Die geistige Vergreisung der Jugend

Während Jugendliche sich wie Erwachsene geben, trauern die Erwachsenen den verstorbenen Stars ihrer Jugend nach. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn der Generationenkonflikt mangels gegensätzlicher Zukunftsvisionen Interessen abgesagt wird?

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Die in dieser Woche vom SINUS-Institut veröffentlichte Studie „Wie ticken Jugendliche 2016“ findet deutliche Worte: Die 14- bis 17-Jährigen wollen sein wie Jedermann, sie vermeiden es anzuecken oder aufzufallen. Große Subkulturen, die zur Erwachsenenwelt in einem signifikanten Sinnkontrast stehen, gibt es nicht mehr, Abgrenzung und gezielte Provokation gehören der Vergangenheit an. Das ehemalige Schimpfwort „Mainstream“ wird mittlerweile neutral verwendet, um die eigene Position und Persönlichkeit zu beschreiben. So wenig überraschend die Ergebnisse der Studie sind, so schockierend sind sie dennoch. Denn dass die heutigen Jugendlichen so klingen wie Erwachsene, ist schon sehr außergewöhnlich. Wenn man die Aussagen über Wertvorstellungen und Lebensziele liest, vergisst man schnell, dass es sich um Teenies handelt.

Die Jugendlichen sind also nicht nur gechillt und tun abgeklärt und erwachsen, sie denken und meinen es auch so! Und nur, wer seine eigene Jugend erfolgreich verdrängt hat, kann dies gut finden. Dabei sollte man sich nicht von Äußerlichkeiten leiten lassen: Ja, es gibt heute mehr Tattoos als jemals zuvor, die Mädels sehen mit 12 schon aus wie 18, und es ist nicht davon auszugehen, dass sie keinen Ärger mit ihren Eltern haben. Jugendlichen scheint es heute vor allen Dingen wichtig zu sein, sich voneinander möglichst wenig zu unterscheiden, sie wollen sein wie alle anderen. Und wenn fast alle Tattoos haben, dann kommt man ohne eben nicht wirklich an. Dann haben Tattoos aber auch ihre Bedeutung verloren, zumindest ihre ursprüngliche. Die Forscher des SINUS-Instituts nennen dieses Phänomen „Neo-Konventionalismus“.

Die Jugend in Deutschland ist also zu einem großen Teil „anständig“ und „brav“ – und auch irgendwie langweilig. Dazu passt auch, dass den Ergebnissen des aktuellen Drogenreports der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge der Anteil der rauchenden 12- bis 17-Jährigen auf einem historischen Tiefststand von 7,8% angelangt ist – zur Jahrtausendwende lag er noch bei knapp 28 Prozent – und auch der Alkoholkonsum deutlich zurückgeht. Die heutigen Jugendlichen halten sich an Regeln und Empfehlungen, sie lehnen sich nicht auf, sie rebellieren nicht, sie sind auch nicht unzufrieden mit dem, was ist, sondern sie wollen es möglichst bewahren. Das mag alles sehr vernünftig und für manch einen auch positiv und zielstrebig klingen. Die Jugendlichen handeln mit Augenmaß, sie sind sich ihrer Verantwortung und ihrer Ziele bewusst, und gerade in Zeiten wie diesen erscheint es ihnen wichtig zu sein zusammenzuhalten. Zudem geben sie sich mehrheitlich tolerant und weltoffen. Dagegen kann man doch nun wirklich nichts haben!

