Die Mär vom Raumschiff Erde

Raumfahrt ist zweifellos eine nützliche Sache. Raumschiffe zu bauen und zu betreiben, gleich ob bemannt oder unbemannt, führt zu Innovationen in Bereichen wie Materialien, Sensorik und Aktorik, Medizintechnik und elektronischer Datenverarbeitung, von denen wir letztendlich im irdischen Umfeld profitieren.

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Raumfahrt ist zweifellos eine nützliche Sache. Raumschiffe zu bauen und zu betreiben, gleich ob bemannt oder unbemannt, führt zu Innovationen in Bereichen wie Materialien, Sensorik und Aktorik, Medizintechnik und elektronischer Datenverarbeitung, von denen wir letztendlich im irdischen Umfeld profitieren. Mit dem Bild der Erde aus dem All entstammt der Raumfahrt aber auch ein teilweise vergiftetes Geschenk.  Der Anblick des vor einem vollkommen schwarzen und leeren Hintergrund schwebenden blauen Planeten ist Ursprung und Kultbild der Metapher vom “Raumschiff Erde”. Denn es vermittelt dem naiven Betrachter unmittelbar die Konzepte der Limitierung und der Isolation, die grundlegende Dogmen des Ökologismus sind. Zwar schrumpft jeder Riese mit zunehmender Entfernung zu einem Zwerg, Photographien der Erdkugel jedoch scheinen in besonderer Weise die Vermeidung dieser rationalen Sicht zu befördern. Die scheinbar geringe Ausdehnung unseres Lebensraums, bestehend aus Erdoberfläche und einhüllender Atmosphäre, wird daher mit dem Attribut “verletzlich” versehen, eine Interpretation, der vor allem die Raumfahrer selbst mit zahllosen Äußerungen in allen Medien Vorschub leisteten und leisten:

 

“Bereits vor meinem Flug wußte ich, daß unser Planet klein und verwundbar ist. Doch erst als ihn in seiner unsagbaren Schönheit und Zartheit aus dem Weltraum sah, wurde mir klar, daß der Menschheit wichtigste Aufgabe ist, ihn für zukünftige Generationen zu hüten und zu bewahren.” Sigmund Jähn (erster deutscher Kosmonaut) (1)

 

Wäre es nicht ein ernstes Problem, könnte man darüber schmunzeln, wie die Astro- und Kosmonauten unwillentlich einer Bewegung Starthilfe und Unterstützung gaben, die erfolgreich den technischen Fortschritt und damit auch die bemannte Raumfahrt selbst bremsen konnte. Denn was klein ist, limitiert unsere Möglichkeiten zur Expansion. Die Vorstellung begrenzter Ressourcen ist nicht zufällig mit den ersten Erfolgen der Raumfahrt populär geworden, sie wird bis heute mit der scheinbar geringen Größe unseres Lebensraums begründet. Und was verletzlich ist, ist auch bedroht, und da es so offensichtlich vom Rest des Kosmos isoliert scheint, kann eine potentielle Bedrohung nur von innen kommen. Die Idee von der Wirksamkeit und der notwendigen Betonung der Risiken menschlichen Handelns findet in diesem Aspekt eine tragende Säule.

 

Mythen, die nicht der Realität entsprechen. Denn keinesfalls sind Oberfläche und Atmosphäre isoliert. So gestalten beispielsweise die durch Mond, Sonne und die Erdrotation entstehenden Gezeitenkräfte unseren Lebensraum in durchaus erheblichem Umfang. Hinzu tritt das unablässige Bombardement energiereicher Teilchen aus verschiedenen Quellen, das eben auf den Bildern aus dem All nicht sichtbar ist. Die Svensmark-Theorie beschreibt, wie nur eine Komponente dieser Strahlung, die sogenannte “kosmische Strahlung”, entscheidenden Einfluß auf die Wolkenbildung und damit auf das gesamte Klima nehmen kann. Und nun hat eben jener Henrik Svensmark, Professor an der Dänischen Technischen Universität, eine Erweiterung seiner Vorstellungen vorgelegt, die das Bild vom “Raumschiff Erde” endgültig als Fabel entlarven könnte.

Es gibt nicht nur einen Zusammenhang zwischen der Intensität der kosmischen Strahlung, die die Erde erreicht, und der Intensität des Magnetfeldes unserer Sonne. Es gibt auch einen solchen hinsichtlich der Menge an Supernova-Explosionen, die in unserem Bereich der Milchstraße stattfinden. Denn solche Sternentode sind wesentliche Quellen der Teilchenschauer, die die kosmische Strahlung ausmachen. Während seines mehr als 200 Millionen Jahre währenden Umlaufes um das Zentrum unserer Galaxie durchquert  das solare System unterschiedliche Regionen der Milchstraße, in denen Supernovae unterschiedlich häufig auftreten. Falls die Svensmark-Theorie stimmt, sollte sich dies deutlich in Entwicklungen auf unserem Planeten wiederspiegeln. Henrik Svensmark konnte entsprechende Korrelationen ausmachen, er berichtet darüber in seiner jüngsten Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society (online hier, Pressemitteilung hier). Der gefundene Zusammenhang bezieht sich zunächst auf die Biodiversität. Wann immer die Sonne einen galaktischen Bereich mit häufigen Supernova-Ereignissen erreichte, erhöhte sich die Vielfalt des Lebens auf der Erde signifikant, neue Arten entstanden in hoher Geschwindigkeit. Und eine plausible Erklärung hierfür ist der Svensmark-Effekt selbst. Je mehr Sternexplosionen in entsprechender Nähe zum Sonnensystem stattfinden, desto stärker die kosmische Strahlung und desto größer die Bildung abkühlender Wolken in den unteren Schichten unserer Atmosphäre. Je kühler das Klima, desto höher die Vielfalt unterschiedlicher Lebensräume zwischen den Polen und dem Äquator. Die Mechanismen der Evolution selbst sorgen dann für mehr Artenreichtum. Selbst die Abfolge der anhand von Fossilfunden definierten Erdzeitalter kann dadurch verstanden werden.

Aber es sind nicht nur kosmische Kräfte, die unseren Lebensraum, insbesondere sein Klima, prägen. Nicht nur “von oben”, sondern auch “von unten”, aus dem Inneren der Erde, werden bedeutende Wirkungen ausgeübt. Erdkern und Erdmantel bestehen aus geschmolzenem Gestein, das wesentlich durch hohen Druck und die Energie des radioaktiven Zerfalls erhitzt wird. Man kann sich unseren Lebensraum, die Erdkruste, als dünne Platten aus erkalteter Schlacke vorstellen, die auf einer rotglühenden Eisenschmelze schwimmen. Die Bewegungen dieser Platten werden durch die Strömungen in dieser Schmelze hervorgerufen. Sie führen zu dem, was gemeinhin als Plattentektonik bezeichnet wird und die Verteilung von Land und Wasser wie auch die Höhe des Meeresspiegels auf geologischen Zeitskalen deutlich verändern kann. Svensmark bezieht diesen Vorgang in seine neuen Untersuchungen mit ein und gelangt letztendlich zu dem Schluß (Zitat aus der Pressemitteilung):

 

In the new work, the diversity of life over the last 500 million years seems remarkably well explained by tectonics affecting the sea-level together with variations in the supernova rate, and virtually nothing else.    

Der neuen Arbeit zufolge kann die Biodiversität der letzten 500 Millionen Jahre bemerkenswert gut durch die den Meeresspiegel beeinflussende Plattentektonik in Verbindung mit Variationen in der Supernova-Rate erklärt werden. Andere Faktoren können praktisch ausgeschlossen werden. (meine Übersetzung, Hervorhebung durch mich)

 

Kohlendioxid ist in der neuen Arbeit von Svensmark nicht Auslöser von Klimaänderungen in der Vergangenheit, sondern nur ein Indikator für solche. Seine Konzentration in der Atmosphäre wird durch Wechselwirkungen mit der Biosphäre beschrieben. Mehr pflanzliches Leben – insbesondere in den Ozeanen – bindet mehr Kohlendioxid. Die durch kosmische Strahlen ausgelösten kühlen Phasen waren wie oben beschrieben mit mehr Biomasse in den Weltmeeren verbunden – und in der Folge sank die Kohlendioxid-Konzentration in der Luft.

Svensmark neue Arbeit kommt einer “Erdsystemtheorie” näher, als jeder andere Ansatz. Sie räumt mit verbreiteten Vorstellungen eines in sich geschlossenen Systems aus Erdkruste und Atmosphäre radikal auf. Es sind tatsächlich Kräfte von außen, die determinieren, wie unser Lebensraum gestaltet ist und wie auf dieser Basis die Evolution verläuft. Nicht die Isolation von der “Außenwelt”, im Erdinnern wie im Weltraum, sondern die Wechselwirkung mit dieser prägt die Gestalt der Erdoberfläche, die Zusammensetzung der Atmosphäre, das Klima und den Ablauf der Evolution.

Die Mär vom Raumschiff Erde wäre damit erledigt. Wir wären nicht isoliert und unsere Umwelt würde nicht durch interne Faktoren bestimmt, die wesentlich unserem Einfluß unterliegen. Wir wären stattdessen in vielfältiger Weise Spielball externer Kräfte, die zu kontrollieren uns nicht möglich ist. Angesichts dessen verlöre jeder Ansatz zu hüten und zu bewahren seinen Sinn. 

Zumal auch die Vorstellung einer Limitierung vor wenigen Tagen, quasi zeitgleich zur Veröffentlichung von Svensmarks neuer Erdsystemtheorie, attackiert wurde. Die amerikanische Firma Planetary Resources trat an die Öffentlichkeit. Man will Asteroiden, deren Umlaufbahnen zu regelmäßigen Annäherungen an die Erde führen, bergbautechnisch ausbeuten. Und ein Blick auf die handelnden Personen, auf die Kompetenzen und das zur Verfügung stehende Kapital zeigt: Es könnte gelingen. Der Weltraum, die schwarze Fläche auf den Bildern der Erdkugel, ist eben keine Grenze. Sondern eine Möglichkeit, eine Chance, ein Potential. Raumfahrt ist zweifellos eine nützliche Sache.

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