Die Gestalt der Gewalt

Alter Faschismus als Tarnung für den neuen

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Wenn es erst gegen leere und dann auch gegen bewohnte Flüchtlingsheime Brandanschläge gegeben hat, fällt es angesichts der Tragweite solcher Verbrechen schwer, weiter über eine linke Radikalisierung unserer Gesellschaft zu schreiben. Doch machen gerade solche Geschehnisse die kybernetischen Zusammenhänge sichtbar: Je mehr das Handeln unserer Gesellschaft sich weg von der Mitte dorthin radikalisiert, wo man früher das Linke vermutet hätte, desto mehr radikale Ausgleichsbewegungen wird es geben. Die Überforderung der Nichtmigranten durch eine Einwanderung kulturfremder Menschen in nie gekannter, nicht erwartbarer und unverträglicher Dimension schafft Irritationen und Zukunftsangst. Die Leugnung der Probleme durch linke Ideologien - inzwischen bis weit in die CDU hinein - schafft bei den Menschen der Mitte ein Gefühl absurder Hilflosigkeit und hinterlässt Wut. Am Ende kann dies bei einer kleinen Gruppe sozial und psychisch instabiler Personen tatsächlich zu persönlichen Gewaltausbrüchen führen, unabhängig davon, ob sie sich dabei organisieren oder nicht. Schlimm allerdings wird es, wenn das einen Massencharakter annimmt. Noch sind die jährlichen Brandanschläge auf bewohnte Unterkünfte an einer Hand abzuzählen, und nachhaltige Folgen für betroffene Menschen hat es praktisch keine gegeben, doch die Gefahr besteht, dass bei wachsenden Problemen mit unkontrollierter Zuwanderung eine verantwortungslose Machtausübung eine neue Rechte quasi aus dem Nichts erschafft.

Hinter all dem stehen sowieso nicht die alten Muster von rechts und links, sondern fatale Interessen völlig neuer Prägung, die solche Konflikte für die Etablierung der eigenen Herrschaft instrumentalisiert, wenn nicht sogar schürt. Solche Zuspitzungen beginnen ‚ganz harmlos’, etwa wenn eine AfD-Politikerin mit Torte beschmiert wird (und der Stern dies auf peinlichste Art verharmlost und ins Gegenteil verkehren will). Oder wenn die Grüne Renate Künast frohlockt „Der Moritzplatz ist unser“, nachdem die antifaschistische Bewegung in Berlin mal wieder mittels stundenlanger Straßenblockaden einen ganzen Stadtbezirk lahmgelegt und dabei 15 Neonazis, wie von denen publikumswirksam beabsichtigt, an ihrer ‚Demonstration’ gehindert hat. Eine tolle Leistung, mit der es dann zu den Barrikadenkämpfen der Zwanzigerjahre auch nicht mehr weit ist. Es fehlen eigentlich nur noch die dazugehörigen Rechten in relevanter Zahl. Aber daran wird ja gearbeitet s.o..

Aber auch von den Medien, die nicht nur in diesem Beispiel den Durchlauferhitzer geben, wird an der Konfrontation gearbeitet: „Mit Trillerpfeifen und Sirenen zeigten die Gegendemonstranten den Rechtsextremen ihre Grenzen auf.“ Welche Grenzen waren denn aufzuzeigen, und wie könnte sowas mit sinnlosem Radau und einem inhaltsleeren Happening gelingen? Ich dachte bisher, Grenzen zeige man mit Stärke oder mit Argumenten auf, wie es beispielsweise in einer längst vom Niedergang einkassierten Form der Kinderziehung üblich war. Verallgemeinernd lehrt uns dieses im Grunde peinliche antifaschistische Getue: Je absurder das Gebaren des neuen Establishments, desto stärker der Zulauf bei jenen, die offiziell getroffen werden sollen. 

Es war zwar vor meiner Zeit, aber konnten nicht die alten Nazis auch unter anderem so rasant an die Macht stürmen, weil das Volk sich von Weltflucht, Gewalt und Dogmen der extremen Linken in Sicherheit bringen wollte? Doch damals war es ein sich gegenseitig aufschaukelnder Prozess von rechter und linker Gewalt, diesmal besorgten es sich die Linken bisher so gut wie alleine. Rechtsextremismus und radikale Gegensätze jenseits von Austausch und Debatten werden so ganz im Gegenteil zu den erklärten Absichten geradezu reflexhaft erzeugt.

Das Ergebnis solcher angeblich antifaschistischen Selbstdarstellungen wird im besten Falle jämmerlich, im schlechtesten aber fürchterlich sein. Doch sie wollen es so. Nicht mehr das Ziel ist wichtig, so lautet die DNA der modernen totalitären Bewegung wie auch die DNA der meisten anderen Institutionen des Niedergangs, sondern individuelle Bestätigung und Imagegewinn. Hier kommt noch hinzu, dass damit möglicherweise ein Gewissen moralisch ruhiggestellt werden kann, dass sich wegen des eigenen üblicherweise individualistischen, also selbstsüchtigen Lebenswandels meldet. 

