Die Schweiz: Nicht mit dem Euro in die Krise!

Die Lösung des Schweizer Frankens (CHF) vom Mindestkurs 1,20 gegenüber dem Euro hat eine mehr als dreijährige Periode der Wechselkursillusion beendet.

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Wechselkursillusion entsteht immer dann, wenn Zentralbanken auf Devisenmärkten intervenieren und damit Informationssignale für die Markteilnehmer aussenden, die den interventionsbedingt gültigen Wechselkurs als „richtigen“ oder als dauerhaft verlässlichen Kurs ansehen sollen, obwohl der interventionsfreie marktdeterminierte vom interventionsbehafteten Wechselkurs abweicht. Entscheidend ist, dass die Marktteilnehmer sich auf die intertemporale Konsistenz im Interventionsverhalten der Zentralbank, die eine Interventionspolitik mit „Überraschungseffekten“ ausschließt, verlassen (können).

Diese (vermeintliche)Verlässlichkeit und die mit ihr erzeugte Wechselkursillusion ist mit dem Überraschungscoup der Schweizer Nationalbank (SNB) beendet worden, so dass die Informationssignale zukünftiger Interventionen der SNB für die Marktteilnehmer unsicher geworden sind. Das ist nun die normale Welt flexibler Wechselkurse. Die von der SNB offensichtlich erzeugte Wechselkursillusion vor dem unangekündigten Schock der Wechselkursfreigabe bestand darin, dass die Schweiz als im Trend  klares Aufwertungsland den CHF-Mindestkurs fixierte, um die schon existierende Überbewertung des CHF nicht noch höher werden zu lassen, obwohl jedermann – zum Beispiel an den interventionsbedingt stetig steigenden Euro-Reserven in der SNB-Bilanz ablesbar  –  wissen konnte und musste, dass der „wahre“ Wechselkurs sich immer stärker vom Fixmindestkurs gegenüber dem Euro nach unten entfernte.

Die dauerhafte „Leaning against the wind“-Politik der SNB, die zu einer zunehmenden Fehlbewertung des CHF geführt hat, hat der Schweiz geschadet. Es ist deshalb gut, dass diese Periode zu Ende ist – nicht zuletzt auch und besonders aufgrund der bevorstehenden Draghi-OMT-Politik, die die tatsächliche Fehlbewertung des CHF noch verstärkt hätte und auf die verhängnisvolle Abwertungsrutschbahn als Folge der – ökonomisch wie juristisch höchst  umstrittenen –  gewollt inflationstreibenden (!) und zudem wechselkursorientierten (!) EZB-Politik befördern würde. Die CHF-Loslösung vom Euro und die damit verbundene Einstellung der Euro-Käufe durch die SNB waren überfällig angesichts der Gefahr, dass noch höhere Euro-Währungsreserven der SNB zu noch höheren Abschreibungsverlusten geführt hätten – und das in einem Umfeld eines vermutlich nachhaltig steigenden US-Dollar-Kurses mit der entsprechenden Aufwertung der schweizerischen USD-Reserven, die eine Umschichtung der SNB-Reserven zugunsten des USD nahelegt. So sorgt die EZB in Verbindung mit der politisch initiierten Euro-Rettungsschirmpolitik dafür, dass der Euro keine Währung ist, die für andere Währungen die Funktion einer stabilen Referenz- bzw. Ankerwährung ausüben kann. Denn stabile Ankerwährungen bedürfen keiner ständigen und immer wieder neuen monetären, fiskalischen, politischen und appellativen  Rettungsaktionen, die paradoxerweise zudem auf mehr Inflation und Währungsabwertung abzielen.

Anpassungsschocks sind teurer als graduelle Anpassung  

Diese Feststellung ist die Gegenposition zu derjenigen, die den nunmehrigen „Katzenjammer“  der schweizerischen Wirtschaft herausstellt, weil sich deren internationale Wettbewerbsfähigkeit aufwertungsbedingt schlagartig verschlechtert habe. Das ist nur oberflächlich richtig. In Wahrheit hat sich die Wettbewerbsfähigkeit schon während der SNB-Interventionsperiode wohl nicht verbessert, was aber durch die Interventionstätigkeit der SNB verschleiert wurde. Anders gesagt: Jede längere interventionsbedingte Unterbewertung der heimischen Währung führt, ähnlich einer Exportsubventionierung, zu einer künstlichen Überhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, also zu einer Verschleierung der tatsächlichen Position, die zentralbankgesteuert keineswegs kostenlos erkauft wird.

