Die Liebe, die Möhre und der Mindestlohn

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Um die Ecke hat der freundliche Bioladen aufgemacht. Zur Eröffnung gab es ein Harfenkonzert, bei dem Stücke von Carolan gespielt wurden – das hat mir natürlich gut gefallen. Soweit, so gut. Doch die Geschäfte gehen nicht gut. Wir überlegen, ob wir noch irgendeine flotte Werbeaktion auf die Beine stellen können, um da ein bisschen Schwung in den Laden zu bringen, der Laden brummt nicht (nur die Kühltruhe tut es).

Wie ich so darüber nachdenke, sehe ich, dass draußen ein Plakat aufgehängt wird. Wir sind nicht die einzigen, die zur Zeit ein bisschen Werbung machen wollen. Es ist Wahlkampf. Was ich von meinem Balkon aus erkennen kann, heißt:

WER ALLES GIBT MUSS MEHR BEKOMMEN

Das gibt mir zu denken. Ich denke natürlich zuerst an die Liebe. Mir fällt ein alter Schlager ein, der mir, als ich noch klein war und ihn zum ersten Mal hörte, auch schon zu denken gab. Es ist immer wieder erstaunlich, was man für einen Klimperkasten voller Erinnerungen und Melodiefetzen mit sich herumträgt; ich kann wahrlich sagen, dass mein Herz eine schlafende Musikbox ist. Das Lied – vielleicht haben Sie es auch noch vor Ohren? – geht so: „Die Liebe ist ein seltsames Spiel/ Sie kommt und geht von einem zum andern/ Sie nimmt uns alles, doch sie gibt auch viel zu viel/ Die Liebe ist ein seltsames Spiel.“

Ich wusste damals noch nicht viel von der Liebe, eigentlich gar nichts, aber dass es sich dabei um ein Verlustgeschäft handelt, wurde mir schlagartig klar; denn „alles“ ist mehr als „viel zu viel“. Die Liebe nimmt einem also unterm Strich mehr als sie gibt. Ein schlechter Tausch. Wenn sie einem „alles“ nimmt, ist man am Ende, dann hat man gar nichts mehr. Das macht die Liebe gefährlich. Wenn sie einem zum Ausgleich dafür „viel zu viel“ gibt, macht es die Sache nicht besser, sondern noch schlechter.

Ich stellte mir vor, die Liebe würde mir ein Erdbeer-Eis spendieren, sie würde mir also etwas „geben“, das ich haben will, sie würde mir aber „viel zu viel“ davon geben, d.h. mehr Eis, als ich essen kann. Vor meinen Augen würde das Eis, das „zu viel“ ist, zerfließen, es gäbe ein riesiges Gemansche, weil ich nicht so viel essen kann, wie ich will, auch wenn ich es verzweifelt versuche und mir damit die Freude am Eisschlecken verderbe.

Dann komme ich nach Hause – was muss ich sehen!? Das Kinderzimmer ist leer geräumt, alles weg! Die Liebe hat mir „alles“ genommen. Auch die Briefmarkensammlung. Selbst die Geheimverstecke sind geplündert. So also ist die Liebe. Kein Wunder, dass das Lied so wehklagend wirkt. Kein Wunder auch, dass ich das Lied zwar kannte, aber nicht mochte. Heidi Brühl hatte es gesungen. Wir haben sie immer nur „Heidi Brüll“ genannt.

Nun bin ich älter und ich weiß, dass es um Politik geht. Es geht um Lohn, um den Mindestlohn, nicht um Liebe. Was damals im Schlager als „viel zu viel“ besungen wurde, wird heute in der Politik „mehr“ genannt. Da fragen wir uns: Mehr als was? Mehr als nötig? Mehr als man will? Oder einfach nur mehr als vorher? Wie auch immer: Es ist und bleibt ein Verlustgeschäft.

Arbeitnehmer: „Chef, ich brauche eine Lohnerhöhung.“

Arbeitgeber: „Soll das heißen, dass Sie mehr Geld wollen?“

„Genau. Ich will MEHR.“

„Dann geben Sie ALLES.“

„Wie bitte? Was soll ich geben?“

„Alles!“

„Hm ...“

„Nehmen Sie sich ein Beispiel an dem Marathonläufer, der auf der Ziellinie tot umgefallen ist.“

„Stimmt. Der Mann hat alles gegeben.“

„Das kann man wohl sagen. Und in seinem Testament hatte er verfügt, dass sein gesamtes Vermögen seinem Trainer zugute kommt. So in etwa stellen wir uns das vor.“

„Aha. Und wenn ich alles gebe, dann geben Sie mir mehr?“

„Ungern.“

„Hä?“

„Wir wollen Ihnen natürlich nicht mehr geben. Aber wenn Sie alles geben, dann müssen wir. Leider. Wer alles gibt, MUSS mehr bekommen.“

„Ehrlich gesagt, Chef – ich hatte mir das anders vorgestellt.“

„Wie denn?“

„Ich dachte, ich arbeite so viel wie bisher, und dafür kriege ich in Zukunft mehr.“

„Ach, nee, derselbe Schlendrian wie gehabt, womöglich mit verlängerter Kaffeepause und noch ein bisschen früher nach Hause gehen also sonst schon, und dann mehr Geld verlangen!“

„Na ja ...“

„Die Zeiten sind vorbei. In Zukunft werden hier andere Saiten aufgezogen. Ich wähle jedenfalls SPD.“

(Arbeitnehmer geht wortlos)

Aber vielleicht können wir – wenn der Wahlkampf vorbei ist – das Plakat übernehmen und doch noch gut für den Bioladen gebrauchen und damit eine Werbeaktion machen, die unter demselben Motto steht: „Wer alles gibt, muss mehr bekommen.“ Das geht dann so: Die Kunden müssen ihren Geldbeutel leeren, und sie würden für all das Geld, das da drin ist, den Gegenwert in Lebensmitteln kriegen, und zum Lohn dafür, dass sie „alles“ geben, würden sie noch etwas „mehr“ kriegen, beispielsweise eine Gratismöhre.

Die Idee ist nicht schlecht. Die Kunden könnten sich leicht darauf einstellen. Sie müssen nur darauf achten, dass sie, wenn sie in den Bioladen gehen, nicht so viel Geld dabei haben, was für die meisten keine große Umstellung wäre. Wenn man mit möglichst wenig Geld in den Laden geht, würde man jedes Mal „mehr“ rausholen als sonst, ein echtes Schnäppchen also. Man könnte auch die Einkaufstouren so legen, dass man immer zuerst die Sachen einkauft, die man wirklich braucht - und erst, wenn man kaum noch Geld übrig hat, den Bioladen entert.

Ich könnte mir vorstellen, dass dann richtig was los wäre und der Laden ordentlich brummen würde. Wenn das auch nichts bringen sollte, dann muss ich selber zur Harfe greifen und ein neues – ein besseres – Liebeslied anstimmen, nicht so wehleidig, dafür aber voll bio:

Du mein kleines Radieschen

folge mir mit in mein Paradieschen.

Ich bin scharf wie ein Rettich

und ich denke immer: könnt ich, dürft ich, hätt ich.

Groß wie eine Melone

ist der Umfang meiner erogenen Zone.

Und ich denk bei der Menge der Nüsse,

dass man die in Küsse umrechnen müsse.

Und ich schwöre bei meiner Möhre,

dass ich immerzu nur dir gehöre.

In meinem kleinen Garten

werd ich dir treu sein wie tausend Tomaten.

Beitrag erschien zuerst auf: achgut.com

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