Elektromobilität? Fliegen ist schöner…

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Zwischen der biologischen und der technischen Evolution besteht eine Gemeinsamkeit. Wie jedes neue physiologische Merkmal einen Anfangsvorteil aufzuweisen hat, soll es sich denn in einer Population durchsetzen, gilt dies auch für eine Innovation und ihren Markt. Während in dem einen Fall der Effekt auf die Fortpflanzung entscheidend ist, hat man in dem anderen die Bedarfe der potentiellen Nutzer zu beachten. Mobilität ist offensichtlich ein wichtiges Bedarfsfeld. Menschen müssen sich und ihre Güter bewegen können, um mit ihrer Arbeitskraft, ihren Produkten, ihren Gedanken und Ideen Handel mit anderen treiben zu können. Mobilität ist eine Basis des Austausches auf allen Ebenen in jeder Hinsicht. Des Austausches, der am Ende Wohlstand schafft und sichert und damit auch – hier schließt sich der Kreis – rein biologisch gesehen zum Fortpflanzungserfolg beiträgt.

Das Konzept “Fahrzeug”

Auf seinen zwei Beinen kann der Mensch grundsätzlich jeden Punkt der Landfläche seines Planeten erreichen. Von geeigneter Kleidung über Bergsteigerausrüstung bis hin zu Booten sind mitunter einfache Hilfsmittel erforderlich, aber bereits in der Steinzeit, noch ohne Pferde oder Segelschiffe, gelang es dem Homo Sapiens (mit Ausnahme der Antarktis) auf allen Kontinenten in allen Klimazonen heimisch zu werden. Natürlich hat es seine Zeit gedauert. Natürlich sind Wanderungen über lange Strecken mühsam und gestatten nur leichtes Gepäck. Hier erkennt man die Bedarfe, die Fahrzeuge aller Art erfüllen müssen: Es geht darum, schneller voran zu kommen und mehr transportieren zu können. In dem Zieldreieck Flexibilität – Geschwindigkeit – Kapazität zeigt sich aber der Nachteil aller Verkehrssysteme: Nichts ist so flexibel wie der Mensch selbst. Selbst Pferde sind weniger geländegängig und in Dschungeln, Wüsten oder den polaren Regionen kaum einsetzbar. Moderne Maschinen sind ausnahmslos an Infrastrukturen gebunden. Straßen oder zumindest halbwegs taugliche Wege, Schienen, Häfen, Flugplätze und Flugleitsysteme können als Beispiele angeführt werden. Trotzdem erfüllen Automobile, Eisenbahnen, Flugzeuge und Schiffe ihren jeweiligen Zweck. Es gibt den Individualverkehr für hohe Flexibilität, den Linienverkehr für hohe Geschwindigkeiten (oder auch geringe Kosten) und die Schiffahrt für hohe Kapazitäten. Jeder Bereich hat seine Vor- und Nachteile, jeder Bereich aber kommt spezifischen individuellen Bedarfen nach und hat daher seine Existenzberechtigung. Es ist daher wenig sinnvoll, den einen Sektor gegen den anderen aufzurechnen. Den berühmten ökologistischen Vergleich zwischen Bus und Flugzeug gewinnt immer das Flugzeug, denn welche Menge Treibstoff würde ein Bus benötigen, der tausend Kilometer in der Stunde zurücklegt?