Und dennoch beschleicht mich bei alledem ein seltsames Gefühl: Aufbegehren in Jugendzeiten trainiert wichtige Muskeln, die man später immer wieder einsetzen kann. Das Eintreten für eigene Überzeugungen ist ein Akt sowohl des individuellen als auch des gesellschaftlichen Erwachsen- und Mündigwerdens ist. Wenn dieser Prozess nicht stattfindet, wird intergeneratives Lernen zur bloßen Weitergabe von bereits bestätigtem Wissen und bereits gemachten Erfahrungen, ohne dass eine tatsächliche Modernisierung stattfindet. Jugendliche rutschen so in die Rolle von Empfängern und nicht von Gestaltern. Wer sich nie gewehrt hat und immer den Weg des geringsten Widerstandes geht, wird es auch schwer haben, sich destruktiven gesellschaftlichen Entwicklungen erfolgreich entgegenzustellen. Werden sich die „Braven“ gegen „die Bösen“ behaupten können, oder werden sie umfallen?

Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn Kinder ziemlich genau so ticken wie die Erwachsenen, die in früheren Generationen „Spießer“ genannt worden wären? Und dies wohlgemerkt in einer Welt, die nun wirklich nicht problemfrei ist und der neue Impulse in vielen Bereichen sicherlich gut täten. Was passiert, wenn diese verjüngenden Denkanstöße ausbleiben? Meine Antwort lautet: Die Gesellschaft vergreist, aber nicht am oberen Ende der Alterspyramide, sondern vom unteren Ende ausgehend. Modernisierungskonflikte sind wie eine Frischzellenkur für die Gesellschaft, denn sie justieren das Machtgefüge zwischen Alt und Jung immer wieder neu. Diese Erneuerung wird zweifellos durch die demografischen Verschiebungen erschwert, denn Jugendliche werden sich schon rein mengenmäßig immer schwerer durchsetzen. Dementsprechend wird immer davon geredet, dass wir ein Problem haben, weil es so viele alte Menschen gibt. Betrachtet man aber die Ergebnisse der aktuellen SINUS-Jugendstudie, so scheint das größere Problem darin zu liegen, dass wir so viele greise Jugendliche haben.

Während Jugendliche sich wie Erwachsene geben und sich einrichten in dem, was ist, ist in den letzten Monaten ein weiterer Trend deutlich zu spüren: Die Erwachsenen über 40 trauern inbrünstig den jüngst verstorbenen Stars ihrer Jugend und somit ihren eigenen Träumen und Zukunftsvisionen nach. Allein in den letzten sechs Monaten starben David Bowie, Prince, Maurice White (Earth Wind & Fire), Glenn Frey (Eagles), Black, aber auch Prominente wie Harper Lee, der Weltfußballer des letzten Jahrhunderts Johann Cruyff, Geistesgrößen wie Umberto Eco, Politiker von Weltrang wie Helmut Schmidt oder Hans-Dietrich Genscher,– oder deutsche alternative Sympathieträger wie Peter Lustig.

Viele Erwachsene jenseits der 40 haben den Eindruck, dass ihnen gerade in den letzten Wochen und Monaten einiges Wichtiges, was sie ihr ganzes bisheriges Leben begleitet hatte, für immer verloren gegangen ist. Sie vermissen David Bowie und schwelgen in Erinnerungen, aber im Radio wird dessen letztes Album nicht gespielt, das ist nämlich nicht Mainstream. Der Ü-40-Nostalgie tut das aber keinen Abbruch, denn die Menschen spüren, dass es solche Künstler wie Bowie oder Prince in Zukunft nicht mehr geben wird. Dieses Gefühl passt gut zur gesellschaftlichen Stimmung, in der die Zukunft der Welt, die wir ja ohnehin nur geborgt haben sollen, skeptisch beurteilt wird. Die – durchaus verklärende – Sehnsucht nach vergangenen Zeiten wird immer dann zu einem vorherrschenden Moment, wenn die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht eben stark ausgeprägt ist. Die Einen schwelgen im Vergangenen und moderieren die Zukunft ab, an die die Anderen ohnehin nie geglaubt haben – wie soll hier eine modernisierende Dynamik entstehen?

