Ein Staatsbankrott als Therapie

Außer Josef Joffe, dem Herausgeber der „Zeit“, finde ich kaum einen prominenten Journalisten, Politiker oder Ökonomen, der für einen geordneten Staatsbankrott plädiert, um Griechenland aus seiner tiefen Haushaltskrise herauszuführen. Im Deutschen Bundestag haben praktisch alle Parteien Ihre Zustimmung signalisiert für die bevorstehende „Rettungsaktion“ der EU, an der sich Deutschland mit der höchsten Summe beteiligen wird (oder „muß“). Von unseren Parlamentariern ist also nichts mehr zu erwarten. Sie könnten sogleich in die Sommerferien gehen und Ihre Stimmkarte in Berlin hinterlegen. Frau Merkel wartet ab, ob sie eine Entscheidung noch hinauszögern kann, um die Wahlen in Nordrhein-Westfalen nicht zu gefährden. Es bleibt, wie so oft in der Vergangenheit, das Bundesverfassungsgericht, das vielleicht (!) eine „Transfer-Union“ blockiert, weil sie in den europäischen Verträgen ausdrücklich ausgeschlossen wird, was man in Berlin mit allerlei Finanzierungstricks zu umgehen sucht. Aber sicher ist das keineswegs.

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Dabei gibt es den Weg, Griechenland von einem Großteil seiner Verschuldung zu befreien, indem die Gläubiger entweder freiwillig verzichten (auf dem Weg einer Schuldnerkonferenz) oder durch einen Staatsbankrott dazu gezwungen sind, weil die fälligen Zinsen nicht mehr gezahlt werden. Auf diese Weise hat man im Jahr 2002 Argentinien entschuldet – mit erfreulichen Resultaten, wie man aktuell sieht. Die russischen und isländischen Beispiele aus den Jahren 1998 und 2008 sind zu andersartig, um hier von Nutzen zu sein. Aber man könnte an Deutschland in den Jahren 1923 und 1948 denken, dessen „Währungsreformen“ nichts anderes als Staatsbankrotte waren – herbeigeführt allerdings durch gigantische Kriegsausgaben, die nicht ordnungsgemäß finanziert wurden. Joffe hat also recht: Das argentinische Beispiel ist am ehesten vergleichbar.
Allerdings gab es dort keine Währungsunion wie den Euro. Um so schlimmer, muß man sagen. Denn wenn die Eurozone keinen Staatsbankrott zuläßt, muß sie automatisch für jede Hyperverschuldung haften, die sich ein einziges Mitglied zuzieht. Das wäre so sinnvoll, als würde eine gefährliche Infektionskrankheit gleichmäßig auf eine Schule oder ein Krankenhaus verteilt, nur weil ein Kind oder ein Patient diesen Virus hat. (Bekanntlich kommt der Patient aber in Quarantäne, um individuell therapiert zu werden.) Warum also kann Griechenland nicht aus der Euro-Zone beurlaubt werden, um dann als gesundes Mitglied wieder an seinen Platz zurückzukehren? Ist es wirklich besser, den Patienten mit weiteren gefährlichen Medikamenten (das heißt weiteren Anleihen) abzufüllen, obgleich er aktuell schon Medikamentensüchtig ist? Man mag meine Vergleiche schief finden (sie sind es auch). Man mag einwenden, daß man Euro-Staaten nicht in Quarantäne stecken oder zur Kur schicken kann. (Warum eigentlich nicht?) Aber diesen Leuten ist entgegenzuhalten, daß sie mit ihrer dummen „Rettungsaktion“ weder an die Zukunft Griechenlands noch an diejenige des Euro-Verbundes denken, sondern sich nur in irgendwelche rührseligen Europatümeleien verstricken. Gar manche von ihnen wollen ohnehin nur bis zur nächsten Landtags- oder Bundestagswahl denken. Danach: pereat mundus.
Einmal angenommen, Griechenland will ehrlich daran gehen, seine Staatsfinanzen zu reformieren, sein Steuersystem grundlegend zu verbessern, seine Staatsausgaben auf zukunftsorientierte Aufgaben sowie auf die Hilfe für wirklich Bedürftige zu reduzieren und vor allem seine Wirtschaft vom gegenwärtigen Prinzip „Klientelbedienung“ auf das Prinzip „Wettbewerb soweit möglich“ umzustellen. Nehmen wir also an, man würde solche tiefgreifende Reformen in Athen wirklich anpacken, die man in Berlin und sonstwo fordert (aber selbst zunehmend weniger anpackt). Was würde ein zusätzliches Schuldenpaket von 60 bis 100 Milliarden Euro (am Ende wahrscheinlich das Mehrfache davon!) einer solchen Reformpolitik antun? Es würde sie politisch abwürgen, ehe irgendwelche positiven Ergebnisse sichtbar sein könnten. Man braucht kein Großökonom zu sein, um diese Mechanik vorherzusehen.
So kommen wir schließlich zu den versteckten Interessen, die uns (angeblich) „zwingen“, dieser Sanierung zuzustimmen. Nämlich den Banken und sonstigen Besitzern von griechischen Schuldentiteln. Man kommt uns wieder mit denselben Argumenten wie zu Beginn der großen (hauptsächlich amerikanischen) Finanzkrise von 2008. Es müsse ein Zusammenbruch des Finanzsystems verhindert werden. Deshalb müsse man die Banken „stabilisieren“ (also mit Steuergeldern absichern). „Too big to fail“, sagte man damals. Wenn nun aber Präsident Obama, der US-Notenbankchef und jüngstens der deutsche Bundespräsident Köhler sagen, Banken „too big to fail“ dürfe es nach den Erfahrungen von 2008 nicht mehr geben, dann ist doch jetzt die Gelegenheit, diese Aussagen endlich glaubwürdig zu machen. Es müssen endlich diejenigen ihr Geld verlieren, die es unverantwortlicherweise an Griechenland verliehen haben, weil sie darauf vertrauten, daß ein Staatsbankrott in der Euro-Zone kategorisch auszuschließen sei. Diese Leute handelten genauso unverantwortlich, wie die amerikanischen Hypothekenfinanzierer, die Leuten mit kleinen und mittleren Einkommen große neue Luxushäuser finanziert haben und damit die Hypothekenblase produzierten – zusätzlich zu einer sozialen Verelendung vieler amerikanischer Schuldner.
Aber was ist mit Spanien, Portugal und den anderen massiv überschuldeten Euro-Mitgliedern? Nun gut, das sind schwierige Fragen, aber wir entkommen diesen Problemen nicht, indem wir uns fortlaufend in die Tasche lügen und politisch-soziale Katastrophen in diesen Staaten vor uns herschieben, die dann zum vielleicht ungünstigsten Moment ausbrechen. Wir brauchen vielmehr eine ehrliche Debatte und eine Lösung, die einerseits zukunftsorientiert ist und andererseits die politisch-sozialen Schäden möglichst gering hält. Schmerzhaft wird der Weg aus der Hyperverschuldung ohnehin werden, aber es ist niemand damit gedient, dieses Elend gleichmäßig über Europa zu verteilen.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: P.S.

