Die Physik und der Treibhauseffekt

Als Kind habe ich nie verstanden, warum Wasser verdunstet, obwohl es doch nicht bis zum Siedepunkt erhitzt wurde.

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Als Kind habe ich nie verstanden, warum Wasser verdunstet, obwohl es doch nicht bis zum Siedepunkt erhitzt wurde. Wasser gefriert bei null Grad und kocht bei einhundert, das ist Faktenwissen. Den Vorgang der Verdunstung bei Raumtemperatur zu entschlüsseln – das ist Physik.

Als Schüler bereitete mir meine Vorstellung von Neutronensternen große Schwierigkeiten. Wie können sie denn über Magnetfelder verfügen, obwohl sie doch aus elektrisch neutralen Teilchen bestehen?

Beide Phänomene beruhen tatsächlich auf ähnlichen Effekten. Physiker suchen nach solchen Symmetrien, denn aus ihnen lassen sich Erkenntnisse über grundlegende Prinzipien ableiten, die den Aufbau unserer Welt definieren.

Als Beispiel sei der durchaus abstrakte Begriff der „Energie“ angeführt. Mit diesem wird das Potential eines Systems beschrieben, Arbeit zu verrichten. Das Anheben einer Masse im Schwerefeld der Erde speichert in dieser Energie, die durch Fallenlassen wieder freigesetzt werden kann. Unabhängig davon, wann dies geschieht. Man kann den Körper heute anheben und in einer Stunde oder auch in einem Tag wieder loslassen – immer wird beim Fallen exakt die Arbeit geleistet, die vorher zur Lageänderung aufzuwenden war. Das ist keine triviale Erkenntnis. Denn es könnte ja auch anders sein. Man stelle sich vor, das Gravitationsfeld der Erde wäre zeitlichen Schwankungen unterworfen. Die Wahl der richtigen Zeitpunkte für Anheben und Fallenlassen würde es dann gestatten, Energie aus dem Nichts zu gewinnen. Wenn der Ablauf eines Vorgangs nicht von der Startzeit abhängt, dann gilt der Energieerhaltungssatz. In der Physik spricht man auch von der „Homogenität der Zeit“. Für den Raum gilt ähnliches. Unabhängig vom Ort überall gleichen Gesetzmäßigkeiten unterworfene Prozesse („Homogenität des Raumes“) gehorchen dem Impulserhaltungssatz. Solche, die nicht von ihrer Orientierung abhängen („Isotropie des Raumes“), konservieren den Drehimpuls. Man kann die Perspektive auch wechseln. Wenn das Universum in seiner Gesamtheit (auf einer entsprechend großen Skala) homogen und isotrop ist, dann ändern sich sein Energieinhalt und die Summe aller Impulse und Drehimpulse über den Zeitverlauf hinweg nicht.

Diese Symmetrie zwischen der Struktur der Raumzeit und den Erhaltungssätzen der klassischen Mechanik beschreibt die Rahmenbedingungen im Kosmos auf fundamentaler Ebene. Sie ist außerhalb der Physik leider kaum bekannt. Man kann sie formallogisch innerhalb der etablierten mathematischen Beschreibung von Feldern und Kräften herleiten (Noether-Theorem), was aber nicht viel mehr als eine Aussage über Konsistenz bedeutet. Ein „Beweis“ im alltagssprachlichen Sinn ist nicht möglich. Es gibt noch weitere Axiome dieser Art. Man denke an die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Wenn diese für alle Beobachter denselben Wert aufweist – unabhängig von deren jeweiligen Bewegungszuständen – dann folgt daraus unmittelbar das Prinzip der Kausalität. In unserem Universum stehen Ursache und Wirkung in einem definierten zeitlichen Zusammenhang.

