Elektromobilität: Zukunftsangst gegen Innovation

Im Verlauf jeder wirtschaftspolitischen Diskussion gelangt man an den Zeitpunkt, an dem sich jemand mit dem Satz zu Wort meldet: „Aber wir müssen uns doch mal überlegen, wo wir in zwanzig Jahren sein wollen!“ Müssen wir? Können wir? Sollten wir?

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Es mag Zusammenhänge geben, in denen dieser Ansatz sinnvoll ist. Wenn man als Privatperson eine Immobilie finanziert oder auch, wenn Politik über grundlegende Rechtssetzungen nachdenkt. Aber in Bezug auf Innovationen ist diese Art zu Denken nicht nur nicht hilfreich, sondern kontraproduktiv. Innovationen finden in der Gegenwart statt, nicht in der Zukunft. Sie sind Objekte des Hier und Jetzt. Je nach Branche ist das „Hier und Jetzt“ natürlich dehnbar. Manche müssen die nächste Produktgeneration, die nächste Neuheit in Monaten präsentieren, manchen genügen ein, zwei oder drei Jahre und einige wenige denken tatsächlich in Jahrzehnten.

Der Satz oben aber stellt eine Metapher dar, die nicht nur meint, gleich mehrere Produktgenerationen im Voraus, sondern gar eine Art endgültiges Ziel festlegen zu müssen. Die Motivation verdeutlichen diverse synonyme Formulierungen, in denen die Aussage ebenfalls angeboten wird. „Wenn wir jetzt nicht in diese oder jene Richtung aufbrechen, werden wir in zwanzig Jahren vor großen Problemen stehen!“ heißt es dann beispielweise. Furcht treibt die Protagonisten der politischen Sphäre, die die technische Entwicklung steuern wollen. Klima- und Umweltkatastrophen, Rohstoffknappheit oder auch der demographischer Wandel sind prominente Angstszenarien, mit denen staatliche Eingriffe in den Markt und damit in Innovationsprozesse begründet werden. Von der Förderung der vorwettbewerblichen Entwicklung über die Subventionierung von Produkten bis hin zu Regulierungen und Verboten wird gegenwärtig das gesamte Portfolio der verfügbaren Maßnahmen eingesetzt, um heute schon festzulegen, mit welchen Technologien auf welche Weise die Menschen ihre Bedarfe in ferner Zukunft erfüllen sollen.

Energiewende und insbesondere die Elektromobilität (quasi die „Energiewende im Mobilitätssektor“) bieten hierfür schöne Beispiele. Nur steckt hinter dem planerischen Ansatz ein schwerer Denkfehler, durch den das Gegenteil des Angestrebten erreicht wird. Ganz gleich, ob die vielen Zukunftsängste berechtigt sind oder nicht, weder werden alternative Energieerzeugungsmethoden noch das batteriebetriebene Fahrzeug von dem Wirken ihrer Helikoptereltern in Parlamenten und Regierungen profitieren. Um sich über einen wettbewerblich orientierten Handel als einzig möglichem Weg verbreiten zu können, müssen Innovationen einen Anfangsvorteil gegenüber dem Stand der Technik aufweisen. Die staatliche Bemutterung nimmt ihnen die Chance, einen solchen zu entwickeln.

Um dies näher zu begründen, möchte ich ähnlich wie im Vorläufertext in die Vergangenheit reisen. In die Jungsteinzeit, um genauer zu sein. An den Zeitpunkt, an dem sich unser Stamm aus Speerkonstrukteuren und Jägern der Landwirtschaft zuwandte. Dies ist bis heute eine der rätselhaftesten Epochenwendungen der Menschheitsgeschichte. Denn die fortgeschrittenen Jäger und Sammler der damaligen Zeit verfügten ja über alles, was sie benötigten. Vor allem über viel Muße, da sie wahrscheinlich nur wenige Stunden am Tag für die Nahrungssuche aufzuwenden hatten.

