Die Katholische Kirche in der pluralistischen Gesellschaft

In einer pluralistischen Gesellschaft sind nicht alle Gruppen und Organisationen auf einen Verhaltenskodex festgelegt, sondern können in ihren inneren Angelegenheiten einen eigenen Verhaltenskodex etablieren.

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In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es eine große Bandbreite von Clubs und Vereinen mit unterschiedlichen Verhaltens- und Einstellungsvorgaben. Das Reicht vom Heimat- und Schützenverein, über den Golfclub, spezielle Freizeitangeboten für Schwule und Lesben, Burschenschaften, Restaurants für Veganer, Esoterikbuchläden, Kongressen von Ufologen und SM-Clubs. Wenn ich mich in diese Vereinigung von Menschen hineinbegebe, dann akzeptiere ich die Regeln dieser Vereinigung. Wenn ich die Regeln nicht akzeptieren will, dann bleibe ich dieser Vereinigung fern. Das gilt auch für die Katholische Kirche.

Religiöse Normen in der Theokratie

Wie in vielen anderen Vereinigungen gibt es in der Katholischen Kirche  Regeln, die es in anderen Gruppen nicht gibt. Viele stören sich daran, dass die Katholische Kirche von ihren Priestern ein Zölibat einfordert, Frauen nicht Priester werden dürfen, die Regeln ihrer Sexualmoral wenig mit der Lebenspraxis der Mehrheit der Bürger der westlichen Gesellschaften zu tun haben. Wäre diese Moral gesetzlich festgeschrieben und allgemein verbindlich und würden die, die sie nicht befolgen, dafür politisch verfolgt – dann könnte man in der Tat von einem theokratischen und totalitären System sprechen.

Religiöse Normen im Pluralismus

In einer pluralistischen Gesellschaft, handelt sich aber nur um einen legitimen Verhaltenskodex neben vielen anderen Möglichkeiten. In der pluralistischen Gesellschaft ist der Katholizismus kein Zwang, sondern eine zusätzliche Option, für die sich der Einzelne entscheiden kann oder auch nicht. Den Pluralismus unterscheidet von einem totalitären Staat, dass es keine absolute Wahrheit, einen einzigen Verhaltenskodex und eine einzige Identität gibt, sondern, dass im Rahmen abstrakter, allgemein formulierter Gesetze Menschen in verschiedenen Vereinigungen selbst organisiert, nach den eigenen Regeln leben können.

 

Formale Regeln für unterschiedliche Inhalte

Nehmen wir an, es würde sich eine heidnische Religionsgemeinschaft in Deutschland etablieren, in der nur Frauen Priesterinnen sein dürften und die für alle erwachsenen Angehörigen der Religionsgemeinschaft die Teilnahme an orgiastischen Festen verbindlich vorschriebe und überhaupt einen Kult um die Sexualität betriebe. Das wäre so in etwa das Gegenteil der katholischen Praxis, formal gelte dafür aber dasselbe Prinzip:  Eine religiöse Gemeinschaft mit freiwilliger Mitgliedschaft, die ihre inneren Angelegenheiten selber bestimmen darf. Es ist schwer verständlich, warum Menschen, die der Kirche selbst nicht angehören, sich überhaupt für Fragen der Priesterehe oder den Umstand, dass in der Katholischen Kirche nur Männer das Priesteramt ausüben dürfen, interessieren. Es ist schließlich niemand dazu gezwungen Kirchenmitglied zu sein oder Priester zu werden. Wer mit den Regeln und Glaubensgrundsätzen der Katholischen Kirche ein Problem hat, der kann einfach austreten.

