Die heimlichen Wünsche der Frauen

Tränen rollen an der Geschlechterfront. Dem neunjährigen Micki fällt es nicht leicht, den Anforderungen an das neue Männerbild zu genügen. Er ist Grobmotoriker, breitschultrig und eher praktisch

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veranlagt. Das hat zwar gewisse Vorteile, aber er scheitert kläglich am rechten und am linken Maschenanschlag, und ausgerechnet diese beiden Übungen stehen in der 4. Klasse der Grundschule in Altdorf in WTG (Werken und textiles Gestalten) auf dem Lehrplan. Die Mutter hat sich dummerweise inzwischen so weit vom traditionellen Frauenbild entfernt, dass sie auch nicht mehr helfen kann. Zum Glück findet sich noch eine Oma, die Nachhilfeunterricht in der hohen Kunst des Strickens erteilen kann. Alleine schafft es Micki nicht.

Ich habe das Unglück kommen sehen und schon in den 80er Jahren ein Gedicht zu dem heiklen Thema geschrieben. Aber, Halt: Ich will nicht angeben. Ich habe es - ehrlich gesagt –doch nicht wirklich vorausgesehen. Zwar konnte ich gewisse Zeichen am Horizont erkennen, aber ich habe es viel zu sehr auf die leichte Schulter genommen und die Sache völlig unterschätzt.

Damals kündeten Bilder von strickenden Abgeordneten im Bundestag eine tief greifende Zeitenwende an - es war für jeden sichtbar -, auch an Universitäten wurde emsig gestrickt und in harten Fällen sogar gehäkelt. Doch viele Beobachter - so wie ich - haben das nur milde belächelt; wir konnten ja nicht ahnen, was sich daraus noch für Nachwirkungen ergeben.

Es waren Zeiten, die sich viele heute sowieso kaum mehr vorstellen können: Das Rauchen war noch mit dem Geschmack von Freiheit und Abenteuer verbunden; Genscher war unser Langzeit-Außenminister mit Bluesstimme, Domenica betreute gefallene Mädchen im Milieu in Hamburg, und eine so genannte Kassette - falls sich noch jemand erinnert - war ein beliebtes Speichermedium, das hauptsächlich für Musikdateien genutzt wurde.

Eine idyllische Zeit, wie es im Rückblick scheint, doch es gab auch Gefahren, die Angst ging um: Der Rhein drohte am Gift zu verenden, eine energische britische Premierministerin wurde als Hindernis für die europäischen Einigung gesehen, und hinter „Space Invader“ (eigentlich Invaders) verbarg sich ein neues, womöglich süchtig machendes Videospiel, bei dem man zu nervtötenden Geräuschen Außerirdische abschießen und so symbolisch die Welt vor einer Bedrohung aus dem All retten konnte. John Lennon war tot, doch seine Kunst-Aktionen waren vielen noch frisch in Erinnerung, besonders eine, bei der Yoko Ono während eines Interviews leise im Hintergrund mit verbundenen Augen gestrickt hat, damit sich das irgendwie positiv auf die Konflikte in der Welt auswirkt und uns allen den Frieden bringt – es hat sich auch ausgewirkt! Und wie!

Die zentrale Frage, die meinem historischen Gedicht (das gleich kommt) zugrunde liegt, stammt bekanntlich von Sigmund Freud (der angeblich schon im Alter von vierzig keinen Sex mehr hatte) und lautet im Original „Was will das Weib?“

Man könnte vermuten, dass ich das diskret geändert habe, damit es sich besser reimt – aber nein: Ich wollte vielmehr auf die Empfindlichkeiten einiger Autorinnen der aktuellen Freud-Forschung Rücksicht nehmen, die diese Frage nicht mehr hören wollen, allein schon deshalb nicht, weil sie den Ausdruck „Weib“ inakzeptabel finden, während sie andererseits weiterhin gerne „weiblich“ sein wollen. Das hat mich zwar irritiert, doch damit muss ich leben.

Hier nun das Gedicht:

Die heimlichen Wünsche

Sigmund Freud wusste es nicht genau
- doch das ist lange her –
und stellte die Frage: Was will die Frau?
Die Frage stellt sich jetzt nicht mehr.
Man braucht sich nur mal umzublicken,
sieht doch jeder: Frauen wollen stricken.