Aber sagt nicht jede Generation, dass ihre eigene Jugendzeit einzigartig war und nichts mehr so sein werde, wie es einmal war? Mit Sicherheit ist dies der Fall. Und jede Generation hat damit auch auf ihre Weise Recht. Weil die Welt sich verändert, gerade auch durch den Konflikt zwischen alter und junger Generation. Ein solcher Veränderungsschub täte heute Not. Doch der aktuelle Zeitgeist ist pomadig und altklug, da ihm dieser rebellische Konflikt unbekannt ist. Er kann nicht einmal mehr die Reste des 60er-Jahre-Aufbruchsgefühls nachvollziehen, das für das Austesten von Grenzen, den Protest gegen Konventionen und das Ausleben von Freiheit stand. Stattdessen predigt er Konformität und Geschlossenheit, Anpassung und Verantwortung, Risikoscheu und Sicherheitsstreben. Was fehlt, ist der positiv-rebellische und zugleich auch individualistisch-kreative und befreiende Impuls. Und das zeigt sich an Deutschlands stromlinienförmiger Jugend mehr als deutlich.

Beitrag zuerst erschienen auf zeitgeisterjagd.de

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: Gabriele Schmutz - Geiger

@ Anne R

'Dem wäre heute nicht viel hinzuzufügen.'

... aber gestern im Termin beim Familiengericht war dem noch hinzuzufügen, dass es wie eine 'Griechische Tragödie' ist.

Damit konnte der Vorsitzende nichts anfangen.

Auch unter 'Vergiften, Vergasen, Vergessen' konnte der sich nichts vorstellen.

Das Gleiche mit 'Nichts hören, nichts sehen, schweigen und zum Schweigen bringen.'

Der Vorsitzende weiss eben, das System ist eh a. A.
Und der A., der war noch nie so wertvoll wie heute.
Jede/r versucht also, sich den A. zu retten.

https://www.youtube.com/watch?v=CHCEDv6XCO8

Gravatar: Anne R.

Es stimmt, was Plato damals schrieb, in seiner Politeia, vor 2400 Jahren:

"Ist es nicht so, daß sich die Demokratie selbst auflöst durch eine Unersättlichkeit in der Freiheit, wenn sich Väter damit abfinden, ihre Kinder einfach gewähren und laufen zu lassen, wie sie wollen, und sich vor ihren erwachsenen Kindern geradezu fürchten, überhaupt ein Wort zu reden, wenn auch die Lehrer bei solchen Verhältnissen zittern und ihnen lieber schmeicheln, statt sie sicher und mit starker Hand auf einem geraden Weg zu führen. Überhaupt sind wir ja schon so weit, daß die Älteren sich unter die Jungen setzen und sich ihnen gefällig zu machen suchen, indem sie ihre Albernheiten und Ungehörigkeiten übersehen oder gar daran teilnehmen, um ja nicht den Anschein zu erwecken, als seien sie Spielverderber oder auf Autorität versessen. Auf diese Weise aber werden Ziele und Widerstandkraft aller Jungen allmählich brüchig und mürbe."

Dem wäre auch heute nicht viel hinzuzufügen.

Gravatar: Angela Kleine - Wilde

Diejenigen Deutschen, die sich als junge Menschen vor vierzig Jahren damit politisch qualifiziert haben, dass sie ihre eigenen Eltern mit erbarmungsloser Konsequenz öffentlich als Altnazies denunziert und zum Teil umgebracht haben (siehe z.B. Susanne Albrecht, die 'wie ein Mitglied der Familie' Ponto war), sind nach einem langen Marsch durch die Institutionen heute wesentlicher Bestandteil des politischen Establishments Deutschlands, von wo aus sie als Inbegriff der Selbstverleugung, der Selbstzerstörung, der Morbidität und der Angst wirken.

Von dort aus denunzieren sie nun nicht mehr ihre eigenen Eltern, sondern Eltern generell und überhaupt als Nazis, als übliche Verdächtige und als mindestens potentielle StörerInnen und GefährderInnen des so genannten 'Kindeswohls'; dies umso mehr dann, wenn Abweichungen bestehen, mit denen Eltern Anlass zu Zweifeln an ihrer politischen Zuverlässigkeit geben.