Der Weg der Innovation

Die Optimierung, die Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand zu Nutzen, findet innerhalb der einzelnen Verkehrsmodi statt. Fahrzeuge werden immer besser. Aber was bedeutet “besser” in diesem Fall? Hinsichtlich der entscheidenden Eigenschaften Flexibilität, Kapazität und Geschwindigkeit unterscheiden sich heutige Eisenbahnen kaum von denen vergangener Jahrzehnte. Bei Flugzeugen und Automobilen ist es ähnlich. Sicher hat es bedeutende Fortschritte in der Effizienz gegeben, auch der Komfort ist mitunter gestiegen (wiewohl man bei Zügen und Jets da geteilter Meinung sein kann). Zusatzfunktionen wurden integriert, Sicherheit und Robustheit verbessert. Schiffe zumindest haben deutlich an Kapazität zugelegt. Aber das ist eine simple Skalierung, wie man sie bei Fliegern wie dem A380 oder Transportfahrzeugen wie dem Gigaliner eben auch findet. Ein technischer Durchbruch verbirgt sich dahinter nicht. Es bleibt zu konstatieren: Die technischen Prinzipien, die heute im Fahrzeugbau eingesetzt werden, sind hinsichtlich ihres Nutzens ausgereift. Will man den Nutzen weiter steigern, erhöht sich automatisch auch der Aufwand. Natürlich kann man leistungsstarke Autos mit sehr hohen Spitzengeschwindigkeiten und Beschleunigungswerten konstruieren. Sicher ist es theoretisch möglich, auch ein Wohnmobil mit 500 oder mehr km/h zu bewegen. Nur: Was würde das kosten? Sportwagen sind eben Nischen- bzw. Luxusprodukte, zur Erfüllung alltäglicher Mobilitätsbedarfe nutzt sie kaum jemand. Natürlich kann man sich Super-Hochgeschwindigkeitszüge ausmalen und Überschall-Transportflugzeuge. Aber wäre deren Betrieb auch wirtschaftlich? Das Beispiel Concorde lehrt: Eher nein.

Innovation bedeutet, durch die kompromisslose Auflösung technischer Widersprüche den Nutzen bei gleichzeitiger Aufwandsminimierung zu steigern. Das gelingt in der Regel nur durch die Verwendung eines neuen technischen Prinzips. Bei Flugzeugen könnte man auf Staustrahl- oder Raketentriebwerke umsteigen, bei Eisenbahnen auf die Magnetschwebetechnik und bei Schiffen auf den Bodeneffekt. In jedem Fall ergäbe sich eine deutliche Erhöhung des Nutzens oder gar eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten. Raketenflugzeuge wären bei Geschwindigkeiten im niedrigen Überschallbereich nicht nur effizienter, sie könnten auch weit höhere Spitzengeschwindigkeiten erreichen, als mit Turbinen jemals möglich wären. Vom Vorstoß in den Weltraum ganz zu schweigen. Bei Magnetschwebebahnen ist es ähnlich. Schiffe könnten im Bodeneffekt so schnell wie sonst nur Kleinflugzeuge über das Wasser rasen und würden dabei kaum mehr Sprit verbrauchen, als bei der herkömmlichen, langsamen Verdrängerfahrt.

Was aber macht man mit dem Auto?

Vielen gilt das batteriebetriebene Elektrofahrzeug als das technische Paradigma der Zukunft. Ein Irrtum. Denn auch ein Batteriemobil liefert letztendlich keinen höheren oder anderen Nutzen, als ein konventionell betriebenes Fahrzeug. Im Zieldreieck aus Flexibilität, Kapazität und Geschwindigkeit kann es das sogar prinzipiell nicht, da helfen noch so viele Forschungsmillionen nicht weiter. Denn das technische Prinzip elektrochemischer Speicher hat physikalische Grenzen, die kein noch so kreativer Ingenieur aushebeln kann. Ganz im Gegenteil: Um überhaupt in Nischenbereichen erfolgreich sein zu können, muß ein Batteriefahrzeug dem Zustand der theoretisch erreichbaren Perfektion schon sehr nahe sein. Ein Produkt, dessen Marktfähigkeit erst im technischen Optimum halbwegs gegeben ist, hat nur ein verschwindend geringes Substitutionspotential. Das Elektroauto weist keinen Anfangsvorteil gegenüber vorhandenen Systemen auf und deswegen wird es sich – ohne künstliche, marktverzerrende Eingriffe – nicht durchsetzen.

Aber Halt! Eigentlich ist Elektromobilität doch eine clevere Idee. Ein Elektromotor hat einen weit besseren Wirkungsgrad als ein Verbrenner. Auch nimmt er weniger Bauraum ein und bringt – bei gleicher Leistung – weit weniger auf die Waage. Zwischen Batterie und Motor sind nur noch Kabel zu verlegen, keine Treibstoffschläuche oder ähnliches. Auch können Elektromotoren direkt in die Räder integriert werden, eine komplizierte mechanische Verbindung zwischen Motor und Achsen entfällt ebenso, wie ein aufwendiges Getriebe oder ein Abgassystem. Das alles spart nicht nur Gewicht, es senkt auch Kosten und eröffnet dem Fahrzeugdesign völlig neue Möglichkeiten. Außerdem denke man an den Lärm. Batteriefahrzeuge sind sehr, sehr leise. Von Beschleunigungsvermögen und Fahrdynamik mal ganz abgesehen.

