Eine Atempause für das Leben

Seit der Deutsche Ethikrat seine Empfehlung zur Schließung der sogenannten Babyklappen in Deutschland abgegeben hat, ist die Diskussion um das Für und Wider dieser Einrichtungen neu entbrannt. NRW wäre besonders betroffen von einer eventuellen Neubewertung der Situation: Ein Viertel aller Babyklappen Deutschlands haben wir hier bei uns.

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Der Begriff selbst hat schon etwas martialisches: Babyklappe. Klingt ein bisschen nach „Klappe zu, Affe tot“. Dabei ist es doch genau das Gegenteil: Eine letzte Zuflucht, ein letzter Ausweg für Kinder, die niemand will, für Neugeborene, die nicht willkommen sind – aus welchen Gründen auch immer. Nicht ohne Grund sprechen manche Betreiber deswegen lieber von einem „Babynest“. Das klingt wärmer, klingt nach Schutz, nach genau dem, was diesen Babys fehlt.

Seit dem Jahr 1999 gibt es in Deutschland die Möglichkeit der anonymen Kindsabgabe, ins Leben gerufen durch das sogenannte „Moses-Projekt“ des Sozialdienstes Katholischer Frauen in Bayern. Die erste Babyklappe wurde dann in Hamburg durch den Verein Sternipark e.V. eingerichtet, seither ist die Zahl enorm angestiegen. Inzwischen gibt es geschätzte 96 Einrichtungen bundesweit. Nordrhein-Westfalen beherbergt mit 26 ein gutes Viertel davon, gefolgt von Bayern mit 18 Einrichtungen und an dritter Stelle Hessen und Rheinland-Pfalz mit jeweils sieben.  Und noch eines fällt sofort ins Auge, wenn man die Einrichtungen genauer betrachtet: Es sind die christlichen Krankenhäuser, die in der überwältigenden Mehrheit Babyklappe einrichten und sich um die Kinder kümmern. Offenbar spielt der christliche Gedanke der Nächstenliebe und der bedingungslose Lebensschutz, der keinen – auch keinen Einzelnen – durch das Raster fallen lassen will, hier eine große Rolle. Und nicht umsonst, haben die Vertreter der Kirche im Ethikrat ein abweichendes Votum veröffentlicht.

Noch eines ist Fakt: Seit Einführung von Babyklappen im Jahr 2000 sind sie umstritten. Bewegt man sich doch in einer rechtlichen Grauzone, um nicht gleich zu sagen: im strafrechtlichen Bereich. Denn ein Kind auszusetzen ist zunächst einmal eine Straftat. Für die Mutter, für eventuelle Helfer oder auch Zeugen. Außerdem hat jedes Kind das Recht auf das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Abstammung. Nicht nur für seine Persönlichkeitsentwicklung, auch unter dem Aspekt von Unterhaltsansprüchen und eventuellen späteren  Erbansprüchen ist dies rechtlich nicht von der Hand zu weisen.

Doch Fakten reichen nicht aus, um sich diesem heiklen Thema zu nähern und wie sich herausstellt, sind Fakten auch gar nicht so leicht zu bekommen, wenn es im Rechtssystem menschelt. Was nämlich weitaus schwieriger herauszufinden ist, ist die Anzahl der Kinder, die tatsächlich jährlich in Babyklappen abgegeben werden. Grund ist die rechtliche Grauzone, in der sich sämtliche Betreiber bewegen und keine klare oder gar bundeseinheitliche Erfassung. In welche Statistik soll es denn auch einfließen: In die Straftaten?  Und wer soll sie erheben? Die Staatsanwaltschaft, die Polizei, die Jugendämter, die Familienministerien? In NRW beispielsweise wird zumindest die Hälfte der abgegebenen Kinder vom Landschaftsverband Rheinland erfasst. 2008 sind demnach im Rheinland 6 Kinder abgelegt worden. Doch selbst hier erfasst der zweite Landschaftsverband Westfalen-Lippe die Zahlen nicht. So liegen dann eben in den meisten Fällen nur Schätzzahlen vor, da einfach keiner bei ihnen nachfragt. Man kann sich des Eindruckes nicht verwehren, dass von offizieller Seite gar niemand wirklich die Zahlen wissen will.

Und genau an diesem Punkt beginnt eigentlich das Problem des Ethikrates.