Insofern hat der deutsche Staat den Generationenkonflikt voll und ganz an sich gezogen, um ihn für die Kinder gegen die Eltern auszutragen, so weit die sich nicht von vornherein gänzlich konfliktlos der exekutiven Allmacht des Staates ergeben.

Damit hat das deutsche politische Establishment dieser Tage die so genannte letzte Berechnung des Dr. Joseph Göbbels seinem Tagebuch des Jahres 1945 gemäß nicht nur bis in die Tiefen seines kollektiven Unbewussten verinnerlicht, sondern es hat diese letzte Berechnung gewissermaßen auch in eine Endlosschleife geschickt, die, wenn überhaupt, dem parteienstaatlich - politischen Konsens entsprechend nur beendet werden kann und nur beendet werden darf mit einem spurlosen Aufgehen Deutschlands in einem im Übrigen rechtswidrigen europäischen Bundesstaat.


»Sollte uns der Sprung in die große Macht nicht gelingen, dann wollen wir unseren Nachfolgern wenigstens eine Erbschaft hinterlassen, an der sie selbst zugrunde gehen sollen.

Das Unglück muß so ungeheuerlich sein, daß die Verzweiflung, der Wehruf und Notschrei der Massen trotz aller Hinweise auf uns Schuldige sich gegen jene richten muß, die sich berufen fühlen, aus diesem Chaos ein neues Deutschland aufzubauen. Das ist meine letzte Berechnung.«

(Goebbels letzter Tagebucheintrag; Quelle: Staatsarchiv Freiburg W 110/2 Nr. 0065, Bild 1)


https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/binary/UXVQJ5T2TJ7MWT4P5NM2N24BSJBRKZTE/full/1.jpg


Es ist so also kein Staat zu machen, und es soll so auch kein Staat gemacht werden.

Gravatar: Adorján Kovács

Alles völlig richtig. Kann ich aus meiner Unterrichtstätigkeit nur bestätigen. Deswegen sehe ich auch schwarz für Deutschland. Diese Jugend knickt ein auf allen Ebenen.

Gravatar: Angela Dumpf - Michel

Von bisweilen altklugem Geschwätz abgesehen, weiss ich nicht, ob Jugendliche sich wie Erwachsene geben. Mit Unterstützung des Staates erziehen Kinder inzwischen aber wohl eher ihre Eltern, als umgekehrt. VdL wollte zu ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin ja einen so genannten 'Elternführerschein' einführen. Das sagt schon fast alles. Das Problem scheint eher eine zunehmende, allgemeine Verblödung, Entmündigung und Unmündigkeit zu sein.

An irgendwelchen tieferen Wahrheiten scheinen Jugendliche heute weniger interessiert zu sein, denn je. Und an der buchstäblich letzten Wahrheit, die unter dem dauernden Relativismus und der permanenten Manipulation und Lüge durch den Staat noch übrig bleibt, haben Jugendliche leider Gott sei Dank kein Interesse.

Egal also, wie exekutivistisch, der Staat spaltet die Gesellschaft an der Wurzel, indem er mit dem Generationenkonflikt sozialen Fortschritt und eine entsprechend konstruktive, offene und reinigende Kommunikation der Generationen untereinander unterbindet, während er die Generationen andererseits regelrecht gegeneinander ausspielt und aufhetzt. Den Generationenkonflikt gibt es inzwischen nicht mehr, weil Eltern Angst vor dem Staat als Anwalt ihrer Kinder und als dem im Zweifelsfall immer besseren Erzieher und Pfleger ihrer Kinder haben. Kindertümelei, German Angst.

Selbstverständlich ist das ein kranker und morbider Ansatz und Zustand, mit dem auf die Dauer kein Staat zu machen ist.

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