Das Zölibat ist mit der Freiheit des Einzelnen vereinbar

Dass das „Zölibat“ so große Irritationen auslöst, ist von der Sache her eigentlich erstaunlich. Wer katholischer Priester wird, der wird das freiwillig. Daraus folgt, dass die Entscheidung zur Enthaltsamkeit, die damit verbunden ist, auch freiwillig erfolgt. Wer heiraten und Sex haben will, braucht ja nicht katholischer Priester zu werden. Ob das Zölibat theologisch wirklich notwendig ist oder nicht, das ist eine interne Angelegenheit der Kirche, ebenso die Frage, ob auch Frauen dieses Amt ausüben dürfen oder nicht. Ob dies zwingend aus dem Glauben folgt, ist eine Frage der internen theologischen Diskussion zwischen Katholiken, die auf der Basis der Glaubensgrundsätze erfolgt. Wer diese Glaubensgrundsätze nicht teilt, für den erübrigt sich diese Diskussion. Soweit die Mitgliedschaft in der Kirche und die Übernahme eines Priesteramtes freiwillig erfolgt, ist das Zölibat mit der Freiheit des Einzelnen ohne weiteres vereinbar.

Ohne Glauben keine plausible theologische Schlussfolgerung

Ein theologisches System ergibt nur einen Sinn, wenn man die Grundprämissen, aus denen alle anderen Schlussfolgerungen abgeleitet werden, teilt. Zum Beispiel die Grundprämisse des Judentums, dass Gott einen Pakt mit dem jüdischen Volk geschlossen hat, oder die Grundprämisse des Christentums, dass Jesus Christus die Menschheit erlöst hat, oder des Islam, dass Mohammed der letzte Prophet war und ihm der Koran diktiert wurde, oder die Grundannahme des Buddhismus, dass wir Menschen nach dem Tod wieder geboren werden. Wenn man diese Grundannahmen nicht teilt, dann sind alle Schlussfolgerungen daraus im Grunde Schall und Rauch. Das heißt an einem theologischen Streit können sich glaubhaft eigentlich nur Menschen beteiligen, die wenigstens in den Glaubensgrundsätzen miteinander übereinstimmen. Als Nichtgläubiger dem Gläubigen erklären zu wollen, wie er seine Glaubensgrundsätze interpretieren sollte, ist ein fragwürdiges Unterfangen.

Nicht das Anprangern von „Sünden“, politische Forderungen sind der Streitpunkt

Ein Buddhist muss sich nicht unbedingt darum kümmern, was die Mormonen von der Vielehe halten oder welche Ansichten die christlichen Kirchen über die Hölle und das Jüngste Gericht vertreten. Für Atheisten und Agnostiker wird die Frage, ob sie im Sinne der katholischen Kirche in Sünde leben, keine schlaflosen Nächte bereiten. Wenn sich Menschen aus freien Stücken zusammen schließen und sich bestimmten Regeln unterwerfen und die Abweichung von diesen Regeln als „Sünde“ bezeichnen, dann ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, solange dies nur für die Angehörigen der Religionsgemeinschaft gilt. Sobald daraus eine politische Forderung wird, sieht es damit freilich anders aus, weil es dann auch alle betrifft, die die Glaubensgrundsätze der Kirche nicht teilen. Wer mit konkreten Forderungen in die politische Arena eintritt, der muss ganz zwangläufig auch mit Gegenwehr rechnen.

Theologische Standpunkte sind keine Freiheitsbeschränkung

Rein theologische, auf das Jenseits ausgerichtete Standpunkte sind hingegen unproblematisch. Ein bestimmtes Verhalten als Sünde zu bezeichnen, ist keine Einschränkung der individuellen Freiheiten, da jeder selbst entscheidet, ob er diese Erklärung annimmt oder nicht. Die Freiheit zu mit der Pille verhüten wird nicht dadurch eingeschränkt, dass die katholische Kirche die Pille aus theologischen Gründen ablehnt. Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch keine Sünde und natürlich nach dem Tod auch keine Strafe. Wer nicht an Gott oder das katholische Lehramt glaubt, der braucht sich nicht dadurch irritieren zu lassen, dass die Kirche an die Gläubigen appelliert nicht zu sündigen, um der Strafe zu entgehen. Wenn es aber Gott, die Sünde und die Strafe, entsprechend den katholischen Vorstellungen davon, tatsächlich gibt, dann könnte es die Kirche offensichtlich auch nicht ändern und es würde auch nichts helfen, wenn die Kirche aus politischem Opportunismus plötzlich ihre Meinung darüber ändert.