Denn intern steht die Schweiz nun schockartig vor der Notwendigkeit struktureller Anpassungen. Wechselkursillusionsbedingte  Anpassungsschocks zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die einer längeren Periode zunehmender Entfernung von marktdeterminierten Wechselkursen geschuldet ist, ist stets mit höheren Kosten verbunden als eine prozess-graduelle Anpassung auf der Basis marktbestimmter, trenderkennbarer und deshalb weitgehend illusionsfreier  Wechselkurse, die keinen Aufwertungsstau produzieren, der sich früher oder später explosionsartig entlädt  – oft genug mit hoher Volatilität und kräftigem Overshooting, die keine trendverlässlichen Informationssignale aussenden, weil sie in aller Regel erst nach einiger Zeit zur Ruhe kommen.

Es gibt genügend viele empirische Erfahrungen, die dies bestätigen. Zu nennen ist die Zeit der  „Aufwertungsdebatte“ in Deutschland von Ende der 1950er Jahre bis zum Ende von Bretton Woods: Die DM war permanent interventionsbedingt unterbewertet und hatte also einen ständigen Aufwertungsbedarf, der zumeist gegen die Widerstände der deutschen Industrie und Politik stufenflexiv aufgelöst wurde, weil das Bretton Woods-System keine frei flexiblen Wechselkurse  vorsah. Die Wirtschaft wurde durch die vorher nicht nur nicht angekündigten, sondern politisch sogar informationsbetrügerisch explizit dementierten DM-Aufwertungen vielen Anpassungsschocks ausgesetzt, die man durch interventionsfreie Wechselkurse und entsprechend graduellen Anpassungen der Wirtschaft bei Abwesenheit von politischem Informationsbetrug hätte vermeiden können.

Das Ende des Bretton Woods-Systems liefert eine weitere bedeutende Erfahrung: Nach der temporären weltweiten Wechselkursfreigabe 1971, die zu turbulenten Wechselkursbewegungen  und nach kurzer Zeit zum Realignment führten, und erst recht nach der endgültigen Suspendierung des Bretton Woods-Systems 1973 gab es weltweit überschießende  Wechselkursanpassungen, bei denen die Unterbewertung der DM durch kostenintensive  Aufwertungssprünge beseitigt wurde. Nach einer überschaubaren Anpassungsperiode beruhigte sich der Suchprozess zu neuen Gleichgewichtskursen ohne ausbrechende Volatilitäten.

Die jahrelange Unterbewertung des chinesischen Renminbi, der eine bewusste politische  Exportexpansionsstrategie zugrunde liegt, harrt einer Korrektur in Aufwertungsrichtung, weil die mit der Unterbewertung verbundenen Strukturverzerrungen innerhalb Chinas signifikante Ausmaße angenommen haben. Die chinesische Zentralbank reagiert bereits in Aufwertungsrichtung, vermeidet jedoch den großen Aufwertungsschock durch eine Art crawling peg-Strategie, die allerdings den Aufwertungsnotwendigkeiten hinterher hinkt.

Die Kapitalbilanz dominiert die Handelsbilanz

Zurück zur Schweiz. In der Aufwertungsbewegung des CHF spiegelt sich u. a. wider, dass die  Kapitalbilanz die Leistungsbilanz der Schweiz nach wie vor signifikant dominiert und mithin vor allem der Nettokapitalimport den Aufwertungsdruck erzeugt. Wenn nun der Wechselkurs freigegeben und also nicht mehr manipuliert wird, kann eine unerwünschte zu starke CHF-Aufwertung vornehmlich über die Reduzierung des Attraktivitätsgrades der Institutionen des schweizerischen Banken- und Finanzsektors für ausländische  Kapitaldisponenten zum Beispiel durch negative Einlagenzinsen (gegenwärtig 0,75 % bei der SNB), durch höhere Depotgebühren ( „Guthabenkommission“) oder auch durch vielfältige Swap-Arrangements abgewehrt werden..