Männer dagegen wollen einen Mazda
- auf die Autobahn und: Platz da! -,
sie werden Rock’n’roll-Gitarrero
oder Torero mit goldenem Sombrero ...
Die Frauen werden nur beifällig nicken
und dann wieder weiterstricken.

Männer sind doch alle irgendwie Profi
- und sind wieder mit dabei bei der nächsten Camel-Trophy,
und schwärmen schon bei einem Campari
von einer Safari quer durch die Kalahari,
wo sie dem Löwen ins Auge blicken.
Frauen wollen stricken.

Männer sind nicht zufrieden mit nur sieben Meeren.
Sie wollen stehend auf einem Schwamm den Ozean überqueren,
sie woll’n auf den Mond, so hoch wie es geht –
und zwar ohne Sauerstoffgerät! –
und dann die ganze Erde überblicken.
Frauen wollen stricken.

Frauen kennen
weder John Lennon
noch Yoko Ono,
hören keinen Unterschied zwischen Stereo und Mono,
interessieren sich nicht für Castro und Cuba,
die Atemtechnik bei der Tuba,
die nächste Bischofskonferenz,
das neue Buch von Walter Jens,
für Filmmusik von Nino Rota,
Preisvorteile beim Toyota,
Domenica in schwarzem Leder,
Telespiele: Space Invader,
Abfahrtsläufe über Gletscher,
Europa mit und ohne Thatcher ...
Und ob die Flüsse längst schon vergiftet sind,
die Kassetten alle richtig beschriftet sind,
ob die Grünen Genscher tadeln:
Frauen wollen Wolle und Nadeln.

So war es damals. Und nun? Micki hat weiterhin derartig gelitten, dass die Mutter ein Einsehen hatte und ihm eine Entschuldigung schrieb, damit er sich davor drücken konnte, bei einer Leistungsshow zwanzig Minuten am Stück vorzustricken. Das war jedoch nur ein kurzes Verschnaufen. Die Tränen rollten weiter. Danach stand ‚Weben mit Perlen’ auf dem Lehrplan, mit ganz, ganz kleinen Perlen, und danach ‚Nassfilzen mit Vorfilz’; denn Filz spielt bekanntlich eine große Rolle in der kirgisischen Volkskunst, auch Joseph Beuys und die SPD in Hamburg haben schon erfolgreich damit gearbeitet. Der Feminismus tut es weiterhin.

Und weiter: Die VHS (Volkshochschule) Braunschweig bietet ‚Neue Kurse für Männer’ an (unter diesem Stichwort kursieren verschiedene Versionen im Internet); z.B. „Wie werde ich der ideale Einkaufsbegleiter? Wir besuchen die Kleider- und Schuhabteilung eines Kaufhauses. Einweisung in Meditations-, Entspannungs- und Atemtechniken.“ Na ja, kleiner Scherz am Rande. Merkt doch jeder. Da ist offenbar der humorvolle Mann gefragt. Schon früher ist mir beim flüchtigen Durchsehen von Kontaktanzeigen aufgefallen, dass ein „Mann mit Humor“ hoch im Kurs steht. Vielleicht weil es die beste Art ist, die wechselvollen Ansprüche der Frauen abzufedern? Doch womöglich täusche ich mich, vielleicht sind die „possierlichen Kerlchen“, die Frauen den „liebenswerten Clown“ vorspielen, längst ein Auslaufmodell.

In Syke bei Bremen machen sie ernst. Da gibt es endlich einen Mann im Kindergarten - der erste und einzige weit und breit. Da wollte der ‚Weserkurier’ natürlich wissen, wie er sich denn so als einsamer Mann macht inmitten lauter weiblicher Erzieherinnen und was er zur Ergänzung des Rollenbildes beizutragen hat. Und? Was macht er? Er backt Kuchen mit den Kindern; denn, so meint er, dies wäre für die Jungs immer eine gute Möglichkeit, bei den „Damen“ (sic!) zu „punkten“. Und außerdem - doch das ist meine Meinung - ein Eigentor für die Interessen der Männer zu schießen.

Das muss nicht sein. Ein Freund von mir - Johannes L.M. Koch - ist ebenfalls Grobmotoriker und hat eine breite Schulter; er ist nicht nur praktisch, sondern auch künstlerisch veranlagt: Er ist Bildhauer und arbeitet mit schwergewichtigen Objekten. Er bietet außerdem Schweißkurse an, die sehr beliebt sind: Wenn die Eltern ihre glücklichen Kinder nach so einem Erlebniswochenende abholen, haben die in der Zwischenzeit elementare Erfahrungen gemacht, mit dem Feuer gespielt und ein Werk geschaffen, das womöglich nicht in den Kofferraum passt.

