Etappe Europa

Frankreichs Politiker denken weit über den Wahltag hinaus / Wahlkampf ohne Illusion noch Leidenschaft

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 Keine Plakate, nirgends. Paris liegt träge im Spätfrühlingslicht. Flanierende Touristen säumen die Seine. Unter dem Eiffelturm dehnen sich die Schlangen vor den Kassen, man will hoch hinauf und die weite Sicht genießen. Der Champs de Mars, das breite Rasenfeld, das sich vom Eiffelturm bis zur alten Militärschule erstreckt, summt von der lässigen Geschäftigkeit der jungen Leute und kleinen Familien, die hier inmitten der Menschenmassen ihr städtisches Picknick verrichten. Es ist halt wie immer im Paris des Spätfrühlings. Von einem bevorstehenden Ereignis, geschweige denn einer Wahl, keine Spur. Paris döst dem Wahltag entgegen.

In der Rue de Sevres entdeckt der Flaneur dann doch ein Wahlplakat. Es ist vergilbt und bekritzelt. Erkennbar ist noch ein Teil der Namen: Phillip de Villiers und Declan Ganley, das Bündnis des Adligen aus der Vendee und des irischen Volkstribuns. Der eine hat eine Mindestzahl an Wählern, der andere das nötige Kleingeld, um den Sprung in das Europa-Parlament zu schaffen und dort den EU-Bürokraten und seelenlosen Funktionären in Brüssel den Krieg zu erklären. Aber ihre Chancen sind nicht überwältigend. Eine geringe Wahlbeteiligung nutzt eher den größeren Parteien, die Allianz zwischen MPF (mouvement pour la France) und Libertas wird allenfalls zwei oder drei Abgeordnete ins Parlament nach Straßburg entsenden können. Dasselbe gilt für eine andere Formation, das MoDem (Mouvement des Demokrates) des Zentristen Francois Bayrou. Er ist zwar in den Medien stark präsent, kann aber kaum mit mehr als acht oder neun Prozent der Stimmen rechnen. Anders als de Villiers kommt es Bayrou jedoch nicht auf Sitze in Straßburg an, sondern auf eine gute Ausgangsposition für die nächsten Wahlen in Frankreich, insbesondere die Präsidentschaftswahlen in knapp drei Jahren. Hier decken sich seine Intentionen mit denen der Sozialisten und der Präsidentenpartei UMP. Alle schielen mehr oder weniger offensichtlich auf die nächsten Wahlen in Frankreich. Europa ist da nur eine Etappe.

Das lässt sich auch an den wenigen Auftritten und den zahlreichen Artikeln ersehen. Ihre Themen sind national gefärbt. Da geht es um die Immigration, um die Nicht-Mitgliedschaft der Türkei, um hauseigene Maßnahmen gegen die große Krise, angereichert durch gelegentliche  Abstimmungen mit Parteifreunden in Europa oder, im Fall der Regierungspartei, durch Koordinationstreffen in Europa. Präsident Nicolas Sarkozy zeigt sich stolz, dass es ihm gelungen ist, zusammen mit Bundeskanzlerin Merkel einen Appell an die Wähler in Frankreich und Europa zu richten, der für ein starkes Europa eintritt. Damit meint er, was aus dem Appell nicht so deutlich hervorgeht, dass auch Deutschland gegen einen Beitritt der Türkei sei, dass „Angela“ für eine CO2 Steuer in Europa eintrete, dass man die Industrie in Europa notfalls mit Zöllen vor subventionierter Konkurrenz schützen werde, dass man Amerika für den Klimaschutz gewinnen und gemeinsam Druck auf Indien, Brasilien, China ausüben werde, dass man die Euro-Zone erweitern und dafür die Maastricht-Kriterien aufweichen werde. All das ist keine große Überraschung, Sarkozy hat solche Ideen immer wieder im Gespräch mit seinen Besuchern im Elysee erörtert, aber im Papier mit „Angela“ selbst steht es nicht, nur im begleitenden Artikel des Journal de Dimanche, das das Papier zeitgleich mit der Welt am Sonntag veröffentlichte.

