Drei Hürden für Verlage

Wie Verlage das Internet nutzen und Thalia ausbooten könnten – wenn sie wollten.

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Am selben Tag, an dem ich meinen Kommentar zur Marksituation für Autor_innen und Musiker_innen schrieb, erschien im Ableger der Süddeutschen "jetzt" ein Artikel über die Art und Weise, wie der Buchriese Thalia die Verlage an die Kette legt. Der Artikel war für mich überraschend, da ich Bücher fast nur noch gezielt kaufe, also nach Empfehlung entweder über amazon oder direkt in der Buchhandlung kaufe bzw. bestelle. Gerade, weil die Buchriesen so riesig sind, stöbere ich kaum – es gibt einfach zu viel Auswahl, um die Bücher für mich zu finden, und ich kaufe nur noch ungern die "Katze im Sack", ohne mindestens Rezensionen oder Zusammenfassungen zu lesen.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich wenig Mitleid mit den Verlagen hatte, als ich den Artikel las.

Die Situation mit Thalia erscheint mir vielmehr wie ein hausgemachtes Problem, das auch durch die Renitenz der Verlage bedingt wurde, sich auf neue Geschäftsmodelle einzulassen. Zugegeben bin ich sicher auch vorbelastet, wenn ich für Konzerne Partei ergreifen soll; kleinere Verlage liegen mir da schon eher am Herzen. Im Endeffekt aber sehe ich das Internet und den Vertrieb von elektronischen Büchern als Weg an, die Marktmacht Thalias auszuhebeln. Dem stehen allerdings drei Hürden im Weg.

Erstens ist da die Furcht vor dem Internet selbst. Hier zeichnen sich Verlage mit derselben Panik aus, die vor hundert Jahren vor dem Grammofon warnte – ars technica hat da eine lesenswerte Zusammenstellung geschrieben ((via Boing Boing)), bei der man unter anderem lesen kann, wie 1972 der Fotokopierer bewertet wurde: "Der Tag mag nicht mehr fern sein, an dem niemand mehr Bücher kaufen muss." Auch Videokassetten und Tonbänder waren jeweils "der Tod der Industrie".

Darauf angesprochen, sagen die Verlage heute, damals habe man sicher etwas überreagiert, aber diesmal, diesmal droht das Ende wirklich. Das erinnert an die Kulte, die darauf warten, dass die Welt endlich endet – die Zeug_innen Jehovas haben ja aufgehört, feste Daten zu nennen –, oder dass sie von Außerirdischen abgeholt werden. Die Meinung, die dem Internet zukommt, ist in ihrer extremen Position von Sony-Boss Michael Lynton exemplifiziert: "Es ist noch nicht eine gute Sache aus dem Internet gekommen. Punkt."

Diese Angst müssen die Verlage zunächst einmal verlieren. Das Internet verändert unsere Art, mit Medien umzugehen, und es ermöglicht uns außerdem, Dinge, die wir immer schon getan haben, mit viel größerer Reichweite zu tun. Das bezieht sich auf Kommunikation, aber auch darauf, Bekannten Bücher oder CDs auszuleihen. Das wird von Verlagen als Urheberrechtsverstoß wahrgenommen und gerne in verlorene Verkäufe umgerechnet, wenn das in Wahrheit doch viel positiver ist.

Marketingexperten wissen, dass kaum etwas so gut wirkt wie die Empfehlung von Bekannten. Kritiken können gut oder schlecht sein, wenn mir ein_e Bekannte_r den Kauf empfiehlt, werde ich ernsthaft darüber nachdenken. Schon vor dem Internet habe ich CDs und Bücher verliehen und Freund_innen regelrecht angefixt. Gerade die Möglichkeit, sich kostenlos einen Eindruck zu verschaffen, ist ein großer Bonus. Ja, ich kaufe längst nicht alles, was mir über den Weg läuft, aber wenn es nichts kostet, riskiere ich eher einen Blick. Durch kostenlose Down

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loads o.ä. vergrößert sich der Kreis derer, die ein Produkt wahrnehmen, um ein Vielfaches, und damit auch die Chance, dass das Produkt auf Personen trifft, die zu Kunden werden. Selbst, wenn mir eine CD nicht gefällt, die ich im Internet höre, kenne ich vielleicht jemanden, dem diese Musik zusagt, und leite sie weiter. Downloads sind Marketinginstrumente.

