"Er zündelt wieder"

Zu den Besonderheiten des Politikgeschäfts gehört die gespaltene Sprache. Wer die Laufbahn des Berufspolitikers einschlägt, lernt schnell, zwischen privater und öffentlicher Rede zu unterscheiden. Kaum

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ein Politiker, der in diesen Tagen nicht genau weiß, wo demnächst gespart werden muss (Vertreter der Linkspartei, für die das Geld vom Himmel kommt, ausgenommen) – nur zitieren lassen, will man sich lieber nicht damit. In der vergangenen Woche tauchten schon die ersten Ministerpräsidenten auf, die über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer nachsannen, ganz im Vertrauen selbstverständlich. Am Telefon ist alles möglich, was nicht heißt, das es nicht genauso kommen wird. Es wird so kommen.

Ein beträchtlicher Ehrgeiz von Journalisten besteht deshalb darin, Politiker zu Zitaten zu verleiten, die sie anschließend bedauern, weil sie die Lücke zwischen privater und öffentlicher Rede für ein Moment schließen. Man kann die Verstellungskunst im politischen Gewerbe bedauerlich finden, sogar verwerflich, aber sie gilt nun einmal als Voraussetzung für das Überleben in diesem Beruf. Neu ist allerdings, dass sich das Verstellungsgebot auch auf Repräsentanten der Wirtschaft erstreckt, ja, dass es in diesem Fall von Journalisten geradezu eingeklagt wird. Anders lässt sich die Empörung über Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nicht verstehen, der in einem Interview mit Maybrit Illner Zweifel daran äußerte, ob Griechenland jemals in der Lage sein werde, seine Schulden zurückzuzahlen.

Dass sich die Kanzlerin und ihre Minister über Ackermann aufregen, ist verständlich, schließlich haben sie ein hohes Interesse an einer Beruhigung der Märkte, also der Anleger, die sich darüber Gedanken machen, ob ihr Geld in griechischen Staatsanleihen noch sicher ist. Aus Sicht der Regierung ist es besser, die Anleger belassen ihr Geld dort, wo es ist, auch wenn das riskant erscheint. Politiker sind es gewohnt, großzügig mit dem Geld anderer Leute umzugehen, das gilt erst Recht in Zeiten der Krise.

Aber warum regen sich die Journalisten auf? Eigentlich sollte man doch erwarten, dass sie es ganz im Gegenteil begrüßen, wenn jemand auch angesichts einer Kamera noch das sagt, was er denkt und für richtig hält, zumal wenn es der Realität entspricht. Jeder, der sich ein wenig mit Griechenland beschäftigt hat, weiß, dass jedenfalls unendlich mehr für Ackermanns Einschätzung der Lage spricht als für die sonnige Annahme, dass sich der südeuropäische Krisenstaat in zwei, drei Jahren schon irgendwie aus dem Schuldensumpf befreien wird. Es ist eine echte Herausforderung, ernstzunehmende Ökonomen aufzutreiben, die an ein gutes Ende der Geschichte glauben – ich habe es vor ein paar Tagen versucht, die einzigen, die ich gefunden habe, saßen in Griechenland.

Man kann Ackermanns Bewertung undiplomatisch finden, auch wenig sensibel den Griechen und ihrer Art des Wirtschaftens gegenüber, aber sind das journalistische Kategorien der Bewertung? Von einer neuerlichen “Entgleisung” des Bankiers ist in den Meinungsspalten die Rede; “er zündelt wieder” war ein Kommentar am Wochenende überschrieben. Die so etwas schreiben sind übrigens oftmals die gleichen Leute, die von der Kanzlerin mehr Mut verlangen und ihr vorwerfen, nicht mit der Wahrheit über die wahre Lage des Landes herauszurücken.

Der intensive Umgang mit Politikern verführt offenbar zu unüberlegten Spontansolidarisierungen, anders ist der Aufruhr nicht zu erklären. Viele Journalisten halten sich nach meiner Erfahrung eh für die besseren Politiker, das verschiebt die Sicht auf die Dinge. Statt sich damit zu begnügen, politische Entscheidungen zu bewerten, ersinnen sie gerne Pläne, wie es eigentlich gehen müsste. So haben sich zwischen Politik und Journalismus eigentümliche Zweckgemeinschaften gebildet: Der eine besetzt die politischen Posten und schreibt die Gesetze, der andere sagt, was in den Gesetzen drinstehen sollte und verteilt anschließend Noten, ob es auch so gekommen ist, wie er vorgeschlagen hat. Dass die Interessen der Bürger, die für alles aufkommen müssen, dabei ein wenig aus dem Blick geraten, gehört zu den unvermeidlichen Nebeneffekten dieser Art von Systemjournalismus.

Man darf gespannt sein, wie die Meinungsmacher nun mit dem armen Karl Otto Pöhl ins Gericht gehen, der in einem bemerkenswerten Interview im neuen “Spiegel” nicht nur die Griechenlandhilfe anzweifelt, sondern gleich die ganze, ungleich teurere Rettungsaktion für den Euro. Wenn ich den ehemaligen Bundesbankpräsidenten richtig verstanden habe, ist es höchste Zeit, sein Geld in Gold oder Schweizer Franken umzuschichten. Wird man nun kommende Woche in der “Financial Times Deutschland” auch über Pöhl lesen, dass er “einfach mal die Klappe halten” soll?

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf "unterlinken.de"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Freigeist

@Kritikus
Richtig oder falsch, wer kann dies heute sagen.
Es sind nur Meinungen über den besseren Weg.
In 10 Jahren können wir rückblickend sagen, was richtig und was falsch war.

Gravatar: Kritikus

Ein deutscher Politiker kann tun und lassen was er will, auch gegen jede Moral etc. Warum er das darf, und warum das auch viele tun, geht aus folgendem Leserbrief hervor:

Leserbrief vom 13.07.2004 an die Neue Presse Coburg

Amtseide sind „Augenwischerei“

Letzte Woche leistete der neue Bundespräsident Horst Köhler seinen Amtseid ab. Es ist der Gleiche, den auch der Kanzler und seine Minister bei Amtsantritt gemäß Artikel 56 Grundgesetz leisten müssen. Der Eid lautet: „Ich schwöre, dass ich Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widme, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wende, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe.“
Ob mit oder ohne Gottesbezug, man muss diesen Eid leider als Augenwischerei betrachten. Bereits im Jahr 2002 erkundigte ich mich beim Deutschen Bundestag nach der rechtlichen Bedeutung des Amtseides. Die Antwort war ernüchternd, erklärt aber so manchen Missstand in dieser Republik: „Die Ableistung des Amtseides zieht keine rechtlichen Konsequenzen nach sich: weder kommt eine strafrechtliche Verfolgung bei Verletzung einer durch den Eid übernommenen Verpflichtung in Frage, noch hat die Vereidigung Auswirkungen auf die Begründung oder Ausgestaltung des Amtes. Sie dient allein der Feierlichkeit und Öffentlichkeit des Versprechens.“
Auf gut Deutsch heißt das: Die Amtsinhaber können machen, was sie wollen, sind an ihr Amtsversprechen nicht gebunden und können bei Verstoß auch nicht belangt werden. Es wird nur deshalb geleistet, damit das Volk glaubt, die Amtsinhaber müssten in unser aller Interesse handeln. Welchen verbindlichen Wert also hat dieser so wortgewaltige Eid, der beliebig gebrochen werden kann? Er ist Augenwischerei, mehr nicht. Weiß man das, braucht man sich über manche Handlungen unserer Volksvertreter nicht mehr zu wundern. Aufwachen, deutscher Michel!

Martin B. (Namen und Adresse bekannt)
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Kann man sich eine perversere Situation vorstellen, mit der das Volk derart getäuscht und permanent belogen wird? Wohl kaum. Das sollte jeder bei kommenden Wahlen in D berücksichtigen. Bitte den Leserbrief verbreiten!!

Gravatar: Elmar Oberdörffer

@ Freigeist: Jeder private Besitzer eines Bargeldvermögens (einschließlich Kapitallebensversicherungen, Schuldverschreibungen etc.) kann durch eine solche Umschichtung sein Vermögen vor der unausweichlichen Abwertung des EURO retten und sollte das auch möglichst schnell tun. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, und den letzten beissen die Hunde.

Gravatar: Freigeist

Eine Umschichtung in Gold oder Silber oder in Schweizer Franken ist, aufgrund der gewaltigen Summen, nicht möglich.

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