nur kleinlaut vernommen. Kein klares Bekenntnis zur No-Bail-out-Klausel des Art. 125 AEUV,kein nachdrückliches Verlangen nach Einhaltung der Maastricht-Kriterien.

Die Europäische Union ist in den vergangenen Jahrzehnten gewaltig gewachsen. Die Erweiterungsschritte der EU waren zweifellos richtig. Genauso richtig ist es, jetzt den Fokus auf das Zusammenwachsen Europas zu legen. Doch dies erfordert beispielsweise den Mut, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht nur auszusetzen sondern zu beenden. Junckers lapidareBemerkung: “Die Türkei ist nicht beitrittsreif“ erübrigt sich angesichts eines Staates, in dem Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen getreten werden. Es hat sich als Mär erwiesen, dass die Beitrittsverhandlungen sich bei Meinungsverschiedenheiten als ein taugliches Druckmittel gegenüber

Ankara darstellen würden. So wichtig ein gutes und freundschaftliches Verhältnis zur Türkei ist: Europa muss lernen, kulturelle und geographische Grenzen zu akzeptieren. Diese Botschaft konnte ich bisher weder von Schulz noch von Juncker vernehmen.

Die Europäische Union ist ein Staatenverbund, der Einwanderer und Flüchtlinge anzieht. Es ist eine ethische Katastrophe, wenn abertausende Flüchtlinge vor den Küsten Europas jämmerlich ertrinken. Im Gegensatz zur Eurorettungspolitik, wo eine Rückkehr zu mehr nationaler Souveränität oft wünschenswert wäre, benötigen wir hier einheitliche und verbindliche Regeln zur Asylpolitik. Europäische Solidarität bedeutet auch, die aufnehmenden Mitgliedsstaaten nicht allein zu lassen und bei Missständen nicht wegzuschauen. Die Kandidaten verlieren sich, wie so oft, in Floskeln. Der Satz: „Kein Mensch ist illegal“ hat noch kein Menschenleben gerettet. Europäische Soldaten machen am Horn von Afrika Jagd auf Piraten, auf eine militärische Operation im Mittelmeer gegen Schlepperbanden und Menschenhändler wartet man hingegen vergeblich.

Die Europäische Union steht vor gewaltigen Herausforderungen. Doch sowohl Juncker als auch Schulz stehen letztlich für ein „Weiter so“. Ihnen fehlt eine Vision für Europa. Der neue Kommissionspräsident wird wohl verwalten statt gestalten.

Wie beantworte ich also die Ausgangsfrage: Wen sollen wir wählen? Meines Erachtens wäre es wünschenswert, wenn das Wahlergebnis das widerspiegelt, was Europa stark macht: Die Vielfalt. Vielfalt bedeutet, dass sich die EU zu den nationalen Identitäten ihrer Mitgliedsstaaten bekennt und diese gleichermaßen die Konzeption der EU als Gemeinschaft des Rechts achten und bewahren. Vielfalt kann nur gelingen, wenn die EU lernt Grenzen zu akzeptieren und zu einer eigenen Identität als Staatenverbund zu finden. Vielfalt lebt, wenn in der europäischen Politik Meinungsstärke und gegensätzliche Positionierungen ihren Platz finden.

Die Menschen in Europa sind mündige Bürger, sie wollen eine echte Wahl!

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Gravatar: Thilo Tiede

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