Das zeigt beispielsweise auch der Erfolg von Autoren wie Scott Sigler, die ihre Bücher erst als Podcast ins Internet setzen, dann kostenlose PDFs verteilen und trotzdem die Bestsellerliste der NY Times erreichen – nein, nicht trotzdem, sondern gerade wegen dieser Strategien.

Natürlich gibt es Personen, die nur die kostenlose Ware nutzen und anschließend nichts kaufen. Es ist aber fraglich, ob man diese Personen anderweitig erreicht und zu einem Kauf überredet hätte, und ob diese Personen nicht trotzdem jemand anderem von dem Produkt erzählen und doch noch einen Kauf initiieren. Letzten Endes ist dies aber nicht die Klientel, um die sich die Verlage Sorgen machen müssen – die Mehrzahl der Leute honoriert gute Produkte. Vielleicht verschenken sie das Buch, das sie vorher als PDF gelesen haben. Oder sie kaufen das Buch, um dem Autoren etwas für ihre Unterhaltung zurückzugeben (Reziprozität ist ein menschlicher Drang). Ich kaufe bspw. immer die Bücher von Film Freak Central, obwohl deren Kritiken größtenteils online stehen, weil ich die Kritiker belohnen möchte. Und in den Studien, von denen ich weiß, sind Leute, die viel im Internet downloaden, gleichzeitig Leute, die viele Produkte kaufen, bzw. gibt es eine Korrelation zwischen kostenlosen Downloads und Buchverkäufen.

Nein, die Verlage sollten sich lieber mit den Leuten beschäftigen, die ihre Produkte kaufen möchten. Womit wir bei der zweiten Hürde wären: Verlage müssen aufhören, das Internet als direkte Konkurrenz für Bücher zu sehen. In Bezug auf "Piraterie" habe ich das bereits ausgeführt. Aber selbst bei legalen Käufen können sich Verlage nicht durchringen, das Internet als das zu akzeptieren, was es ist.

Da gibt es zunächst das Problem, dass ebooks als Konkurrenz für Printverkäufe gesehen werden. Das führt dazu, dass elektronische Bücher allenfalls ein wenig günstiger sind als ihre Druckverwandten – obwohl weder Lager- noch Lieferkosten in der Art anfallen, wie das bei gedruckten Büchern der Fall ist. Der hohe Preis – und die fehlenden Lesegeräte (s.u.) – wirken auf die Beliebtheit von ebooks ein. Ebooks haben keinen für ebooks kalkulierten Preis, sondern einen Printpreis. Das funktioniert nicht.

Und dann ist da noch DRM, das digitale Rechte-Management. Es ist kein Wunder, dass DRM Piraterie fördert. DRM sorgt dafür, dass ich das von mir gekaufte Produkt nicht in dem Maße nutzen kann, wie ich es nutzen will – obwohl es eigentlich meins ist. Während ich aber bei gedruckten Büchern tatsächlich das Eigentum erwerbe, kaufe ich bei ebooks eher ein "Nutzungsrecht" – bin also weit eingeschränkt, und das dann noch zum selben Preis. Bei amazons Lesegerät kindle gab es beispielsweise Probleme mit einer Funktion, die das Buch mit elektronischer Stimme vorlas. Die Funktion wurde deaktiviert, weil man nur die Rechte an einem Buch erwirbt, nicht an einem Hörbuch (egal, wie schlecht die Vorlesestimme auch ist, weil sie nur nüchtern die Sätze vorliest, ohne den Text selbst zu verstehen und zu interpretieren). Auch kann amazon jederzeit den Zugriff auf meine Bücher sperren und ich kann sie nicht beliebig weiter kopieren, wenn ich mir vielleicht ein anderes Lesegerät kaufe. All das, damit ich ja das Buch nicht jemand anderem weitergebe, weil es mir so gut gefällt.

Die Reaktion ist klar: anstatt Geld dafür zu bezahlen, dass ich in extrem reglementiertem Umfang auf mein Eigentum zurückgreifen kann, lade ich mir das Buch kostenlos herunter. Ähnlich verhält es sich mit Kopierschutzen, durch die CDs nicht in meinen Abspielgeräten laufen. Und gerade diese "klare Reaktion" ist die DRM-Denke so fatal. Letzten Endes ist es einfach normaler Umgang mit "meinen" Produkten, der untersagt wird, und die meisten Leute lassen sich normalen Umgang nicht verbieten. Es ist aber nicht umsetzbar, alle Menschen zu Kriminellen zu machen, dann wird das Strafgesetz durch die Realität ausgehebelt und wirkungslos.

