Eine Wiederholung aus traurigem Anlass

Dieser Text erschien bereits im September 2014 auf der “Achse” zum 80. Geburtstag von Udo Jürgens.

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1970 war das Jahr, in dem sich die Beatles trennten und Elvis anfing, fett zu werden. Die Doors hatten ihre besten Zeiten hinter, Joe Cocker die seinen vor sich. Die anfangs heftig bekreischten Searchers waren längst Geschichte, auch viele andere Beat-Gruppen und Solo-Acts, welche seit den frühen Sechzigern den Musikmarkt aufgemischt hatten, etwa die Small Faces. In jenem Jahr klebten an den Litfaßsäulen der Bundesrepublik Plakate für die Konzerttournee „Udo ´70“, Nachname erübrigte sich. Es gab nur einen Udo. Jeder kannte seine Hits. „Warum nur, warum?“ „17 Jahr’, blondes Haar.“ „Mercie, Chérie.“ Aber, lag das nicht vier, fünf Jahre oder länger zurück, in grauer Schnulzenvergangenheit? Udo ´70? Was haben wir gelacht!

Wie man heute weiß, war das voreilig. Der Komponist, Pianist und Sänger Jürgen Udo Bockelmann alias Udo Jürgens, ab 1959 erfolgreich im Geschäft, 1966 Sieger beim Grand Prix Eurovision de la Chanson, drehte in den Siebzigern erst richtig auf. Gold- und Platinplatten, rappelvolle Hallen, Tourneen bis nach Australien. Über 100 Millionen Tonträger hat Jürgens in seiner langen Karriere verkauft. Unter seinen mehr als 1000 Kompositionen waren auch welche für Weltstars wie Shirley Bassey und Frank Sinatra.

Mit „Griechischer Wein“ und „Ein ehrenwertes Haus“ (geschrieben von dem genialen, für linksliberale Zeitgeistvibrationen empfänglichen Texter Michael Kunze) gelangen ihm sogar Ohrwürmer, denen eine gewisse „gesellschaftskritische Relevanz“ nachgesagt wurde. Einmal wagte Jürgens den Ausflug ins Wertkonservative. „Ist das nichts?“ war eine Art Kopfwäsche für die No-future-Jammerlappengeneration. Bei der Kritik kam sie nicht gut an, versteht sich. Alles in allem aber waren dem Udo seine semipolitischen Balladen ziemlich wichtig. Denn natürlich wollte er zumal in seinen reiferen Jahren mehr sein als ein reicher, berühmter, Bentley fahrender Schlagerfuzzi, der mit seinen Frauengeschichten die Klatschpresse fütterte.

Ebenso natürlich, dass er aus der Schmachtschublade lange nicht rauskam. Obwohl er für „Griechischer Wein“ vom damaligen griechischen Ministerpräsidenten Karamanlis in Athen geehrt wurde, Bing Crosby und Al Martino seinen Gastarbeiterblues coverten; obgleich er sich immer staatstragender gebärdete - er lieferte Liedgut für die ARD-Fernsehlotterie („Zeig mir den Platz an der Sonne“) und für die deutsche Nationalelf („Buenos Dias, Argentina“, wurde auch mit Bundeslametta behängt) –, für das über die Niederungen des Schlagers sich erhaben dünkende deutsche Musikfeuilleton blieb der Entertainer über Jahrzehnte vor allem der mit den 17 Jahr’, blondes Haar. Eigentlich war es erst seine breitgespannte Familienchronik „Der Mann mit dem Fagott“, ein Buch-Bestseller von 2004, welche die Sicht der musikalischen Geschmackslinienrichter auf den Mann wirklich veränderte.

Bezeichnend, dass ich vor 15 Jahren noch einige Überredungskraft aufwenden musste, um meiner damaligen Redaktion (der Illustrierten „Stern“) ein großes Stück über den Herbst des Udo Jürgens schmackhaft zu machen. Meine Ansage, dass der Mann eine unnachahmlich kraftvolle Stimme besäße und dass er ein großartiger Musiker, ja ein begnadeter Chansonnier sei, der eben nur nicht auf Französisch singt, stieß bei manchen Kollegen auf mildes Lächeln. Da dieser Österreicher aber nun mal zum unterhaltungsmusikalischen Kulturerbe der Deutschsprachigen gehört – manche seiner Songtitel sind in den Alltagssprachgebrauch eingegangen -, bekam ich schließlich den angemessenen Platz für meine Jürgens-Story.

Stern-Fotograf Volker Hinz und ich fuhren mit Jürgens von Lissabon an die Algarveküste, wo er bei Carvoeiro ein Haus besaß. Schön, aber keineswegs protzig, außerdem kultiviert eingerichtet – der Sänger kommt aus gutem Stall. Wir hockten da einige Abende mit Blick aufs Meer, redeten, machten Fotos. Tranken was in seiner Stammkneipe „Flic Flac“, auch die kein Schicki-Laden. Jürgens sagte, als es um sein Image ging und um den Griechischen Wein und das Ehrenwerte Haus, er selbst hielte „Aber bitte mit Sahne“ für ein geradezu subversives Lied. Wie? Ausgerechnet diese Schunkelnummer? „Sie müssen sich den Text mal genau anhören“, sagte Jürgens. „Der ist im Grunde bitterböse. Es geht da um Wohlstandsverwahrloste, die sich totfressen.“ Eh bien.

Was die allfällige journalistische Frage bei solchen Porträts angeht („What makes the man tick?“), so bin ich mit einer Erkenntnis nach Hause gefahren. Ein Arbeitstier wie Jürgens, ein lebenslanger Kreativitätsbolzen, der einfach immer weitermacht, weitermachen will („Dass die Hallen mit der Zeit kleiner werden, ist doch völlig normal“), funktioniert nur dank der richtigen, der ultramegapositiven Grundeinstellung zum eigenen Sein. Für ihn geht das so: Wo Udo Jürgens sich aufhält, dort ist es toll! Irgendwo, irgendwie.

Er bot mir ein Sagres-Bier aus seinem Kühlschrank mit der Bemerkung an, es sei vielleicht das beste Bier der Welt (ich hielt das Sagres für eher mittelprächtig). Aß mit uns gegrillte Sardinen in einer Hafenkneipe und fand: Leckerere Sardinen gibt es nirgendwo! (Für mich schmeckten sie nicht viel anders als die im Hamburger Portugiesenviertel.) Die Sonne ging unter, wir blickten auf eine betonbrutale Mole, im Hintergrunddunst Baukräne. Jürgens: „So einen wunderbaren Sonnenuntergang finden Sie nur hier!“ Ich verkniff mir den Einwand, dass dieses Spektakel anderenorts oft denn doch dramatischer ausfällt, zum Beispiel an der jütländischen Westküste.

Glück kann jeder mal haben. Erfolg, der nicht weichen will, ist vor allem eine Frage des mentalen Tuning. So richtig ging mir das erst durch Udo Jürgens auf. Jetzt, zum Achtzigsten, ist er wieder auf Tournee. „Udo 2014“! Man mag es kaum glauben! Werde mir heute, nach der Sauna, meinen weißen Bademantel überstreifen. Nur so als Geste.

Beitrag erschien zuerst auf: achgut.com

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