Eine weit verbreitete Sichtweise besagt, der Weg zur Erkenntnis würde in der Physik durch Experimente gebahnt. Man stellt sozusagen Fragen an die Natur und kleidet die erhaltenen Antworten in das Gewand mathematisch formulierter Aussagen, mit denen dann Effekte in anderen Zusammenhängen berechnet werden können. Diese Perspektive teile ich nicht. Denn der Ansatz „eine These gilt als belegt, solange kein Versuch das Gegenteil zeigt“ animiert leider zu viele Menschen zur Suche nach genau einem solchen Experiment. Was in teils wahnwitzig komplizierten Apparaturen mündet, die wahlweise ein Perpetuum Mobile, einen Generator für Raumenergie oder eine Antigravitationsmaschine darstellen sollen. Die immer wieder Gläubige finden, die von der Überzeugung nicht lassen können, nun wäre aber endgültig die Lehrmeinung widerlegt.

Physik erschöpft sich nicht in der Darstellung durch Messungen erzeugter Zahlenreihen.

Die Moleküle in einer Pfütze wissen nämlich nichts über die “Temperatur”, die ein in das Wasser gehaltenes Thermometer anzeigt. Sie sind nicht “warm” oder “kalt”. Sie sind schnell oder langsam. Manche an der Oberfläche sind immer schnell genug, um in die Luft überzutreten. Die Erhaltungssätze verbieten das nicht, wenn nur der Mittelwert der kinetischen Energie aller Moleküle in der Pfütze, für den die gemessene Temperatur ein Maß ist, erhalten bleibt. Für die Luft über der Pfütze gilt gleiches. Einige Wasserdampfmoleküle sind immer langsam genug, um wieder in die flüssige Phase überzugehen. Zwischen der Luft und der Pfütze entsteht so ein ständiger Austausch von Wasserteilchen. Was die Erhaltungssätze erfordern, ist ein Gleichgewicht dieser Prozesse. Pro Zeiteinheit würden in diesem genauso viele Wassermoleküle aus der Luft in die Pfütze wechseln, wie andersherum. Das System strebt dieses Gleichgewicht an, erreicht es aber in der Realität nicht. Denn andauernd verbreitet sich der Wasserdampf in der Luft über ein immer größeres Volumen. Die Pfütze liefert nach und verdunstet auf diese Weise langsam aber sicher.

Einen Neutronenstern kann man sich als ein Gebilde vorstellen, bei dem unter extremem Druck die Elektronen aus der Atomhülle in die Atomkerne gepreßt werden und sich dort mit den Protonen zu Neutronen verbinden. Auch hier verbieten die Erhaltungssätze die Existenz von Elektronen nicht, die energiereich genug sind, sich diesem Schicksal erfolgreich zu widersetzen. Überall im Neutronenstern findet man also sehr wohl noch freie Elektronen und Protonen. In jeder Tiefe des Himmelskörpers gibt es ein Gleichgewicht zwischen freien geladenen Teilchen und zu Neutronen „kondensierten“, vergleichbar dem zwischen Dampf und Wasser im Beispiel der Pfütze. Nur hängt es im Neutronenstern nicht von der Temperatur ab, sondern vom Druck. Je weiter dieser nach außen hin sinkt, desto weiter verschiebt sich das Gleichgewicht in Richtung der freien Ladungsträger. Die äußere Schicht des Sterns (an der Oberfläche sinkt der Druck auf null) besteht daher aus Eisen mit frei beweglichen Elektronen im Leitungsband. Auf diese Weise hält der Neutronenstern sein Magnetfeld.

Beide Beispiele vermitteln ein weiteres zentrales Prinzip. Die Natur nutzt immer alle Möglichkeiten aus, die sich unter den jeweiligen Rahmenbedingungen bieten. Sie verzichtet nicht auf Optionen. Wäre ein Perpetuum Mobile möglich, hätte die Natur es längst realisiert. Wir wären von Systemen umgeben, die Energie aus dem Nichts erschaffen. Homogenität, Isotropie und Kausalität sind nicht durch Experimente beweisbar. Sondern durch die Widerspruchsfreiheit zu unserer Existenz. Ein inhomogenes, anisotropes und akausales Universum wäre unübersehbar verschieden von dem unseren. Wenn denn ein solcher Kosmos überhaupt die Entstehung von Beobachtern zulassen würde.

