Entwicklungshilfe und ihre Folgen

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Anfang der neunziger Jahre erschien ein von Thomas Bierschenk und Georg Elwert herausgegebener Sammelband „Entwicklungshilfe und ihre Folgen“ mit sozialwissenschaftlichen und sozialanthropologischen Beiträgen über die Auswirkungen der Entwicklungshilfe in Afrika. Die Beiträge und Betrachtungsweisen von damals, die sich weitgehend auf Erkenntnisse der Feldforschung stützen, sind auch heute noch richtungweisend und verdienen eine erneute Betrachtung. Die Autoren gingen davon aus, dass Entwicklungshilfe in Afrika nicht nur ein Einflussfaktor unter vielen ist, sondern „dass Entwicklungshilfe seit mindestens drei Jahrzehnten zu einem konstituierenden Bestandteil der gesellschaftlichen Verhältnisse in vielen Ländern Afrikas geworden ist; ihre Bedeutung für den gesellschaftlichen Prozess kann kaum hoch genug eingeschätzt werden.“ In den 1970er und 1980er Jahren machte der offizielle Mittelzustrom aus der Entwicklungshilfe etwa die Hälfte der Bruttoinvestitionen und des Importvolumens der Empfängerländer aus. Die Bedeutung der Entwicklungshilfe für den Staatshaushalt der Empfängerländer kam in ihrer Bedeutung der der Einahmen aus Steuern und Zöllen gleich oder übertraf diese sogar.

Die Entwicklungshilfe war mit dem Anschwellen der öffentlichen Beschäftigung auf Kosten der privatwirtschaftlichen Beschäftigungsverhältnisse verbunden. In Benin etwa verdoppelte sich die Zahl der Beschäftigten von 20.000 auf 50.000 innerhalb von 10 Jahren zwischen 1980 und 1990. Die Entwicklungshilfe spielte deshalb eine große Rolle bei der Festigung der Macht der Staatseliten, die durch Projekte, die aus den Mitteln der Entwicklungshilfe finanziert wurden, Legitimation gewinnen konnten. Die Entwicklungshilfe schuf „nicht nur die Möglichkeit der Verselbstständigung dieser sich rapide ausweitenden staatsbürokratischen Klasse.“ Sie sei auch ein „wesentlicher Faktor der Verankerung einer klientelistischen Logik in den sozialen Beziehungen innerhalb diese Klassen, zwischen dem Staatsapparat und der Bevölkerung sowie zwischen Gebern und den Vertretern der Staatsklasse.“

 

Die Motive der Entwicklungshilfe sind oft andere als die, die als normative und ideologische Begründungen vorgetragen werden. Zum einen gehe es um die Gewinnung der politischen Unterstützung „altruistischer Wählerstimmen“, deren eurozentrische Betrachtungsweisen bestätigt werden müssten. Dann erfüllt die Entwicklungshilfe in Form der Scheckbuch-Diplomatie die Funktion, politische Bündnispartner zu unterstützen, was in früheren Jahrhunderten unter dem Begriff „Subsidien“ geschah. Zu dem sei es ein methodischer Fehler von einem holistischen Gesellschaftsbegriff auszugehen und zu meinen ein Entwicklungsprozess in einem Dorf oder einer Region würde der Gesamtgesellschaft zu Gute kommen. Die Autoren betonen die Heterogenität der Interessen innerhalb der einheimischen Gesellschaft. Auch Entwicklungshilfe würde Gewinner und Verlierer hervorbringen.

Durch die Mittelzuflüsse aus der Entwicklungshilfe veränderte sich die Sozialstruktur der Nehmerländer: „Entwicklungshilfe bedeutet vor allem die Infusion von Geld in laufende gesellschaftliche Prozesse.“ Die Durchsetzung von Entwicklungsprojekten fördere die Entstehung eines „Kommandostaates“, der sich lokaler Vermittler bedient, um seine Ziele vor Ort durchzusetzen. Diese administrativen Interventionen von außen hat zahlreiche unintendierte Konsequenzen zur Folge, denn wie die Autoren richtig feststellten: „Jede Gesellschaft, auch die scheinbar einfachste Wildbeuterkultur, ist ein ausgesprochen komplexes Ganzes. Die Vielfalt ihrer Rückkopplungs- und Selbstbezugsmechanismen macht es praktisch unmöglich, Entwicklungen aufgrund von schablonenhafter Anwendung mechanischer Entwicklungsmodelle vorherzusagen.“ Dem stellen die Herausgeber das Modell der „endogenen, eigenständigen Innovation“ gegenüber. Diese bringe bei entsprechenden Rahmenbedingungen eine Vielzahl von Variationen von Lösungsansätzen hervor, aus denen dann zur Selektion einzelner, erfolgreicher Lösungsansätze komme.

In seiner Analyse der Entwicklungshilfeorganisationen stellte Philip Quarles van Ufford fest, obwohl eine Flut kritischer Studien sich mit der Arbeit der Entwicklungshilfeorganisationen auseinandersetze, habe dies weder zu einer grundsätzlichen Überarbeitung der Konzepte und Strategien noch überhaupt zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung über diese Kritik bei den betreffenden Organisationen geführt. Er analysierte die Entwicklungshilfeorganisationen als Bürokratien mit den typischen Funktionsweisen und Widersprüchen von Bürokratien. Der Aufbau von Entwicklungsbürokratien gehe in der Regel von einer Effizienz bürokratischer Verfahren aus und der Möglichkeit eine entwicklungspolitische Linie vom Zentrum aus in der Peripherie durchzusetzen. Entscheidend sei jedoch weniger die Frage, was ist Entwicklung, sondern wer bestimmt konkret über den Zugang zu Geldern. Dabei gehe es schließlich nur sekundär um die nach außen proklamierten Ziele als vielmehr um das Eigeninteresse der Entwicklungsorganisationen, die ihre Identität pflegen und ihren Mittelzufluss sicher stellen muss. Die Kette von Organisationen und Organisationsebenen führe zu „mangelnder Übersicht und Koordination, Unkenntnis darüber, was anderswo passiert.“ Nicht die Effektivität der Arbeit stehe im Mittelpunkt, sondern die Fähigkeit der Organisationsspitze die Geldgeber von der Notwendigkeit der Bereitstellung neuer Finanzmittel zu überzeugen. Diese Überzeugung sei im Wesentlichen von normativen und ideologischen Argumenten geprägt und habe mit den praktischen Erfahrungen vor Ort und den Bedürfnissen der Empfängerländer wenig zu tun.

Das unterstreicht auch die Feldforschung von Edward Graham Norris, der der Entwicklungshilfe vorwarf, nicht aus ihren Fehlern zu lernen. In Togo arbeiteten 23 getrennte Entwicklungsprojekte daran, den einheimischen Bauern den Pfluganbau mit Ochsenkraft nahe zu bringen, von denen keines von Erfolg gekrönt war. Keinem der zuständigen Verantwortlichen war bekannt, dass solche Versuche bereits zur Zeit der deutschen Kolonialherrschaft versucht worden und gescheitert waren, ebenso wie der nächste Anlauf unter der französischen Oberhoheit einige Jahrzehnte später. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die gängige wirtschaftshistorische Literatur auszuwerten, in Archiven nachzuforschen oder auch den Blick in andere afrikanische Staaten zu richten, in denen diese Anstrengungen ebenfalls gescheitert waren.

Der Beitrag von Gerd Spittler untersuchte die Reaktionen der Einwohner der Sahelzone auf Dürrekatastrophen. Er betonte, es sei falsch die Bewohner dieser Weltregion nur als hilflose, passive Opfer zu beschreiben. Er arbeitete heraus, dass die traditionelle Kultur der einheimischen Bevölkerung Institutionen und Reaktionsmuster geschaffen hatten, um mit der wiederkehrenden Herausforderungen der Dürre umzugehen. In guten Zeiten werden Überschüsse angehäuft, um sie in schlechten Zeiten abzutragen. Durch räumliche Mobilität wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Klimaschwankungen zum Teil von Ort zu Ort variieren. Die Diversifizierung der Wirtschaftsaktivitäten durch Gartenbau, Karawanenhandel, Ziegen- und Kamelhaltung war eine zusätzliche Strategie auf klimatische Schwankungen zu reagieren. Ebenso antizyklische Wirtschaftsaktivitäten etwa durch zeitliche Verzögerung des Karawanenzyklus. Eine gute Vorjahresernte führt dann zu einer höheren Lebensmittelzufuhr in schlechteren Jahren und eine schlechte Vorjahresernte zu einer schlechteren Lebensmittelzufuhr in guten Zeiten.

Der Staat in seiner kolonialen und seiner postkolonialen Form war bei der Bewältigung dieser Hungerkrisen nur begrenzt hilfreich. Die Steuereintreibung wurde in der Regel auch bei Beginn der Dürrekrisen erst einmal fortgesetzt. Die Verstaatlichung des stammeseigenen Weidelandes führte dazu, dass dieses nun für jeden Hirten zugänglich war. Die Folge dieses Abbaus zuzuordnender Eigentumsrechte war, dass die Pflege des Landes zusehends verfiel. Die Bemühungen der Regierungen zur Sesshaftwerdung, behinderte die räumliche Mobilität, die einer der wichtigsten Faktoren war, um auf Krisen schnell und flexibel reagieren zu können. Spittler beschreibt nun wie durch die gezielte Hilfe zur Überwindung extremer Hungerkatastrophen zwar dem Elend die Spitze genommen wurde, aber zugleich die Mechanismen traditioneller Krisenbewältigung außer Kraft gesetzt wurden. Dieses Vorgehen war gekennzeichnet durch Unkenntnis und mangelndes Interesse an den einheimischen Sozialstrukturen und Lösungsansätzen. Besonders scharf ist die Kritik an der Praxis die Menschen in den Dürreregionen in Lagern zu konzentrieren. In ihnen werden die Flüchtlinge aus ihren traditionellen Bindungen gelöst und die überlieferten Wirtschaftsbeziehungen werden gekappt. Die Betroffenen werden vollkommen abhängig, von der zentralisierten Zuteilung von Nahrung und anderen Gütern. In ganz Afrika hätte humanitäre Hilfe in Lagern „Gesellschaften am Tropf“ hervorgebracht. Die Selbstorganisation der Gesellschaft breche einhergehend mit der Aufenthaltsdauer schließlich zusammen und die Einwohner der betreffenden Klimazonen werden dauerhaft von Hilfslieferungen abhängig.

Der Sammelband zeigt eine Problematik, die nach wie vor aktuell ist, wie u. a. auch der Erfolg des Buches von „Dead Aid“ der Ökonomin Dambasia Moyo zeigt.

Literatur:

Thomas Bierschenk, Georg Elwert (Hg.): Entwicklungshilfe und ihre Folgen. Ergebnisse empirischer Untersuchungen in Afrika, Frankfurt a. Main 1993

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Elmar Oberdörffer

Die Entwicklungshilfe in ihrer jetzigen Form ist für die Bürger der Geberländer, von deren Steuern sie ja genommen wird, vergeudetes Geld, da sie ihren Zweck nicht erfüllt. Für die Empfängerländer ist sie schädlich, da sie nur die Machtposition der Politkaste zementiert.

Gravatar: Templarii

Tja,

es wird einfach etwas ignoriert.. Und zwar ein "Tabu".

Der Durchschnittsiq der Bewohner von Haiti ist bei 69. In fast ganz Afrika ist das genau so.

Man wird es ihnen nicht beibringen können. Vor Gott sind die Menschen zwar gleich, aber nicht vor dem "Wirtschaftsgott" oder dem "Wohlstand-für-alle-Gott".

Demut ist angebracht und nicht Gott spielen..

Templarii

Gravatar: Volker Seitz

Es ist sehr verdienstvoll von Herrn Bökenkamp erneut auf den Thomas Bierschenk und Georg Elwert herausgegebenen Sammelband "Entwicklungshilfe und ihre Folgen" hinzuweisen. Manche Bücher veralten eben nicht.Das Buch wäre es wert in einer preiswerten Taschenbuchausgabe mehr Lesern zugänglich gemacht zu werden.
Es fehlt nach meinen langjährigen Erfahrungen beim BMZ, GIZ etc. immer noch an inhaltlichen Auseinandersetzungen und an der Bereitschaft an aus Fehlern zu lernen.Ich habe immer eine kontinuierliche Überprüfung der Ergebnisse und Methoden der Hilfe vermisst.
Eine Frage wie "Welche Hilfsorganisation hat sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, in einem überschaubaren Zeitraum nicht mehr zu existieren?" wird als subversiv empfunden.Beruht die Arbeit der Helfer nicht auf einer Selbsttäuschung? Haben denn alle die besondere Kompetenz, um den Afrikanern zu helfen sich aus der dauerhaften Abhängigkeit von ausländischen Beistand zu befreien?
Volker Seitz, Autor "Afrika wird armregiert" März 2011

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