Das Schuldgeldystem und Zentralbankensystem gehören ganz klar weg.

Solche Instrumente unter Kontrolle von Superkriminellen kann niemals gut gehen.

Gravatar: Otto

@ Freigeist

Die EZB tut auch jetzt nichts anderes, als Geld aus dem Nichts zur Verfügung zu stellen. So wie Sie erwarte ich allerdings auch, dass die EZB bald auch noch zur unmittelbaren Monetisierung von Staatsschulden übergehen wird. (Man wird uns das dann wieder als "schmerzhaften aber leider einzigen Weg" verkaufen.) Um den Euro ist es dann endgültig geschehen.
Nicht einverstanden bin ich mit Ihrer Einschätzung zu Argentinien. Es wäre sehr heilsam, wenn die europäischen Staaten auf lange Zeit keinen Zugang mehr zum Kapitalmarkt hätten.

Gravatar: Freigeist

Es ist doch klar, dass im schlimmsten Falle inflationiert werden wird, wie es derzeit Großbritannien und die USA vormachen. Sollte es andere Euro-Staaten erwischen, kommt die EZB stärker ins Spiel. Tritt der schlimmste aller Fälle ein, wird die EZB ermächtigt werden, Geld aus dem Nichts zur Verfügung zu stellen. So haben sich alle osteuropäischen Staaten aus der Schusslinie gezogen, nach der Wende. Argentinien hat es total falsch gemacht, sie hatten für viele Jahre keinen Zugang zum Kapitalmarkt.

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