Da alles, was möglich ist, auch geschieht, ist die Komplexität der Welt oft ehrfurchtgebietend. Die Vielfalt an Stoffen und Strukturen und das Durcheinander unzähliger Wechselwirkungen können aus einer schlecht gewählten Perspektive verwirren. Für die Physik weisen die oben beschriebenen strukturellen Prinzipien nicht nur erkenntnistheoretischen Wert auf. Sie stellen auch Werkzeuge dar, um das Chaos zu ordnen und Zusammenhänge zu verstehen.

Welches System auch immer man betrachtet, es gilt zunächst, die charakterisierenden Erhaltungsgrößen zu finden. Denn diese definieren die Systemgrenzen. Im zweiten Schritt bedarf es der Sortierung der das System prägenden Prozesse. Kausalität bedeutet auch das Vorhandensein von Hierarchien und die Gelegenheit, relevant und irrelevant voneinander zu trennen.

Alle mir bekannten Einwände, die gegen den Treibhauseffekt angeführt werden, lassen sich auf Fehler in diesen beiden Aspekten zurückführen. Entweder wurden die Grenzen des betrachteten Systems nicht korrekt definiert, oder man hat prägende Prozesse mit Folgewirkungen vertauscht.

Wenn es um die Frage einer potentiellen Erwärmung der unteren Atmosphärenschichten geht, ist offensichtlich Energie die zu betrachtende Größe. Um den Energieerhaltungssatz anwenden zu können, ist die Grenze des Systems so zu wählen, daß die dann zu betrachtenden äußeren Einwirkungen als zeitlich unveränderlich angesehen werden können.

Die Zeitskala, die hinsichtlich des Treibhauseffektes zu beachten ist, ermöglicht es, die solare Einstrahlung auf die Erde als eine solche Konstante anzusehen. Die „Oberfläche“ des Planeten ist dann die Grenze, ab der Wechselwirkungen mit der den ihn umgebenden Weltraum erfüllenden Strahlung stattfinden. Gemeint sind Vorgänge wie Absorption, Emission und Reflektion. Ein Teil der Einstrahlung wird reflektiert. Der andere Teil wird absorbiert und erwärmt den Himmelskörper. Eine andauernde Erwärmung aufgrund einer zeitlich konstanten Einstrahlung wäre aber eine Verletzung des Energieerhaltungssatzes. Der Planet ist also gezwungen, Wärme wieder in den Weltraum abzugeben. Dies kann ihm nur durch Abstrahlung gelingen.

Man kann grundsätzlich zwei Arten von Strahlung unterscheiden. Es gibt eine Linienstrahlung in definierten Frequenzen, die beispielsweise entsteht, wenn an einen Kern gebundene Elektronen ihr Energieniveau ändern. Es gibt aber auch die thermische Strahlung, die jede Materie unabhängig von ihrem Aggregatzustand aussendet, wenn sie eine Temperatur oberhalb des absoluten Nullpunktes aufweist. Denn Materie besteht letztendlich aus geladenen Teilchen, den positiven Atomkernen (Ionen) und den negativen Elektronen. Die Wärmeenergie in einer beliebigen Struktur kann als Bewegung dieser Teilchen in ihr verstanden werden, als Schwingungen von Ionen in einem Kristallgitter, als Bewegung von Elektronen in einem Leitungsband, als Rotation stark polarer Moleküle. Durch diese Vorgänge entstehen nach den Gesetzen der Elektrodynamik auch elektromagnetische Wellen. Da sich in einem ausreichend großen Volumen (das kann man für einen Planeten voraussetzen) sehr viele Teilchen mit allen möglichen Geschwindigkeiten an diesem Tanz beteiligen, strahlt es in allen Energie- bzw. Frequenzbereichen ab. Deswegen nennt man diese Strahlung auch „kontinuierlich“. Das ist nicht dasselbe wie „gleichmäßig“. Trägt man die Intensität der Strahlung über ihrer Frequenz auf, ergibt sich eine Kurve, deren Form in charakteristischer Weise von der Temperatur des Körpers, also von der mittleren kinetischen Energie der ihn bildenden Teilchen abhängt.

