Die öffentlich-rechtlichen Sender als Sprachrohr der etablierten Parteien

Nach den Ereignissen von Silvester 2015/16 könnte für die öffentlich-rechtlichen Sender eine Zeitenwende angebrochen sein. Sie müssen wieder eine politische und keine primär parteipolitische Berichterstattung etablieren, sonst wird deren Zuschauerzahl und Einfluss auf die Meinungsbildung weiter abnehmen.

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Die Übergriffe auf Frauen in Köln, in Hamburg und anderswo zu Silvester haben in besonderer Weise ein Versagen des öffentlich-rechtlichen Funk und Fernsehen aufgezeigt. 

Tagesschau und ZDF/heute haben am 4.1. bzw. 5.1.2016 erstmalig darüber berichtet, dagegen hatten andere sehr schnell nach den Ereignissen die Brisanz und die neue Qualität erkannt und entsprechend berichtet.

Die Gründe für den mehr als zögerlichen Beginn der Berichterstattung durch die öffentlichen Sender hat unter anderem der Kriminologe und ehemalige SPD-Minister in Niedersachesen, Pfeiffer, im Sender Phönix verraten. Die ersten zwei Interview-Teams der öffentlich-rechtlichen Sender äußerten, daß sie das Interview mit Pfeiffer zu den Kölner Ereignissen abbrechen würden, wenn er einen Bezug zu den Flüchtlingen herstellen würde. Diese Vorgaben ließen sich aber offenbar wegen dem Umfang der Ereignisse nicht durchhalten, es gab also anfangs eine journalistische Vorgabe, über die Sache nur insofern zu berichten, als Flüchtlinge nicht Thema würden. Dies führte zu der absurden Situation, daß die ARD einen Brennpunkt zum Thema - und dabei fast nur zu Köln - erst am 8.1.2016 fertigbrachte. 

In den folgenden Tagen verdichteten sich weitere Nachrichten, daß es politische Anweisungen gab, Flüchtlingskriminalität aus Polizeiberichten herauszuhalten. Und die öffentlich-rechtlichen Sender setzten dies lange Zeit um, so erfolgreich, daß man beispielsweise bei NTV und nicht bei Tagesschau 24 Informationen erhielt.

Am 11. Januar, dem Tag, an dem der NRW-Innenminister Jäger (SPD) dem Landtag wegen der Ereignisse Rede stehen musste, hatten die öffentlich-rechtlichen Sender nochmals die Möglichkeit, ihre Berichterstattung zu korrigieren. Dieses Thema war auch politischer Schwerpunkt in der Tagesschau um 20 Uhr. Doch was wurde dort inszeniert? 

Nach einer kurzen Zusammenfassung der Aussagen von Jäger, wurden in dem politischen Schwerpunkt dieser Sendung Kommentare der im Bundestag vertretenen Parteien  aneinandergereiht, allesamt weitgehend inhaltsleere Phrasen wie „Ausschöpfung des rechtlichen Rahmens, ganze Härte des Gesetzes, Gesetzesverschärfung“, ohne daß überhaupt einmal kritisch nachgefragt wurde. Wo politische Berichterstattung zu unkritischer, phrasenhafter Parteiberichterstattung wird, bleibt der demokratische, politische Diskurs auf der Strecke. Und genau das, was in der Tagesschau am 11.1. 2016 unübersehbar war, gilt für viele Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sender, und zwar umso mehr, je höher die erwartete Einschaltquote ist.

Und weil in vielen Fragen alle etablierten Parteien einen Grundkonsens aufweisen, und weil die Sender weitgehend nach Maßgabe der etablierten Parteien diskutieren, deswegen werden ganze Bereiche des gesellschaftlichen Lebens von den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht mehr bearbeitet oder, was fast dasselbe ist, in Randprogramme gestellt.

Dazu einige Beispiele:

Es wäre eine ausführliche Recherche der öffentlich-rechtlichen Sender zu folgender Frage zwingend gewesen: Gab es politische Anweisungen an die Polizei, in den Berichten mögliche Straftaten von Flüchtlingen zurückzuhalten (daß dazu das Bundesinnenministerium unter de Maizere eine Rolle spielt, belegen einige Aussagen von Journalisten). Ich kann keine Recherche der öffentlich-rechtlichen Sender dazu erkennen.

