Das scheint zu beruhigen und trägt zudem erfolgreich zum eigenen Verdrängen bei (Henryk B. Broder). Es liegt auf der Hand, sich zu diesem Phänomen Textbausteine aus der täglichen Diskussion zur Flüchtlingskrise an zu schauen:
Das erste Muster reduziert unseren Erregungszustand verläßlich auf Null. Das geht so: erschreckende Einzelereignisse werden von den guten Menschen auf eine relativierende und kaum vorstellbare Meta-Ebene gehoben:
- Eine Million Flüchtlinge sind zu viel.
Relativieren: aber nicht bei 80 Mio. Einwohnern!
- Rund 20 Milliarden jährliche Kosten für die Flüchtlinge sind zu viel.
Relativieren: auch bei einem Bundeshaushalt von über 300 Milliarden?
Oder noch häufiger zu hören: Deutschland ist ein soo reiches Land!
- Es gibt immer mehr sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen durch Männer mit vermutlich arabischen oder afrikanischen Hintergrund!
Relativieren: Deutsche Männer vergewaltigen auch!
Das wären die Klassiker. Neben diesen Relativierungen gibt es ein zweites Muster: das Ernennen von Flüchtlingen zu politischen Problemlösern. Genial: da wird ein ungeplantes Ereignis (die Masseneinwanderung) umgedreht zu einer plötzlich verfügbaren Ressource. Im Angebot: eine Gruppe von Menschen mit lang erwarteter Lösungskompetenz für die großen anstehenden Aufgaben unserer Zeit, als da wären:
- Flüchtlinge erhöhen langfristig die Geburtenrate. Ist nicht bewiesen, lt. Statistischem Bundesamt können sie bestenfalls die beginnende Überalterung dämpfen.
- Flüchtlinge reduzieren den Fachkräftemangel. Ist nicht bewiesen, lt. UNICEF können ungebildete Flüchtlinge erst nach ca. 6 – 8 Jahren in den Arbeitsmarkt integriert werden.
- Flüchtlinge bringen uns eine kulturelle Bereicherung (Schäuble) und vermeiden eine Degeneration der Deutschen....da bekomm ich leichte Schnappatmung.
Unversehens kommen wir zum dritten Muster, in die Sparte Gesinnungsethik. Hier ein paar Kostproben, die mehr nach Beschwörungsformeln aussehen:
„Deutschland hatte keine andere Chance, oder hätten Sie die Flüchtlinge an der Grenze verhungern lassen?“
„Deutschland muss den Flüchtlingen helfen, schließlich waren die Fluchtursachen seit langem bekannt – ohne dass Deutschland gehandelt hat.“ (George Soros). Denn: „Deutschland ist ein reiches Land“
„Steuererhöhungen für die Flüchtlingsprogramme sind derzeit nicht durchsetzbar, also muß unser Wohlstand mit den Flüchtlingen geteilt werden.“ Letztere Aussage stammt weniger von führenden Politikern, als von guten Menschen, die die von ihnen lang ersehnte wirtschaftliche Umverteilung frei Haus geliefert bekommen.
Das Schönreden in Politik und Medien soll eine Wahrheit verschleiern, deren globale Auswirkungen noch nicht spürbar sind: der Zusammenprall zweier Kulturen durch die Flüchtlingsströme. „Integration“ wird eine Weile noch ein Traum bleiben. Die Integration der Ostflüchtlinge nach 45 und die Integration der europäischen Einwanderer (früher „Gastarbeiter“ genannt) sind beide in der Aufgabenstellung und im Ausmaß kaum vergleichbar mit der bevorstehenden Integration zweier Kulturen. Sie wird sich zu einer Aufgabe von mehreren Generationen entwickeln.
Angesichts der Faktenlage mutet das Sich schön reden schon recht hilflos an. Eine solche Handlungsweise ist dennoch verständlich. Wir wissen einfach zu wenig, was das Ausmaß der jetzigen und zukünftigen Flüchtlingswellen und relevanter Aufnahmekapazitäten unseres Landes anbelangt. Die Ungewissheiten darüber bieten ausreichenden Nährboden für wilde Verschwörungstheorien, ganz zu schweigen von der Zunahme persönlicher Ängste in der Gesellschaft. Verschleierungstaktik und eine gewisse Ruhigstellung mancher Bürgergruppen leistet da gewiss gute Dienste.
Es kann aber nicht verhindern, daß gewisse gute Menschen mit einem ungeschriebenen Knigge, der sogenannten „politischen Correctness“, ihnen nicht genehme Meinungsäußerungen mit „Rechtspopulist“ oder Ähnlichem abstempeln, ja stigmatisieren. Da hatten es die Bürger in „1984“ (G. Orwell) einfacher: ein „Wahrheitsministerium“ definiert seine Wahrheiten und überwacht deren Beachtung.
Kommentare zum Artikel
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Die Gesellschaft hat sich in die kleinsten Bestandteile zerteilt: die Ich-AG. Vor einer Generation war dies noch eher die Familie. Hinzu kommt, dass junge und jüngere Menschen anders "ticken" als die ältere Generation. Früher wurde der funktionsuntüchtige Wecker so lange untersucht und behandelt, bis er wieder funktionierte. Heute wird mehr auf die erklärende Logik des Nichtfunktionierens Wert gelegt. Es wird viel weniger hinterfragt und an Alternativen gearbeitet.
Jüngere Erwachsene oder Jugendliche sind heute weitgehend konform und größtenteils konfliktscheu.
Dieses Werte-Vakuum zeitigt gewaltige Veränderungen.
Hinterfragende Menschen - oftmals neugierige Professoren und ältere Teile der n o c h verbliebenen Grundbevölkerung - sind, nicht selten, der AfD zugeneigt. Angepasste Menschen scheuen hingegen Randmeinungen und wählen lieber den Schnitt. Der "Schnitt" muss nicht richtig sein, sollte aber - zumindest - über eine erklärende Logik verfügen. Wer über keinen zeitlichen Maßstab verfügt, hat schon verloren.
Tatsache aber ist, dass wir an einer epochalen und globalen Wende-Zeit angekommen sind. Die Veränderungen haben erst begonnen.
Wie sich das Ganze in den nächsten 10 Jahren zutragen wird, kann keiner wirklich absehen.
Das Schönreden in der Politik wird allerdings kaum mehr hinterfragt. Schon alleine dieser Umstand deutet in eine gewisse Richtung...