Ein Sparprogramm der sozialen Kälte


Wie vor allem arme Familien die schwarz-gelben Pläne bezahlen sollen.

Veröffentlicht:
von

Die Kanzlerin spricht ihre Machtworte leise, fast vor sich hin. Zur heftigen, teilweise ehrabschneidenden Diskussion vor allem zwischen FDP und CSU („Gurkentruppe“, „Wildsaupolitik“, „Rumpelstilzchen“) meint sie in einem Interview mit der FAZ, sie sei nicht bereit, „das zu akzeptieren“. Das Erforderliche solle „ohne öffentlichen Streit“ besprochen werden. Aber der öffentlich ausgetragene Streit hat sich auch an dem von ihr maßgeblich bestimmten Sparpaket entzündet. Die Debatte um die soziale Unausgewogenheit des Programms mündet immer stärker in der Forderung, den Spitzensteuersatz zu erhöhen oder auf andere Weise die Besserverdienenden und Reichen des Landes an den Konsolidierungsbemühungen zu beteiligen. Dafür spricht sich selbst der Wirtschaftsrat der CDU aus.

Aber das Sparpaket der Kanzlerin ist in sich nur logisch. Es folgt dem Prinzip, dass nur Erwerbslohn wirkliche Arbeit sei, weil nur diese  sozialbeitragspflichtig ist. Erziehungs-und Familienarbeit ist demnach nichts wert. Wenn man Eltern, die Hartz-4 beziehen, das Elterngeld streicht, dann, so mag die Kanzlerin von ihrer Freundin Alice Schwarzer auch gelernt haben, bekommen außerdem nicht mehr die Falschen die Kinder. Denn Kinder aus armen und bildungsarmen Familien sind in den Augen dieser Regierung offenbar nur Kostgänger und spätere Problemkinder. Logisch ist demnach auch, den Hartz-4-Empfängern die Beiträge zur Rente zu streichen. Das spüren die Hartz-4-Leute nicht, es entlastet aber den Haushalt heute und die Rentenkasse später. Dass die Hartz-4-Rentner dann weniger Rente haben werden und die Altersarmut damit rapide wächst, diese Rentner also in die Sozialhilfe rutschen und so die Haushalte der Kommunen belasten, das soll auch ein Problem späterer Regierungen sein. Für später, nämlich für den Winter, ist auch das Thema des Heizkostenzuschusses für Sozialhilfeempfänger vorbehalten. Man kann damit argumentieren, dass dieser Zuschuss aus einer Zeit stammt, da der Ölpreis bei 150 Dollar pro Barrel lag und heute nur noch die Hälfte beträgt. Aber seine Streichung ist symbolisch: Sie steht für die soziale Kälte dieser Regierung. Dazu passt auch die Streichung des Übergangsgeldes von Arbeitslosengeld I zu Hartz-4. Dem gegenüber stehen Kürzungen von Subventionen bei der Wirtschaft, die diese locker bei den Kunden wieder eintreiben werden, etwa über höhere Flugpreise.
 