TTIP wird von den Sendern recht stiefmütterlich behandelt, sicher auch, weil die großen Parteien, CDU/CSU und SPD sich in ihrer Zustimmung einig sind. Es wäre überhaupt kein Thema für die öffentlich-rechtlichen Sender, wenn nicht Grüne und Linkspartei Gegner dieses Abkommens wären. Hier wird ein Thema halb inszeniert, ganz nach Machtverteilung unter den politischen Parteien und nicht nach der Bedeutung des Themas

Nach den Wahlen in Polen ist die neue konservative Regierung einer konzertierten Kritik der deutschen Sender ausgesetzt, die sicher nicht zufällig auch im Interesse der in Deutschland regierenden Parteien ist. Dies belegen die Stellungnahmen von Martin Schulz (SPD) und Günther Oettinger (CDU). Die Kritik an der polnischen Regierung bezüglich des Einflusses auf die Medien und das Verfassungsgericht halte ich für gerechtfertigt und schwerwiegend. Daß allerdings die Vorgängerregierung kurz vor den Wahlen, als deren Niederlage absehbar war, noch fünf neue Verfassungsrichter inthronisieren wollte, fällt dabei unter den Tisch. Daß aber darüber hinaus der Einfluss der etablierten Parteien in Deutschland gerade auf die öffentlich-rechtlichen Sender gravierend ist, war den Journalisten in den Anstalten kein Gedanke wert. Was für eine Heuchelei.

Daß weiterhin hier in Deutschland die etablierten Parteien über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichtes entscheiden, habe ich nirgends im Zusammenhang mit der Diskussion über Polen und die politische Besetzung des Verfassungsgerichtes in den öffentlichen Sendern vernommen. In Deutschland sind, was eine Besonderheit ist, und wie Justizminister Maaß eindrücklich belegte, auch noch die Generalstaatsanwälte politisch weisungsgebunden und können bei Bedarf auch ohne Begründung entlassen werden. Ich warte noch darauf, daß dieser Einfluss der Politik auf die Justiz hier in Deutschland einmal so intensiv journalistisch behandelt wird, wie jetzt für Polen.

Einige Journalisten außerhalb der öffentlich-rechtlichen Sender sprechen nach den Ereignissen von Silvester 2015/16 schon von einer Zeitenwende für die öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Wenn es diesen Anstalten nicht gelingt, in Zukunft wieder eine politische und keine primär parteipolitische Berichterstattung  zu etablieren, wird deren Zuschauerzahl und Einfluss auf die Meinungsbildung weiter abnehmen.

Und das ist dann auch gut so!         

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Beatrice

Die öffentlich-rechtlichen Sender sind nicht nur Sprachrohr der etablierten Parteien, sondern auch willige Gate-Keeper: entweder direkt auf Anweisung (SWR) oder in vorauseilendem Gehorsam (MDR) werden Kandidaten von unliebsamen Parteien (AFD) von den Diskussionsrunden des öffentlich-finanzierten Fernsehens ausgeschlossen. Damit das kein "Geschmäckle" hinterlässt, bleiben auch weitere kleinere Parteien aussen vor. Aber verwundert das noch, seit wir durch die für den WDR arbeitende Journalistin Claudia Zimmermann wissen, dass Journalisten angehalten werden, regierungskonform zu berichten? Nein, und das ist das Schlimme - es wundert niemanden mehr. Kritischer Journalismus hat jetzt die Aufgabe, die Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks selbst einer Kontrolle zu unterziehen!

Gravatar: Kurt

Die Medien dienen dem politischen System als Plattform für Propaganda. Das war schon immer so, gleichgültig ob das System ideologisch westlich oder östlich geprägt ist. Ich sehe keinen Unterschied zwischen dem Staatsfernsehen der ehemaligen DDR und dem jetzigen "Staatsfernsehen West". Aus diesem Grund hat diese Plattform schon lange keinen Einfluss mehr auf meine Person. Ich bin an einer besseren Information interessiert als an dem Geplapper von Merkel- bzw. Bilderberger-Marionetten.

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