Das Papier selbst geht in der Tat nicht über das Mittelmass der Kanzlerin und diplomatisch ambivalente Formulierungen hinaus. Die Türkei, China, Indien und Brasilien werden nicht genannt. Sie wollte offenbar keinen zusätzlichen Ärger mit dem Koalitionspartner SPD und begnügte sich mit Parolen wie „Europa muss..“, „wir Europäer müssen…“, „wir werden“ usw. Aufgelistet sind die üblichen Themen und Verdächtigen der Krise, die Banker, die Hedge-Fonds, die Klimaschädlinge. Auch der Duktus ist im üblichen Sowohl-als-auch-Stil gehalten, von der Leidenschaft, mit der die beiden „für ein starkes Europa kämpfen“ wollen, ist wenig zu spüren. Verräterisch sind die Kommentare des Präsidenten, sie beschreiben die Erfolge Frankreichs und die Absichten seiner Regierung in den nächsten Monaten. Und dann der Satz: „Das Ergebnis der Europa-Wahlen wird an all dem nichts ändern. Fällt es gut aus für die UMP, wird man einen Tag lang darüber reden. Fällt es schlecht aus, wird es eine Woche dauern. Und das Thema des Kabinettsrevirements, das alle so leidenschaftlich erregt, zählt weit weniger als die Projekte, die wir noch verwirklichen werden. Ich werde 2012 an meiner Fähigkeit gemessen werden, im richtigen Augenblick die richtigen Entscheidungen getroffen zu haben“.

Der Satz hätte auch im Kopf der Kanzlerin stehen können, nur eben mit dem deutschen Datum 27. September statt 2012. Sie würde den Satz  allerdings nicht aussprechen. So viel offene Leidenschaft für die Politik wie ihr französischer Kollege bringt sie nicht auf. Dessen Leidenschaft hört bei gesellschaftspolitischen Themen wie Familie, Ehe oder Sonntagsarbeit  schon auf. Eine Kommission seiner Partei soll sich darum kümmern und die Debatte in der UMP verläuft ähnlich wie in der CDU: Zwischen Anpassung an den angeblichen Zeitgeist und Verdrängung der Werte von immer. Selbst eine langjährige Streiterin für Ehe und Familie, die heutige Ministerin für Wohnungsbau, Christine Boutin, hat ihren Widerstand gegen die Aufweichungs-und Anpassungstendenzen aufgegeben. Selbst in lauen Wahlkampfzeiten zählt die Einheit mehr als die Wahrheit. Das gilt auch für die Sozialisten. Sie zelebrieren die Versöhnung der beiden führenden Damen, der Generalsekretärin Martine Aubry und der Präsidentschaftskandidatin Segolene Royal. Seite an Seite flüstern sie deutlich vernehmbar ihre huldvollen Parteifreundlichkeiten in die Mikrofone. „Meine liebe Martine, unsere Generalsekretärin“, juchzt die Präsidentin der Region Poitou-Charantes, Segolene Royal und die Angesprochene gibt ihrem „Glücksgefühl“ Ausdruck, an Segolenes Seite zu sitzen und ihr zu sagen, „wir unterscheiden uns zwar aber das Wesentliche haben wir gemeinsam: Wir sind unerschütterlich Sozialisten“. Im Deutschen hätte sie es womöglich noch gegendert zu Sozialistinnen.

Einig sind sie im Kampf gegen Sarkozy, zerstritten werden sie wahrscheinlich sein bei der Frage der Kandidatur in drei Jahren. Das wird die Sozialisten dann wieder erschüttern. Die Europawahl dagegen werden sie gelassen überstehen. Offensichtlich rechnet man links wie rechts in den Parteizentralen mit einer denkbar niedrigen Wahlbeteiligung. Ein europäischer Patriotismus ist eine Illusion, schreibt nüchtern das Wochenmagazin Valeurs actuelles und der Autor bekennt: „Auch wenn es Barroso nicht gefällt, meine Heimat ist mein Dorf, mein Vaterland ist Frankreich, meine geistige Hauptstadt ist Rom“. So dürften nicht wenig Franzosen denken, vor allem die, die ratlos zuhause bleiben, weil sie nicht wissen, wen oder was sie wählen und wen sie warum nach Europa schicken sollen.

 

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