China ist groß. Es ist größer, als das dem Westen bewusst ist. Nicht nur Rot-China ist ein chinesischer Staat. Auch Hong Kong ist China und de facto unabhängig – wirtschaftlich, kulturell und sprachlich (kantonesisch) genauso wie Taiwan und Singapur im Kern chinesische Staaten sind. Sie agieren als selbständige Mächte. Die Chinesen haben erkannt, dass den USA als Fremdmacht in ihrem Revier leichter mit einem Flottenverband aus Kreuzern und Fregatten beizukommen ist, als mit einem riesigen Schlachtschiff. Deshalb halten sie im Konflikt mit Taiwan den Ball flach und lassen Hong Kong seine Selbständigkeit. Auch Macao darf vor sich hinwurschteln. Chinesen beherrschen ohnehin die Wirtschaft des gesamten Pazifikraums.
Die Hierarchie der ökonomischen Beziehungen lässt sich in der gesamten Region grob auf folgenden Nenner bringen: Die Chinesen führen die Wirtschaft und den Großhandel, die Inder das Handwerk und den Einzelhandel, die Autochthonen stellen die Bauern, Lohnsklaven und Tagelöhner. Das ist selbst in Malaysia so, einem hochentwickelten, islamischen Staat mit moderner Infrastruktur, obwohl die Regierung durch “positive“ Diskriminierung gegenzusteuern versucht. Gehen Sie in Asien in einen größeren Betrieb – es wird Ihnen höchstwahrscheinlich ein Chinese als Chef gegenübertreten. Personale japanische Präsenz – Fehlanzeige. Japan ist in einer zwiespältigen Situation. Die Chinesen beginnen das japanische Vermächtnis von 1945 zu erfüllen, doch nun stellt sich für Japan die Existenzfrage, welcher Hegemon das geringere Übel sei, das Riesenreich der Mitte vor der Haustür oder die USA jenseits des Pazifiks. Da fällt die Entscheidung leicht – die ungeliebten USA. Auch die Vietnamesen träten gern noch einmal gegen die Yankees nach, doch auch sie wissen bereits aus Erfahrung (Chinesisch-Vietnamesischer Krieg 1979); dass es mit der Zurückhaltung der Chinesen nach dem Sieg über das Angloimperium vorbei sein dürfte.
Alle Asiaten zusammen unterscheiden nicht zwischen englischsprachigen Männern, welche aus England kommen oder aus Amerika. Für sie sind sie Vertreter des Angloimperiums, welche den Pazifikraum seit dem Ersten Opiumkrieg beherrschen. Seit sich Chinas Selbstbewusstsein (Sinozentrismus) zu entwickeln begann – also seit der Antike – war das Reich der Mitte die Macht, welche den Handel Ostasiens mit Silber, Rohstoffen, Nahrungsmitteln, Tee und Seide beherrschte und seine Monopolstellung bis 1820 auch gegen die Europäer verteidigen konnte. Chinas Preissetzungsmacht erzeugte Anfang des 19. Jahrhunderts eine existenzielle Silberknappheit in Europa, denn damals tauschte man Waren noch gegen richtiges Geld. Deshalb hielt es das British Empire im Opiumkrieg von 1839 bis 1842 für angemessen, mit militärischer Gewalt das Handelsmonopol Chinas zu brechen und durch Rauschgiftimporte das Land in die Unregierbarkeit zu führen. Die Demütigungen, welche zur Durchsetzung von Englands Kolonialinteressen eingesetzt wurden, bestimmen bis heute das Bewusstsein der ganzen Region. Der anfängliche Jubel der Asiaten über die Vertreibung des Angloimperiums im Zweiten Weltkrieg kam zu früh. Die Japaner haben es auf der ganzen Linie versemmelt, wie Hitler in Europa.
Daher fühlten sich die chinesischen Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg zu dieser Aufgabe berufen. Von der unangefochtenen Hegemonialmacht Asiens zu einer Kolonie westlicher Mächte geprügelt worden zu sein, war der Stachel, der die Maoisten in den Sattel hob und ist es, was die kommunistische Partei Maos bis heute fortdauernd antreibt. Die US-Präsenz und der Dollar stören unverändert das Selbstbild nicht nur der Chinesen.
In der westlichen Welt wird Rot-China in zwei Epochen wahrgenommen, vor und nach Deng Xiaoping. Man sieht das China der Steinzeitkommunisten und der Kulturrevolution und danach den turbokapitalistischen Tigerstaat und meint, beides hätte nichts mehr miteinander zu tun. Doch das täuscht. Die Methode hat sich geändert, jedoch nicht das politische Milieu. Mit der Kontinuität der alten Eliten, aber mit neuem Ansatz, wird unverändert das alte Ziel verfolgt: Die „Befreiung vom US-Imperialismus“.
War es das Angloimperium mit seiner East India Company, welche die Wirtschaft Chinas unterwarf und für sich dienstbar machte, ist es heute China mit seinen Stützpunkten im Angloimperium (Chinatowns); welches mit den “Vorzügen“ des ungedeckten Papiergeldsystems den Befreiungsschlag führt. Die mit chinesischer Geduld angelegte, ökonomische Strategie wird seit einem Vierteljahrhundert verfolgt (It’s the economy – now we got it!). Wer einmal die vor chinesischen Restaurants aufgebauten Zoos examiniert hat, welche nach dem Verlassen des Lokals aufgegessen sind, beschleicht in diesem Zusammenhang eine Ahnung, dass Chinesen eine andere Beziehung zu Skrupel und Gnade haben könnten als wir.
Systematisch haben die Chinesen in den letzten 25 Jahren den Dollarraum mit Importen geflutet, die sie durch diktatorische Kontrolle ihrer Bevölkerung und eine konsequente Währungspolitik konkurrenzfrei billig liefern konnten. Dabei setzten sie auch demographisch alles auf eine Karte, indem sie die hochproduktive Babyboomer-Generation der Kulturrevolution (1966 - 76) durch die Einkindpolitik von finanziellen Lasten freihielten, denn keine Kinder bedeutet keine Familien = keine Kosten = keine Binnennachfrage. Der größte Teil des chinesischen Produktionsvolumens konnte so für die Zersetzung der wirtschaftlichen Existenzgrundlagen des Gegners eingesetzt werden.
Wir sind Zeugen einer ökonomischen Materialschlacht unbekannten Ausmaßes. Anders als die demokratische Kriegsmaschine USA arbeiten die Chinesen mit subtiler Raffinesse. Mit dem Zeithorizont einer ganzen Generation fädeln sie weltweit wirtschaftliche Partnerschaften ein und bringen die Kinder weißer Eliten dazu, in vorauseilendem Gehorsam Mandarin zu lernen. Sie sichern sich die Sympathien des bankrotten Europas und kaufen PIGS-Bonds, um sich die mächtige Gläubigerposition zu sichern, potentielle Verbündete der USA zu neutralisieren und so die USA strategisch zu isolieren. So geht Kalter Krieg und nicht durch Wettrüsten! Die “Dollarreserven“, die sie zurzeit in Staatsanleihen des alten Imperium Romanum entsorgen, sollen ihnen perspektivisch die Macht im strategisch unverzichtbaren „keine-Mittel-mehr-Raum“ sichern. Es geschieht Unglaubliches: Das seit der Antike überdauernde China greift nach dem antiken Rom. Auch zeichnet sich deutlich eine germanische Allianz ab, denn wer kommt für den Nord-Euro oder die Nordmark infrage? Die alten Griechen (Ostrom) und Römer (Westrom) sicher nicht und Frankreich versinkt in seinen impliziten Staatsschulden. Ohne Versailles II (8.Mai 2010) ist es verloren. „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“ (Mark Twain). Allerspätestens wenn uns die Chinesen am Limes gegenüberstehen, ist es Zeit, sich der Diplomatie Bismarcks zu entsinnen.
China ist allerdings selbst an einem Punkt angekommen, an dem es wenden muss, wenn es sich nicht substantiell erschöpfen will. Dass es bereits wendet, lässt sich am BDI (Baltic Dry Index) ablesen – ein unbestechlicher Indikator für die Weltwarenströme (Schiffsfrachtraten); die beginnen nach Osten umzudrehen. Zur Abwendung eines demographischen Desasters muss China die Volksvermehrung wieder freigeben und dafür die Blind-Exporte ins Inland umlenken. Genau jetzt – 2011 bis 2012 – ist es an der Zeit, denn Chinas Produktivität wächst sich zur Blase aus, die ins Innere des Reiches abgelassen werden muss. Die Geisterstädte des Immobilienbooms schreien danach bewohnt zu werden. Die Wanderarbeiter müssen sich endlich in den Städten niederlassen dürfen. Der krasse Unterschied zwischen Stadt und Land muss ausgeglichen werden und die murrenden Massen müssen ihre Konsumbedürfnisse befriedigen können.
Wenn die Kommunistische Partei ihre Macht sichern und nicht in einer Revolte wegen der inflationären Wirkungen der hemmungslosen Dollarvermehrung auf den Rohstoff- und Lebensmittelmärkten untergehen will, bleibt ihr nicht mehr viel Zeit zum Handeln. Auch der Renminbi (RMB=Währung, Yuan=Geld) wird inflationiert, denn die chinesische Notenbank subventioniert bei der Konvertierung des Dollar zum RMB die chinesischen Produzenten und teilsozialisiert die Produktionskosten der Exporteure. Ziel ist die Zerstörung des Dollars und eine Schlüsselposition des Yuan auf dem Weltmarkt.
Die Achillesferse der USA ist ihre “Weltleitwährung“, die sich zu zwei Dritteln in der Hand ausländischer Gläubiger befindet. Aus der Inflation (QE 1, 2, 3…und hopp!) der Konten der Welt finanziert die US-Hochfinanz ihren militärisch-industriellen Komplex. Dieses Mordsinstrument ist auch das einzige, was nicht von den aktuellen Sparmaßnahmen der Obama-Administration berührt wird. Wer nicht von Geschichtsvergessenheit geplagt ist weiß, dass das Angloimperium immer dann das Heil im Krieg suchte, wenn der Wallstreet (Deckadresse: Washington D.C.) das Heft des Säbels aus der Hand zu gleiten drohte. Das war 1864 so, 1915, 1941, 1991 und 2001, um nur ein paar markante Daten zu nennen. Selten benötigten die USA dringender einen Krieg als heute, denn sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Im Krieg sind die Amerikaner immer die Guten, daran haben sie als demokratische Missionare keinen Zweifel, es muss nur noch ein Anlass lanciert werden, welcher die Bevölkerung in die rechte Kriegshysterie versetzt, z.B. ein Fort Sumter, eine Lusitania, ein Pearl Harbor, ein eigener Vasall namens Saddam oder korrekt einstürzende Hochhäuser.
Deshalb halten die Chinesen gespannt die Faust um die Kette, welche die Schleusentore für den Greenback-Tsunami geschlossen halten. Nur Sickerdollar geht kontrolliert durch die Düker. Wenn Sie eines Tages in den Systemmedien folgendes lesen und hören: „Heute haben die USA mit der Volksrepublik China umfassende Handelsverträge über die Lieferung von amerikanischen Industriegütern im Wert von mehreren Milliarden Dollar abgeschlossen. Die Handelsverträge sind ein Ausdruck normalisierter Wirtschaftsbeziehungen gleichberechtigter Partner.“, dann ist es soweit: Sind die Unterschriften unter den Lieferverträgen trocken und die USA im Lieferzwang, dann ziehen die Chinesen den Abverkauf aller ihrer noch auf Dollar lautenden Papiere innerhalb weniger Tage durch. Dann kollabiert „Die Moderne“ in wenigen Tagen. Das Manöver kostet unsere gelben Freunde nur den Bruchteil eines Krieges. Der Renminbi wird dann unmittelbar konvertierbar gemacht und sofort derart aufwerten, dass die Chinesen ihre Defizite mit Leichtigkeit in kürzester Zeit ausgleichen können, wodurch die Verluste aufgefangen werden. Dass die Chinesen ihre „Dollarreserven“ nicht „aufs Spiel“ setzen würden, ist eine unbegründete Annahme. Im Gegenteil, die chinesische Dollarlawine ist bewusst aufgestaut worden, um Volumen für die große Flut zu haben, welche das sich ans grüne Papyrusboot klammernde Angloimperium hinwegspülen wird. Die US- Pazifiktruppen werden nach Hause trampen müssen.
Farewell Angelina!!!
Artikel erschien am 14. Februar 2011 im ef-magazin
Kommentare zum Artikel
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Viel Deutung, wenig Belege.
Eine sehr gute und beeindruckende Analyse. Danke.
Köstlich zu lesen, weiter so. Ich sehe es ähnlich.
Portugal Kredit zu gewähren,nachdem man die port. Textilindustrie geschlachtet hat, ist schon clever.