Die Lachnummer ist mir Wurscht

Der Eurovision Song Contest nannte sich früher einmal Grand Prix Eurovision de la Chanson. Gewonnen haben ihn manchmal (kommende) Weltstars und manchmal völlig Unbekannte.

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Siegerlieder waren gut, fetzig, schnulzig oder einfach nur schlecht. Ganz unpolitisch war der Wettbewerb auch nie. Tugendwächter aller Couleur achteten sehr wohl darauf, daß ja nicht Israel mal von Deutschland 0 Punkte bekam. Und Österreich hat Deutschland sowieso immer viel zu schlecht bewertet, Großbritannien war noch schlimmer. Im Schlagerbinnenraum war der Grand Prix eine ernste Angelegenheit. Der dem Schlager nicht wohlgesonnene Zeitgenosse im Zeitalter des Dreikanälefernsehens mochte sich über fehlende Alternativen im Programm ärgern.

In einer solchen Fernsehwelt mit drei Kanälen war der Sänger-, Lieder- und Texterwettstreit ein noch ein Erlebnis oder Ärgernis, je nach Sicht der Dinge. Bis auf die Titelseiten größter Zeitungen schaffte es die kleine Nicole mit ihrem akkustischen Schmalzpott “Ein bißchen Frieden” im Jahr 1982. Mit Guildo Horn und Stefan Raab zog von deutscher Seite der Klamauk in den Grand Prix, der bis dahin fest in der Hand von Ralphf Siegel lag. Aber auch echte Stars hat der Grand Prix hervorgebracht. Da ist zunächst einmal natürlich ABBA, die 1974 mit Waterloo den Song Contest gewannen. Jonny Logan und Celine Dion gehören ebenfalls zu den Stars, denen der Grand Prix bei ihrer Karriere behilflich war. Wie anders sollte es sein. Licht und Schatten wechseln sich bei einem solchen Event ab.

Eine Fernsehlandschaft unserer Tage mit ca. 7 Phantastillionen Kanälen verlangt dann etwas anderes als einen Abend, an den anderthalb Dutzend Sänger oder Gruppen ihre Lieder trällern, die dann aus den Teilnehmerländern von Fachjuroren (“Le Royaume-Uni – douze points”) bewertet werden. Zuschauerbeteiligung muß her. Und mit der Verbreiterung kommt – logisch – die Verflachung. Mit der Verflachung kommt die Politisierung. Getarnt wird das alles als ein Riesenspaßevent. So war es denn an der Zeit, mal ordentlich auf die Toleranzpauke zu hauen, die ja gerade allüberall erklingt und lärmt. Es war schon im Vorfeld egal, ob das Lied des Travestiekünstlers aus Österreich das beste war oder nicht. Ganz egal auch, wie gut oder wie schlecht die Sängerinnen aus Rußland waren. Der eine mußte auf den Sockel, die anderen mußten ausgebuht werden. Mag man zu Putin stehen wie man will, junge Sängerinnen für ein politisches System verantwortlich zu machen ist Unfug. So haben wir nun mit einer bärtigen Wurscht in Frauenkleidern ein schlagersingendes Toleranzedikt, dem keiner zu widersprechen hat.

Noch mal zurück in die gute alte Dreikanälewelt, der ich garantiert nicht hinterher weinen will. Wäre bei Kulenkampff, Carrell oder einem der anderen großen Samstagabendfamilienunterhalter aus Kindheitstagen einer bärtiger Travestiekünstler aufgetreten, so wäre es wohl für niemanden etwas anderes als eine komische Nummer gewesen. Ein bärtiger Mann in Frauenkleidern, derdiedas Schlager singt, kann eigentlich nur als Schenkelklopfer durchgehen. Und könnte man das auch heute noch so sehen, so wie eben die Travestiekünstler Mary und Gordy, die nie etwas anderes als komisch sein wollten, so ließe man ja auch die Wurst noch durchgehen.

Erst der Versuch daraus ein ernstes Problem (der Toleranz) zu machen, ja gar den moralischen Zeigefinger zu heben, daß da ja keiner sich echauffiere, macht die komische Nummer zu einem Problem. der ESC sollte Unterhaltung sein für die, die sich von Schlagern gerne unterhalten lassen möchten. Wer das Lied der Kunstfigur Wurst gut findet, mag es mögen, wer nicht mag es lassen. Und wie derdiedas Wurscht lebt ist mir gleiches, nämlich Wurscht. Mag der ESC gerne Schlagzeilen machen, weil ein hundsmiserables oder saugeiles Lied gewonnen hat, weil der Sieger die Teenies zu hunderten in Ohnmacht fallen läßt oder eine Gruselfigur ist. Aber Bitte! Ein Schlagerwettbewerb, der zu einer moralinsauren Toleranzwerkstatt verkommt, hat keinen Sinn und wird sich überleben.

Vorschlag zur Güte: Vielleicht kann den Wettbewerb im nächsten Jahr eine glattrasierte Frau in Männerkleidern gewinnen. Dann ist die Gerechtigkeit wieder hergestellt.

Beitrag erschien auch auf: blog.peter-winnemoeller.de

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