Es geht um die Lebenswelt nicht um Werte

Nach den islamistischen Anschlägen in Frankreich und in Berlin am 19.12. 2016 war von den etablierten deutschen Politikern gebetsmühlenartig zu hören, daß „wir“ unsere Werte verteidigen müssten.

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Neben aller Unbestimmtheit dieses Appells verkennen diese Politiker, daß Demokratie, Liberalität, Pluralität, Freiheit und Gleichberechtigung dann verwirklicht werden, wenn sie in der Lebenswelt verankert sind. Diese Aspekte von Lebenswelt sind offensichtlich an die Lebenswelt westlicher Gesellschaften gebunden, wie den USA, den Nord-, West- und Mitteleuropäischen Staaten, Australien, Neuseeland und auch Israel. Und genau diejenigen etablierten Politiker, die in Deutschland diese Werte betonen, sägen hier an den lebensweltlichen Strukturen, als Beispiel die Institution der Familie, die politische und finanzielle Unabhängigkeit von Justiz und Medien, und die strikte Trennung von NGOs und sozialen Organisationen von der Politik. Und deswegen ist es so absurd, daß genau dieselben Politiker, die von der Verteidigung der Werte schwadronieren, diejenigen Lebenswelten bekämpfen, die erst diese als Werte bezeichneten Aspekte ermöglichen. Der neue US-Präsident Trump hat in seiner Antrittsrede Aspekte des Verlustes der Lebenswelt angerissen und diagnostiziert, z.B. : „… Mütter und Kinder in unseren innerstädtischen Problemvierteln in Armut, verrostete Fabriken, die wie Grabsteine über der Landschaft versteinert liegen, ein Bildungssystem mit genug Geld, das aber unsere Schüler vom Wissen abhält…“ Trump bietet hier immerhin eine Beschreibung von Aspekten der US- amerikanischen Lebenswelt, die weitaus komplexer ist als das monotone Mantra deutscher Politiker mit dem „wir verteidigen unsere Werte“. Wer diagnostiziert hat, wo die Probleme liegen, ist jedenfalls einen Schritt weiter, als das deutsche Polit-Establishment, das mit sich und seinen Medien monotone Selbstgespräche führt. Eine Bundesregierung, die eine „Hate Speech“ Zensur über juristische Tatbestände hinaus ins Leben gerufen hat und die darüber hinaus eine „Fake- News“ Agentur beauftragt hat oder beauftragen will, hat an demokratischer Willensbildung, Meinungsfreiheit- und Vielfalt nicht mehr viel Interesse. Und schließlich ist die CSU-Forderung nach einer Leitkultur aus demselben undemokratischen Stoff. Kulturen bilden und entwickeln sich frei und nicht nach einem Leitfaden. Wer in der Leitkultur die Leitung vorgeben soll, ist in einer demokratischen Gesellschaft keine legitime Frage.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: PD Dr. Jörg Gerke

Werner N. Es geht ihnen um die Verteidigung der Leitkultur. Wer leitet die Leitkultur? Wer Kritik an der Leitkultur so demontieren will, sollte genau das sagen. Wenn man von Husserl, Habermas und Dilthey spricht, bedeutet das nicht, daß man deren Lebensweltkonzepte über einen Kamm schert. Aber es zeigt sich damit, daß die Bedeutung des Konzeptes der Lebenswelt in vielen Denkrichtungen (man könnte auch Heideggers Begriff der Welt aus Sein und Zeit dazuzählen) präsent ist. Und daß Begriffe wie Freiheit, Liberlität oder Pluralität an bestimmte Lebenswelten geknüpft sind, ist nicht strittig.

Gravatar: Werner N.

@Georg: Der Begriff „Lebenswelt“ wurde von mir nicht abgelehnt. Ich wies lediglich darauf hin, dass er eben NICHT ..„geeignet ist, um den Gesamtzusammenhang menschlichen Daseins zu beschreiben“.. Dies benötigt noch den `Duden`–Begriff der „Lebenseinstellung“ und damit der „Werte“. Wie gesagt, im intellektuellen Establishment und Elfenbeinturm–Denken führen diese Begriffe ein stiefmütterliches Dasein mit entsprechend destruierenden Folgen in Denken und Realität. Gut finde ich hier den Hinweis von Dr. Günter Buchholz auf die fünf Säulen heutiger (Leit-) Kultur.

Wie sehr man zu nichtssagenden oder gar falschen Aussagen durch Ausklammern des WIE kommen kann, demonstrieren Sie wiederum, indem Sie die Philosophien von Dilthey, Husserl und Habermas in einen Topf werfen. Hier gibt es fundamentale Unterschiede in den Auffassungen von Geist und Materie und damit der „Lebenswelt“. Immerhin widersprechen Sie auch dem Blog–Autor, wenn Sie Werte als zur „Lebenswelt“ gehörend sehen. Dass sich diese nicht ..„technokratisch“.. von einer in eine andere Lebenswelt transportieren lassen, ist klar. Es kann Jahrhunderte dauern bis Mehrheiten bei einem Paradigmenwechsel zustande kommen.

Gravatar: Georg

@Werner N: LEBENSWELT ist ein etablierter Begriff in der Philospophie (Dilthey, Husserl, Habermas) und ist geeignet um den Gesamtzusammenhang menschlichen Daseins beschreiben. Werte lassen sich nicht von einer Lebenswelt in eine andere Lebenswelt technokratisch transportieren.

Gravatar: Werner N.

Zitat: ..“Es geht um die Lebenswelt nicht um Werte“.. Falsch, werter Herr Dr. Gerke. Es geht a-priori um die LebensEINSTELLUNG, die sich in der LebensWELT auswirkt. Ihre Reduktion auf die materielle Seite bleibt im Prinzip der vorgestrigen und gescheiterten marxistischen Ideologie verhaftet – ob bewusst oder unbewusst, sei dahingestellt. Bekanntlich hielt dieser Philosoph nur die Materie für „ursächlich und ewig“.

Werte beruhen auf Idealen, Einstellungen, Perspektiven und diese sind naturgemäß immateriell, jedoch nicht überflüssig oder nur subjektiv. Sie bestimmen allgemein die (Leit-) Kulturen und Zivilisationen und basieren auf bestimmten Raum- und Zeit–Vorstellungen sowie deren Wandel. Das intellektuelle Establishment ist (noch?) nicht in der Lage, diese für die Gegenwart und Zukunft zu präzisieren. Sie kennen nur das gestrige WAS (und das reduktiv begrenzt), blenden das WIE aus. Politiker, die derzeit von einer „Zeitenwende“ bezüglich der Werte „schwadronieren“, wissen um deren Machtpotential. Werte sind „Bausteine“, „Denkmuster“ oder (gemäß der Informationstheorie) allgemeine „Steuerungselemente“ für eine bestimmte Gesellschaft – wie etwa die hoch geschätzten modernen westlichen Werte der `Aufklärung`. Zur verbreiteten pseudowissenschaftlichen Methode gehört nicht zuletzt das Ignorieren von Max Scheler`s Werte–Hierarchie (um 1900). Selbst wenn man diese ablehnt, so wären in Wikipedia rd. 120 aktuelle Werte definiert (Mitgefühl, Kreativität, Weitsicht, Ausgewogenheit, Verantwortung u.A.). Daraus ableitbar wären heutige „Unwerte“, etwa die zur „Gleichstellung“ pervertierte „Gleichheit vor dem Gesetz“ oder der von Hass geprägte gestrige Klassenkampf, bei dem rechte Mitbürger zu dumpfen „Untermenschen“ gestempelt werden. Vereinfacht gesagt: Diese utopischen Prämissen funktionieren nicht (mehr), verlangen eine „De-Proletarisierung“ (P. Sloterdijk). Auf die mit diktatorischen Zensurmaßnahmen notdürftig bewältigte (Schein-) Demokratie wurde richtig hingewiesen. Man hätte noch die Katastrophen, untilgbaren Schulden oder Staatsbankrotte (1989 und künftige in der EU) erwähnen können. Dennoch: ein Hurra auf die „westlichen Werte“?

Nichts gegen eine kontroverse Diskussion in diesen nicht einfachen Fragen, aber mir scheint es fruchtlos, wenn >Die freie Welt< Redaktion nur Blog–Autoren bevorzugt, die mit unreflektierten Begriffsverschiebungen und Konnexen arbeiten, nicht zwischen „Quantita“ und „Qualia“ unterscheiden können oder wollen. Kommentierende haben allerdings schon mehrfach und treffend darauf hingewiesen.

Gravatar: Michael Tobollik

Für mich ist die Qualität meiner Lebenswelt entscheidend und somit komme ich um eine Bewertung der Qualität anhand von Werten nicht herum. Lebenswelt und Bewertung (= Werte) gehören demnach zusammen, um Qualitäten unterscheiden zu können. Wenn für mich z. B. der Wert eines hohen Maßes an Eigenverantwortung eine gute Qualität darstellt, strebe ich staatliche Rahmenbedingungen an, die mir viele Freiheiten lassen und den staatlichen Eingriff in diese auf das erforderliche Minimum reduzieren.
Mein Staatmodell erfordert demnach viel Raum für Eigenverantwortung und eigenes Engagement und braucht dennoch Politiker, die meine Interessen vertreten, da ich sonst nicht mehr zum Arbeiten komme. Eine Ergänzung um Volksentscheide wäre aus meiner Sicht bereits eine Verbesserung des bestehenden Systems, ebenso offene Listen für Mandatsträger.

Gravatar: H.Roth

Wir sind es in Deutschland nicht mehr gewohnt, dass ein Politiker die Menschen und ihre Lebenswelt noch wahrnimmt.
Das Geheimnis eines guten Politikers ist, dass er sich, trotz seiner Macht, noch als Teil des gemeinen Volkes wahrnehmen kann. Das hat die Rede von D.Trump ausgezeichnet. Und darin versagt unsere Regierung von Tag zu Tag.
"Werte", das ist in der Tat ein sehr abstrakter Begriff, über denn sich in Elfenbeintürmen philosophieren läßt. Lebenswelt ist etwas Reales und Greifbares.

Gravatar: PD Dr. Jörg Gerke

H.P.Klein: Zur Leitkultur. Die CSU will uns glauben machen, daß der Gegenssatz zu Multikulturalität die von ihr propagierte Leitkultur ist. Das stimmt nicht. Multikulturalität setzt erst einmal Zusammengehörigkeit innerhalb einer Gruppe, Staat ... in zentralen Aspekten voraus. Und erst im Wissen von Zusammengehörigkeit kann man überhaupt Multikulturalität denken. Es ist das Versagen der etablierten Multikulturalitätsverkündigung, daß diese die Vorraussetzung der Zusammengehörigkeit in zentralen Aspekten ignoriert.
Jomenk: Ja, wir haben in unserer Gesellschaft auch überall Zwang, nicht zuletzt auch beim Konsum von Autos, deren Konzeption z.B. durch die EU immer rigider festgelegt wird. Aber wir haben auch das Versprechen des freien Diskurses und des freien Handelns, den aber das Establishment in Deutschland gerade in rigider Weise versucht , zu entfernen.

Gravatar: Jomenk

In diesem Zusammenhang mal eine grundsätzliche Überlegung

Die heutigen Staatsmodelle stammen aus dem 19. Jahrhundert – und basieren auf Zwang. Wann kommen Staatsmodelle auf den Markt, die auf Freiwilligkeit und Vertragstreue setzen?

Stellen Sie sich vor, Sie lebten in einem System, in dem Sie zum Autokauf verpflichtet sind. Allerdings bestimmt einseitig der Verkäufer Modell, Ausstattung, Motorisierung und sogar den Preis! Sie als Käufer müssen seine Wahl in jedem Fall akzeptieren. Abwegig? Ersetzen Sie einfach die Worte «Verkäufer» durch «Regierung» und «Käufer» durch «Staatsbürger», und Sie werden merken, dass Sie sich genau in einem solchen System befinden.

Als steuerzahlender Staatsbürger müssen Sie mitunter Subventionen für unwirtschaftliche Technologien mitfinanzieren, staatliche Fernsehsender, Lehrstühle für Gender-Studien und Theologie und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch militärische Auslandeinsätze, selbst wenn Sie all dies ablehnen. Sie werden weiter gezwungen, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen oder gar die GEZ zu vorgegebenen Konditionen abzuschließen und zu bezahlen, egal, ob Sie damit einverstanden sind oder nicht. Sie dürfen keine Glühbirnen, leistungsstarken Staubsauger, Plastiktüten oder Zigaretten ohne Warnhinweise erwerben. Mit anderen Worten: Sie sind kein Kunde, sondern Untertan.

Es ist natürlich Zukunftsmusik. Aber vielleicht sollte man nicht mehr so lange damit warten, über ein " neues " Staatmodell nachzudenken.

Und abschliessend noch die Frage, wozu brauchen wir überhaupt Parteien, Politiker und einen Bundeskanzler? Gäbe es da keine besseren Lösungen.

Gravatar: Hans-Peter Klein

Genau, "Lebenswelt" spiegelt unsere Realität viel besser wieder wie abstrakte "Werte", oder "Menschenrechte".

Aber was soll an der Forderung nach einer "Leitkultur" undemokratisch sein. Entscheidend daran ist doch lediglich, das sie sich aus uns (hier: Den Deutschen, den Bayern, den Sachsen, etc.) selbst heraus eigenständig entwickelt und nicht von oben Top-Down verordnet wird "Nun vertragt Euch bitte und bildet endlich die ideale Multi-Kulti-Gesellschaft".

Ein Blick über den Globus und in die Menschheits-Historie zeigt doch, dass funktionierender Multi-Kulti eher die große Ausnahme sind und wenn, dann freiwillig aus sich selbst heraus entstanden und entwickelt, wie die Schweiz.

Von daher plädiere ich für eine positive Belegung des Begriffs Leitkultur, vor allem hier bei uns, wo es um die Deutsche Leitkultur geht.

MfG, HPK

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