Anders ausgedrückt: Anhand des Spektrums der durch einen Planeten emittierten Wärmestrahlung kann man auf seine mittlere Temperatur schließen. Das Ergebnis für die Erde ist eindeutig. Die mittlere Temperatur unseres Planeten beträgt -18° Celsius. Ich möchte dazu ein Diagramm wiederholen, das Michael Krüger hier schon einmal gezeigt hat.

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Viele Betrachter haben mit solchen Spektren ein Problem, weil sie natürlich eine Überlagerung aus Linien- und Kontinuumsstrahlung zeigen. Die stetige Kurve letzterer wird sozusagen durch einzelne Zacken ersterer unterbrochen. Aber glücklicherweise ist genug vom Verlauf der „reinen“ Wärmestrahlung sichtbar, um die gedankliche Vervollständigung der Kurve zu gestatten.

Moment mal, höre ich schon wieder, wie sich der ein oder andere zu Wort meldet: „Aber das gilt doch nur für einen Schwarzen Strahler!“. Stimmt. Wie ist ein Schwarzer Strahler definiert? Gerade nicht durch seine Emissionseigenschaften, wie viele denken. Sondern als ein Körper, der sämtliche auftreffende Strahlung absorbiert. Vollständig. Der also sozusagen nichts reflektiert (daher das „schwarz“). Ich habe die Erde oben virtuell zu einem Schwarzen Körper umgewandelt. Indem ich schlicht nur den Anteil der Strahlung betrachte, der tatsächlich absorbiert wird. Und eben auch wieder emittiert werden muß, um den Energieerhaltungssatz zu erfüllen. Glücklicherweise liegt der reflektierte Anteil der Einstrahlung in einem ganz anderen Frequenzbereich. Er „stört“ das Emissionsspektrum daher nicht.

Es geht auch einfacher. Da das Spektrum der Wärmestrahlung und die mittlere Temperatur eines Körpers in einem eineindeutigen Zusammenhang stehen, kann man aus der gesamten Strahlungsleistung mittels des Stefan-Boltzmann-Gesetzes die Temperatur berechnen. Und das geht so: Die Leistungsdichte der solaren Einstrahlung auf Höhe der Erdbahn beträgt 1.367 W/m². Davon werden 70% oder 966 W/m² absorbiert. Der Rest wird reflektiert. Die Einstrahlung erfolgt über die Querschnittsfläche, die Abstrahlung aber über die gesamte um einen Faktor vier größere Oberfläche. Ergo emittiert die Erde im zeitlichen Mittel 239 W/m² wieder ins All. Was nach Stefan-Boltzmann eine mittlere Temperatur von -18° Celsius bedeutet.

Unzählige Male konnte ich Kommentare der Art lesen, diese -18° wären „unphysikalisch“ hergeleitet. Wer mir bis hierhin gefolgt ist, der mag sich wie ich auch fragen, wo denn in obiger Argumentation der Boden der Physik verlassen wurde. Ich weiß es nicht. Der ein oder andere Schlaumeier mag einwenden, das könne doch nicht sein. Denn diese Temperatur entspricht offensichtlich nicht unserer Erfahrung mit dem Leben auf dieser Erde. Es ist schließlich viel wärmer – glücklicherweise. Um dies zu erläutern, möchte ich eine kleine Reise zum Mond unternehmen.

