Dröhnendes Schweigen

Deutschlands Intellektuelle sind nicht mehr unterwegs in Sachen Kunst und Politik

 

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 „Ein Schriftsteller sollte sich nicht scheuen, sich die Hände schmutzig zu machen, sich hineinzuknien, mitzumischen in der politischen Debatte der Demokratie, Schlagwörter durch Ideen zu ersetzen, bleibenden Sinn statt flüchtiger Aktualitäten zu suchen, die Sprache zu klären, dem Wesentlichen der menschlichen Existenz nachzuspüren.“ In dieser etwas altmodischen Weise hat der peruanische Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa kürzlich im Nachrichtenmagazin Der Spiegel die Rolle des Intellektuellen beschrieben. Nicht nur unter Lateinamerikas meist linken Autoren gilt Llosa als Außenseiter. Auch in Deutschland dürfte es wenige Intellektuelle geben, die sich selbst als liberale Demokraten im klassischen Sinne definieren und scharf von linken Ansichten abgrenzen. Sogar in einem Präsidentschaftswahlkampf musste der Peruaner für seine politischen Überzeugungen ordentlich Lehrgeld zahlen.

 

Auch wenn nach Ansicht des peruanischen Autors die wirtschaftliche Freiheit zuletzt kommt, hält er die freie Marktwirtschaft für „die beste und einzige Weise, den Wohlstand der Nationen zu mehren“. Nur sehr wenige deutsche Schriftsteller dürften diese Ansicht teilen und den Philosophen Karl Popper als ihr intellektuelles Erweckungserlebnis bezeichnen.

 

Beim Blick in die Zeitungen muss man den Eindruck gewinnen, dass die deutschen „Dichter und Denker“ zur Atom-Debatte, dem „arabischen Frühling“, dem Aufstieg Chinas und dem Niedergang der Vereinigten Staaten oder auch der aktuellen Euro-Krise recht wenig zu sagen haben. Dies kann mehrere Gründe haben. In der heutigen Mediendemokratie haben sie es zusehends schwer, mit ihrer Meinung durchzudringen. Das Monopol der Printmedien und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist gebrochen. Mehr oder minder intellektuelle Debatten finden zunehmend im Internet oder auch in den um sich selbst kreisenden Quasselbuden der Talkshows statt.

 

Die alte Stärke der Intellektuellen war weniger ihr Expertenwissen, sondern der Verweis auf eine angeblich höhere Moral, in deren Namen sie zu sprechen vorgaben. Den komplizierten Fragen der Gegenwart ist aber mit Moral oft nicht beizukommen. Gefragt ist Spezialwissen. Und über dieses verfügen sie nicht. Selbst die Politik hat ja ihre Deutungshoheit an anonyme Mächte abgegeben, die in unseren Nachrichtensendungen als „die Märkte“ fungieren. Sie haben keinen festen Wohnsitz und kein Gesicht. Die „Märkte“ schreiben keine Bücher und haben auch keinen beeindruckenden Lebenslauf, doch trotzdem laufen ihnen viele Journalisten und Politiker wie die Lemminge hinterher. Politiker und Intellektuelle sind von den Krisen an den Finanzmärkten überfordert. Sie durchschauen die Thematik nicht mehr, auch wenn die politische Klasse den Eindruck zu erwecken sucht, dass sie noch wisse, was sie tut.

 

Lange Zeit waren alte graue Wölfe wie die Schriftsteller Günter Grass oder Martin Walser die Hüter vermeintlicher höherer Einsichten. Junge Meinungsmacher unter den deutschen Intellektuellen konnten sich gegen die Generation der „Gruppe 47“ lange Zeit nicht durchsetzen. Doch was haben uns ein Grass oder Walser schon zu Fragen der Nutzung der Atomenergie oder zum Spekulantentum der Finanzmärkte zu sagen? Auch die Entwicklung in der islamischen Welt ist an ihnen vorbeigegangen. Und aufgrund seiner eigenen Biographie kann sich der Verfasser der „Blechtrommel“ selbst nicht mehr zur NS-Zeit mit erhobenem Zeigefinger äußern.

