Die Inflation der Grenzen

Die Grenze ist das neue Modewort der wissenschaftlichen Politikberatung in Deutschland.

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Zumindest gewinnt man diesen Eindruck, wenn man das jüngste Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen, “Verantwortung in einer begrenzten Welt”, in Augenschein nimmt. Schon bei der Lektüre der Kurzfassung, die sich aufgrund des schier grenzenlosen Umfangs der Langfassung auf neuneinhalb Seiten an die für ihre Aufmerksamkeitsdefizite bekannten Entscheidungsträger richtet, zeigt, dass Grenzen, und sei es nur in der Vorstellungskraft der Gutachter, allgegenwärtig sind. Mindestens neunmal taucht da der Begriff Grenze auf, seien es nun Ressourcengrenzen, die Grenzen natürlichen Lebensraums oder die ominösen ökologischen Grenzen des Klimawandels, deren Überschreiten “Umkippeffekte” mit sich bringt. All diesen “Grenzen des Wachstums” begegnet man, wie originell, mit Grenzen des Wachstums, nur dass sie diesmal vermeintlich gemeinwohlfördernd staatlich vorgegeben sind.

Vorbei sind die Zeiten, in denen man ökologische Ziele im vollen Bewusstsein knapper Ressourcen mit anderen Zielen gesellschaftlicher Entwicklung aussöhnen wollte und deshalb versuchte, den Menschen mit marktwirtschaftlichen Umweltinstrumenten flexible Anreize zu geben, die Knappheit von Ressourcen in ihr wirtschaftliches Kalkül aufzunehmen. Stattdessen werden auf der Basis normativer Expertenkriterien der Gesellschaft starre Grenzen in Form von Grenzwerten, Zertifizierungssystemen und Richtlinien empfohlen. Eine Abwägung zwischen Nutzen und Kosten der einzelnen Maßnahmen erfolgt, zumindest in der Kurzfassung, nicht. Doch gerade für den politischen Entscheidungsträger ist es besonders wichtig zu wissen, ob die ihm zur Hand gegebenen Empfehlungen auch das Ergebnis eines sorgfältigen Abwägungsprozesses sind.

Doch die Reaktion auf Grenzen mit noch mehr Grenzen ist nicht weiter verwunderlich, denn die Dramatik der Einschätzung der Grenzen des Wachstums resultiert allein aus einer Grenzziehung, der im Kern eine unzulässige Knappheitsdefinition zu Grunde liegt. Die “Grenzen des Wachstums” werden nicht durch absolute Mengengrenzen umrissen, sondern allein durch die Verfügbarkeit von Technologien, die Prozesse und Energie für die Kreislaufführung von Rohstoffen bereitstellen. Es bleibt dabei, dass die Steinzeit nicht aufgrund eines Mangels an Steinen endete, daran hat auch der Umstand nichts geändert, dass die Vielfalt der vom Menschen genutzten Ressourcen erheblich zugenommen hat. Es besteht keinerlei Veranlassung, die Dynamik der Ressourcennutzung in ein Korsett normativer Maßregeln zu zwängen, solange die zu jedem Zeitpunkt herrschende Knappheit entsprechende Marktkräfte freisetzt, deren Preisimpulse Innovationsanreize für neue Verfahren der Ressourcennutzung setzen. Von der Idee allerdings, dass Rohstoffpreise als dezentrale Knappheitssignale die besten Handlungszwänge für die Wirtschaft setzen, hat man sich beim Umweltrat schon seit langem verabschiedet. Stattdessen soll der Staat Kraft seiner allwissenden wissenschaftlichen Berater die Handlungsgrenzen der Menschen akribisch vorgeben. Nicht das Umweltproblem als solches wird bekämpft, sondern damit zum Teil nur recht vage verbundenen Handlungen der Menschen sollen ihre Schranken zugewiesen werden. Weder aus ökologischer noch aus ökonomischer Perspektive ist nachvollziehbar, weshalb beispielsweise gegen Treibhausgasemissionen nicht nur maßvolle staatliche Preissignale in Form von Abgaben oder Emissionshandel gesetzt werden, sondern auch noch vorgeschrieben werden soll, in welche Richtung sich die Technologien in Wirtschaft und Verkehr zu entwickeln haben. Offenbar ist hier dem Umweltrat der ingenieurstechnische Spieltrieb durchgegangen.  Dass man hiermit, allein aufgrund begrenzter Informationen, gewaltig daneben liegen könnte und wahrscheinlich Kosten produziert, die sich womöglich niemals in Nutzen auszahlen werden, geht offenbar über die Grenzen der Vorstellungskraft der Umwelträte hinaus.