Dieser absorbiert sogar 88% der einfallenden Strahlung oder rund 1.200 W/m². Er emittiert also 300 W/m² (Faktor 4 zwischen Oberfläche und Querschnitt beachten). Es ergibt sich eine mittlere Oberflächentemperatur von etwa -3° Celsius. Nun steht aber in der Wikipedia„Am Tag erreicht die Temperatur eine Höhe von bis zu etwa 130 °C und fällt in der Nacht bis auf etwa −160 °C ab. Als Durchschnittstemperatur ergeben sich 218 K = −55 °C.“ Gut, vieles in der Wikipedia stimmt nicht, aber hier scheint doch ein grundlegender Widerspruch vorzuliegen. Heureka! Die -18 Grad sind experimentell widerlegt!

Nein, sind sie natürlich nicht. Zunächst erwärmen sich unterschiedliche Punkte auf der Mondoberfläche unterschiedlich stark. Sie werden je nach Stand der Sonne mit wechselnder Intensität bestrahlt und weisen auch differierende Absorptionsvermögen auf. Gleiches gilt für die Emissionseigenschaften und die Abkühlung in der Mondnacht. Der Wärmetransport durch das Mondgestein erfolgt zudem auf weit größeren Zeitskalen als die Änderungen in der Einstrahlung. Das Gleichgewicht zwischen Absorption und Emission stellt sich nur lokal ein, da die einzelnen Bereiche der Mondoberfläche sehr gut gegeneinander isoliert sind. Deswegen weist übrigens die Angabe einer Durchschnittstemperatur für den Mond, wie sie im zitierten Wikipedia-Artikel erfolgt, keinen Sinn auf. Sie stellt eine rein rechnerische Größe, aber keine physikalische Eigenschaft des Systems dar. Temperatur ist eine intensive Größe (im Gegensatz zu extensiven Größen wie Masse oder Volumen), sie ändert sich nicht bei Skalierung. Schüttet man zu einem Liter Wasser bei 20° einen weiteren mit gleicher Temperatur hinzu, hat man zwar die Menge verdoppelt, nicht aber die Temperatur. Temperaturmittelwerte von Systemen, die nicht miteinander im thermischen Gleichgewicht stehen, sind daher ähnlich aussagekräftig, wie die Mittelwerte von Telefonnummern oder Postleitzahlen. Nämlich gar nicht.

Um beim Mond den experimentellen Befund mit dem theoretischen Modell in Einklang zu bringen, ist tiefer zu graben. Wortwörtlich. Einige Meter unterhalb der Oberfläche sind die Gesteinsschichten sehr gut gegen die Schwankungen der Einstrahlung geschützt. Die nur geringe Wärmeleitung im Fels hatte hier ausreichend Zeit, die Differenzen rund um den Himmelskörper auszugleichen. Man kann auf der Erde Radiowellen aus diesen Schichten empfangen und aus deren Intensitäten auf die Temperatur schließen. Gefunden habe ich dazu allerdings nur eine Arbeit von Mezger und Strassl aus dem Jahr 1958. In dieser heißt es:

Ganz offensichtlich stammt der wesentliche Anteil der thermischen Radiostrahlung bei 1420 MHz aus Schichten, die bereits so tief unter der Mondoberfläche liegen, daß sich dort eine von der auf der Mondoberfläche eingeprägten Temperaturänderung unabhängig konstante Temperatur von etwa 250 K eingestellt hat.

Im Rahmen der solchen Messungen innewohnenden Fehler liegt das schon sehr nah an den oben geschätzten 270 K.

Hier wird deutlich, warum ich Experimente oder Messungen nicht als den Königsweg zur Erkenntnis erachte. Denn man kann nur Fragen an die Natur stellen und brauchbare Antworten erwarten, wenn dies in der richtigen Sprache erfolgt. Andernfalls wird man leicht getäuscht. Aus Symmetrieüberlegungen abgeleitete strukturelle Prinzipien sind notwendige Übersetzungshilfen. Mit ihrer Hilfe wird es erst möglich, Beobachtungen einzuordnen beziehungsweise irreführende Interpretationen experimentell erzielter Resultate zu vermeiden.

