Die Freiheit. Unrecht zu haben

 

Quo Vadis, Blogger?

 

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Als ich gefragt wurde, ob ich für die Freie Welt bloggen wolle, war ich zugegeben unsicher. Ich halte die Ökonomik Chicagoer Prägung für doppelt verfehlt: erstens, weil sie dem naturalistischen Fehlschluss unterliegt, dass Märkte so seien, wie sie sind, weil es gut ist, wie sie sind – die Gegenposition wäre, sich zu fragen, wie Märkte optimal funktionieren sollten und dann zu überlegen, wie man diesen Zustand erreichen kann –, zweitens, weil die Märkte nicht einmal so sind, wie sie behaupten, sie aber alle Erkenntnisse beispielsweise über Individual- und Massenpsychologie ignorieren und weiter an ihrem Mantra festhalten.

Hier sah ich den Stolperstein im Bezug auf die Orientierung der Freien Welt.

Ja, ich bin Atheist, aber ein aufgeklärt christliches Menschenbild muss nicht zwangsläufig in Streit mit einem evolutionär-humanistischen Menschenbild geraten. Insofern dachte ich, ich könnte in meinen Beiträgen für die Freie Welt ja auf atheistische Positionen verzichten und vielleicht ein wenig gegen die m.E. exzessiveren neoliberalen Positionen argumentieren.

Dazu ist es jedoch nie gekommen, da ich dann feststellen musste, dass es auf dieser Seite sehr viel mehr gibt, das mir zuwider läuft. Gleichberechtigung und Säkularisierung werden angegriffen, sei es bei der Homo-Ehe oder auch, wenn Kreuze nicht in staatlichen Klassenzimmern hängen sollen. Das ist allerdings kein fatales Problem, denn hier treffen Meinungen aufeinander, die kontrovers diskutiert werden können und sollen.

Nein, fatal ist eher, dass die Art, wie m.E. Milton Friedman u.a. wissenschaftliche Erkenntnisse ignorieren, sich auch auf andere Bereiche überträgt. Beiträge, die Impfung und Schweinegrippe ideologisierend kritisieren, lassen sich auf der Freien Welt finden, und zuhauf Beiträge, in denen die wissenschaftlichen Daten zum Klimawandel durch Rufmord oder Fehldarstellungen angegriffen werden. Es fehlte nur noch, dass sich Homöopathen zu Wort meldeten.

Im Endeffekt bleiben mir nur drei Möglichkeiten. Erstens könnte ich die ganzen Beiträge jeweils konkret angehen und eine Gegendarstellung schreiben. Nicht aus der Hoffnung, die Autoren überzeugen zu können – die Klimaleugner beispielsweise sind ihrer Position gewiss, Zweifel liegen ihnen fern, sie werden sich nicht überzeugen lassen. Und hier sei gesagt, dass ich meine Position natürlich auch offensiv vertrete, ich diese aber aufgrund von wissenschaftlichen Daten und nicht irgendwelchen vagen Manipulationsvorwürfen bezogen habe – wenn mir tatsächliche Klimadaten und -messungen gezeigt werden, die zu einem anderen Ergebnis kommen und in der Summe ähnlich konsistent und stark sind, wie die Daten PRO globaler Erwärmung, dann bin ich sofort bereit, meine Position zu ändern.

Das Problem ist, dass es sehr einfach ist, jemandem eine Verschwörung zu unterstellen oder einen "talking point" zu übernehmen, wie beispielsweise irgendeine angebliche Liste von 500 Wissenschaftlern, deren Ergebnisse dem Klimawandel widersprechen. Es kostet Zeit, sich in komplexe wissenschaftliche Themen einzuarbeiten, vor allem, wenn man wie ich nicht seinen Lebensunterhalt mit dem jeweiligen Thema bestreitet. Ich habe vor gut zwei Jahren den damals aktuellsten IPCC-Bericht komplett gelesen und mir dazu auch Kontextwissen angeeignet, aber da ich dieses Wissen selten benutze, müsste ich für eine fundierte Erwiderung erneut recherchieren. Dazu kommt, dass dem gefühlten Vorwurf, es werde manipuliert, nur wenig entgegnet werden kann, denn einen Beweis für die Nichtexistenz einer Verschwörung gibt es nicht, und Beweise für eine Verschwörung, die man entkräften könnte (oder bestätigen) werden nicht vorgebracht – stattdessen wird eine solche einfach behauptet, sie ist einerseits offensichtlich zu erkennen und gleichzeitig unmöglich zu beweisen.

