Unzählige Menschen nahmen große Opfer auf sich, um die Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland zu überwinden. Manche starben dabei oder wurden von ihren eigenen Landsleuten erschossen.
Ich kann mich noch genau an den 9. November erinnern. Ich wohnte damals in einer Studenten-WG. Die Räume ließen sich nur mit einem Kohleofen heizen und für die Notdurft mußte man die Wohnung verlassen, über den Hof gehen und dann in der Scheune hinter einem Bretterverschlag in eisiger Kälte das Wasserklosett aufsuchen. Wenn man nicht aufpaßte, fror einem fast der Hintern fest.
Als arme Studentin, die von ihrer neidischen Hippiemutter keinen Pfennig Unterstützung bekam, weil diese kein Abitur hatte machen dürfen, finanzierte ich mir mein Leben durch mehrere Jobs gleichzeitig und hatte mir von meinem Verdienst einen kleinen, roten Schwarz-Weiß-Fernseher gekauft. Meine Mitbewohnerin nutzte ihn gerade und rief mich aufgeregt zu sich in’s Zimmer: „Die Mauer ist gefallen!“ Fasziniert schauten wir uns die Bilder von überglücklichen, ja euphorischen Menschen an, die jubelnd vor, hinter und auf der Mauer standen. Die endlosen Menschenkolonnen aus dem Osten wurden überschwänglich im Spalier begrüßt. Man überstürzte sich darin, sich gegenseitig einzuladen und sich wiederzuvereinen. Man kam sich vor wie in einem riesigen Familienfest.
Es fing alles so gut an - wahrlich wie ein Märchen. Berlin wurde ein vibrierendes Zentrum des Aufbruchs, der Kreativität und der Offenheit. Schon bald jedoch wurde die Stimmung getrübt. Die Treuhand plünderte unsere Brüder, Schwestern und Cousinen aus und behandelte sie wie eine Kolonie. Strohdumme Westdeutsche schwangen sich als Besserwisser auf. Ostdeutsche - geprägt von Jahrzehnten des Mangels - suchten überall ihren Vorteil. Unmerklich wich die Aufbruchsitmmung der Ernüchterung und unmerklich sickerten Unverständnis, Verachtung und Enttäuschung in die brüchigen Mauern ein. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie glücklich die Menschen damals waren.
Statt dessen leiden die Deutschen nun bis heute sogar unter der Ost-West-Trennung. Die Mauer in den Köpfen ist noch lange nicht weg. Fast meint man, sie würde mit jedem Umfragehoch, das die AfD in den östlichen Bundesländern erzielt, umso eifriger Stein um Stein wieder errichtet werden soll. Die DDR-Zeit, die gegenseitige Bespitzelung, das Belauern, das Denunzieren, wurden noch lange nicht aufgearbeitet. Bis heute sitzt das gegenseitige Misstrauen in den Mauerritzen. Besserwessis verachten bis heute ihre Ostverwandten und missgönnen ihnen den Soli, den die Ostdeutschen doch genauso mitbezahlen müssen. Tatsächlich scheinen die DDR und ihre Machtstrukturen eine unrühmliche Wiederkehr mit Gesetzen wie der „Delegitimierung des Staates“ oder den zahlreichen Melde- und Petzportalen zu feiern, die es den Sittenwächtern und der Sprachpolizei leichter denn je machen, unliebsame Konkurrenz, unsympathische Nachbarn oder Fremde, die ein schöneres Lastenrad als sie fahren, anonym zu melden und auf Knopfdruck ihre Existenz zu zerstören. Wer braucht da noch Gefängnis, Folter oder Scheiterhaufen, wie dies noch in der Inquisition üblich war? Viel zu viel Aufwand - Rache und hinterhältige Bereicherungen sind heute viel billiger zu haben.
Die Macht der Dummen, der Dreisten, der Mißgünstigen kennt heute keine Grenzen mehr. Dabei könnten die Dinge ganz anders sein. Noch immer gäbe es reichlich Grund zur Freude und man könnte viele Lehren aus der kurzen, sozialistischen Geschichte der DDR ziehen. Der real existierende Sozialismus hat eben nicht funktioniert und wird es auch nicht in der BRD mit dem real aufgezwungenen Kommunismus, unter dem das Volk zunehmend ächzt. Heute sollte ein Freudentag sein. Deutsche Fahnen sollten aus den Fenstern wehen. Es sollte Lesungen, Konferenzen und Theaterstücke dazu geben, wie es denn war, unter der sozialistischen Knute zu leben. Stasiakten sollten geöffnet und öffentlich als abschreckendes Beispiel diskutiert werden. Das Fazit sollte lauten: „Nie wieder Sozialismus!“
Wenn ich jedoch aus dem Fenster blicke, so sehe ich nur einen grauen Himmel. Es regnet. Die alten, gebeugten Restdeutschen schlurfen dahin. In meinem Stammcafé saßen zwei gepflegte Ukrainerinnen neben mir. Sie tranken mit meinem Steuergeld Kaffee und unterhielten sich so laut, als gehöre das Café bereits ihnen. In meinem Dorf hängen überall Plakate über den fortdauernden Antisemitismus der Deutschen. Etliche Mitturnerinnen in meinem Verein kommen heute Abend später, weil sie vorher eine Gedenkstunde wegen eines Ereignisses am selben Tag vor über 80 (!) Jahren abhalten. Ich halte mir den Kopf und will laut schreiben. Es wird Abend. Der Himmel färbt sich rot. „Sorge Dich nicht um morgen. Der morgige Tag wird für sich selber sorgen“, kommt mir in den Sinn. Nein, ich werde mich nicht hinabziehen lassen in das Tal der Schuld und der Buße. Ich denke an den Tag vor 34 Jahren, als unsere Cousins und Cousinen in Ostdeutschland wieder mit uns vereint wurden. Es kam zusammen, was zusammengehört. Darauf kommt es an. Diese Gemeinschaft sollten wir pflegen und uns den Mut unserer Landsleute zum Vorbild nehmen, die damals ein Regime stürzten und auch heute auf dem besten Wege sind, es wieder zu tun. Das sind Wiederholungstäter, die ich liebe. In diesem Sinne - ich wünsche allen Leserinnen und Lesern - und zur Feier des Tages ausnahmsweise auch den restlichen 68 Geschlechtern - einen wunderbaren Abend im Geiste des Mauerfalls. Reist nieder, was uns trennt und schließt endlich Frieden mit unseren Brüdern und Schwestern im Osten!
