Die Unterforderungsfalle (2)

Welche Kinder sind robuster? Diejenigen, denen die Eltern ein Leben im Schongang ermöglichten oder diejenigen, welche reichlich Herausforderungen zu bestehen hatten?

Veröffentlicht:
von

Beispiele der Unterforderung

Stellen Sie sich selbst die Frage, wo es in der Familie oder Schule, z.B. im Sportunterricht, Beispiele der Unterforderung gibt und wie es zu einem solchen Verhalten kommt. Wir finden eine Antwort bei den klassischen Verwöhnmotiven:

    * Erhalt der eigenen Ruhe (das eigentliche Bedürfnis nicht wahrhaben wollen)

    * Vermeidung von Entscheidungen und Konflikten (keine Position beziehen wollen)

    * Gewinn oder Erhalt von Sympathien (gefallen wollen, Dankbarkeit erzeugen wollen)

    * Begrenzung von Verantwortung (zur Reduzierung der eigenen Unsicherheit und Angst)

    * Der kurzfristige Gewinn von Zeit. 

Die Grundhaltung, immer den einfachen Weg gehen zu wollen, der fehlende eigene Lebensmut, werden zum Gradmesser für eine Disposition zum Verwöhner. Den Grund für einen solchen gesellschaftlichen Trend sehe ich in folgendem Phänomen:

Wir haben – kollektiv – verdrängt: Wachstum – Erwachsen-Werden - entsteht durch Anstrengung, durch das eigenständige Meistern von Aufgaben oder Problemen, entweder auf einzelne Personen oder eine ganze Gesellschaft bezogen. (Wirtschaftswachstum)

Im Bereich des Sport ist dies offensichtlich. Dann, wenn es fast nicht mehr geht, wenn es anfängt weh zu tun, erweitert sich unser Können, werden Leistungsgrenzen überschritten.

Auch für die Aneignung von Wissen, technischen Fertigkeiten, geistiger Fitness trifft zu, dass nur ein ‘Dranbleiben’ die Kondition erweitert oder wenigsten hält. Und für das Entwickeln von sozialer Kompetenz ist dies keinesfalls anders. Hier sind dann ‘seelische Muskeln’ zu trainieren, um fit zu werden bzw. zu bleiben. Fehlt ein solches Training, werden Hürden als angeborene Grenzen oder als störende Akte der Umwelt erlebt.

Immer geht es darum:

    * vom noch Nicht-Können zum Immer-umfangreicher-Können

    * vom Verharren vor Hürden zum: „Wie kann es trotzdem gehen!“ zu gelangen. 

Fehlt ein solches Training, werden Hürden als angeborene Grenzen oder als störende Akte der Umwelt erlebt, wird Erwachsen-Werden verhindert. Setzt hier kein Kurswechsel ein, geraten noch mehr perspektivlose Nesthocker unvorbereitet als Berufstätige in einen aggressiven Wettbewerb innerhalb globaler Wirtschaftsstrukturen. Für Menschen mit wenig Können und Wollen bleiben dann nur Randpositionen oder Bauchlandungen. Denn nur starke Kinder werden sich mutig den vielfältigen Herausforderungen des Lebens stellen! Um dieses Ziel zu erreichen, existieren geeignete und weniger geeignete Wege:

Die Regel 3 = 3 = 3

Spaßpädagogik - Verwöhnen - Unterforderung als Nährboden äußert sich als:

    * falsches Helfen: Eltern übernehmen die vom Nachwuchs selbst zu erlernenden Funktionen

    * fehlende Begrenzung : Eltern kapitulieren vor den Aktionen ihrer Kinder bzw. Jugendlichen

    * ausbleibende Herausforderung: Eltern verhindern eine mutmachende Entwicklung 

Die Folgen sind:

Nichtkönnen -> Abhängigkeit -> Anspruchshaltung

Die subtile Botschaft solcher Akteure lautet: Ich traue es dir nicht zu. Schau her, ich kann es besser.

„Kinder bekommen zu wenig von dem, was sie brauchen, wenn sie zu viel von dem bekommen, was sie wollen“, wie Jugendforscher Klaus Hurrelmann herausstellt. Aber: „Aus Kindern, die zu viel dürfen, werden Jugendliche, die zu wenig können.“

Unterforderung bzw. Verwöhnung heißt, Kinder vor vermeintlich unangenehmen oder schwierigen Aufgabenstellungen bzw. Lebenserfahrungen schützen zu wollen und sie damit gleichzeitig unvorbereitet den Anforderungen des Lebens in Beruf, Partnerschaft und Freizeitgesellschaft auszusetzen:

    * „Diese Mühe habe ich ihr erspart, ich tat es gerne!“

    * „Damit es nicht noch länger dauert, mir geht es wirklich leicht von der Hand!“

    * „Lass es, ich mach das schon für Dich!“

    * „Wenn du es nicht möchtest, ist das auch nicht schlimm.“ 

Schließlich bereitet Helfen ja Freude, einem Gegenüber ein Leben im Schongang zu ermöglichen, vermittelt das gute Gefühl des Gebrauchtwerdens.

Ein Gedanken-Experiment

Dem Goldhamster das Laufrad nehmen, damit er sich nicht mehr genötigt sieht, sich per Dauer-Rennen zu schinden, um sich tagsüber ganz entspannt auf die Nacht-Ruhe einstellen zu können. Übertragen Sie das auf den Umgang mit Kindern und Jugendlichen.

Wichtig ist: Wer sich für eine alters- und anlagengerechte Herausforderung einsetzt, engagiert sich gleichzeitig für einen neuen Umgang mit Menschen.

Und dieser Handlungsrahmen wird durch drei Worte konkretisiert:

    * wohlwollend

    * vorlebend

    * konsequent! 

Und dies kann nach meiner Einschätzung nur ein Mensch, wenn er aus wohlverstandener Zuwendung und Liebe handelt.

Wer unterfordert bzw. verwöhnt, verstößt gegen das Gesetz: ‘Alle Erziehungsmaßnahmen sind zum Wohle des Kindes durchzuführen’. (Grundgesetz Artikel 6 sowie BGB §§ 1626 u. 1627 sowie die Präambel des KJHG/ bzw. StGB 8)

Jede Unterforderung verhindert kontinuierlich:

    * Interesse und Neugier

    * Auseinandersetzungsbereitschaft

    * Kraft und Ausdauer

    * Eigeninitiative

    * Zielstrebigkeit

    * angemessene Rückmeldungen

    * Anerkennung (wer keine Anerkennung findet, erkennt auch nichts Anderes an!)

    * Grenzerfahrungen

    * Selbst geschaffenen Erfolg

    * ein realistisches Selbstbild und damit Selbstvertrauen (wer sich nicht traut, traut auch keinem Anderen)

    * Zufriedenheit und Selbstwert (wer sich selbst nicht als Wert erfährt, achtet auch keine anderen Werte)

    * Lebensmut

    * Toleranz und Rücksicht

    * Eigenständigkeit

    * Verantwortung

    * soziale Kompetenz 

Jede Unterforderung verhindert ein erfolgreiches Leben!

Folgen einer kontinuierlichen Verhinderung

    * Trägheit

    * Unfähigkeit und Verfallenheit (sowohl körperlich wie auch geistig!) 

Einige Konkretisierungen:

    * große Defizite im Sprach- und Sprechvermögen (25% der 3 - 4jährigen sind sprachlich zurückgeblieben, Ende der 70ziger Jahre lag die Quote bei 4%. (So der Direktor der Klinik für Kommunikationsstörungen an der Uni Mainz.)

    * ein rapides Abnehmen von Antriebsstärke bzw. Anstrengungsbereitschaft

    * eine rasante Zunahme an übergewichtigen Kindern und Jugendlichen als Folge einer zu geringen Bewegungs-Herausforderung, oft in der Kombination mit Frust-Essen. Weniger als ein Drittel der Kinder in Deutschland erreicht die 60 Minuten Bewegung am Tag, wie sie von der Weltgesundheits-Organisation empfohlen wird. 86% der Kinder können nicht eine Minute lang auf einem Bein stehen, so ein Zeitungsbericht vom 13.2.2009. 26 % der Grundschulkinder, welche zur Schule mit dem elterlichen PKW gefahren werden, haben einen Schulweg von unter 800 Metern. 

Damit wachsen Kinder und Jugendliche in die Unfähigkeit. So können sie weder Eigenständigkeit, Selbstvertrauen noch Lebenskompetenz entwickeln. So ist jede leicht gemachte Annehmlichkeit ein Training zur Unfähigkeit.

In Folge dieser fehlenden Fähigkeiten und damit ausbleibender Erfolge bzw. positiver Rückmeldungen verursacht jede Unterforderung Entmutigung, Misserfolg und Frustration.

    * nicht mehr Wollen führt zu Unterwerfung und Selbstaufgabe, und schließlich zur Depression

      oder zur Selbstzerstörung

    * gewaltsam alles Haben-Wollen führt zu Herrschsucht und zur Aggression 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Erziehungstrends.de

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Keine Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang