Die Gesundheitsdaten: Hysterie und Wahrheit

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Es ist ja wohl nur ein Sommerthema. Es ist aber jedenfalls ein Beweis dafür, dass Journalisten statt kühlen Kopf zu bewahren, immer wieder Opfer ihres eigenen Jagdeifers werden, wenn sie irgendwo glauben, ein Zipfel des Bösen aufgedeckt zu haben (natürlich immer nur dort, wo es die Political correctness auch haben will). Ich würde jedenfalls hohe Summen wetten, dass es trotz der maßlosen Aufregung der letzten Tage zu keinen Verurteilungen kommen wird, kommen kann.

Eigentlich ist es ja völlig absurd: Seit Jahren und Jahrzehnten erscheinen täglich weltweit Hunderte wissenschaftliche Arbeiten, Studien und Artikel, die mit Zahlen, Daten und Statistiken über Krankheiten und Therapien gespickt sind. Auch die jetzt so erregten Medien haben alle x-mal darüber geschrieben: Wie viele Menschen haben diese Krankheit, wie viele jene? Welches Medikament, welche Therapie hat geholfen, welche nicht? Erkranken eher Männer daran oder Frauen? Weißhäutige oder dunkelhäutige Menschen? Tritt die Krankheit eher in städtischen oder ländlichen Regionen auf? Und so weiter.

Und es ist extrem gut, dass diese Gesundheitsdaten – nichts anderes ist ja der Kern solcher Artikel und Studien – leicht verfügbar sind. Denn genau dieses Wissen bringt die Forschung voran. Genau dieses Wissen macht uns in Hinblick auf die Erfolge der Medizin und Wissenschaft so sicher. Und genau dieses Wissen legt auch alles bloß, was wirkungslos ist: etwa den ganzen Sumpf der (bei manchen Medien so umsatzträchtigen und daher beliebten) Esoterik und Homöopathie.

Es wäre daher eine Katastrophe, wenn als Folge der gegenwärtigen Hysterie das für Forschung und Gesundheitspolitik zugängliche Datenmaterial künftig schwerer verfügbar werden sollte. Das könnte aber angesichts des Opportunismus und der Medienorientiertheit der Politik vieler Länder leicht passieren. Gerade in Wahlzeiten.

Nur ein einziger hypothetischer Fall rund um die Medizindaten-Weitergabe wäre übel: Wenn da irgendjemand individuelle Gesundheitsdaten herausgelesen und weitergegeben haben sollte.

Jedoch gibt es als Beweis dafür lediglich die These eines Computer-Freaks. Er glaubt, dass man diese Informationen aus den verschlüsselten Datensätzen herauslesen kann. Mag schon sein. Aber hat es auch jemand getan oder versucht? Gibt es dafür auch nur den Schatten eines Beweises?

Weil ich ein langes Brotmesser in der Küche habe, bin ich ja auch noch kein Mörder. Oder ist das für die Staatsanwälte jetzt plötzlich ein Beweis, wenn etliche Medien etwas behaupten, und wenn daraufhin ein paar Sozialversicherungsfunktionäre sowie Politiker aus Regierung wie Opposition aufgeregt zu plappern beginnen?

Von den medial-politischen Hysterikern wird gerne der Fall konstruiert, dass eine Pharma-Firma durch solche Studien entdecken könnte, dass der Arzt X ihre Produkte weniger oft verschreibt als der Arzt Y. Selbst wenn das so wäre, wofür es auch keine Beweise gibt, kann man nur sagen: Na und? Das einzige, was eine solche Firma dann tun könnte: Sie lässt nochmals diesen Arzt aufsuchen und ihm ihr Produkt anpreisen (wenn man einen Termin bekommt). Ich sehe aber weit und breit keine Druckmöglichkeit gegen die praktizierenden und verschreibenden Ärzte (höchstens gegen forschende, aber die haben ja keine Daten zum Weitergeben, sondern brauchen sie dringend).

Die Pharma-Firmen könnten ja Ärzte bestechen! Nun, das tun oder versuchen sie doch seit jeher. Am liebsten würden sie ohnedies alle Ärzte bestechen. Daher sind aber – voll zu Recht! – in den letzten Jahren die Grenzen dessen schon viel enger gezogen worden, was eine Firma einem Arzt zukommen lassen kann. Beispielsweise individuelle Einladungen zu Kongressen sind längst schon strikt verpönt.

Ein Schaden entsteht nur dann, wenn ein Arzt einem Patienten die Therapie A angedeihen lässt, obwohl er überzeugt ist, dass die Therapie B besser ist. Nur: Von diesem – schlimmen, ja kriminellen – Fall ist die Weitergabe von kollektiven Gesundheitsdaten so weit weg wie ein neuentdeckter Stern von der Erde.

Kein Medium hat jedenfalls bisher auch nur den Hauch eines Beweises für etwas Strafbares vorgelegt. Aber die mediengeile Korruptionsstaatsanwaltschaft hat dennoch schon – von sich aus, ganz ohne Anzeige! – sofort zu arbeiten begonnen. Für die angezeigten und eindeutig kriminellen Vorgänge auf dieser Welt hat die Staatsanwaltschaft hingegen keine Zeit und unternimmt so gut wie gar nichts. Das zeigen zahllose Beispiele.

Wir stehen also vor einem absoluten Nullthema. Aber es zeigt paradigmatisch auf, wie leicht grundlose Hysterie zu erzeugen ist. Und man kann nur hoffen, dass diese am Ende nicht schädliche Gesetze und Verordnungen auslöst. Aber zum Glück dürften die abwechslungsgierigen Medien bald einen Misthaufen weiter gackern, bevor die Politik eilfertig reagieren kann. Ich wäre jedenfalls froh, wenn meine Daten ein Tausendstel zu irgendeinem medizinischen Fortschritt beitragen könnten.

Das Alles heißt übrigens nicht, dass ich Ärzte für Engel halte. Keineswegs. Es hat mich zum Beispiel schwer erstaunt, wie sehr alle – Medien bis Ärztekammer bis Politik – desinteressiert waren, als unlängst der Fall einer seit Jahrzehnten schwer verbrecherischen Ärztin bekannt gewordenist, die unter skandalösen Bedingungen Abtreibungen vorgenommen hat. Ihretwegen haben viele Frauen schwere Körperverletzungen davongetragen. Aber Abtreibungen sind ja offenbar für alle diese Akteure etwas Gutes und Lobenswertes. Da darf man doch politisch korrekt nicht viel über eine Pfuscherin schreiben.

Eine Spur harmloser, aber noch immer sehr übel sind auch jene Ärzte, die bei Patienten mit Krankenzusatzversicherung viel häufiger zu Operationen raten als bei Patienten mit bloßer Sozialversicherung. Es sollte bereits die bloße Tatsache misstrauisch machen, dass schon bei der Datenaufnahme nach dem erstmaligen Betreten einer normalen Ordination die Assistentin automatisch nach der Zusatzversicherung fragt.

Beitrag erschien zuerst auf: andreas-unterberger.at

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