Denn die Entscheidung dieses Gremiums ist nahezu ohne Kenntnis genauer Zahlen gefällt worden und Kritiker setzen nicht ganz zu Unrecht an diesem Punkt an. 300 bis 500 Kinder benennt es die Empfehlung des Gremiums. Die Ungenauigkeit spricht für sich und genauso unsicher und geschätzt oder hochgerechnet sind leider auch die restlichen Fakten, auf deren Basis die Empfehlung zur Abschaffung der Babyklappen gefällt wurde. So sei die Zahl der tot aufgefundenen Neugeborenen seit Einführung der Babyklappen nicht gestiegen. „Das heißt aber nur, dass nicht mehr tote Babys gefunden worden sind“, kritisiert hier Dr. Stefan Seiffert, Chefarzt an der Kinderklinik St. Johannes-Hospital in Duisburg und Verfechter der Aufrechterhaltung der Babyklappen. Schlampige Arbeit wirft er dem Ethikrat vor und dass er weltfremd sei, denn die Arbeit in der Praxis zeichne ein ganz anderes Bild der Realität. „Frauen, die eine Schwangerschaft verdrängen, erreicht man nicht durch mehr Beratungsangebote in der Schwangerschaft“. Seine Erfahrung habe gezeigt, dass immer wieder Frauen wegen Bauchschmerzen kommen und mit einem Kind gehen. Passiert so etwas zu Hause, dann sei die erste Reaktion Panik: „Mülltonne, Kühltruhe oder Babyklappe. Wir brauchen die Klappe, damit die Frau diesen Moment überbrückt. Damit sie erst einmal einen Ausweg hat, erst einmal zum nachdenken kommt und vielleicht nach ein paar Tagen ihre Anonymität aufgibt und zu ihrem Kind zurück kommt“, beschreibt Seiffert seine Erfahrung. Eine Atempause für das Leben brauche es manchmal. Er hat acht Kinder in den vergangenen acht Jahren aufgenommen, zwei Mütter haben ihr Kind später angenommen, sechs wurden zur Adoption freigegeben.

Eine praxisnahe Lösung sieht Dr. Seiffert in der Legalisierung der Anonymen Geburt, wie in Frankreich schon lange und Österreich erst kürzlich erfolgreich eingeführt. „Es kommen viele Frauen zu uns, die wissen wir haben eine Babyklappe und fragen, ob sie anonym gebären können bei uns.“ Eigentlich geht das nicht  - in der Praxis doch. Und vor allem: „Diese Frauen würden nie zu einer normalen Beratungsstelle gehen und wenn wir sie erst einmal hier haben, können wir sehr viele dazu bewegen, ihre Anonymität aufzugeben und die Hilfsangebote anzunehmen“. Man brauche eben nicht entweder oder, sondern Beides!

Erstmalig erschienen im NRW.jetzt Magazin,  Ausgabe 2/2010

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Konrad

Die Möglichkeit der anonymen Kinder-Abgabe dürfte so manchen Abtreibungs-Befürwortern heftig zuwider laufen, da die "Gefahr" besteht, dass werdende Mütter in Gewissensnot sich den staatlich geförderten Beratungsstellen entziehen könnten. Die Argumente der Klappen-Gegner sprechen für sich: "Lebensborn" in der Nazi-Zeit, Zwangsadoptionen in der DDR, Begünstigung des Missbrauchs Minderjähriger, Straffreiheit für Vergewaltiger, Zuhälter und Förderung des Kinderhandels...
Baby-Klappen sollen gar daran schuld sein, dass die Zahl der Kindstötungen in den letzen Jahren wieder ansteigt. Mütter fühlen sich oft ein Leben lang schuldig, leiden unter Depressionen, weil es für tätige Reue zu spät ist; Findelkinder sind Produkte(!), für die das Trauma der ungewissen Herkunft zur Zumutung wird und mit ihren Selbstzweifeln, Wut, Scham und Ohnmacht für immer allein gelassen werden.
Worte wie Nächstenliebe, Mitleid, Barmherzigkeit (welch altmodischer Begriff!) oder das Aufzeigen einer Alternative kommen in der Argumentation nicht vor.
Statt dessen werden die Hilfswilligen dämonisiert in die kriminelle Ecke gedrängt. Die Antwort auf die Frage, auf welcher Seite wohl der Dämon sitzen mag, mag jeder für sich selbst finden.

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