Der Erdboden, auf dem wir leben, ist nämlich nicht die Grenze zwischen Erde und Weltraum. Ein Lunarier könnte sich gegen die extrem schwankenden Temperaturen schützen, indem er sein Refugium einige Meter unter der Mondoberfläche baut. Wir machen das schon immer so. Als „Erdoberfläche“ ist die Grenze zwischen Atmosphäre und Weltraum anzusehen, an der die Emission der irdischen Wärmestrahlung in das All erfolgt. Wir leben viele Kilometer darunter, am Boden eines Ozeans aus Luft. Das kann bei der Betrachtung der Energiebilanz verwirren:

     

  • Ein Teil des einfallenden Sonnenlichtes wird an der Grenze der Atmosphäre, durch Wolken in tieferen Schichten oder durch den Erdboden (Wasser, Eis) reflektiert.
  • Absorbiert wird die Einstrahlung sowohl in der Atmosphäre, als auch am Erdboden.
  • Dieser erwärmt die Atmosphäre, die dadurch einen Teil der resultierenden Wärmestrahlung wieder Richtung Boden abstrahlt („Gegenstrahlung“).
  • Die Atmosphäre transportiert Energie aber auch durch Konvektion in höhere Schichten.
  • Im Prinzip ist die Atmosphäre für die im infraroten Bereich erfolgende Abstrahlung des Bodens undurchlässig, es gibt aber ein „atmosphärisches Fenster“, einen Frequenzbereich, in dem diese ungehindert den Weltraum erreichen kann.
  •  

Das Schaubild vermittelt einen Eindruck dieses Durcheinanders. Wie oben schon gesagt: In der Natur geschieht alles, was möglich ist. Physik ist die Kunst der Komplexitätsreduktion durch die Trennung des Wesentlichen vom Unwesentlichen. Daran mangelt es in der Treibhausdebatte.

PhysikTreibhaus1

Entscheidende Randbedingung ist die Ausgeglichenheit der Energiebilanz an der Grenze Atmosphäre/Weltraum. Was hereinkommt, geht auch wieder heraus. Den reflektierten Anteil der solaren Einstrahlung kann man daher getrost vernachlässigen. Denn er geht ja gar nicht erst „rein“, er trägt zur Erwärmung nicht bei. Wo genau im System Erde/Atmosphäre absorbiert wird, ist ebenfalls gleichgültig. Jedes absorbierte Quant erwärmt das Gesamtsystem. Man kann also eine Modellvorstellung zunächst darauf aufbauen, daß die Atmosphäre für das einfallende langwellige Sonnenlicht durchsichtig ist. Die Absorption findet dann vollständig durch den Erdboden statt. Dieser erwärmt die Atmosphäre wie eine Herdplatte von unten. Die „Gegenstrahlung“ spielt für die Gesamtbilanz keine Rolle. Denn sie wird ja wieder (Energieerhaltung) durch eine entsprechend höhere Abstrahlung des Bodens aufgewogen. Das atmosphärische Fenster ist ziemlich klein und daher ist seine Bedeutung für die Gesamtbilanz gegenüber anderen Effekten ebenfalls gering. Lassen wir es also gleich weg und gehen von einer für die (kurzwellige) Emission durch den Erdboden völlig undurchsichtigen Atmosphäre aus. Dann ist klar: Der (Netto-)Wärmetransport vom Erdboden in die Hochatmosphäre geschieht durch Konvektion. Erst in den oberen Schichten wird die Atmosphäre dünn und durchlässig genug, um in den Weltraum abstrahlen zu können.

Auch für dieses einfache Modell möchte ich ein Schaubild anbieten. Die Leistungsintensitäten (in W/m²) sind diesmal eingetragen.