Verstärkte Nachfrage nach solchen Kursen brachte der Girls’ Day mit sich – bekanntlich nicht als Testfrage im Rahmen der Aktion ‚Rettet den Apostroph’ gedacht, sondern als eine Art Selbstbefreiungstag, an dem Mädchen sich durch die vorübergehende Abwesenheit von Jungs völlig neu erleben können. Da ist das angebotene „Mädchenschweißen, um rollenspezifisches Verhalten aufzulösen und positiv zu beeinflussen“ genau das Richtige. Besonders dann, wenn es unter dem klangvollen Motto steht: „Mädchen schweißen heiße Eisen!“

Wenn man ein bisschen blinzelt, sieht es aus, als wäre hinter all diesen Aktionen eine Kraft am Werke, die neue Rollenbilder schafft, die eine (angeblich) lang ersehnte „Gleichheit“ mit sich bringt, gar eine „neue Gerechtigkeit“. Doch wenn man die Brille richtig aufsetzt, stellt sich die bange Frage: Wollen wir das wirklich? Ist es nicht vielmehr eine negative Utopie, die unkenntliche Mädchen und Jungen hervorbringt und letztlich alle gleichermaßen unglücklich macht?

Und geht es nicht vor allem darum, Männerrollen abzuwracken, da Männer in der weiblichen Zukunft sowieso keinen Platz haben und entsorgt werden sollen? Ist das womöglich der heimliche Wunsch der Frauen, der hinter all dem lauert? Der Grobmotoriker Johannes Koch erhielt jedenfalls neulich einen Anruft: Seine Angebote wären zwar toll, aber man suche jetzt nach einer Frau, die genau solche Kurse anbieten kann wie er, ob er nicht zufällig eine kennt und mithelfen könnte, sich selbst überflüssig zu machen.

Er kann ja für die Plastiken, die er geschaffen hat, wetterfeste Umhänge oder zumindest einen Schal stricken. Das könnte ganz hübsch aussehen.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich am 10. Februar 2010 auf der "Achse des Guten"

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: jo

Hier wird wohl einiges verwechselt!
In dieser Gesellschaft gilt der Mann immer noch als die Norm und die Frau als die Abweichung.
Diese Gesellschaft ist patriarchal aufgebaut und Frauen werden strukturell immer noch enorm benachteiligt! Es ist doch bekannt, dass Frauen im Durchschnitt immer noch wesentlich weniger verdienen als Männer, sogar für die gleichen Tätigkeiten und dabei auch noch wesentlich weniger Aufstiegsmöglichkeiten haben. Programme wie das gender mainstreaming versuchen aufzudecken, woran das liegt und wie eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe gefördert werden kann.
Die Binarität der Geschlechter wird hierbei gar nicht in Frage gestellt, sondern es ist ein sehr realpolitischer Ansatz.
Wobei es bei dem Begriff gender geht, ist das soziale Geschlecht. Es geht in dieser Diskussion nicht darum, dass es keine Geschlechter oder keine Männer und Frauen gebe, sondern darum, zu erkennen, dass das soziale Geschlecht zwar oft mit dem biologischen Geschlecht (sex) gerechtfertigt wird, aber letztlich nicht vorkulturell existent ist, sondern immer von gesellschaftlichen und kulturell-religiösen Diskursen konstruiert wird.
So ist nicht die Tätigkeit des Strickens an sich essentiell weiblich, sondern sie wird hier so konnotiert.
Ob man (oder frau) nun gut stricken oder schweißen kann, bzw. das eine oder andere lieber mag, hängt meines Erachtens nicht von der "biologischen Ausstattung" ab. Ob jemand dazu jedoch eher Zugang hat und es als positiv angesehen und gefördert wird, hängt enorm mit unserer sozial konstruierten Ausgestaltung des gender ab.
Meiner Meinung ist es doch sehr positiv, wenn es da für jede_n möglich wäre zu wählen, welche Tätigkeiten er_sie mag und nicht von vornherein die Hälfte aller Tätigkeiten ausgeschlossen wäre, nur weil sie als "männlich" oder "weiblich" gelten.

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