Eine Lanze für das Mittelalter

Auf dem Land ist man es gewohnt, Nachstellungen von Gaunern ausgesetzt zu sein. Betrüger aller Couleurs glauben wohl, Landeier seien per se blöder als Städter und somit leichter abzuzocken.

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Die klassischen Hausierer-Nummern sind allerdings längst von Neppern, Schleppern und Bauernfängern modifiziert worden, deren Geschäftsmodelle im legalen Sektor der erneuerbaren Energien liegen. Keine Woche vergeht, da nicht Sendungen in meinen Briefkasten plumpsen, die mir unerhörte Profite durch Beteiligung an Windrädern, Solaranlagen oder durch eine „energetische Sanierung“ meiner Reetdachkate versprechen. Stromlieferanten bombardieren mich mit Propagandamaterial, welches darauf abhebt, sie, die Stromverticker, seien womöglich noch grüner gewickelt als Claudia Roth, ständen ethisch-moralisch auf Augenhöhe mit dem Papst beziehungsweise Katrin Göring-Eckardt respektive Antje Vollmer und ergäben folglich Traumpartner für einen Zeitgenossen wie mich, der sich die Welt hoffentlich nur mal kurz von den Kindern ausgeborgt hat.

Die EWE zum Beispiel, ein Energie- und Telekommunikationsunternehmen aus Oldenburg in Oldenburg, war zwar zu dämlich, mich mit einem schnellen Internetzugang auszustatten (was der Telekom wenig später mühelos gelang). Suggeriert aber mittels aufwändig gestalteter Broschüren, es sei clever genug, um mit dem Abenteuer der unerprobten Off shore-Windparks klar zu kommen - Anlagen in stürmischer See, die höher als der Kölner Dom sind. Weshalb ich, um an ein nachhaltig gutes Gewissen zu kommen, meinen Saft gefälligst bei der EWE einkaufen möge. Die Broschüre „hallo nachbar“ insinuiert geradezu, wer EWE-Verträge unterschriebe, bekäme „grünen“ Strom ins Haus geliefert.

Seufz. Ja, Alter, weil du auf dem Lande lebst, halten dich selbst Dilettanten aus der Grünkohl-Metropole und selbsternannten „Übermorgenstadt“ Oldenburg (in Wahrheit ein Herz der norddeutschen Finsternis) für einen Vollpfosten, der sich jeden Grünquatsch aufbinden lässt.

Die Hitliste der Tolldreistigkeiten führt aktuell die Firma Solarworld an, welche wegen enormer Verluste, schlechter Aussichten und einbrechender Aktienkurse unlängst kräftig von sich reden machte. Solarworld schickte mir jetzt einen reich bebilderten Folder (dafür jedenfalls ist noch etwas Anlegergeld übrig) mit der unsittlichen Aufforderung: „Senken Sie Ihre Stromkosten mit Eigenstrom!“

Das funktioniere mit einer Solaranlage auf dem Dach sowie mit einer kühlschrankkombigroßen „Blei-Gel-Batterie“, deren Bestandteile bestimmt total umweltfreundlich in der Dritten Welt gewonnen werden. Das „SunPac 2.0“ kostet 12.500 Euro plus MwSt., das Solarpanel auf dem Dach noch mal ein flottes Sümmchen. Im Gegenzug, lockt die Firma, könne man sich den durch das EEG geförderten Einspeisetarif für die nächsten 20 Jahre sichern: 16,26 Cent pro eingespeiste Kilowattstunde (Stand März 2013).

Also, noch mal zum Mitschreiben: weil die Stromkosten auch und besonders dank der Aktivitäten von Firmen und deren Lobbyisten aus dem ökoindustriellen Komplex (wie Solarworld) durch die Decke gehen, bietet mir nun ausgerechnet Solarworld Hilfe bei der Deckelung dieser Kosten an. Nämlich, indem ich Solarworld-Produkte kaufe, welche die Netzstromkosten (welche selbstredend trotz einer dürftigen „Eigenstromernte“ weiterhin den Löwenanteil meines Verbrauchs ausmachen werden) in Zukunft noch weiter erhöhen werden. Und zwar 20 Jahre lang, mindestens.

Kommt mir vor, als schlüge eine Einbrecherbande ihren Opfern vor, bei ihr Alarmanlagen zu bestellen. Ein Angebot, so gnadenlos link, so atemberaubend rotzkackdummfrech, dass man es kaum glauben mag. Rumänische Hütchenspieler an der Playa de Palma sind Kaufleute vom Schlage der frühen Buddenbrooks im Vergleich zu Leuten, die sich derlei Deals einfallen lassen. Es gab Zeiten, in denen solche Gestalten in ein hölzernes Joch gepfercht und auf Marktplätzen ausgestellt wurden. Jeder konnte dann mit faulen Äppeln nach ihnen werfen und sie öffentlich Arschloch schimpfen.

Nein, nicht alles war schlecht im Mittelalter.

Siehe auch:

www.sueddeutsche.de/wirtschaft/energiewende-als-milliardengeschaeft-windige-versprechen-1.1619016-2

www.deraktionaer.de/aktien-deutschland/solarworld—knallharter-streit-19364529.htm

 

Beitrag zuerst erschienen auf achgut.com.

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