Kommentare zum Artikel
Bitte beachten Sie beim Verfassen eines Kommentars die Regeln höflicher Kommunikation.
Außer Stasispitzel und Mauer haben sie nichts im Kopf.
Alles, woran Deutschkrank heute leidet, kommt aus dem Westen. Zustände, wie Schüler, die mit der Waffe aufräumen, Inflation, Bandentätigkeiten, Rauschgiftsucht, Rentnerschwemme, Rentnerarmut, Massenvergewaltigungen und tausende mehr, waren in der DDR undenkbar. Vorallem hatte die DDR eine durch ihr Volk beschlossene Verfassung, ein günstiges öffentliches Verkehrsnetz, ein kostenloses Gesundheitswesen und ein funktionierendes kostenloses Bildungssystem.
Das soll und der Westen ersteinmal nachmachen. Der kann ja nichteinmal seine eigenen schwerschuftenden Bürger, deren Erschaffenes (Erspartes) und seine Grenzen schützen.
Lieber arm in der DDR sein, als in diesem staatenlosen Sauhaufen erleben müssen, wie wir blutig aufgelöst werden werden.
Staatlich vorangetriebene Zensur und Meinungsterror werden deutsche Staatsräson
https://www.nachdenkseiten.de/?p=106628
... „Der Reist nieder, was uns trennt und schließt endlich Frieden mit unseren Brüdern und Schwestern im Osten!“
Ist es da etwa göttlich(?)-merkelwürdig, dass ich mit Ihnen auch dies bzgl. einer Meinung bin?
Herzlichen Dank für diese Zeilen und die Ihren Text abschließende Aufforderung, der auch m. E. nichts hinzuzufügen ist!!!
Der damalige, demonstrierende DDR-Bürger wollte wirklich leben, sich selbst spüren, frei und selbstbestimmt, das verlorene Existenzielle in die Existenz zurückholen und den Wartezustand des eigenen Daseins beenden.
Für die meisten DDR-Bürger hat sich der Wunsch, an dieser Gesellschaft teilzuhaben und sie mitzugestalten, nicht erfüllt. Es fehlt eine gemeinsame Verfassung, geschweige eine gemeinsame Hymne! Wie erbärmlich ist doch dieser Beitritt zur Bundesrepublik?
Der ehemalige, männliche DDR-Bürger wird seit 30 Jahren durch Dummheit, Naivität und Unkenntnis in einem erbärmlichen Schauspiel und zugleich einem Tiefpunkt sogenannter journalistischer Arbeit von den öffentlich-rechtlichen Medien kollektiv diffamiert, diskreditiert, verhöhnt und eiskalt ausgebootet.
Man greift auf die Sprache des 3. Reiches zurück, wie der "Aufbau Ost", der "Ostbeauftragte", der "Ostdeutsche" oder die "Ost-Identität"! Wer maßt es sich an, solche Begriffe in den Mund zu nehmen?
Was hat der ehemalige DDR-Bürger über sich ergehen lassen müssen? 70% Deindustrialisierung, vier Millionen Arbeitslose, 2,2 Millionen Haushalte waren vor der Maßgabe "Rückgabe vor Entschädigung" betroffen und mußten um ihre Wohnung, ihr Haus oder Grundstück fürchten oder verloren es. Die Treuhand sorgte dafür, daß das Territorium der DDR zu einem staatlich hochsubvensionierten Absatzmarkt ohne ökonomische Konkurrenz wurde.
Die Bürger meines liebenswerten Ostens sollten sich wirklich überlegen, ob sie noch ein Teil dieser Bundesrepublik sein wollen, damit sich vielleicht doch der Traum von einer wirklich freiheitlich demokratischen Republik umsetzen läßt ohne westlich dumme Phrasendrescherei!
Sie bleibt auch um jeden Preis bestehen, bis die Vereinigungsverbrechen aufgearbeitet und benannt sind.
Denn was Nazismus ist haben die meisten Ossis erst nach der Vereinnahmung erfahren können.
Die Breuel nannte das vor laufender Kamera "den größten Raubzug aller Zeiten". Und wieviele wurden in den Tod getrieben oder verunfalt?