Dieses Programm hätschelt die Reichen und peitscht die Armen. Das war auch schon im Vorfeld der Diskussion zu beobachten, als man im Familienministerium laut darüber nachdachte, das Elterngeld generell um 70 Euro zu kürzen. Die wenigen, die den Höchstsatz von 1800 Euro bekommen, hätten eben dann nur noch 1730 Euro erhalten, also minus drei Prozent, die Eltern mit dem Sockelbetrag von 300 Euro hätten dann 230 Euro bekommen, also minus 23 Prozent. Es ist zu befürchten, dass diese Variante bei der nächsten Sparrunde oder bei Protest aus der Wirtschaft an was auch immer noch nachgeschoben wird.
Überhaupt das Elterngeld. An ihm lässt sich die einseitig am Arbeitsmarkt orientierte Politik gut ablesen. Sie erinnert an eine Karikatur, auf der eine ältere Dame mit dem Antrag auf Rente in der Hand einem etwas leer und gelangweilt an ihr vorbeischauendem Beamten mit Ärmelschoner sagt: „Erst hab ich meine vier Kinder großgezogen, dann die drei Enkel, dann hab ich mich um Obdachlose und Arme gekümmert und schließlich meinen alten Vater bis zuletzt gepflegt“. Die Antwort des Beamten: „Sie haben also nicht gearbeitet“. Die Karikatur ist treffend. Sie illustriert unser Sozialsystem und veranschaulicht die Diskriminierung des Menschlichen in unserer wirtschafts-und lohnabhängigen Gesellschaft. In diese Kategorie gehört auch die Debatte über das neue Sparprogramm und die Kürzungen des Elterngeldes. Das ist sowieso schon sehr bescheiden. Der Familienforscher Stefan Fuchs weist im Newsletter des Instituts für Demographie, Allgemeinwohl und Familie (www.i-daf.org) darauf hin, dass mehr als die Hälfte der Mütter „maximal 500 € und nur 17% von ihnen 1000 € oder mehr beziehen. Von den Vätern haben dagegen immerhin 45% Anspruch auf mindestens 1000 € . Meistens handelt es sich um gut verdienende Väter, die es sich leisten können beruflich mal zwei Monate kürzer zu treten. Erleichtert wird es ihnen durch die Vereinbarkeit des Elterngeldbezugs mit einer Erwerbstätigkeit von bis zu 30 (!) Wochenstunden. Maßstab des Elterngeldes ist eben nicht die Erziehungsleistung, sondern der monetär bewertete Erfolg am Arbeitsmarkt“. Das Elterngeld sei, so Fuchs, „ein Meilenstein eines Paradigmenwechsels hin zu einer Familienpolitik, die von beiden Eltern, Müttern wie Vätern, eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit fordert“. Um die Rückkehr von Müttern in die Erwerbsarbeit zu forcieren, wurde das für bis zu 24 Monate gewährte Erziehungsgeld abgeschafft. Denn aus der Sicht der neuen Familienpolitik setzte es Fehlanreize, indem es Müttern Erwerbsunterbrechungen zugunsten der Kindererziehung erleichterte.
Die Intention des 1986 eingeführten Erziehungsgeldes war es, Kindererziehung als eine für das Gemeinwohl bedeutsame Leistung von Eltern anzuerkennen. Im Laufe der Zeit wurde sein Bezug für besser verdienende Eltern immer mehr durch Einkommensgrenzen beschränkt, so dass es schließlich als sozialpolitische Leistung miss)verstanden wurde. Der den Hartz-IV-Empfängern nun gestrichene „Sockelbetrag“ von 300 € war ein Überbleibsel des Erziehungsgeldes und übrigens erst nach Kritik seitens der Familien- und Wohlfahrtsverbände zustande gekommen – allerdings nur für zwölf Monate. Dennoch finanzierten viele Eltern, besonders Geringverdiener und Studenten, damit immer noch den Lohnersatz beziehungsweise das Elterngeld für die besser verdienenden Eltern. Mit der Elterngeldreform wurde von unten nach oben umverteilt. Jetzt wird dieser Trend des Asozialen noch verschärft. Dabei wäre es so einfach gewesen: Hätte die Regierung etwa die Halbierung der Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen rückgängig gemacht, hätte man mit der eingesparten Milliarde nicht nur die Kürzungen beim Elterngeld vermeiden, sondern auch den Ausbau der Partnermonate oder die Einführung eines Teilelterngeldes verwirklichen können – so wie es im Koalitionsvertrag auch vorgesehen ist.
Die Empörung über die beschlossenen Maßnahmen wird vermutlich zunehmen und Menschen auf die Straße treiben. Und das zu einem Zeitpunkt, da die Realwirtschaft unsicheren Zeiten entgegengeht. Noch einmal wird man nicht mit Kurzarbeitergeld über den Winter kommen. Das Geld ist nicht mehr da. Man hat es den Banken hinterher geworfen. Dafür gab es Milliarden en masse. Diese Milliarden sollen Eltern, arme zumal, nun aufbringen. Das wird der Bevölkerung nicht zu vermitteln sein. Die Wut könnte auch die Linke und sozial denkende Bürgerliche in Bundestag und Landtagen erfassen – und dem Kandidaten Gauck zugute kommen. Und sei es nur, um Merkel und Westerwelle daran zu erinnern, dass sie einen Eid auf das Wohl des Volkes, nicht der Parteien und der Wirtschaft geschworen haben.