Selbst dann, wenn ökonomische Anreize in der Argumentation der Umwelträte eine Rolle spielen, muss man sich fragen, ob nicht auch hier die Grenze des Vernünftigen überschritten wird. Der Fleischkonsum und der Verbrauch gesättigter Fettsäuren stehen beispielsweise auch auf der Streichliste der Gutachter, die damit gleichsam haarscharf an den Grenzen ihres Kompetenzbereiches als Umweltgutachter operieren. Keine Frage, Mehrwertsteuerprivilegien haben in keinem Wirtschaftsbereich etwas verloren, aber warum die Schere selektiv beim Fleischkonsum ansetzen und für gesättigte Fettsäuren gar eine Abgabe fordern, wo doch auch der übermäßige Gemüseverzehr nicht klimaneutral ist? Offenbar versucht man hier auch noch den Ernährungsberater zu spielen und wagt sich damit in ein Gebiet vor, das derzeit mindestens genauso wenig Antworten über gut und böse geben kann wie die Klimawissenschaften. Hier erledigt der normative Holzhammer die subtile Aufgabe einer Abwägung zwischen klimapolitisch sinnvollen Maßnahmen und der Souveränität des Verbrauchers.

Staatliche Verantwortung besteht nicht nur für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, sondern auch für den Schutz der individuellen Grundrechte des Menschen. Jede Grenzziehung des Staates engt die Möglichkeiten der Wahrnehmung der Grundrechte des Menschen ein, das liegt in der Natur der Sache und kann ordnungspolitisch geboten sein. Doch wer wie der Umweltrat der Auffassung ist, dass “neben naturwissenschaftlichen Erkenntnissen … auch normative Wertungen über gesellschaftlich akzeptable Risiken und das erwartete Maß an Vorsorge eine wichtige Rolle spielen”, der muss sich auch fragen lassen, nach welcher normativen Regel ökologische Effektivität und ökonomische Effizienz und damit auch die Handlungsfreiheit des Menschen ohne Not einer Ideologie der Grenzen geopfert werden müssen.

Der Umweltrat präsentiert sich zwar als Anwalt einer nachhaltigen Gesellschaft, doch zeigt er uns in seiner technokratischen Einseitigkeit und Neigung zur Maßregelung der Bürger vor allem eins – die Grenzen der wissenschaftlichen Politikberatung.

 

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Hans von Atzigen

Die Physik kennt durchaus Krenzen.Doch innerhalb dieser Grenzen ergibt sich eine sehr sehr grosses Feld der Gestaltungsmoeglichkeiten.Etwas wenigstens einigermassen brauchbares kann somit nur unter Einbezug von moglichst vielen Einzelfaktoren erarbeitet werden.Leider ist ein unvoreingenommenes herangehen nur bei sehr wenigen vorhanden.Das gilt auch fuer Wissenschaftskreise. Wissenschaftler sind halt auch bloss Menschen. Auch die pflegen und verteidigen ihr Gaertchen-Denken.Da ist auch in erschreckendem Masse oft engstirniges Lineardenken angesagt.Offenes Interdiszipinaeres Denken ist leider sehr selten.Einer der Kerngruende die dazu fuehren das die Empfehlungen und Rezepte solcher Gremien wie Umweltrat und wie all diese Gremien sich schimpfen in schoener Regelmaessigkeit in Desaster Enden.Unserer Zeit fehlt ein bewusst gepflegtes absolut offenes Freies Denken. Nur aus einem solchen Denkansatz heraus koennen wenigstens Ansatzweise brauchbare Loesungen erarbeitet werden die wiederum unabaenderlich immer wieder der Korrektur und der Relativierung beduerfen. Ein solcher Ansatz ervordert und bietet nur der Liberalismus in seiner ganzen Breite und Tiefe.Linear und Gleichschrittdenken ist ach soooo bequem freies Liberales Denken ist nie endende harte Arbeit und eben letzteres scheuen die allermeisten Menschen.

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