Vertragsfreiheit bei freiwilliger Mitgliedschaft

Der Liberalismus hat grundsätzlich mit allen Organisationen und Gemeinschaften ein Problem, die eine Zwangsmitgliedschaft begründen und den Austritt nicht erlauben. Das war bei den Kirchen viele Jahrhunderte lang der Fall, und solange das so war, gab es gute Gründe den Streit mit dem vorherrschenden Glaubensmonopol zu suchen. Heute existiert dieses Glaubensmonopol der Kirchen in Deutschland nicht mehr und die Mitgliedschaft in den Kirchen ist nicht zwingend, sondern freiwillig. Damit kann die katholische Kirche sich gut begründet auf das Recht berufen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln und die Freiheit für sich in Anspruch nehmen, die jeder freiwillige Zusammenschluss für sich in Anspruch nehmen können sollte. So ist es nicht problematisch, dass die Kirchen ihre Mitarbeiter nach bestimmten Kriterien auswählen dürfen, es ist problematisch, dass andere Organisationen es nicht dürfen und ihre Vertragsfreiheit damit eingeschränkt wird.

Das Problem ist die Verquickung von Staat, Kirche und anderen privaten Vereinigungen

Problematisch ist nach wie vor die Verquickung von Kirche und Staat in der Bundesrepublik und Sonderregelungen für die Kirchen, die nicht auch für alle anderen Vereinigungen gelten. Diese Verquickung ist allerdings ebenso problematisch wie die Verquickung von Staat und Gewerkschaften, Staat und öffentlich-rechtlichem Rundfunk, Staat und Umweltverbänden,  Staat und Finanzwirtschaft, Staat und Genderpolitik. In allen diesen Fällen kann man die Frage stellen, warum ein bestimmtes Geschäftsmodell, Weltanschauung oder Lebenspraxis auf Kosten anderer Bürger gefördert werden soll, die von diesem Geschäftsmodell nicht profitieren, die Weltanschauung nicht teilen oder die Lebenspraxis selbst nicht praktizieren wollen. Wer Steuergelder nimmt und den Gesetzgeber bemüht, der muss sich gegenüber dem Steuerzahler und den Bürger, die die Steuern zahlen und unter diese Gesetzgebung fallen, auch rechtfertigen. Insoweit war es nur Konsequent von Papst Benedikt dem XVI eine größere Distanz zum Staat zu fordern, um Handlungsautonomie zurückzugewinnen.

Der Beitrag erschien zu erst auf dem Blog des Liberalen Instituts

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Thomas Windhöfel

Frueher waren die Liberalen wenigstens klug. Sie sagten nicht gleich, dass sie die Kirche parallell zu SM-Clubs und Ufologen-Vereinen sehen. Man hat es nur immer vermuten muessen. Sie, Herr Boekenkamp, nehmen kein Blatt vor den Mund und sagen, was Sie denken. Viele mag das verletzen. Ich denke eher, für Ihre offenen (oder vielleicht auch unkontrollierten) Worte gebuehrt Ihnen dank: man weiss dann als Katholik wenigstens wieder genau, wo der Feind steht. Auf Seite des Relativismus, des Liberalismus. Seihen Sie gewiss, mein Herr, Sie werden die Kirche mit derart schamlosem Geschreibsel nicht kleinkriegen. Im Gegenteil: Ich hoffe, Sie wecken Schlafende, die bisher nicht merkten, was die so schön daher redenden Liberalen eigentlich im Schilde führen.

Gravatar: Freigeist

Wer abtreiben wil, soll abtreiben können. Wer dem Papst gehorchen will, muss es ja nicht tun.

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Eine sehr klare Darstellung. Das Gesagte sollte eigentlich für jeden Verständigen selbstverständlich sein.

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