Allerdings gilt es auch zu erkennen, dass – wie die deutschen Erfahrungen immer wieder gezeigt haben – Aufwertungen der heimischen Währung wie eine Wettbewerbsfähigkeit stimulierende Produktivitätspeitsche für die Wirtschaft wirken. In Verbindung mit einer internen Abwertung über Preise und Löhne  sowie durch Arbeitsmarktderegulierungen kann diese Produktivitätspeitsche die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz mit ihrer hoch attraktiven politischen Infrastruktur stimulieren, was dann auch der Handelsbilanz langfristig zugutekommt. Dabei muss bedacht werden, dass eine Handelsbilanzanpassung Zeit braucht und normalerweise in drei Phasen abläuft: In der (sehr) kurzfristigen „ Kontraktphase“ findet durch die Wechselkursänderung lediglich eine Neubewertung der in Auslandswährung fakturierten Transaktionen statt, ohne dass es zu wesentlichen Preis- und Mengenreaktionen im Außenhandel kommt. Die Außenhandelspreise verändern sich erst in der darauf folgenden „Pass-through-Phase“ als Reaktion auf die Wechselkursänderung. Mit der wiederum danach folgenden dritten Phase der Mengenreaktion wird schließlich die – dem Elastizitätsansatz der Zahlungsbilanztheorie zugrunde liegende – längerfristige Periodenanalyse charakterisiert. In der Realität überlappen sich die Anpassungsphasen umso stärker, je geringer die Wechselkursstabilität ausgeprägt ist.

Die Euro-Zone mutiert zum Schwachwährungs-Club   

Die Abkehr des CHF von der Bindung an den Euro ist ein Signal: Die Euro-Zone wird immer mehr zum Schwachwährungs-Club, zu dem ein stabilitätsorientiertes Land wie die Schweiz nicht angekoppelt sein – geschweige ihm angehören – will. Das hat der Präsident der SNB  implizit und explizit der Öffentlichkeit offenbart. Welches Land, das sich – wie zum Beispiel Dänemark – an den Euro gekoppelt hat, wird als nächstes seinen Wechselkurs gegenüber dem Euro freigeben, um sich von der abschüssigen Währungsrutschbahn zu befreien? Und welches Land, das – wie zum Beispiel  China – seinen Wechselkurs an einen Währungskorb mit signifikantem Euro-Anteil bindet, wird die Euro-Gewichtung im Korb alsbald reduzieren? Und welches Land, das – wie zum Beispiel Griechenland – vom Wechselkurs und den Stabilitätsanforderungen des Euro geradezu „erdrückt“ wird, wird die Eurozone als erstes verlassen (müssen)? Es steht – nach wie vor – nicht gut um Europas Gemeinschaftswährung. Der Befreiungsschlag der Schweizerischen Nationalbank gibt ein sichtbares Zeichen für die nachvollziehbare Erwartung, dass die Situation vermutlich noch ärger wird. Und dies erst recht, nachdem der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, ein Jurist, die Draghi-Strategie der quasi unbegrenzten Staatsanleihekäufe grundsätzlich abgesegnet hat. Die Euro-Rutschbahn ist sichtbar eröffnet, und wenn der Europäische Gerichtshof, was zu erwarten ist, mit seinem Urteil im Herbst dem Generalanwalt folgt, dann rutscht die Euro-Zone noch tiefer in die unberechenbare Instabilität.

Beitrag erschien auch auf: wirtschaftlichefreiheit.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Coyote38

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Herr Professor Schäfer.
Ich habe Ihre klare und schnörkellose Ansprache schon vor über 20 Jahren geschätzt, als ich noch als Student bei Ihnen in der VWL-Vorlesung saß.

Was meiner - bescheidenen und unmaßgeblichen - Meinung nach bei der ganzen Perhorreszierung eines Zusammenbruchs der Euro-Zone in der deutschen (politischen) Diskussion immer (bewusst?) unterschlagen wird, ist die Tatsache, dass die Deutschen BÜRGER von einem Tag auf den anderen eine GRANITHARTE Währung in den Händen halten würden, welche eine deutliche Kaufkraftsteigerung und damit einen signifikanten Anstieg der Binnennachfrage zur Folge hätte.
DIESE Auswirkung können wir nämlich gerade exemplarisch bei den Schweizern beobachten. Aber wahrscheinlich ist eine politische Entscheidung, die in Deutschland tatsächlich dem arbeitenden und steuerzahlenden BÜRGER zugute kommt, weder systemrelevant noch alternativlos ... und daher - wie man in Berlin so schön sagt - "nicht auf der Agenda".

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