Man sehe sich nur an, was gerade in Kanada gefordert wurde: Als Urheberrechtsverstöße wurde wieder ins Spiel gebracht, Fernsehsendungen aufzunehmen oder auch CDs auf den Computer zu überspielen. Diese Idee ist geradezu lächerlich, hätten die Konzerne nicht das Ohr ihrer Regierungen und bestünde daher nicht die Gefahr einer tatsächlichen Umsetzung.

Aber genau das ist die Lösung der Verlage: Kunden sind pro forma verdächtig, Piraten zu sein. Und durch drakonische Vorgaben erzeugen sie tatsächlich Piraten. So sind sie die Erzeuger ihres eigenen Umsatzrückgangs, wenn sie nicht aufwachen.

Die Verlage sollten außerdem nicht vergessen, dass es wahrscheinlich immer Menschen geben wird, die gerne Bücher kaufen. Das Buch hat Pluspunkte: es hat keinen Internetanschluss, es braucht keinen Strom, im Winter kann es als Brennmaterial dienen. Bücher sind einzigartig dafür geeignet, sich einzuigeln und zu isolieren und über das Gelesene nachzudenken.

Ebooks bedienen einen anderen Markt, und damit sind wir bei Punkt drei: Verlage müssen ebooks auf den Markt zuschneiden, den sie bedienen. Obwohl Lesegeräte für elektronische Bücher jetzt auch nach Deutschland kommen, sind kindle und Co. gerade das nicht, Anpassungen an die Anforderungen des ebook-Marktes. Vielmehr sind sie der Idee geschuldet, ebooks seien dasselbe wie gedruckte Bücher. Der Marketingzug dieser Lesegeräte ist das elektronische Papier, mit dem man endlich entspannt am Bildschirm lesen kann.

Ich habe Neuigkeiten: die meisten Internetnutzer lesen ständig und sehr viel am Bildschirm, ohne sich darüber zu beschweren. Blogs, Nachrichtenseiten, YouTube-Kommentare, PDF-Dateien usw. Es ist ein Mythos, dass man nicht am Bildschirm lesen wolle. Damit wird der wirkliche Pluspunkt der Lesegeräte, dass man in einem Gerät viele Bücher vereinen kann, und tatsächlich reicht das aus, dass Vielleser wie bspw. ich ein solches Gerät besitzen möchten (wenn DRM nicht wäre).

Die Zukunft des ebooks liegt aber woanders. Ein Teil der Verkäufe wird sicher in elektronischen Versionen von Printwerken bestehen, und ein weiterer Teil sicher durch Zusatzprodukte wie die von Michael Stackpole bestritten, der exklusive Kurzgeschichten zu seinen Romanen online anbietet. Das Potential liegt aber in der Vernetzung. Ich will Bücher markieren und annotieren können und diese Markierungen und Notizen austauschen. Wenn ich einen Begriff in einem Buch lese, kann ich ihn in einem anderen nachschlagen. Ich kann Querverweise ziehen. Wenn ich in einem Krimi lese, wo ein Mord geschieht, kann ich Google Streetview öffnen und mir den Ort anzeigen. Wenn die Heldin einer Geschichte Musik hört, kann ich dasselbe Lied auf meinem Gerät abspielen. Wenn ein Ereignis geschildert wird, kriege ich das youtube-Video und den Artikel in der FAZ zu diesem Ereignis mitgeliefert. Und so weiter.

Das sind zugegeben Zukunftsklänge. Aber das ist m.E. auch der neue Buchmarkt, neben dem Printprodukte problemlos existieren können, weil sie eben andere Bedürfnisse bedienen.

Gerade vor dem Hintergrund, dass Finnland Breitband-Internet als Bürgerrecht definiert, gibt es aber für Deutschland noch ein weiteres "Problem": Es sind nur etwa 70% der Bevölkerung online. Das hat bezogen darauf, dass sich auch das kulturelle Leben der Gesellschaft teilweise ins Netz verlagert, generelle Nebenwirkungen, wenn bestimmte Schichten von diesem Leben ausgeschlossen werden. Aber für Verlage stellt sich natürlich auch das Problem, dass nicht alle ihre mögliche Klientel über das Internet erreicht werden kann. Darum ist Thalia immer noch mächtig, und wird es wohl noch einige Zeit bleiben. Leider.

(crossposted auf Derangierte Einsichten)

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Stefan Lorenz

Schöner Artikel!
Vor allem die DRM-Punkte und den Punkt Lesegeräte kann ich nur unterstützen.

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