Außerdem, weil zu einem anderen Beitrag mehr Links gefordert wurden, hier ein kurzer Einschub mit einer weiteren informativen Seite, in der die PR-Mechanismen der Klimaleugner besprochen werden: DeSmogBlog und das Buch Climate Cover-Up. Wie auch diese Seite zeigt, ist es geradezu unverschämt, den Wissenschaftlern vorzuwerfen, die Öffentlichkeit zu manipulieren, wenn gleichzeitig Ölkonzerne massenhaft Lobbyisten beschäftigen, Lügen veröffentlichen und alles tun, um den wissenschaftlichen Konsens in Zweifel zu ziehen – ironischerweise genau die Vorwürfe, die gleichzeitig die Messdaten entwerten sollen. Man findet ohne Probleme Klimaforscher, die das in den zwei oder drei ständig zitierten E-Mails erkennende Verhalten missbilligen – aber wo sind die Klimaskeptiker, die von einer großen Manipulation der Öffentlichkeit reden, und sich von diesen PR-Lügen distanzieren? Hier sind die Fakten, die der anderen Seite fehlen. 

Ebenfalls sehenswert: eine YouTube-Reihe zum Klimawandel, hier verlinkt die sechste Folge, die sich mit eben diesen E-Mails beschäftigt. Hier wird übrigens gleich begrüßt, dass nun eine Untersuchung stattfindet und der verantwortliche Leiter zunächst von seinen Posten zurückgetreten ist. Ähnlich wird in einer anderen Folge Al Gores Behauptung eines überschwemmten Floridas kritisiert, weil sie nicht mit üblichen Wahrscheinlichkeiten operiert. So funktioniert eine Argumentation auf Sachebene. Wie sie nicht funktioniert, zeigt dieses Video auch.

Schließlich interessiert vielleicht auch dieser längere Mailwechsel, den ich auf meinem Blog publiziert habe. Der Link führt zum ersten Teil.

Es wäre schön, wenn ich die Zeit hätte, mich derart mit den Beiträgen auf dieser Seite zu beschäftigen. Allerdings müsste ich dazu alle Beiträge lesen und kommentieren, um den unwidersprochenen dann keinen falschen Anschein der Legitimität zu geben, und diese Zeit fehlt mir einfach. Auch fürchte ich, dass eine solche Gegenposition des "Quotenskeptikers" an sich schon zu einer fälschlichen Legitimität beitragen könnte. Zumal dazu eben nicht nur gehörte, mich wieder in die Klimaforschung einzuarbeiten, sondern auch, noch genauer über Impfungen Bescheid zu wissen – und wer weiß, welches Thema danach ansteht?

Meine zweite Option wäre, zum störenden Blogtroll zu werden, wie dies in meinem letzten Beitrag schon ansatzweise geschah. Hier würde ich ebenfalls auf Beiträge antworten, aber eher mit der Frustration und Wut, die in mir entsteht, wenn das, was heutzutage unsere beste Annäherung an die Wirklichkeit ist, mit den Füßen getreten wird. Diese Lösung würde einerseits zu einem Magengeschwür bei mir führen, andererseits aber auch nur als Störung in der Freien Welt ankommen, und das muss nicht sein.

Bleibt noch die dritte Option. Ich bin mir relativ sicher, dass ich auf der Freien Welt auch Leute finde, die zwar vielleicht nicht die Mondlandung bezweifeln, aber Bush für beteiligt an den Anschlägen vom 11. September halten. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich hier Leute versammeln, die sich als "Skeptiker" bezeichnen, aber in Wahrheit Leugner sind, und nicht auf dem Boden von Wissenschaft argumentieren, sondern aufgrund von Ängsten und Ideologie. Die dritte Option ist also, die Freie Welt sich selbst zu überlassen. Solange sie ein Nischendasein führt, soll sie eben eine Nische sein. In der Huffington Post ist es nützlich, Gegenmeinungen zu veröffentlichen. In der Freien Welt ist der erwartete Nutzen geringer als die Gefahr, selbst als einer der Leute gebrandmarkt zu werden, denen Ideologie wichtiger ist als die (angenäherte) Wirklichkeit.