PhysikTreibhaus2

Die Temperatur an der Erdoberfläche, an der Grenzschicht, ab der die emittierten infraroten Quanten den Weltraum erreichen, liegt fest. Sie beträgt -18° Celsius. Die Temperatur am Erdboden, einige Kilometer darunter, ist höher. Denn in der gasförmigen Atmosphäre bilden sich durch die Wirkung des irdischen Gravitationsfeldes ein Druck- und ein Temperaturgradient aus (barometrische Höhenformel: je höher man steigt, desto niedriger werden Druck und Temperatur). Die Wirkung der Treibhausgase wird nun verständlich: Sie ändern die Emissionshöhe. Je weniger durchlässig die Atmosphäre für die infrarote Abstrahlung wird, desto höher steigt die Grenze zum Weltraum, ab der die kurzwelligen Photonen der Atmosphäre entkommen können. Der Temperaturgradient ändert sich aber nicht, er ist unabhängig von den Strahlungseigenschaften der die Lufthülle bildenden Gase. Am Boden wird es daher wärmer (Abbildung). Wäre die Atmosphäre nicht nur in dem kleinen Fenster, sondern über alle Frequenzbereiche für Strahlung durchlässig, dann betrüge die Emissionshöhe null und am Erdboden hätten wir in der Tat im Mittel -18°. Die 15°, die es tatsächlich sind, ergeben sich in dieser Betrachtung nicht aus dem Mittelwert gemessener Temperaturen, sondern als Schätzwert aus der ungefähren Emissionshöhe (ca. 5,5 km) und dem Temperaturgradienten in feuchter Luft (ca. 0,6° pro 100 Meter).

PhysikTreibhaus3

Die Gegenstrahlung ist nicht Ursache des Treibhauseffektes, sondern eine Folgewirkung. Daß die Erde sich dreht, daß es Ozeane, Wolken, Eis und Schnee gibt, ist für die Energiebilanz und damit für den Treibhauseffekt völlig unerheblich. Aber nicht für Wetter und Klima. Da die Erde sich deutlich schneller dreht als der Mond und außerdem durch Atmosphäre und Ozeanen über effektivere Mechanismen für den Wärmetransport verfügt, findet man solche extremen Temperaturdifferenzen wie auf unserem Trabanten hier nicht. Natürlich aber empfangen unterschiedliche Punkte auf der Erdoberfläche unterschiedlich viel Strahlung – das ist die primäre Ursache für die Klimazonen. Die Prozesse, mit denen das System versucht, die Wärmedifferenzen zwischen den einzelnen Bereichen der Oberfläche und der Atmosphäre auszugleichen, äußern sich in dem, was wir „Wetter“ nennen.

Im Alltagsleben versteht man unter einem „Modell“ häufig etwas, das die Wirklichkeit im Miniaturformat so exakt und umfassend wie möglich abbildet. In der Physik ist ein „Modell“ das genaue Gegenteil. Aus der Reduktion der Detailtiefe entsteht eine abstrakte Darstellung, die nur die für das Verständnis eines Effektes relevanten Elemente beinhaltet. Auf diese Weise wird erkennbar, wie sich der Treibhauseffekt zwangsläufig aus dem Energieerhaltungssatz, aus dem Verhalten einer gasförmigen Hülle unter dem Einfluß der Schwerkraft und der Eigenschaft bestimmter Gase ergibt, infrarote Strahlung zu absorbieren. Wer auch immer an der Realität des Treibhauseffektes zweifelt, zweifelt in Wahrheit an einer dieser Prämissen und damit letztendlich an grundlegenden Aussagen über die Struktur unseres Universums. Ein Kosmos, in dem es keinen Treibhauseffekt gäbe, wäre ein völlig anderer, als der, in dem wir leben.

Die abstrakten Modelle der Physik beziehen ihren Wert aus der Eigenschaft, zu zeigen, „was ist“, ohne zusätzliche „wenn-dann“-Annahmen zu benötigen. Modellrechnungen zur künftigen Klimaentwicklung hingegen haben einen völlig anderen Charakter. Die digitale Repräsentation einer analogen Umwelt ist eher eine Spielwiese für Mathematiker und Informatiker als für Physiker. Dem Verständnis für Zusammenhänge dient sie nicht. Die Natur kann auf vielfältige Weise auf eine Erwärmung reagieren. Vorherzusagen, was geschehen wird, gleicht dem Versuch, aus der Kenntnis der Mechanik einer Ziehungsmaschine die Lottozahlen zu prognostizieren. Mehr als die Aussage „es wird eine Kombination 6 aus 49 gezogen“ kann kein Computer der Welt liefern. Ganz ähnlich, wie die Ziehungsmaschine keine konkrete Kombination bevorzugt, determinieren auch die irdischen Rahmenbedingungen, von denen der Treibhauseffekt eine ist, keine bestimmte klimatische Entwicklung. Eine Erwärmung der bodennahen Luftschichten bei einer Erhöhung der Kohlendioxid-Konzentration ergibt sich erst einmal nur, wenn sich sonst nichts ändert. Es wird sich aber etwas ändern. Manche Folgewirkungen können die Erwärmung verstärken, manche können sie vermindern. Die “-18 Grad” als Randbedingung hängen schließlich von der Rückstrahlfähigkeit der Erde (Albedo) ab. Man stelle sich vor, die Erwärmung führe zu einer verstärkten Wolkenbildung, die gleichzeitig die Menge an solarer Einstrahlung erhöht, die nicht absorbiert, sondern reflektiert wird. Man beachte dazu auch die Texte von Günter Heß hier und hier. Aus den “-18″ könnten ganz schnell “-20″ werden. Der Temperaturgradient in der Atmosphäre verschiebt sich entsprechend und am Boden wird es wieder kälter. Die Natur nutzt alle ihre Optionen, und dies auch noch gleichzeitig. Was sich in der Summe ergibt und wie es sich im Zeitverlauf entwickelt, zeigt sich nicht, bevor es geschieht. Hieraus Indizien gegen den Treibhauseffekt zu konstruieren bedeutet aber, Ursache und Wirkung zu verwechseln.

Die Gleichsetzung von Treibhauseffekt und Klimakatastrophe ist also die eigentliche Perfidie, an der Skeptizismus ansetzen sollte. Eine Erwärmung gefährlichen Ausmaßes ist nicht zwingend Folge einer Erhöhung des Kohlendioxid-Gehaltes in der Erdatmosphäre. Und was als „gefährliches Ausmaß“ bezeichnet werden kann, ist von uns abhängig. Der Alarmismus in der Politik ist auch eine Beleidigung der Bürger, denen man scheinbar nicht zutraut, mit einer wärmeren Welt zu leben und die Veränderung zum eigenen Vorteil zu nutzen. Statt seinen gesamten Einsatz auf eine Zahlenreihe zu konzentrieren, könnte man ihn ja auch auf alle denkbaren Kombinationen „6 aus 49“ verteilen.

Wer aber gegen die Klimapolitik über die Ablehnung des Treibhauseffektes argumentiert, erweist seiner Sache einen Bärendienst. Denn man schadet seiner Glaubwürdigkeit, wenn man gegen und nicht mit der Physik argumentiert.

Beitrag erschien auch auf: science-skeptical.de

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Gravatar: Jörg

Die beiden wichtigsten Kritikpunkte gegen die Treibhau-Methapher die mir einfallen sind:
1. Ein Treibhaus ist durch eine Glasscheibe von der Aussenwelt getrennt, wodurch ein stofflicher Austauch verhindert wird. 2. Die Treibhaus-Methapher lenkt die Aufmerksamkeit auf einen Erwärmungsprozess. Man kann die unserer Vorstellung zugänglichen Prozesse daher auch gut ohne die Treibhaus-Methapher beschreiben.

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