So erwächst in der Tat ein neuer Faschismus - aber er kommt nicht mehr von Rechts, jedenfalls nicht von dort, wo man Rechts bisher vermutet hatte. Letztlich kommt er nicht einmal von Links, sondern er erwächst aus einerseits ökonomischen Interessen der Mächtigen und andererseits aus den Defiziten einer dekadenten Gesellschaft. Die, die sich heute Antifaschisten nennen, scheinen dennoch unbeirrt daran zu glauben, dass der neue Faschismus wieder mit einer marschierenden SA einhergeht. Doch die Geschichte wiederholt sich nicht, sie stottert nur. Dazu meinte schon früh der italienische Schriftsteller Ignazio Silone (1900-1978): „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: ‘Ich bin der Faschismus.’ Nein, er wird sagen: ‘Ich bin der Antifaschismus.'”

Der neue Faschismus entwickelt sich im Überbau, weswegen die selbsternannten Antifaschisten, die ihn paradoxerweise gerade naiv vorzubereiten helfen, indem sie die alten, irrelevanten Muster am Leben erhalten und „Haltet den Dieb“ rufen angesichts eines Diebes, den es gar nicht gibt oder angesichts einiger selbstgeschaffener Kreaturen. 

Weil aber all das ziemlich offensichtlich unmoralisch und fadenscheinig ist, werden viele Menschen sich davon ab- und, wie es menschliche Art ist, dem Gegenteil zuwenden. So werden dann die im Prinzip ausgestorbenen Rechten alter Prägung wieder stark gemacht - sehr zum Gefallen der Eminenzen des Postkapitalismus im Hintergrund.

Der Geist des neuen Faschismus findet sich schon ziemlich offen zwischen den programmatischen Zeilen einer Frau Dernbach im Berliner Tagesspiegel. Da heißt es, Weg mit den Pegida-Demonstranten, die ja auch irgendwie irgendwas mit den NSU-Morden zu tun haben. Weg mit der CSU, die sich (wenn auch ziemlich dämliche) Gedanken über Deutschkenntnisse von Migranten gemacht hat. Her mit neuen Behörden, die sich um die Verfolgung all dieser rechtsradikalen Verbrechen kümmern. Her mit neuen Gesetzen und Strukturen, die helfen, dass „der unheimliche Lehrplan, der hier Schule macht, endlich umgeschrieben wird.“ 

Gemeint ist damit mehr Kontrolle, mehr Propaganda und mehr ‚fortschrittliche’ Staatsräson. Die Resultate des von der Studentenbewegung und ihrer Zeit zuende geführten Kampfes um die bürgerliche Freiheit gelten inzwischen nur noch für deren geistige Nachfahren. Das Modell hatten wir schon beim Gegensatz von Anti-Raucher- und Pro-Haschisch-Kampagnen wahrgenommen. Im Bioladen macht das Schwadronieren über freien Zugang zu Rauschgift Eindruck, und die unbelehrbarerweise immer noch tabakrauchenden Proleten haben sowieso nichts zu sagen zu haben. Mit diesem „Umschreiben des Lehrplans“ ist nicht mehr und nicht weniger gemeint, als die Wirklichkeit umzuprogrammieren, und das nicht nur ideologisch, sondern auch noch mit autoritären Mitteln.

Je weniger ‚gebildet’ und damit in der Regel weniger eingebildet, desto weniger verfangen sich Menschen in diesen virtuellen Konstrukten. Der gesunde Menschenverstand hat im einfachen Bürgertum und unter Arbeitern überlebt. Früher bekämpfte das herrschende Großbürgertum aufmüpfige Proleten mit einer Zwei-Klassen-Bildungspolitik: „Schund“literatur und „Volks“musik wurden diskriminiert, um dem niederen Volk seine Position am Ende des Tisches klarzumachen. 

In der politisierten Gegenwart, in der Bildung sowieso an Bedeutung verloren hat, muss diese Diskriminierung durch das neue, linke Bürgertum nun über politische Diskriminierung geschehen. Und da die neue Schickeria sich viel darauf einbildet, links und fortschrittlich zu sein, sind die anderen eben dumm, rechts und, um keine Zweifel aufkommen zu lassen, im Prinzip faschistisch. Eine Gesellschaft aber, die rund eine Hälfte der sie konstituierenden Menschen aufgrund einer anderen Denkweise mehr oder weniger als Faschisten ausgrenzt, kann sich schon per Definition nicht mehr demokratisch nennen.

