Die neue Rentenlüge

Zur Staatsräson moderner Gemeinwesen gehört die soziale Sicherheit. Eine alte Weisheit.

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Einer der ersten  denkerischen Begründer der abendländischen Rechts-und Staatsphilosophie, Jean Bodin, schrieb in seinem Hauptwerk vor rund 450 Jahren, der Zweck des Staates sei, „in erster Linie die Sicherung der schlichten sozialen Existenz, die Sicherung von Leib, Leben, Freiheit und Eigentum also“. Der Staat solle nicht nur das Gegenmodell zur Räuberhöhle sein, sondern die „Voraussetzung einer glückseligen Existenz“ sichern. Es muss nicht gleich die Glückseligkeit sein, aber wer die Sozialstaatsdebatten hierzulande beobachtet, der wird sich gelegentlich doch fragen, ob diese einfachen Prioritäten heute noch gelten oder ob wir nicht doch in einer Art Räuberhöhle leben. Ein aktuelles Beispiel bietet die neu anhebende Diskussion um die Defizite in der Krankenversicherung und vor allem um die Zukunft des Rentensystems.

Dabei ist das Ganze ein schlichtes Rechenexempel. Allen ist klar, dass ein Erwerbstätiger in zwanzig Jahren nicht mehr die Last für die Alten schultern kann, zusätzlich zu seiner Familie. Auf diesen einfachen Sachverhalt hat die Bundesbank hingewiesen. Und sie hat den Schluss gezogen: Man soll das Eintrittsalter in die Rente an die Lebenserwartung koppeln. Denn pro Jahr steigt die durchschnittliche Lebenserwartung um drei Monate. 2029, wenn das neue Eintrittsalter von 67 Jahren voll greift, werden die Menschen drei Jahre älter werden, der geplante Effekt (zwei Jahre länger arbeiten, um die Rentenkassen zu entlasten) verpufft. Wäre das Eintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt, läge es 2029 nicht bei 67, sondern bei 68 Jahren. Wahrscheinlich wird sich die Lebensverlängerung verlangsamen, so dass die Bundesbank vorschlägt, das Eintrittsalter bis 2060 auf 69 Jahre zu erhöhen. Nur so könne man das Verhältnis von Ruheständlern und Arbeitnehmern auf dem jetzigen Niveau halten. Das ist die logische Folge des Gesetzes, wonach die Renten „nie mehr gesenkt“ würden, wie die Bundesregierung sagt.

Eigentlich ganz simpel und vernünftig, was die Bundesbank da in ihrem Monatsbericht schlussfolgert. Aber es ist politisch nicht korrekt. Die politische Korrektheit (de facto die Feigheit vor der Wahrheit) verlangt die Verdrängung der Problematik und die entsprechende Heuchelei. Das scheint in Deutschland noch gründlicher geübt zu werden als woanders. Überall wird über die Rente nachgedacht, weil die Wirtschaftskrise gerade in den Rentensystemen wütet, wie ein Bericht der OECD Ende Juni zeigte. Die Alternative ist: Der Beitrag zur Altersversorgung steigt, und zwar im nächsten Jahr schon auf einen Satz von über 22 Prozent des Einkommens. Das wird die junge Generation nicht mitmachen. Sie muss schon die Kosten der Staatsverschwendung und der staatlichen Rettungsaktionen für die Banken tragen. Lügen haben kurze Beine. Mehr noch: Die Heuchelei der Großen Koalition bringt den Sozialstaat in Gefahr – und damit die Fundamente des Staatsgefüges überhaupt.

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