Weniger Gewicht und Bauraum? Weniger Lärm? Neue Gestaltungsmöglichkeiten? Wo ergibt das alles besonders viel Sinn? Richtig: In der Luft.

Elektrisches Fliegen ist doch wohl ein Scherz, mögen einige Leser jetzt einwenden. Schließlich sind Flugzeuge typischerweise Langstreckensysteme. Sie benötigen so viel Energie für Start und Landung, daß sie erst bei Strecken ab mehreren Hundert Kilometern sinnvoll sind. Nur über weite Entfernungen können sie außerdem ihren Geschwindigkeitsvorteil ausspielen. Ein A 380, eine 747, betrieben mit einem Lithium-Ionen-Akkumulator? Nicht denkbar.

Man drehe die Betrachtung einmal um. Kann es sinnvoll sein, auch den Kurzstreckenverkehr in der Luft abzubilden? In Städten beispielweise, in denen überfüllte Nahverkehrssysteme und Blechlawinen auf den Straßen Mobilität zur Qual werden lassen? In denen der Lärm, die Abgase und Feinstaubemissionen von Straßenbahnen, Bussen, Autos und Lastwagen die Lebensqualität deutlich senken? In denen eine Fahrt von einem Ende zum anderen schon mal eine Stunde oder mehr beanspruchen kann? Man stelle sich vor, entlang der Luftlinie über all das hinwegfliegen und auf den Dächern der Hochhäuser oder auch auf speziell eingerichteten Terrassen nahe dem gewünschten Stockwerk landen zu können. Nicht nur Hamburger, Berliner oder Münchner würden sich darüber freuen. Sondern vor allem die Einwohner von Megazentren wie New York und Tokio, Peking und Mexiko City. Die Idee des “fliegenden Segway” ist nicht neu, keine Frage. Bislang scheiterten alle Konzepte dieser Art vor allem am Lärm, der turbinengetriebene Williams X-Jet beispielsweise (hier ein Video, hier zum Wikipedia-Eintrag) wäre in der Stadt kaum akzeptabel. Mit der Elektromobilität wird das nun anders.

Der Volocopter

Auf den ersten Blick scheint das Ding ziemlich phantasielos zu sein. Wenn ein Quadrocopter mit vier Motoren in die Luft gehen kann, hängt man einen Hubschrauber halt einfach an 18 von diesen auf, um zusätzlich noch das Gewicht von zwei Personen tragen zu können. Eine brachiale, wenig kreative Lösung. Bei näherem Hinsehen aber wird die besondere Idee dahinter deutlich: Jeder der 18 Elektromotoren kann einzeln angesteuert werden. Flugmanöver wie Start, Landung oder Richtungswechsel lassen sich über eine entsprechend intelligente elektronische Steuerung daher weitgehend automatisieren. Auf eine komplexe Steuerung über drei Achsen mit entsprechenden Klappensystemen kann vollständig verzichtet werden. Pedale gibt es auch nicht, der Nutzer hat nur noch eine Hand am Joystick:

Nach vorne nimmt er Fahrt auf, nach links und rechts fliegt er Kurven. Mit dem Daumen bewegt der Pilot den Höhenregler nach oben und unten zum Steigen und Sinken. Lässt der Pilot den Joystick los, dann hält der Volocopter von alleine die aktuelle Höhe und Position. [Zitat der Entwickler]

Simpler und einfacher zu erlernen kann eine Mensch-Maschine-Schnittstelle kaum sein. Auf immerhin bis zu 100 Stundenkilometer bringt es das neue Gefährt, bis zu zwei Personen (oder eine Person mit entsprechendem Gepäck) kann er in Höhen von bis zu 7000 Meter transportieren. Über die Reichweite gibt es keine genauen Angaben, die Entwickler sprechen von “vergleichbar einem Elektroauto”. Bei den heute verfügbaren Batteriesystemen scheint das realistisch, man kann also von mindestens 50, vielleicht sogar 100 km ausgehen (30 bis 60 Minuten Flugzeit).