Was, verdammt noch mal, soll denn diesen so „engagiert“ bekämpften „Faschismus“ ausmachen, der doch keine reale Massenbasis, keine konsistente Ideologie und auch keine funktionierenden Organisationsformen hat? Vielleicht gehört jenseits einiger grenzdebiler Brandstifter dazu alles und jeder, der noch immer zu behaupten wagt, dass nicht alle Menschen gleich sind? Also nicht etwa nur gleich vor dem Gesetz, das sind wir ja schon, sondern überhaupt, sozusagen qua Schöpfung und gegen jede realitätsbezogene Wahrnehmung? Natürlich, wenn alle Menschen gleich sein sollen, müssen die großen unter ihnen eben einen Kopf kürzer gemacht werden. Das wäre für intellektuelle Möchtegernweltverbesserer anscheinend schlimmstenfalls ein bloßer Kollateralschaden. 

Und wer sich nicht im täglichen Miteinander köpfen lassen will, für den baut der Rechtsstaat neuer Prägung dann irgendwann Guillotinen. Für Sexisten, für Genderismusgegner und für Schwulennichtversteher, für Ausländer„hasser“, für Putinversteher und für Eurozweifler. Für Gegner der Reformpädagogik, für Klimawandelignoranten und natürlich für Verkehrsraser (ab 5km/h über Norm), am besten eigentlich gleich für alle Autofahrer, aber das Autofahren ist dann doch auch für Gutmenschen eine zu süße Versuchung. Es ist kein Zufall, dass am 1. August ein Gesetz in Kraft trat, nach dem Gerichte künftig "fremdenfeindliche" Motive stärker zu berücksichtigen haben.

Das alte Bürgertum brauchte zur Machtübernahme Revolutionen und seine ökonomische Kraft; das neue Bürgertum braucht keine Machtübernahme, denn eine solche ist von den wirklich Mächtigen nicht vorgesehen. Dafür erhält es vom Postkapital den Statthalterposten, solange es dessen ideologische Geschäfte besorgt. Es darf glauben, selbst die Macht zu haben, aber nur, solange es dies glaubt. Weil nun solche virtuelle Macht ein schönes Gefühl ist und mit etlichen Vorteilen daherkommt und weil die Gesellschaft des Niedergangs sehr viele solche eingebildeten Halbgebildeten hervorbringt, hat das neue Bürgertum des Niedergangs eine echte Massenbasis.

Gegen die selbstgewählte Unterordnung ist dann natürlich auch keine Revolution der Vernunft oder der Entrechteten gegen die wahre Obrigkeit mehr möglich. Der durch das eigene Handeln forcierte Zusammenbruch unserer Zivilisation wird stattdessen ignoriert und lieber als Zivilisationsleistung genossen. Parallel stirbt mangels praktischer Übung die Kultur der Debatte und der konstruktiven Auseinandersetzung, bis man gar nicht mehr weiß, wie und überhaupt dass so etwas geht. Und ohne Debatte stirbt schließlich die Freiheit. Was mit einem „Kampf gegen Rechts“ begonnen hat, wird so immer mehr ein Kampf gegen das Recht.

Mehr von Konrad Kustos gibt es hier: http://chaosmitsystem.blogspot.de/

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: rolf wenning

Aussergewöhnlich und wohltuend; endlich ein intelligenter Artikel!
Danke!

Gravatar: Coyote38

Alles richtig ... aber man kann es kürzer fassen.

Der italienische Faschistenführer Benito Mussolini charakterisierte den Anfang der 1920er Jahre neuen "stato totalitario" folgendermaßen:
"Alles für den Staat. Nichts gegen den Staat. NIchts außerhalb des Staates."

Und so steht der "neue" Faschismus in der Tat "links". Doch damit nicht genug: Dieser neue Faschismus schleicht sich über triefenden Moralismus und Humanismus sowie eine Gesinningsethik - welche sich mit universellem Geltungsanspruch apodiktisch über die freiheitlichen Bürgerrechte und die Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats erhebt - in das alltägliche Regierungshandeln hinein.

Gravatar: fegalo

Hallo Herr Kustos,

mal wieder – wie so oft – gut getroffen.

Der linke Faschismus, der tatsächlich einer ist, weil er ideologische Gleichschaltung durchsetzen will, aber als „Antifaschismus“ firmiert, hat noch nie mit Argumenten operiert.

Den Gegner daran hindern, die eigene Meinung kundzutun, ist dagegen weit verbreitetes Verständnis von Öffentlichkeit in den entsprechenden Kreisen. Von Aufforderungen, jemandem „keine Bühne zu bieten“ über Störungen von Veranstaltungen bis hin zu physischen Einschüchterungsversuchen ist alles im Programm.

Der Utopist hat keine Argumente, die er im offenen Diskurs vorbringen kann, sondern er strebt danach, den Gegner zum Schweigen, und danach zum Verschwinden bringen. Das ist das alte Prinzip seit der französischen Revolution.

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