Doppeltagebuch 1990/ 2010- 15.- 21. Februar

15.2. Im Fernsehen der DDR kommt es zu einer seltsamen Szene. In einer Erklärung übernimmt der abgesetzte Partei-, und Staatschef Erich Honecker die Verantwortung für die Krise in der DDR. Diese Erklärung wird nicht von Honecker selbst, sondern von Pfarrer Rainer Eppelmann verlesen, der inzwischen einer der Oppositionsminister in der „Regierung der Nationalen Verantwortung“ von Ministerpräsident Modrow ist.

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Dass ein Mitglied einer SED- geführten Regierung Honeckers Erklärung verliest, kommt einer Entlastung der SED gleich. Die Botschaft ist, dass ein Versager noch nicht die Diskreditierung der herrschenden Partei bedeutet. Glücklicherweise sind die Menschen auf den Straßen nicht bereit, sich von diesen Manövern zur Rettung der Macht der SED, die von manchen Oppositionellen offenbar nicht durchschaut werden, täuschen zu lassen. Zu keinem Zeitpunkt gewann die zweite Regierung Modrow das Vertrauen der DDR-Bürger.
16.2. Trotz aller Konsolidierungsbemühungen des neuen Parteivorsitzenden Gysi laufen der SED weiter die Mitglieder davon. Von den 2,3 Millionen SED-Mitgliedern, die es im Jahr 1989 gab, sind nur noch 70 000 übrig geblieben. Tendenz weiter fallend. Übrigens hat die SED-PDS – Linke in den Neuen Bundesländern bei keiner Wahl mehr als 1,9 Millionen Stimmen erreicht. Das heißt, nicht mal jedes ehemalige SED-Mitglied hat PDS-Linke gewählt. Diese Nachricht ist nie in den Medien verbreitet worden. Die SED war nie eine Volkspartei. Sie ist es auch nach dem Mauerfall unter neuem Namen nicht geworden, trotz aller hochgerechneten Prozente, die sie als PDS oder Linke erringen konnte.
17.2. Im Westberliner Stadtteil Frohnau wird der dreißigste Grenzübergang nach dem Fall der Mauer eröffnet.
18.2. Auf der Berlinale demonstrieren Rumänische Filmemacher , um auf die noch bestehende Filmzensur in ihrer Heimat aufmerksam zu machen.
19.2 Auf der Sitzung des Zentralen Runden Tisches wird der Staatsbesuch der „Regierung der Nationalen Verantwortung“ mit 17 Ministern, darunter den acht neuen, in Bonn ausgewertet. Auf dieser „Butterfahrt ohne Butter“(E. Neubert) verlangte Modrow 10-15 Milliarden „Solidarbeitrag“ von der Bundesrepublik. Cash und sofort. Im Anbetracht der bevorstehenden Wahl wäre das ein beispielloser Erfolg für das SED-System gewesen. Die Regierung Kohl lehnt das mit Recht ab. Die Bürgerrechtler am Runden Tisch dagegen unterstützen Modrow. Ehrhart Neubert liefert die beste Zusammenfassung des Geschehens: „Das wichtigste Stichwort lieferte der Vertreter des Neuen Forums, Werner Schulz: „Wir sind nicht der kleine Michel...Wir haben auch etwas einzubringen....die Erfahrung einer Demokratiebewegung, die einzigartig ist in der deutschen Geschichte“ Doch diese Demokratiegeschichte war eine Revolution und Modrow stand auf der Seite der Verlierer. Jetzt aber kittete Schulz die Bruchlinie zwischen SED und Revolution. Schulz und die Minister ohne Geschäftsbereich bedankten sich ausdrücklich bei Modrow. Das war mehr als Höflichkeit....Mathias Platzeck (Grüne Partei) : „Wir müssen uns auf unsere Möglichkeiten, Kräfte und Fähigkeiten besinnen.“ Gerd Poppe (Initiative für Frieden und Menschenrechte): „ es war immer nur von Geld die Rede...es ging nicht um die Akzeptanz einer spezifischen DDR-Identität.“ Man bedankte sich bei Modrow und ließ sich versichern, dass „wir dort (in Bonn )mit der Würde und der Identität von DDR-Bürgern aufgetreten sind“ Neubert kommentiert: „Das war nicht der Geist der Revolution, sondern der Geist einer DDR-Identität, die sich über die gerade erstrittene Freiheit erhob und Revolutionäre und Exdiktatoren vereinte. Diese Identität...erwuchs aus den Sedimenten der verinnerlichten Unterdrückung, zu denen auch die Annahme eines einheitlichen DDR-Kollektivs und die Minderwertigkeitskomplexe des kleinen DDR-Michel gegenüber dem großen bundesdeutschen Michel gehörten. Dessen Geld wollten alle haben, aber zugleich fürchteten sie sich vor ihm.“
Bei manchen Oppositionellen ging diese irrationale Furcht so weit, dass sie sich in Modrows Machterhaltungsstrategien willig einbinden ließen, offenbar ohne es recht zu bemerken. Die DDR-Bürger vor dem Fernseher scheinen jedoch genau zugehört zu haben. Bei der kommenden Wahl zeigten sie den Bürgerrechtlern, was sie von der „DDR-Identität“ hielten. Wer die Protokolle des Runden Tisches liest und sie mit der Stimmung auf den Demonstrationen vergleicht, weiß, dass die Wahlniederlage der Opposition bei den ersten freien Wahlen in der DDR selbst verschuldet war.
Der Runde Tisch beschließt in der Folge der oben geschilderten Debatte, dass ein Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetztes nicht möglich sein soll.
20.2. Die Volkskammer beschließt das Wahlgesetz für die ersten freien Wahlen. Zum glück für die Opposition ohne eine 5-Prozent-Hürde.
21.2. Polen fordert von beiden deutschen Staaten nach der Volkskammerwahl eine Erklärung über die Unverletzlichkeit der polnischen Westgrenze.

Zuerst erschienen bei vera-lengsfeld.de

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