volocopter

Seinen Erstflug hatte das Fahrzeug vor wenigen Tagen, am 17.11.2013. Flüsterleise. Das Sicherheitsniveau ist bereits heute sehr hoch. Bis zu vier Motoren dürfen ausfallen, um den Volocopter noch landen zu können. Und wenn alle Systeme sterben, kann er als Ultraleichtgerät auch einfach komplett am eingebauten Rettungsfallschirm zu Boden segeln.

Im Gegensatz zum Batterieauto zeigt der Volocopter, wie Fortschritt tatsächlich funktioniert. Innovationen lösen keine Probleme (schon gar keine erfundenen), Innovationen schaffen neue Möglichkeiten. Kann eine Technologie in einer bestimmten Anwendung nicht mehr leisten, als bereits etablierte Konzepte, ist es nicht sinnvoll, sie mit Abermillionen an Steuergeldern künstlich zu beatmen. Denn ohne erkennbaren Anfangsvorteil wird sie nicht überleben, sollte der politische Rückhalt wieder schwinden. Die Fördergelder sind dann verschwendet und Werte wurden vernichtet, statt neue zu schaffen.

Das ideologiebasierte Handeln der derzeitigen Wirtschaftsförderungspolitik ist seinem Wesen nach innovationsfeindlich. Es hilft einer Idee nicht, wenn man ihr Ziele vorgibt, die sie niemals erreichen kann. Das führt zwangsläufig zu Enttäuschung, Ernüchterung, Demotivation und am Ende gar einem Umschlag der öffentlichen Meinung ins Negative. Statt der Elektromobilität nicht vorhandene Fähigkeiten anzudichten, sollte man ihre  tatsächlichen Möglichkeiten rational identifizieren und ihren Einsatz dort unterstützen, wo diese wirklich wirksam werden können. In der Luft – und nicht auf der Straße.

Die Macht der Crowd

Zur Ehrenrettung der Politik bleibt anzumerken, daß das Volocopter-Projekt öffentliche Fördermittel erhalten hat. Die meisten Förderlinien sind auch weiterhin technologieoffen, obwohl sich Regierungen in vielen Bereichen einbilden, Richtung und Ergebnis von Innovationsprozessen determinieren zu können. Man denke neben Mobilität nur an das Thema Energie. Glücklicherweise ist das Internet nicht nur ein Instrument der demokratischen Teilhabe durch Kommunikation und Diskussion. Es ermöglicht seit kurzem auch jedem Bürger, selbst zu entscheiden, welche technischen Entwicklungen er als sinnvoll, als wünschenswert oder gar als förderwürdig ansieht. Crowdfunding, Crowdinvesting oder Crowdlending sind nur drei Schlagworte für Instrumente, mit denen die Demokratisierung der Wirtschaftsförderung vorangetrieben wird. Die Entwickler des Volocopter beispielsweise haben auf Startnext eine überaus erfolgreiche Crowdinvesting-Kampagnegestartet. Das ursprüngliche Ziel, eine halbe Million Euro von privaten Kleininvestoren einzusammeln, wurde in weniger als drei Stunden erreicht. Dies ist natürlich kein Aufruf, sich zu beteiligen. Ratschläge für Anleger gibt es auf Science Skeptical nicht. Dies ist nur der Hinweis auf einen wichtigen Faktor, den Obrigkeiten prinzipbedingt niemals in ihr Kalkül einbeziehen können: Menschen dürfen sich etwas wünschen. Ob sich viele Menschen ein Elektroauto wünschen, das gleiches leistet, wie ein Benziner oder Diesel, wurde noch nicht wirklich überprüft. Bekommen könnten sie ein solches ohnehin nicht. Daß sich viele Menschen den Individualverkehr in der Luft wünschen, daran allerdings kann jetzt kein Zweifel mehr bestehen. Und bekommen können sie ihn tatsächlich.

Beitrag erschien zuerst auf: scienceskeptical.de

 

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