Diktatoren, Sanktionen oder: Ist Demokratie das Wichtigste?

Belarus ist auch morgen eine eindeutige Diktatur. Und trotzdem ist es richtig, dass die EU jetzt die Sanktionen gegen Belarus aufgehoben hat.

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Aus mehreren Gründen. Schon rein pragmatisch muss klar sein, dass man nicht gegen alle Welt Sanktionen umsetzen kann. Das Instrument wirkt nur, wenn es gezielt eingesetzt wird, und nicht zur Allerweltswaffe wird.

Zum zweiten haben die Belarus-Sanktionen etliches bewirkt. Belarus hat ein wenig seine menschenrechtswidrigen Praktiken gelockert. Es hat viele politische Gefangene freigelassen. Es hat im Ukraine-Krieg eine positive und halbwegs ehrlich wirkende Vermittlerrolle gespielt. Und es versucht offensichtlich, sich aus einer einseitigen Abhängigkeit von Russland wieder freizuspielen – vielleicht auch deshalb, weil die russische Wirtschaftskrise das Putin-Imperium heute als viel weniger attraktiv erscheinen lässt denn früher.

Vor allem aber sollte der Westen generell in einem Objektivierungsversuch viel stärker nachdenken, wann Sanktionen oder gar Intervention legitim sind. Denn es wäre brandgefährlich und völlig unglaubwürdig, wenn diese Waffen nur nach dem Zufallsprinzip oder als Reaktion auf die jeweilige Intensität der journalistischen Berichterstattung eingesetzt werden. Man kann nicht China hofieren und Belarus bestrafen. Weder in Sachen Menschenrechte noch in Sachen Demokratie steht China besser da. Ganz im Gegenteil.

Neuerdings ist auch die Türkei bei beiden Parametern nicht besser zu bewerten als Belarus. Daran ändert der Umstand nichts, dass Angela Merkel und Werner Faymann derzeit die Türkei geradezu zur Ehre der Altäre erheben wollen. Aber die Türkei behandelt Regimegegner oder gar Journalisten derzeit schlechter als Belarus-Diktator Lukaschenko. Und die Türkei führt einen aggressiven Krieg gegen die Kurden innerhalb und auch außerhalb ihrer Grenzen.

Ganz generell sehen wir zugleich eine Abenddämmerung der demokratischen Euphorie. Der Westen musste lernen: Demokratie ist kein Zaubertrank, der alle Beschwerden heilt. Ganz im Gegenteil: Aus zahlreichen Beispielen haben wir gelernt, dass die von außen erzwungene Einführung von Demokratie meist nicht funktioniert. Diese muss vielmehr in aller Regel in einem schmerzhaften Prozess im Land selbst wachsen. Das kann man von außen nur marginal unterstützen.

Zugleich ist uns in Erinnerung gerufen worden, dass es Schlimmeres gibt als eine Diktatur: Das ist der totale Zusammenbruch, das Verschwinden jeglicher staatlicher Struktur, die Herrschaft von vielen einander bekämpfenden War Lords, das ist die völlige Gesetzlosigkeit, die Anomie, die Machtübernahme des Faustrechts. Von Somalia bis Libyen gibt es in den letzten Jahren genug Beispiele, wo heute wohl jeder sagen muss, dass es für die Menschen dort viel besser war, als noch die einstigen Diktatoren regiert haben. Insbesondere die Schwachen.

Solange eine Diktatur nur gegen politische Aktivisten vorgeht, die die Macht der Diktatoren bedrohen könnten, aber solange sie die Menschen in ihrem Privat- und Familienleben, in ihrem Denken und Wirtschaften halbwegs in Ruhe lässt, solange sie Ruhe und Ordnung sichert, dann ist das zwar noch immer ein widerliches System, aber es gibt kein Recht, es von außen zu stürzen. Denn es droht weit Schlimmeres.

Vollständiger Beitrag erschienen auf andreas-unterberger.at

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Bakelari

sehr guter Artikel, vielen Dank, hat Tatsachen richtig beschrieben. Das sollte auch für Russland so gesehen werden. Putin ist zwar im Westen umstritten, aber was wäre aus Russland geworden ohne ihn?

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