Verdient hätte diese Koalition diese Klatsche allemal. Denn zur Staatsräson moderner Gemeinwesen gehört die soziale Sicherheit. Eine alte Weisheit, seit Beginn der theoretischen Grundlegung staatlicher Souveränität. Einer der ersten denkerischen Begründer der abendländischen Rechts-und Staatsphilosophie, Jean Bodin, schrieb in seinem Hauptwerk vor rund 450 Jahren, der Zweck des Staates sei, „in erster Linie die Sicherung der schlichten sozialen Existenz, die Sicherung von Leib, Leben, Freiheit und Eigentum also“. Der Staat solle nicht nur das Gegenmodell zur Räuberhöhle sein, sondern die „Voraussetzung einer glückseligen Existenz“ sichern. Es muß nicht gleich die Glückseligkeit sein, aber wer die aktuelle Debatte hierzulande beobachtet, der wird sich gelegentlich doch fragen, ob diese Prioritäten heute noch gelten oder ob wir nicht doch in einer Art Räuberhöhle des Anhäufens von Beute, des Wachstums leben - auf Kosten der Menschlichkeit.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Roland Woldag

"Jean Bodin, schrieb in seinem Hauptwerk vor rund 450 Jahren, der Zweck des Staates sei, „in erster Linie die Sicherung der schlichten sozialen Existenz, die Sicherung von Leib, Leben, Freiheit und Eigentum also“. "

Wobei Freiheit und Eigentum die Voraussetzung für Leib und Leben sind, die in Ihrem Sozialismus unter die Räder kommen, Herr Liminski.
Sie haben Ihr Zitat nicht verstanden.

Gravatar: JS

Dem Kommentar von Otto ist voll und ganz zuzustimmen. Herr Liminsky spricht von (be)zahlen, wenn es darum geht, weniger Geld durch Umverteilung zu bekommen. Es ist die gleiche, absurde Sicht, die Steuersenkungen als Geschenk betrachtet. So wie die zwangsweise Netto-Finanzierer von Subventionen als Empfänger von "Geschenken" diffamiert werden, wenn gewagt wird, das böse Wort Steuersenkungen in den Mund zu nehmen, so werden in Liminskys Beitrag die Subventionsempfänger als Zahler einer Zwangsabgabe bemitleidet, wenn sie weniger bekommen sollen. Hier zeigen sich die Auswirkungen der jahrzehntelangen Gehirnwäsche des Umverteilungsstaates: So wie Krieg Frieden, Freiheit Sklaverei ist, so ist Zahlungsausgang Zahlungeingang und Zahlungseingang Zahlungsausgang.

Gravatar: Otto

Wer viele Kinder haben will, sollte in der Lage sein, sich selbst um diese zu kümmern. Und der Staat soll ihm nicht die Möglichkeit dazu nehmen.

Der Umverteilungsstaat, dem leider auch Herr Liminski überall das Wort redet, nimmt den Menschen die Freiheit, die Würde und die Eigenverantwortung. Ausserdem lädt er zum Missbrauch ein. Gerade in bezug auf die Alimentierung kinderreicher Familien ist es unehrlich, den systematischen Missbrauch des deutschen Sozial"systems" durch türkische und arabische Einwanderer unerwähnt zu lassen.

Nichts funktioniert in dieser Gesellschaft, und die Bundesregierung macht quasi alles falsch. Hierbei stimme ich mit Herrn Liminski überein. Seine Analyse ist jedoch entschieden zurückzuweisen.

Gravatar: Gladstone

Soziale Sicherheit? Wir haben irgendwo zwischen 5-10 Billionen Euro Schulden! Ein bankrotter Staat kann keine soziale Sicherheit garantieren.

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang