Die Tücken archaischer Intuition

Unser ökonomisches Alltagsverständnis ist oft meilenweit von dem entfernt, was einem aus einer rationalen Perspektive so naheliegend erscheint. Könnte es sein, dass unsere geistige Evolution mit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht Schritt halten konnte?

Veröffentlicht:
von

Warum nehmen die Menschen den Preismechanismus nicht als einen effizienten Weg zur nutzenmaximierenden Verteilung von Ressourcen war, sondern sehen viele in Preisen lediglich ein sinisteres Mittel der Vermögensumverteilung auf Märkten? Warum wird die auf Märkten gehandelte Menge an Gütern häufig als unveränderlich angesehen und nicht in den Zusammenhang mit der Höhe der erzielbaren Preise gebracht? Im ökonomischen Denken von Otto-Normalverbraucher dreht sich fast alles um die Verteilung von Wohlstand, an den Zuwachs von Wohlstand durch gegenseitig vorteilhaftes Handeln wird dagegen oft kein Gedanke verschwendet. Für viele ist die Wirtschaft ein Nullsummenspiel, in der Gewinne des einen nicht anderes als Verluste des anderen sind. Nicht nur Konsumgüter werden durch diese Brille betrachtet, auch neue Jobs erscheinen den meisten als Zugewinne zu Lasten der Arbeitsplätze anderer. Was aber könnte die Ursache für diese intuitive Perspektive auf die Wirtschaft sein? Warum kann sich der Großteil sonst so aufgeklärter Menschen, nicht von wirtschaftspolitischen Ansichten emanzipieren, deren politische Konsequenzen handfeste Wachstumsbremsen sind?

Für den amerikanischen Ökonom Paul H. Rubin, Professor an der Emory University in Atlanta, kann die Evolutionspsychologie einige interessante Erklärungsansätze für diese Denkmuster geben. Die Evolutionspsychologie verknüpft Erkenntnisse der Soziobiologie mit der Psychologie und versucht auf diesem Wege Antworten auf die evolutorischen Wurzeln menschlichen Verhaltens zu finden. Das menschliche Gehirn entwickelte sich zur Lösung von Problemen der Anpassung an eine natürliche und gesellschaftliche Umwelt, die fundamental von der heutigen Situation unterscheidet. Seit der Mensch sich vor wenigen zehntausend Jahren aus diesem Naturzustand hinaus in die von technischen und gesellschaftlichen Umwälzung geprägte moderne Umwelt entwickelte, hat sich jedoch wenig an seiner mentalen Architektur geändert. Was sich über Äonen entwickelte und bestens angepasst war an die Probleme einer vergangenen Zeit, konnte mit der stürmischen Entwicklung seitdem nicht Schritt halten. Die längste Zeit seiner Entwicklung lebte der Mensch als Jäger und Sammler, in kleinen Gruppen, innerhalb einfacher sozialer Strukturen, in einem Wirtschaftssystem, dass kaum Vorratshaltung und Ersparnis kannte und aufgrund seiner geringeren Größe kaum von Arbeitsteilung und Spezialisierung geprägt war. Gewinne des gegenseitigen Tausches waren verhältnismäßig klein und beschränkten sich häufig auf den intertemporalen Austausch identischer Güter, Ausdruck eines reziproken Altruismus, der wenig mit der Spezialisierung auf die Produktion unterschiedlicher Güter zu tun hatte. Unter diesen Bedingungen war soziale Kontrolle für die Menschen essentiell, wollten sie sich wirksam gegen eine Übervorteilung durch ihre Mitmenschen zur Wehr setzen.

Diese Phase der menschlichen Entwicklung war geprägt von starker Reziprozität und eine sehr stark auf Gleichheit ausgerichtete Form des gegenseitigen Austauschs. Mit Sicherheit gab es aber auch damals Menschen, die versuchten ihren Teil zum kollektiven Austausch zu minimieren und stattdessen ihre Mitbürger zu belasten. Hatte jemand innerhalb der überschaubaren Gruppen deutlich mehr als andere, dann war dies mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis fehlender Bereitschaft zu teilen oder aber die Folge fehlender Reziprozität. Ungleiche Vermögensverteilung war eher ein Ausdruck von Drückebergerei und Ausbeutung als Folge hoher Produktivität oder eines seltenen Talentes. Kein Wunder, dass unsere Vorfahren derartiges Verhalten mit besonderem Argwohn betrachteten und versuchten wirksam zu bestrafen. Um selbst nicht Opfer von unsozialem Verhalten einzelner Gruppenmitglieder zu werden, war die Kontrolle der Umstände des gegenseitigen Austausches von großer Bedeutung. Die unbedingte Vermeidung von Übervorteilung sowie die sich daraus ableitende moralische Verurteilung und Bestrafung von betrügerischem Verhalten dürfte ein wirksames Mittel zur Reduzierung der Wahrscheinlichkeit von wirtschaftlichen Schäden durch Betrug und Diebstahl gewesen sein. Da unser Denken sich über extrem lange Zeiträume in einem derartigen Umfeld entwickelte, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich diese psychologische Adaptation bis heute erhalten hat. Dieses Denken bildet bis heute den Kern der intuitiven Ökonomie vieler Menschen.