Mir fehlt die Zeit, umfassend dagegenzuhalten, und die Lust, auf mich allein gestellt Stunk zu machen. Also bleibt mir nur, mich zurückzuziehen. Wer mehr von mir lesen möchte, kann dies auf meiner Webseite tun. Ich bin auch bereit, mich einzelnen Diskussionen zu stellen. Das Ausmaß der Ansichten, die anscheinend in der Freien Welt mehrheitsfähig sind, die ich aber nicht teile, macht mich aber zu einem Fremdkörper hier.

In einer freien Welt haben auch die Blogger der Freien Welt das Recht, Unrecht zu haben. Aber in Zukunft ohne mich.

(Zum letzten Mal kreuzgeschrieben auf Derangierte Einsichten)

 

Für die Inhalte der Blogs und Kolumnen sind die jeweiligen Blogger verantwortlich. Die Beiträge der Blogger und Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

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Kommentare zum Artikel

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Gravatar: lab

@lepus
Eben nicht. Ich habe mich zu M&Co geäußert und nicht zu Rahmsdorf. Tatsächlich haben Sie die Herren ins Spiel gebracht, indem Sie den Artikel von M&Co über Rahmsdorf zitieren. Nochmal: ich kenne weder Rahmsdorf, noch M&Co oder Herrn Lotter. Zu ihrem Charakter kann und will ich mich nicht äußern. Wozu ich aber etwas sagen kann, ist ihr Diskussionsstil, am konkreten Beispiel.

Daraus bauen Sie eine von mir - in der überspitzten Form schon gar nicht getätigte Äußerung, um diese dann anzugreifen. Das nenne ich einen rhetorischen Trick.

"Befürchten Sie, von Rahmsdorf systematisch interniert und ermordet zu werden?" ziehe ich zurück. Wie Sie richtig schreiben, gehört das eher zu "Endlösung" und war tatsächlich eine Fehlassoziation meinerseits. Sehen Sie, so einfach geht das. Allerdings ändert das nichts an der Einschätzung, dass von M&Co mit "Endsieg" eine gedankliche Nähe zum Nationalsozialismus geschaffen werden sollte (hat ja bei mir auch hervorragend geklappt).

Aber wenn Sie die Diskussion um sachfremde Aspekte beenden wollen, sehr gern. Genau das war ja mein Ausgangspunkt - also ab sofort keine "Inquisition", "Sekten", "Religionen", "Endsige" oder "heilige Missionen" mehr.

Dann sagen Sie mir doch noch, wo das fehlende Zitat zu finden ist (mit den anderen sind wir ja durch, oder?)

Gravatar: lab

@lepus
"Verein der Ufobeobachter"? Wie bitte? Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Ich hoffe, Sie kommen jetzt nicht mit der "In-den-70ern-haben-alle_Klimatologen-die-Eiszeit-erwartet"-Legende...
Aber um das Beispiel weiter zu führen: Wenn ich wüsste, die Warner wären alle Meeresbiologen, würde das mein Vertrauen in die Warnung natürlich noch verstärken.

Gravatar: Thomas Gensch

Auffällig an der Klimadiskussion ist doch, dass hauptsächlich Geologen und zunehmend auch Meterologen dem "Konsens" widersprechen. Also Leute, die von Berufs wegen viel länger im Klimageschäft sind, als die vielen neuen ur vermeintlichen) Klimawissenschaftler. Und ich denke, dass der Blick in die Vergangenheit hilft. Und da sagen die Geologen (frei zusammengefaßt): selbst wenn es noch wärmer wird: das gab es schon mehrfach und das waren für die Menschheit gute Zeiten.
Der Bezugspunkt 1850 lag am Ende der kleinen Eiszeit - warum soll das der Punkt 0 sein? Ist es nicht viel besser, die heutigen Temperaturen als optimaler anzusehen, als die von 1850? Da fängt für mich die Willkürlichkeit und der der Schwindel an.

Gravatar: lab

@lepus
Was heisst denn hier "immer" - so oft hatten wir es ja noch nicht miteinander zu tun - bitte nicht so schnell verallgemeinern. Klar, die Wahrheit ist oft (nicht immer) grau, aber es gibt ein paar Dinge, die sind eben digital.
Schwanger sein, zum Beispiel.
Oder: in einem Blog schreiben oder nicht.

@Climax
Sie kennen Wissenschaftsbetrie offenbar nicht so gut. Auch wenn es faktisch natürlich nicht entscheidend ist,w as die Mehrheit sagt, ist es pragmatisch schon wichtig, ob ein Expertenkonsens (der in der Tat nicht ausschließt, dass es einzelne abweichende Meinungen gibt) existiert. Merke: Es ist wahrscheinlicher, dass sich ein Mensch irrt, als dass sich 1 Million Menschen auf die gleiche Weise irren und keiner es merkt.

Gravatar: Johannes

Wenn man die Kommentare hier so liest, hat man den Eindruck hier würde sich eine Gruppe pubertierender versammeln. Das Allerschlimmste, was man hier tun kann ist offenbar mit dem "Mainstream" zu sprechen, die allgemein öffentlich annerkannte Meinung zu vertreten (Ob es dafür vernünftige Gründe gibt spielt keine Rolle). Wenns mit Argumenten nicht weiter geht kommen dann verückte Beschimpfungen wie etwa "ihr Gottesleugner, wie könnt ihr es wagen" (wurde inzwischen offenbar gelöscht) und "der Antichrist regiert seit 2000 Jahren".

Gravatar: Zwiebelritter

Berandor, Berandor...wie eh und jeh, es gibt nur eine Meinung und das ist deine;)

Gravatar: Patrick Pricken

Oh, ach so: mein erster Kommentar ging an Herrn Klinkmüller, aber ich weiß gar nicht, ob der jetzt auch hier kommentiert hat oder nur bei mir. Ups!

Gravatar: Meinert

@ Nathanael B
Hier wird dem Wahnsinn Tor und Tür geöffnet!

Gravatar: Elmar Oberdörffer

Die von Ihnen so genannten "Klimaleugner" haben für ihre Ansicht gute physikalische Argumente und Beobachtungsdaten. Vielleicht machen Sie sich doch einmal die Mühe und frischen Ihre Physikkenntnisse etwas auf, bevor Sie den "Klimaleugnern" Unwissenschaftlichkeit vorwerfen.

Gravatar: Ralf Bann

Schade Herr Pricken, kann sein das Sie das gerade zu emotionell sehen ? Finde, daß Menschen die so wie Sie oder Herr Meinert über andere so absolut urteilen bez verurteilen keinen wirklichen gesunderen Beitrag leisten im Meinungsbildungsprozeß. Ich bin Leser der FreienWelt und muß sagen das ich kaum ein anderen Medialen Ort kenne wo Menschen so frei zu Wort kommen können. Erst die Debatte bringt ein Mehrwert und Erkenntniss. Aber auch ihre Beiträge habe ich gerne gelesen Herr Pricken, vielleicht lassen Sie sich mal wieder blicken. Beleidigungen und Abwertungen von anderen Menschen,haben wie die Geschichte gezeigt hat, bisher noch nie was gebracht Herr Meinert, es kann das Leben vorübergehen einfacher machen, aber es ist dann nicht mehr die Realität.

Gravatar: Meinert

"Mein Bauchgefühl sagt mir, dass sich hier Leute versammeln, die sich als "Skeptiker" bezeichnen, aber in Wahrheit Leugner sind, und nicht auf dem Boden von Wissenschaft argumentieren, sondern aufgrund von Ängsten und Ideologie."
Ich habe den selben Eindruck und kann ihren Entschluß gut verstehen. Auf Dauer bringt die Gegenargumantation hier nichts, weil sie ja nicht wirklich sachlich geführt wird, die dahinter liegende Ideologie lässt das nicht zu.

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