 

Nicht ohne Grund trug ein Essay in der Wochenzeitung Die Zeit die Überschrift „Wo sind die Intellektuellen hin?“ Der Autor Stephan Moebius machte eine Sehnsucht nicht nur nach Experten aus, „sondern nach engagierten Intellektuellen, die ihr Expertentum und ihre intellektuelle Tätigkeit mit Moralvorstellungen verbinden“. Der immer hektischere Tagesjournalismus ist nicht in der Lage, die aktuellen Ereignisse in einen größeren Zusammenhang zu stellen und eine klare Linie vorzugeben. Er will oft nur die sprichwörtliche Sau durchs Dorf hetzen. Heute ist die Schweinegrippe dran, morgen Fukushima und übermorgen Afghanistan. Zwischendurch brechen Finanz- und Wirtschaftskrisen aus. Bedrohliche demographische Entwicklungen in vielen westlichen Ländern und Probleme bei der Integration von Migranten verlangen nach Antworten. Doch eins ist klar: Die Intellektuellen bestechen nur durch ihr dröhnendes Schweigen, durch ihre absolute Ahnungslosigkeit und Hilflosigkeit. Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Moebius sieht höchstens noch Medienintellektuelle am Werk und nennt als Beispiele den Fernseh-Philosophen Peter Sloterdijk, den Medien- und Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz oder den häufig bei Anne Will sitzenden Historiker Arnulf Baring. Wesentliche Merkmale des klassischen Intellektuellen träfen auf sie nicht mehr zu. Für sie sei der Maßstab in erster Linie die Prominenz, die durch ihre Auftritte im Fernsehen und sonstige Medienpräsenz erworben worden sei. Ein klassischer Intellektueller reklamiert hingegen einen gesellschaftlichen Stellvertretungsanspruch und tritt mit radikaler Kritik an der Herrschaft hervor.

 

In einem Themenheft der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte über die Intellektuellen war zu lesen, sie hätten in Deutschland selten einen guten Ruf gehabt. Mittlerweile haben sie gar keinen Ruf mehr – weder einen guten noch einen schlechten. Sie sind nichtig geworden. Mit einem flammenden „J’accuse“ ist den Turbulenzen an den Märkten eben nicht beizukommen.

 

Der intellektuelle Lautsprecher Klaus Staeck, auf dessen Website der Slogan „Unterwegs in Sachen Kunst und Politik“ prangt, beklagt das mangelnde Engagement seiner Kollegen: „Ich glaube, es ist ein generelles Sichzurückziehen aus der Politik. Ich glaube, das kann man pauschal so sagen. Die meisten haben sich das Politische abtrainiert oder abtrainieren lassen, es ist auch nicht unbedingt feuilletonkompatibel, wenn man ständig seine politische Meinung vor sich herträgt, dann gilt das auch als unkünstlerisch.“ Auch Intellektuelle sind also letztlich Sklaven der Märkte. Sie halten sich mit politischen Aussagen zurück, da sie augenscheinlich nicht mehr so gefragt sind. Früher konnte ein Grass mit seinen moralschwangeren Beiträgen in der linksliberalen Presse den eigenen Marktwert steigern. Heute ist dies nicht mehr so.

 

Auch wenn man einwenden könnte, dass ein Handwerksmeister nichts von Gentechnik verstehen muss, wünscht man sich heute die (angemaßte) Allzuständigkeit der Intellektuellen zurück. Angesichts der gesichts- und identitätslosen Arroganz einiger Banker und Börsianer sowie der „Märkte“ sehnen sich manche nach den wortmächtigen Intellektuellen „alten Schlags“, die noch über eine eigene Meinung verfügten, ob man sie nun Vision, Utopie oder Weltanschauung nennt. Doch diese Zeiten kommen nicht zurück. Seelenlose Eurokraten haben die Lust an der Debatte mit ihren alternativlosen Rettungsschirmen und Energiesparlampen erstickt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: FDominicus

Nun was sollte man von den sozialistischen Intellektuellen erwarten?

Das Sie gegen den größeren Einfluß auf den bösen Kapitalismus eintreten. Ihr Gott heißt doch Staat also das einzige was man erwarten kann wäre Preisungen oder so etwas...

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