An unsere moderne Welt mit globalen Wirtschaftsbeziehungen, extrem weitverzweigten, anonymen und wenig überschaubaren Tauschkaskaden und in die Millionen gehenden menschlichen Agglomerationen sind diese Denkmuster wenig angepasst und bergen die Gefahr zu falschen Interpretationen der wirtschaftlichen Realität zu führen. Dafür gibt es unterschiedliche Anhaltspunkte: So ist etwa das naive Verständnis des internationalen Handels, das vor allem auf Arbeitsplatzeffekte fokussiert ist und weniger aus der Perspektive von Produktivitätsgewinnen und steigenden Konsummöglichkeiten gesehen wird, ein nicht zu unterschätzendes Hemmnis für die Entwicklung des gesellschaftlichen Wohlstands. Die eingeschränkte Wahrnehmung der Globalisierung, sie würde nur zu einer Auslagerung einer fixen Anzahl von Arbeitsplätzen führen, macht es nationalen Interessengruppen deutlich einfacher protektionistische Maßnahmen in politischen Entscheidungsprozessen durchzusetzen. Mindestlohngesetze oder gesetzlich fixierte Tarifvereinbarungen werden lediglich als Instrument der Verteilung von Gewinneinkommen wahrgenommen, wohingegen ihre Anreizwirkungen auf Arbeitsangebot und -nachfrage unberücksichtigt bleiben. Ein weiteres Beispiel ist die weitverbreitete Wahrnehmung der Finanzierung des Staates. Auch hier steht die Umverteilungsfunktion als Regulativ für eine von vielen als Ungerechtigkeit wahrgenommene Ungleichverteilung der Marktergebnisse im Vordergrund. Anreizeffekte und ihre Wirkung auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität werden dagegen vernachlässigt. Schließlich ist die weitverbreitete Wahrnehmung des unternehmerischen Erfolgs als ungerechtfertigte Bereichung von Managern und Investoren zu Lasten der Arbeitnehmer und Verbraucher ein gutes Indiz für die Interpretation der Wirtschaft als Nullsummenspiel durch die Allgemeinheit. Wenn in der Welt unserer Vorfahren der Wohlstand begrenzt gewesen ist und Reichtum nur durch List und Betrug zu erreichen war, dann ist es wenig verwunderlich, das uns diese archaische Intuition heutzutage häufig auf die falsche Fährte lockt.

Welche Lehren kann man aus diesen Erkenntnissen ziehen? Da die Wohlstandsmehrung und die wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich von den wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen abhängen und diese das Ergebnis demokratischer Entscheidungsprozesse sind, deren Akteure sich an den politischen Ansichten ihrer Wähler ausrichten, ist das Durchbrechen überholter Denkweisen ein nicht zu unterschätzender Fortschrittsfaktor. Es kommt daher darauf an, die Vorteile der Marktwirtschaft, die sich im Kern nicht von freiwilligen Austauschprozessen unterscheidet, anhand einfacher Beispiele zu erläutern und zu popularisieren. Auch auf diese Weise  können die Menschen aus ihrer Geschichte lernen.

Weiterführende Literatur:

Paul H. Rubin (2003): Folk Economics, Southern Economic Journal, 70(1); 157-171.

Paul H. Rubin (2003): Darwinian Politics. The Evolutionary Origin of Freedom, Rutgers University Press.

Matt Ridley (1997): Die Biologie der Tugend, Ullstein-Verlag.

David D. Friedman: Economics and Evolutionary Psychology, Online-Paper.

Bryan Caplan (2007): The Myth of the Rational Voter, Princton University Press.

Dieser Beitrag erschien auch auf "Denken für die Freiheit", dem Weblog des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Ihnen hat der Artikel gefallen? Bitte
unterstützen Sie mit einer Spende unsere
unabhängige Berichterstattung.

Abonnieren Sie jetzt hier unseren Newsletter: Newsletter

Kommentare zum Artikel

Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.

Gravatar: Freigeist

Hallo,
diesen Artikel kann ich unterschreiben.

Leider ist das Kirchturmdenken in Deutschland ein Hemmschuh. Ich meine nicht die Religion, sondern das fehlende Denken über den Tellerrand hinaus.

Fragen Sie beispielsweise einen Bürgermeister und einige Gemeinderäte wie sie die Tatsache sehen, dass in China ein Wohnblock auf Staatsland ohne Grundstückpreis gebaut werden kann, oder eine alte Fabrik für Null für eine anschließende Modernisierung zu bekommen ist. Sie werden meist erleben, wie Bürgermeister und bäuerliche Gemeinderäte weiterhin Baulandpreise in die Höhe zu treiben versuchen, aber niemals dafür sorgen werden, dass diese Preise fallen, um der Wirtschaft diese Preis-Würgeschnur vom Hals zu nehmen. Durch Bürokratie bleibt alles beim alten Zopf. Wir haben in Deutschland zu viele gutverdienende Bremser vom Dienst.
Grüße
Freigeist

Schreiben Sie einen Kommentar


(erforderlich)

Zum Anfang