Natürlich ermöglicht die Landwirtschaft bezogen auf die bewirtschaftete Fläche weit mehr Erträge, als jagen oder sammeln. Sie kann daher eine weit größere Bevölkerung versorgen. Wenn man sie beherrscht und effektiv durchführt. Das aber ist von den ersten Landwirten der Geschichte kaum anzunehmen. Es standen nur einfache Grabstöcke für die Bodenbearbeitung zur Verfügung. Auch konnte man zunächst lediglich mit Wildpflanzen und deren geringen Potentialen experimentieren. Die Domestizierung von Rindern, Schafen, Schweinen und Ziegen bedurfte ebenfalls der Züchtung über viele Generationen, über Jahrhunderte und Jahrtausende. Die neue Technologie war von der erreichten Perfektion der Jagd nicht nur sehr weit entfernt, sondern sogar mit erheblichen Nachteilen verbunden. Allein der zeitliche Aufwand und die anstrengende körperliche Arbeit: Stunde um Stunde in unbequemer Körperhaltung zuzubringen erzeugte Fehlbildungen im Knochenbau, wie man an entsprechenden Funden nachweisen kann. Die Ernährung entwickelte sich von Vielfalt zu Einfalt und dies schwächte zusätzlich das Immunsystem. Krankheiten, auch begünstigt durch die hygienischen Umstände des engen Zusammenlebens vieler Menschen und Tiere, wurden ein besonders großes Problem. Heute ist klar: Die ersten Bauern lebten weit ungesünder und starben viel früher, als ihre noch in der Jäger- und Sammlerkultur verhafteten Nachbarn.

Vor diesem Hintergrund kann man sich nun ausmalen, wie der Häuptling seine Leute zusammentrommelt und ihnen eröffnet, das mit der Jagd sei nun Vergangenheit. Ab sofort würden Felder angelegt und bearbeitet. Weil nämlich der „Rat der Ältesten“ in Sorge sei. Der Stamm sei zu stark gewachsen (aufgrund der guten Versorgungslage). Wenn man nicht umsteuere, dann würden die Nachfahren „in zwanzig Jahren“ hungern. Man solle also lieber jetzt mit dem Verzicht beginnen. „In zwanzig Jahren“ sei die Landwirtschaft dann weit genug, um alle wieder zu ernähren.

Abstrus? Allerdings. Nur leider sind exakt solche Prozesse Teil unserer Gegenwart. Unser Häuptling ist die Bundeskanzlerin. Unser „Rat der Ältesten“ schimpft sich WBGU und propagiert die „Große Transformation“. Beide gemeinsam fordern uns auf, jetzt Elektromobile statt Benzin- oder Dieselfahrzeuge zu kaufen, damit uns nicht „in zwanzig Jahren“ der Himmel auf den Kopf falle. Und außerdem sei ja dann „in zwanzig Jahren“ die Elektromobilität gut genug entwickelt, um wirklich wettbewerbsfähig zu sein. Es mag einige wenige Kunden geben, die Dinge deswegen kaufen, weil sie kein anderer hat. Die weitaus meisten aber werden das Neue nur erwerben, wenn es einen über den etablierten Stand der Technik hinausgehenden Nutzen aufweist. Batteriefahrzeuge haben derzeit klare Nachteile. Der mit der Reichweite mag sich „in zwanzig Jahren“ technisch lösen lassen. Der Mangel an Flexibilität (Ladezeit der Akkumulatoren) kann vielleicht nie überwunden werden. Aber welcher Endkunde kauft heute ein Elektrofahrzeug, um damit eine Weiterentwicklung zu finanzieren, die ein besseres Angebot für seine Nachkommen ermöglicht?

Auch unsere Vorfahren werden sich nicht vorausschauend auf das Abenteuer Landwirtschaft eingelassen und damit zunächst klare Nachteile in Kauf genommen haben. Ohne einen Anfangsvorteil hätte es die neolithische Revolution nicht gegeben.

So mag die Domestikation des Wolfes als Jagdgefährte Anlaß gegeben haben, es auch mit anderen Tieren zu versuchen. Gewebte Stoffe sind bereits aus Zeiten lange vor dem Aufkommen der Landwirtschaft bekannt. Man hat vielleicht mit Pflanzenfasern begonnen, aber die Möglichkeit, hierfür auch die Wolle erlegter Wildschafe heranzuziehen, wird nicht lange ungenutzt geblieben sein. Dementsprechend scheint das Mufflon (verbreitet im Vorderen Orient), der Vorfahr aller unserer heutigen Hausschafe, die Nummer zwei auf der Liste der Haus- und Nutztiere gewesen zu sein. Einige Hirten werden als zusätzliche Einnahmequelle die Milch und aus ihr abgeleitete Produkte wie Käse entdeckt haben. Und andere werden produktiv genug gewesen sein, um Tiere auch schlachten und essen zu können, ohne den Bestand der Herde zu gefährden. Was schließlich den naheliegenden Plan induzierte, es auch einmal mit den Fleischlieferanten par Excellence zu versuchen, den (Wild-)Schweinen und dem Auerochsen, dem Urahn der Rinder.

Komplizierter wird die Erklärung für den Ackerbau. Immerhin galt es, einen bestimmten Teil der Pflanze, den Samen, als entscheidend zu identifizieren und sein Potential zu erkunden – beispielsweise hinsichtlich der erforderlichen Bodenqualität und der erforderlichen Pflege. Auch sind Wildpflanzen nicht besonders produktiv, ihr Fortpflanzungssystem und die Möglichkeiten, es zur Zucht geeigneterer Sorten einzusetzen, waren zu entschlüsseln. Vielleicht begann der Pflanzenanbau tatsächlich als Nahrungsquelle, aber eben nicht für die Menschen, sondern für die domestizierten Tiere. Eine weitere spannende Hypothese entwickelte der Evolutionsbiologe Josef Reichholf. In seinem Buch “Warum die Menschen seßhaft wurden” führt er aus, die Herstellung alkoholhaltiger Getränke könnte der entscheidende Impuls für die Kultivierung von Nutzpflanzen gewesen sein. Überreife Früchte und Beeren, in denen die alkoholische Gärung bereits eingesetzt hatte, mögen – ähnlich wie bei Tieren – die ersten Erfahrungen mit Trunkenheit ermöglicht haben. Worauf man zunächst eben diese Früchte und Beeren besonders pflegte, um alkoholhaltige Getränke in größerer Menge herzustellen. Auch ohne Kenntnis der chemischen Grundlagen kann experimentelles Vorgehen die Optimierung des Prozesses und den Übergang zu Getreiden als Grundlage für die steinzeitlichen Äquivalente von Schnaps und Bier gelegt haben.

So wird die Entwicklung der Landwirtschaft schrittweise verständlich. Als eine Kette von Innovationen, von denen jede einzelne zum Zeitpunkt ihres Aufkommens einen spezifischen Nutzen aufwies. Der mit dem letztendlichen Ergebnis, mit Brot, überhaupt nichts zu tun hatte.

Auch das Automobil begann als Nischenprodukt. Als unpraktisches Faszinosum (“Kutsche mit Motor”), mit dem zunächst nur “Rennen” (kaum schneller als Fußgänger) möglich waren. Alte Werbung aus der Zeit um 1900 zeigt den Schritt zum Luxusprodukt für die Zielgruppen “herrschaftliche Dame” (natürlich mit Chauffeur)  und “sportlicher Herrenfahrer”. Aus dem sonntäglichen Ausritt wurde die sonntägliche Ausfahrt. Der Weg zum Massenprodukt zur Erfüllung von Mobilitätsbedarfen nahm mehr als dreißig Jahre in Anspruch.

Von Beginn an standen elektrischer Antrieb und Verbrenner im Wettbewerb miteinander. Den letzterer für sich entschied. An den Ursachen dafür (Flexibilität und Reichweite) hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert. Der Erfolg batteriebetriebener Fahrzeuge kann daher heute wie damals nur in der Nische gelingen. Als Entwickler sollte man sich fragen, welche spezifischen Möglichkeiten ein elektrischer Antrieb bietet, um ihn zumindest einem begrenzten Kundenkreis schmackhaft zu machen. Wo könnte der Anfangsvorteil denn liegen?

Die besondere Beschleunigungsdynamik legt eine Platzierung als sportliches Lifestyleprodukt im Luxussegment nahe. Was gleichzeitig die im Vergleich zu konventionellen Autos höheren Anschaffungskosten relativiert. Das Geschäftsmodell der Firma Tesla könnte also tatsächlich funktionieren, obwohl man dort noch immer rote Zahlen schreibt. Die Wiederholung der Taktik der Automobilhersteller aus der Anfangszeit wird es aber wieder nur gestatten, sich in der Nische dauerhaft zu etablieren.

Die Frage nach Bereichen, in denen Elektromobilität schon heute beliebt ist, führt schnell zu Flurförderfahrzeugen wie Gabelstaplern. In der Intralogistik gibt es sicher noch Möglichkeiten, man denke an landwirtschaftliche Betriebe. Da ist dann weniger das Fahrverhalten von Bedeutung, sondern die lokale Emissionsfreiheit (Indoor-Betrieb) und natürlich das geringere Motorgeräusch. Vorstellbar wäre im nächsten Schritt auch ein Einsatz in Baufahrzeugen. Auf Reichweite kommt es bei diesen – wie bei Staplern – schließlich nicht an.

Klein und leicht können Elektromotoren sein. Sie benötigen nur eine Stromversorgung mit Kabeln – und eben kein kompliziertes System aus Schläuchen, die verschiedene Flüssigkeiten transportieren. Dies schafft völlig neue Möglichkeiten im Luftverkehr – man denke an Drohnen, oder auch an leichte und ultraleichte Fluggeräte wie den Volocopter.

Und selbst im Straßenfahrzeug ließen sich diese Möglichkeiten nutzen. Bei der Verwendung von Radnabenmotoren bestünde völlige Freiheit in der Gestaltung von Karosserie und Chassis. Wie wäre es mit morphenden Fahrzeugen, deren äußere Gestalt sich der aktuellen Nutzung anpaßt? Flach und windschnittig auf der Autobahn, erhöhte Fahrerposition für den besseren Überblick in der Stadt?

Es gibt also viele Möglichkeiten, mit Batteriefahrzeugen am Markt erfolgreich zu sein. Wer in der Elektromobilität aber nur ein Instrument zur Weltrettung sehen mag, darf man sich nicht wundern, wenn diese nicht genutzt werden. Innovationsprozesse politisch zu lenken bedeutet immer, durch eine fehlgeleitete Allokation von Ressourcen auf viele Optionen zu verzichten, um einige wenige zu erzwingen. Wer Elektromobilität wirklich will, sollte gegenteilig handeln. Technologieoffenheit in der vorwettbewerblichen Förderung und Deregulierung in allen denkbaren Nutzungssegmenten wären mal ein guter Beginn.

Auf den Satz „Aber wir müssen uns doch mal überlegen, wo wir in zwanzig Jahren sein wollen!“ entgegne ich immer: „Das überlegen wir uns dann in zwanzig Jahren – und keinen Tag früher.“ Denn Innovation kann nicht erzwungen werden. Schon gar nicht durch geplante Rückschritte, auch wenn diese als temporär gedacht sind.  Der Markt weiß um die gegenwärtigen Möglichkeiten und er wird nichts akzeptieren, was hinter diesen zurückbleibt. Eine Innovation als neues, marktfähiges Produkt ist im Hier und Heute erfolgreich, weil sie einen unmittelbaren, über den Stand der Technik hinausgehenden Nutzen für eine bestimmte Zielgruppe aufweist. Sie ist nicht erfolgreich, wenn sie einen solchen nur hypothetisch für irgendeine Zukunft versprechen kann. Die Jäger und Sammler der Jungsteinzeit haben die Landwirtschaft nicht akzeptiert, weil sie die Hoffnung auf Brot hatten. Sie haben wohl eher den Drogenanbau forciert, weil der Bedarf nach dem Rauscherlebnis sofort erfüllt werden konnte.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Andreas Schneider

Ein lesenswerter Beitrag, der den ganzen Schwachfug auch einem Laien plastisch vor Augen führt.

Gravatar: Hans Meier

Ich hab neulich schon mal zu den Elektro-Auto-Visionen kommentiert:

Die „Elektro-Mant(r)a-Fahrer“ haben eben, nicht wie früher einen
„Fücks-Schwanz“ an der Antenne, sondern mittlerweile einen
schicken „Klima-Retter-Puschel“ am Stecker und ein Co-2-Problem
an der Waffel.
Die Lachnummern mit unserer „Klima-Kanzlerin“, die dem Wettbewerb
einer Marktwirtschaft, als Marxismus-Leninismus studierte
Akademikerin, offenbar nichts zutraut und darum neben der albernen
„Energie-Wende“ nun auch noch die „Elektro-Trabis“ als
nächsten Klima-Clou für wichtig erklärt, erschließen sich den
Öko-Klima-Schildbürgern einfach nicht.

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